Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2013, Rubrik Titelthema

3. Überwachung 2.0 – Prism, NSA, Tempora.

Was gibt’s zu tun, damit freie, offene Gesellschaften nicht zu autoritären Überwachungsstaaten mutieren?

Das »Grundrecht« auf informationelle Selbstbestimmung der Bürger im Netz wird zur Farce. Die vielen Programme zur Medienkompetenzförderung junger Menschen sind vor diesem Hintergrund verlogen. Was gibt’s zu tun, damit freie, offene Gesellschaften nicht zu autoritären Überwachungsstaaten mutieren?

Hajduk: Die Aneignung von Medienkompetenz und der bewusste Umgang mit persönlichen Daten sind wichtig. Unabhängig davon müssen Bürger/innen sich aber der Einhaltung ihrer Grundrechte sicher sein können. Denn wer nicht frei (digital) kommunizieren kann, lebt nicht frei. Wer, wie die Bundesregierung, angesichts des massiven Angriffs auf Grundrechte, den Bürgern/innen lapidar zuruft, jeder möge sich selbst schützen, hat die Durchsetzung verbriefter Grundrechte schon aufgegeben und zeigt, wie sehr er mit dem Grundrechtsschutz der Bürger/innen überfordert ist.

Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und zunehmenden technischen Möglichkeiten des Staates wie auch Dritter zur heimlichen Überwachung und Kontrolle der Menschen setzen wir Grüne uns dafür ein, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als datenschutzrechtliches Fundament ins Grundgesetz aufzunehmen. Staatliche Überwachungsphantasien und bürgerrechtsfeindliche Gruselstücke, wie die heimliche Onlinedurchsuchung oder die Vorratsdatenspeicherung, lehnen wir klar ab.

Die aktuelle Debatte um den wohl umfangreichsten Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zeigt einmal mehr deutlich: Wir müssen dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme endlich zum Durchbruch verhelfen. National wollen wir u.a. den Artikel 10 des Grundgesetzes zu einem umfassendem Mediennutzungs- und Telekommunikationsgeheimnis ausbauen. Zudem kämpfen wir für ein wirksames und modernes Datenschutzrecht in Deutschland und in Europa und begleiten intensiv die EU-Datenschutzreform.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Seeger: Die globale Lösung dieses Problems werden wir nicht von Heute auf Morgen herbeiführen. Wir können jedoch dort anfangen, wo wir als deutsche Bürger Einfluss haben. Wir müssen zunächst die Ambitionen unserer eigenen Regierung stoppen : Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung, die kürzlich eingeführte Bestandsdatenauskunft für staatliche Organe und jegliche Überwachung ohne Verdacht muss in unserem Land zurückgenommen und geächtet werden. Zudem müssen wir freie Software zum Schutz der Privatsphäre fördern. Auf europäischer Ebene müssen wir den Datenschutz stärken. Hier sind es besonders Lobbyisten, die derzeit ihre Interessen in die Gesetzesvorlagen einfließen lassen. Letztlich brauchen wir auf internationaler Ebene echte »Abrüstungsverhandlungen« bezüglich dieser Überwachungsprogramme, ähnlich den Verhandlungen während und nach dem Kalten Krieg.

Zudem liegt es in den Händen von Nutzern und Programmierern, schon durch die Konzeption und den Einsatz von Software und Kommunikationsmitteln, die Achtung von Privatsphäre und Vertraulichkeit sicherzustellen. Anonymisierung und Verschlüsselung sind nützliche Hilfsmittel, solange Regierungen nicht vertraut werden kann. 

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Weinberg: Mein Grundsatz heißt: Jeder muss über seine persönlichen Daten selbst bestimmen dürfen. Zwar ist die Informationsbeschaffung ein wesentlicher Bestandteil geheimdienstlicher Tätigkeit, doch darf diese nicht willkürlich und ohne konkreten Anfangsverdacht durchgeführt werden. So ist auch die geltende Gesetzeslage in Deutschland. Das sogenannte »G-10-Gesetz« regelt, wie und wann das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis für geheimdienstliche Belange ausgesetzt werden kann. Hierin ist festgehalten, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorhanden sein müssen, um eine Überwachung zu erlauben. Wenn fremde Staaten, insbesondere wenn diese Freunde und Verbündete sind, sich darüber hinwegsetzen, ist das schlicht inakzeptabel! Eine flächendeckende Überwachung lehne ich grundsätzlich ab. 

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Müller-Sönksen: Beim Eingriff in die Privatsphäre unserer Bürger hört für mich die Freundschaft auf! Eine anlasslose Überwachung des Internets darf es nicht geben. Geheimdienste dürfen sich nicht im rechtsfreien Raum bewegen. Sie brauchen eine bessere parlamentarische Kontrolle, ganz egal ob es um den deutschen BND oder die ausländischen Dienste geht. Medienkompetenz bleibt aber gerade im Kontext der aktuellen Enthüllungen wichtig : Das beste Mittel gegen Ausspähung ist ein sparsamer und bewusster Umgang mit persönlichen Daten, Fotos usw., die wir im Internet teilen. Europäische Unternehmen unterliegen strengen Datenschutzvorschriften und bieten in vielen Fällen geeignete Alternativen zu amerikanischen Internetdiensten. 

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

van Aken: Es ist natürlich unglaublich, was da im Juni bekannt wurde. Es wird aber immer klarer, dass wir erst die Spitze des Eisbergs gesehen haben und auch die Bundesregierung beim Ausspionieren der eigenen Bürger/innen kräftig mitmischt. Was jede und jeder Einzelne tun kann? Natürlich selbst sensibler mit den eigenen Daten umgehen, egal ob im Netz oder sonst wo. Aber es ist auch wichtig, gemeinsam politisch gegen das Ausspionieren vorzugehen, in Kampagnen, im Netz und natürlich auch im Parlament. Wir als Linke wollen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sichern. Wir sind deswegen gegen Vorratsdatenspeicherung, Bestandsdatenauskunft und Online-Durchsuchungen, nichtindividualisierte Funkzellenabfrage, Video-, Späh-, Lauschangriffe und Rasterfahndung. Die Möglichkeit zur Nutzung von Diensten und Anwendungen darf nicht von einer Einwilligung in die Datenerhebung oder -weitergabe abhängen. Mit Blick auf die sozialen Medien müssen die Bürgerrechte erneuert und gesichert werden. Dies schließt einen Schutz vor Mobbing ebenso ein wie das Recht auf eine vollständige Löschung aller gespeicherten Daten.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Özoğuz: Eine Globalüberwachung durch die USA und Großbritannien, wie sie derzeit im Raum steht, ist inakzeptabel. Eine permanente Online-Durchsuchung für alle und für immer widerspricht nicht nur dem Grundverständnis der SPD sondern auch den Grundrechten unseres Landes. Wir wollen Sicherheit mit Augenmaß, keinen Überwachungsstaat. Deswegen müssen staatliche Eingriffe verhältnismäßig, auf konkrete Einzelfälle beschränkt sowie mit rechtsstaatlichen Sicherungen versehen sein. Die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme müssen auch in der digitalen Welt gewahrt bleiben. Wir brauchen europäische und völkerrechtliche Regelungen, die das Ausspähen unter EU-Mitgliedsstaaten und Partnerländern verhindern. Wir brauchen auf europäischer Ebene eine wirksame Datenschutzgrundverordnung, um europaweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durchzusetzen.

All dies macht die Medienkompetenzförderung und die Förderung des Selbstschutzes, beispielsweise durch den Einsatz von Verschlüsselungssystemen, nicht obsolet, im Gegenteil : Jeder muss wissen, wie er verantwortungsbewusst mit seinen Daten umgeht und wie er sich selbst schützen kann. Das ist zentraler Bestandteil von Medienkompetenz und digitaler Selbständigkeit.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -


Weiter zu Frage: 1 | 2 | (3) | 4 | 5 | 6 | 7