Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2012, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Verbesserter Schutz für Kinder und Jugendliche?

Zur Reform des Bundeskinderschutzgesetzes – eine Analyse aus Sicht der Jugendverbände

Von Christian Weis, Deutscher Bundesjugendring

Das „Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen – Bundeskinderschutzgesetz“ ist seit Anfang des Jahres 2012 in Kraft getreten. Damit fand ein achtjähriger Prozess seinen – vorläufigen – Abschluss. Im Jahr 2003 hatte der „Fall Pascal“, ein Opfer sexualisierter Gewalt, bundesweit für Aufsehen und in Folge für den Ruf nach einem gesetzlich verbesserten Schutz vor Verwahrlosung und sexualisierter Gewalt gesorgt.

Die Reform des Bundeskinderschutzgesetzes (BkiSchG) hat der Deutsche Bundesjugendring über den langen Zeitraum des Gesetzgebungsverfahrens hinweg kritisch begleitet. Schließlich drohte die Arbeit der Jugendverbände durch unausgewogene neue Regelungen bürokratisch erschwert zu werden. Die Stichworte lauten: Führungszeugnisse für Ehrenamtliche und erweiterte Kriterien bei der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe nach §79a. [1]

Doch auf diese Fragen allein soll der Blick hier nicht verengt werde. Denn die Reform hat einiges mehr zu bieten, zumal die Regelungen zur Prävention von Grenzverletzungen und sexuellem Kindesmissbrauch innerhalb der Kinderund Jugendhilfe, in die der §72a (Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen) einzuordnen ist, nur einen kleinen Teil des neuen Gesetzes darstellen.

Strukturell betrachtet bringt das reformierte BkiSchG zwei Neuerungen mit sich: das „Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz“ (KKG) und die neue resp. geänderte „Regelung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes“ (SGB VIII).

Das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)
Im KKG werden u.a. Kinderschutz und staatliche Mitverantwortung definiert. Es wird die Pflicht festgeschrieben, Eltern und – neu in diesem Kontext – auch schon werdende Eltern über Unterstützungs- und Beratungsangebote zu informieren. Zudem werden Netzwerkstrukturen und Frühe Hilfen (Stichwort: Familienhebammen) inklusive deren Finanzierung durch den Bund geregelt.

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„Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft ist es, soweit erforderlich, Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen, damit 1. sie im Einzelfall dieser Verantwortung besser gerecht werden können, 2. im Einzelfall Risiken für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen frühzeitig erkannt werden und 3. im Einzelfall eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vermieden oder, falls dies im Einzelfall nicht mehr möglich ist, eine weitere Gefährdung oder Schädigung abgewendet werden kann.“ (§ 1 (3) KKG)

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Wichtig für Mitarbeitende in den Jugendverbänden und der Jugendarbeit ist dabei, dass im KKG die Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung in Form einer Befugnisnorm geregelt wird. Für Berufsgruppen und Personen, die der Schweigepflicht im Sinne des § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) unterliegen und die in einem direkten Kontakt zu Kindern und Jugendlichen stehen (können) und die grundsätzlich zur Erörterung der einschlägigen Problemlagen mit den Eltern befähigt sind (z.B. Ärzte/-innen, staatlich anerkannte Sozialarbeiter/-innen oder staatlich anerkannte Sozialpädagogen/-innen), wird bundeseinheitlich ein Verfahren geregelt, wie bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen verfahren werden soll. Dieses soll so geschehen, ohne dass dabei im Gefährdungsfall gegen die Verletzung von Privatgeheimissen (vgl. § 203 StGB) verstoßen wird. Ohne diese Regelungen wären die betreffenden Berufsgruppen und Personen auf die nur teilweise vorhandenen und sehr unterschiedlichen Länderregelungen angewiesen oder zu einer Abwägung im Sinne des rechtfertigenden Notstandes (nach § 34 StGB) gezwungen. Dieser Paragraph setzt eine gegenwärtige und nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut voraus. Dafür müsste die Gefährdung deutlich größer sein als für die durch das KKG verlangte Feststellung, dass ein Tätigwerden dringend erforderlich ist und eine Gefährdung anders nicht abgewendet werden kann.

Was ist neu im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII)?
Auch im SGB VIII wurde einiges geändert, was in der öffentlichen Debatte noch wenig Beachtung gefunden hat:

– Im § 8 (3) steht nun anstelle der bisherigen Kann-Bestimmung ein Rechtsanspruch für Kinder und Jugendliche auf Beratung ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten – allerdings unter den auch bisher geltenden Einschränkungen. Der § 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) wurde komplett umstrukturiert. In der neuen Fassung gibt es eine begrüßenswerte Trennung zwischen dem Schutzauftrag der öffentlichen Träger (Jugendamt) und dem der freien Träger. Der Schutzauftrag des freien Trägers ist nun eigenständig formuliert und leitet sich nicht mehr aus dem Schutzauftrag des öffentlichen Trägers ab.

Im § 8a ist auch der Kompromiss zur langen Diskussion über eine Verpflichtung der Jugendämter zum Hausbesuch zu finden:

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„Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt […], sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen.“ (§ 8a (1) 2. Satz)

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– Im § 16 (Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie) wurden die Regelungen konkretisiert und eine ausdrückliche Erweiterung des Adressatenkreises auf werdende Eltern vorgenommen. Das Angebot von Beratung und Hilfe durch den öffentlichen Träger ist nun als Soll-Vorschrift und damit als verbindlichere Verpflichtung formuliert.

Die Regelungen für die zum Betrieb von Einrichtungen (wie z.B. Kindertagesstätten) notwendige Erlaubnis in § 45 wurden neu gestaltet. Es besteht nun ein Anspruch auf Erlaubnis, wenn das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung gewährleistet ist. Bisher war kein Anspruch festgeschrieben, sondern nur Ausschlussgründe definiert. Als Kriterien dafür, dass das Wohl der Kinder und Jugendlichen nicht gefährdet ist, wurden auch die Unterstützung der gesellschaftlichen und sprachlichen Integration in der Einrichtung und die Anwendung geeigneter Verfahren der Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten und damit zur Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen festgeschrieben.

– Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen. Der derzeit in den Jugendverbänden am meisten beachtete § 72a wurde komplett verändert. Doch dazu später mehr.

– Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. Neu ist der ebenfalls bis zum Schluss im Gesetzgebungsverfahren umstrittene § 79a. Dieser kann sinnvoll nur zusammen mit den Änderungen der §§ 74 (Förderung der freien Jugendhilfe) und 79 (Gesamtverantwortung, Grundausstattung) gesehen werden. Kern ist dabei die Festschreibung eines gesetzlichen Auftrages zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. In § 74 wurden die Voraussetzungen für eine finanzielle Förderung um Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung ergänzt.

Es heißt nun: „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen die freiwillige Tätigkeit […] fördern, wenn der jeweilige Träger […] die fachlichen Voraussetzungen für die geplante Maßnahme erfüllt und die Beachtung der Grundsätze und Maßstäbe der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung nach § 79a gewährleistet.“ [2]

Diese Regelungen gehören in Bezug auf ihre Interpretation, Bewertung und der Einschätzung der praktischen Konsequenzen zu den umstrittensten Ergebnissen des BKiSchG. Dazu hat auch beigetragen, dass die endgültige Fassung erst im Rahmen des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag vorgenommen wurde und dabei die im Beschluss des Bundestages noch vorgesehenen Verfahrensregelungen entfallen sind. Im Ergebnis ist nun nur noch festgelegt, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität sowie geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen haben. Diese Grundsätze gelten dann über § 74 analog auch für (geförderte) freie Träger, ohne dass eine geregelte Mitgestaltungsmöglichkeit außerhalb des Jugendhilfeausschusses gesetzlich vorgesehen ist. Hier kann die Gefahr gesehen werden, dass dies genutzt wird, um weitgehende Regelungen und Verpflichtungen bei freien Trägern „durchzusetzen“. Andererseits kann aus Sicht der öffentlichen Träger auch befürchtet werden, dass z.B. durch die Jugendhilfeausschüsse, Grundsätze und Maßstäbe festgeschrieben werden, die eine (zu) große Finanzbelastung darstellen. Alles in allem ist in diesem Paragraphen noch einiges an Interpretation nötig.

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§ 72a – Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen

(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe dürfen für die Wahrnehmung der Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe keine Person beschäftigen oder vermitteln, die rechtskräftig wegen einer Straftat nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184f, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs verurteilt worden ist. Zu diesem Zweck sollen sie sich bei der Einstellung oder Vermittlung und in regelmäßigen Abständen von den betroffenen Personen ein Führungszeugnis nach § 30 Absatz 5 und § 30a Absatz 1 des Bundeszentralregistergesetzes vorlegen lassen.

(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen durch Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe sicherstellen, dass diese keine Person, die wegen einer Straftat nach Absatz 1 Satz 1 rechtskräftig verurteilt worden ist, beschäftigen.

(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen sicherstellen, dass unter ihrer Verantwortung keine neben- oder ehrenamtlich tätige Person, die wegen einer Straftat nach Absatz 1 Satz 1 rechtskräftig verurteilt worden ist, in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe Kinder oder Jugendliche beaufsichtigt, betreut, erzieht oder ausbildet oder einen vergleichbaren Kontakt hat. Hierzu sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe über die Tätigkeiten entscheiden, die von den in Satz 1 genannten Personen auf Grund von Art, Intensität und Dauer des Kontakts dieser Personen mit Kindern und Jugendlichen nur nach Einsichtnahme in das Führungszeugnis nach Absatz 1 Satz 2 wahrgenommen werden dürfen.

(4) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen durch Vereinbarungen mit den Trägern der freien Jugendhilfe sowie mit Vereinen im Sinne des § 54 sicherstellen, dass unter deren Verantwortung keine neben- oder ehrenamtlich tätige Person, die wegen einer Straftat nach Absatz 1 Satz 1 rechtskräftig verurteilt worden ist, in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe Kinder oder Jugendliche beaufsichtigt, betreut, erzieht oder ausbildet oder einen vergleichbaren Kontakt hat. Hierzu sollen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Trägern der freien Jugendhilfe Vereinbarungen über die Tätigkeiten schließen, die von den in Satz 1 genannten Personen auf Grund von Art, Intensität und Dauer des Kontakts dieser Personen mit Kindern und Jugendlichen nur nach Einsichtnahme in das Führungszeugnis nach Absatz 1 Satz 2 wahrgenommen werden dürfen.

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Aktuell im Fokus der Jugendverbände: der § 72a zum „Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen“
Dieser Paragraph, der bereits in seiner alten Fassung den Jugendverbänden viel Arbeit und zumeist wenig Nutzen bei der Prävention gemacht hat und Gegenstand vieler Auslegungsdebatten war, wurde komplett erneuert: Er ist neu formuliert, neu strukturiert und neu betitelt. Der Titel des Paragraphen wurde angepasst und richtiger Weise auf „Tätigkeitsausschluss einschlägig vorbestrafter Personen“ konkretisiert. Immer dann, wenn im SGB VIII auf Führungszeugnisse Bezug genommen wird, sind nun die sogenannten „Erweiterten Führungszeugnisse“ nach § 30 (5) und § 30a (1) des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) gemeint. [3]

Der § 72a wurde nunmehr klar strukturiert:
– Absatz 1 enthält die Regelungen für hauptamtlich bei öffentlichen Trägern beschäftigte Personen,
– Absatz 2 für Personen, die hauptamtlich bei freien Trägern beschäftigt sind, – Absatz 3 für neben- und ehrenamtlich tätige Personen unter der Verantwortung öffentlicher Träger und
– Absatz 4 für die neben- und ehrenamtlich bei freien Trägern tätigen Personen.

Die Regelungen in Absatz 2 für hauptamtlich bei freien Trägern beschäftigte Personen entsprechen den bisherigen Regelungen. Die Verpflichtung richtet sich ausschließlich an den öffentlichen Träger, der verpflichtet wird, durch Abschluss von Vereinbarungen mit den freien Trägern sicherzustellen, dass diese keine Person, die wegen einer einschlägigen Straftat [4] rechtskräftig verurteilt worden ist, beschäftigen. Im Gegensatz zu z.B. Absatz 4, der für Ehrenamtliche gilt, wird die Methode, dies sicherzustellen, nicht vorgegeben. Faktisch läuft dieser Absatz jedoch trotzdem darauf hinaus, dass die Träger sich die Führungszeugnisse vorlegen lassen müssen.

Es gilt aber: Diese Verpflichtung für freie Träger ergibt sich erst mit dem Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung bzw. aus einer bereits nach den alten Regelungen abgeschlossenen.

Wichtig ist vor allem für Jugendverbände, dass die bisherige Einschränkung auf Träger von Diensten und Einrichtungen, die Jugendverbände in den seltensten Fällen sind, entfallen ist und sich dieser Absatz nun eindeutig auf alle freien Träger bezieht.

Absatz 3 regelt, wann Neben- und Ehrenamtliche bei öffentlichen Trägern erst nach Einsichtnahme in das Führungszeugnis tätig werden dürfen. Bereits hier legt der Gesetzgeber fest, dass sein Wille keine allgemeine Vorlagepflicht von Führungszeugnissen durch Ehrenamtliche ist. Daher begrenzt er – wie in Absatz 4 auch – diese mögliche Pflicht generell auf Personen, die in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe Kinder oder Jugendliche beaufsichtigen, betreuen, erziehen oder ausbilden oder einen vergleichbaren Kontakt haben. Er erlegt dem öffentlichen Träger weiter auf, innerhalb dieser begrenzten Gruppe über die Tätigkeiten zu entscheiden, die auf Grund von Art, Intensität und Dauer des Kontakts dieser Personen mit Kindern und Jugendlichen die Vorlage eines Führungszeugnisses voraussetzen.

Damit muss der öffentliche Träger erst definieren, welche Tätigkeiten dies sind und dann im Einzelfall entscheiden, ob die konkrete vom Ehren- oder Nebenamtlichen beabsichtigte Tätigkeit darunter fällt.

Diese beschriebene Festlegung der betreffenden Tätigkeiten durch den öffentlichen Träger für die in seiner Verantwortung, also in Maßnahmen und Projekten des Jugendamtes, ehren- oder hauptamtlich Tätigen ist auch von Relevanz für die Umsetzung des Absatzes 4, der sich auf die freien Träger bezieht. Schon aus dem allgemeinen Gleichheitssatz [5] ergibt sich, dass der öffentliche Träger von den freien nicht verlangen kann, dass sie sich bei Tätigkeiten Führungszeugnisse vorlegen lassen, für die Ehrenamtliche, die beim öffentlichen Träger tätig sind, keines vorlegen müssen.

Absatz 4 enthält die Regelungen für Neben- und Ehrenamtliche bei freien Trägern. Auch hier richtet sich die gesetzliche Verpflichtung ausschließlich an den öffentlichen Träger, der verpflichtet wird, durch Abschluss von Vereinbarungen mit den freien Trägern sicherzustellen, dass bei diesen keine Person, die wegen einer einschlägigen Straftat rechtskräftig verurteilt wurden, ehrenamtlich in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe Kinder oder Jugendliche beaufsichtigt, betreut, erzieht oder ausbildet oder einen vergleichbaren Kontakt habt. (Zum genauen Wortlaut des Gesetzestextes siehe Infokasten auf dieser Seite.)

Auch hier gilt: Diese Verpflichtung für freie Träger ergibt sich erst mit dem Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung bzw. einer bereits nach den alten Regelungen abgeschlossenen.

Im Gegensatz zu den Regelungen für Hauptamtliche sieht dieser Absatz klar die Pflicht vor, sich Führungszeugnisse vorlegen zu lassen. Selbstauskünfte oder Ähnliches sind daher im Sinne dieses Absatzes leider keine Alternative. Wie in Absatz 3 gilt, dass der Gesetzgeber keine allgemeine Vorlagepflicht intendiert, sondern eine Differenzierung nach Tätigkeiten beabsichtigt. Zur Festlegung dieser Tätigkeiten gibt der Gesetzgeber das Instrument der Vereinbarung vor. Damit besteht – im gesetzlichen Rahmen – Gestaltungsfreiheit im Inhalt, auch wenn die freien Träger faktisch eine Verpflichtung haben, eine solche Vereinbarung abzuschließen.

In Absatz 5 werden erstmals in diesem Zusammenhang konkrete Regelungen zum Datenschutz und daraus abgeleitet zum Vorlageverfahren getroffen. So wird u.a. festgelegt, dass der jeweilige Träger durch das Gesetz nur berechtigt ist, die Führungszeugnisse einzusehen und nur bestimmte Daten zu erheben. Ebenfalls ist die Verwendung der entsprechenden Daten ausdrücklich auf den jeweiligen Zweck nach den Absätzen 1 bis 4 begrenzt und ihre Löschung festgelegt. In der Gesetzesbegründung wird sehr deutlich formuliert: „Die Daten dürfen nicht übermittelt werden. Eine Übermittlung personenbezogener Daten ist nur zulässig, wenn der Betroffene eingewilligt hat oder eine Rechtsvorschrift dies vorsieht. Absatz 5 enthält keine neue Befugnis zur Übermittlung der ›Führungszeugnis-Daten‹ an andere Träger.“ Mit „andere Träger“ ist auch das Jugendamt gemeint, dem die Informationen, die ein Freier Träger aus der Einsicht in die Führungszeugnisse gewinnt, nicht übermittelt werden dürfen.

Unkonkret – Die Regelungen des § 72 (a) für Ehrenamtliche
Trotz der deutlich verbesserten Struktur ist § 72a an vielen Stellen nicht ausreichend konkret und bestimmt. Dies ist einerseits zu begrüßen, da der Gesetzgeber damit ausdrücklich eine allgemeine Vorlagepflicht ebenso abgelehnt wie (zu) pauschale Festlegungen über die Tätigkeiten. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Angesichts der unterschiedlichen Formen und Einsatzmöglichkeiten neben- und ehrenamtlichen Engagements wird von einer generellen Regelung abgesehen und einer konkreten Betrachtungsweise der Vorzug gegeben, die auf Art, Intensität und Dauer des Kontakts mit Kindern und Jugendlichen abstellt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.“ Anderseits bedeutet dies auch, dass die Gefahr eines Flickenteppichs aus sich vielleicht sogar widersprechenden Vereinbarungen und daraus abgeleiteten Verpflichtungen entsteht. Damit würden denjenigen, die z.B. ehrenamtlich in Jugendverbänden Verantwortung übernommen haben, unklare Verpflichtungen übertragen bekommen, deren Konsequenzen noch dazu oft nicht absehbar sind. Um dies zu verhindern, sind möglichst breit getragene und möglichst bundesweit gültige Empfehlungen zur Umsetzung und damit zur Ausgestaltung dringend geboten. Daran wird vielerorts gearbeitet.

Vereinbarungen – Wie können sie aussehen und wie kommen sie zustande?
Die Umsetzung des § 72a (4) erfolgt nach dem Willen des Gesetzgebers durch eine Vereinbarung zwischen dem jeweiligen öffentlichen Träger der Jugendhilfe (Jugendamt) und dem entsprechenden freien Träger. Vereinbarungen sind Instrumente zwischen Gleichberechtigten. Daher unterliegt der Inhalt grundsätzlich dem Aushandlungsprozess. Auch wenn die freien Träger eine grundsätzliche Verpflichtung haben, eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen – also eine Pflicht im „Ob“ – besteht Gestaltungsfreiheit im „Wie“, also im Inhalt. Die Gestaltungsfreiheit der Vereinbarungen wird jedoch begrenzt durch das, was das Gesetz vorgibt, in diesem Fall der § 72a (4). In den Vereinbarungen müssen die Tätigkeiten bestimmt werden, die aufgrund von Art, Intensität und Dauer des Kontakts der ehrenamtlich tätigen Personen zu Kindern und Jugendlichen nur nach Einsichtnahme in das Führungszeugnis wahrgenommen werden dürfen.

An Empfehlungen dazu, wie die Vereinbarungen vor Ort ausgestaltet werden sollten, wird derzeit auf Bundesebene in vielen Prozessen gearbeitet. Von besonderem Interesse sind dabei folgende:

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAGLJÄ) haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, die bis Mitte April die Basis für gemeinsame Empfehlungen von BAGLJÄ und AGJ erarbeiten wird. Auf dieser Basis wird die BAGLJÄ voraussichtlich bis Mai Handlungsempfehlungen für ihre Mitglieder, die Landesjugendämter, verabschieden, denen sich die einzelnen Landesjugendämter mit ihren Empfehlungen an die örtlichen Träger möglichst weitgehend anschließen sollen. Offen ist derzeit noch, wie detailliert diese werden und ob die Spezifika des § 72a (4) und der Handlungsfelder Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit ausreichend berücksichtigt werden.

Ebenfalls auf Basis der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe wird die AGJ in ihren Gremien eine Positionierung o.ä. beschließen. Auch der Deutsche Verein für Öffentliche und private Fürsorge e.V. (DV) – „das gemeinsame Forum von Kommunen und Wohlfahrtsorganisationen sowie ihre Einrichtungen, der Bundesländer und Vertreter/-innen der Wissenschaft für alle Bereiche der sozialen Arbeit und der Sozialpolitik“ – beschäftigt sich mit der Umsetzung. Er hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich speziell mit § 72a (4) befassen wird. Den Ergebnissen dieser beiden Prozesse kommt eine besondere Bedeutung zu, da an diesen die überörtlichen (BAGLJÄ/AGJ) bzw. die örtlichen Träger (DV) direkt beteiligt sind.

Die einzelnen Landesjugendämter werden – ggf. auf Basis der o.g. Empfehlungen – fachliche Empfehlungen i.S. des § 85 (2) SGB VIII zur Ausgestaltung der Vereinbarungen verabschieden. Damit kommen sie ihrer Aufgabe, der überregionalen Sicherung qualitativer Standards, nach. Die örtlichen Träger, die Jugendämter, werden – unter Berücksichtigung der o.g. und ggf. unter Einbeziehung weiterer vorliegender Hinweise und Empfehlungen – die von ihnen angestrebten Inhalte der Vereinbarungen erarbeiten. Dabei ist der Jugendhilfeausschuss einzubeziehen. Diese Möglichkeit der Mitwirkung sollten die Jugendverbände und -ringe vor Ort unbedingt nutzen.

Auf dieser Basis werden die Jugendämter dann die Gespräche zum Abschluss der Vereinbarungen mit den freien Trägern suchen.

Inhalt – Was kann in einer Vereinbarung nach § 72a (4) stehen und was nicht?
Wird eine Vereinbarung ausschließlich auf Basis des § 72a (4) geschlossen, können als Tätigkeiten, die nur nach Einsicht in das Führungszeugnis wahrgenommen werden dürfen, nur solche aufgenommen werden, die alle im Gesetz festgelegten Voraussetzungen und damit die entsprechenden Kriterien dafür erfüllen. Nur diese Tätigkeiten kommen überhaupt für eine Vorlagepflicht infrage.

Der Aushandlungsprozess zwischen öffentlichen und freien Träger wird dann i.d.R. darüber geführt, welche der überhaupt infrage kommenden Tätigkeiten (s.o.) nach Art, Intensität und Dauer des Kontaktes geeignet sein könnten, die eine Vorlagepflicht i.S. des Gesetzes erfordern, und die daher in eine Vereinbarung aufzunehmen sind.

Innerhalb derer sollte dann auch geprüft werden, in welchen Fällen die Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist. Diese sollten möglichst ausgeschlossen werden.

Der Gesetzgeber hat im Gesetz resp. in der Begründung folgende Kriterien zur Eingrenzung der infrage kommenden Tätigkeiten beschrieben:
• Die Tätigkeit muss in Wahrnehmung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe stattfinden.
• Die Leistungen werden von der öffentlichen Jugendhilfe finanziert.
• Die Tätigkeit findet in Verantwortung eines Trägers der freien Jugendhilfe statt.
• Die Tätigen sind ehren- oder nebenamtlich.
• Die Zielgruppe der Tätigkeit sind Kinder und Jugendliche, also Minderjährige.

• Die Tätigkeit fällt unter Beaufsichtigen, Betreuen, Erziehen, Ausbilden – oder es entsteht ein vergleichbarer Kontakt.

Die Tätigkeiten, die alle der o.g. Voraussetzungen erfüllen, müssen in einem zweiten Schritt dahingehend geprüft werden, ob Art, Dauer und Intensität des aus den Tätigkeiten entstehenden Kontakts den Aufbau eines besonderen Vertrauensverhältnisses ermöglichen. Und nur Tätigkeiten, bei denen dies so ist, sollten entsprechend in die Vereinbarung aufgenommen werden.

Allerdings sollte dabei auch geprüft werden, in welchen Fällen der Aufwand zur Beschaffung eines Führungszeugnisses und dessen Aussagekraft in keinerlei Verhältnis mehr zueinander stehen. In diesen Fällen auf eine Vorlagepflicht zu verzichten, sollte im Sinne der Förderung des ehrenamtlichen Engagements ebenfalls festgeschrieben werden. Ein konkretes Beispiel sind hier Ehrenamtliche unter 18 Jahren. Oft benötigen diese für ein Führungszeugnis noch die Unterschrift der Eltern, was es für sie deutlich aufwendiger macht. Gleichzeitig ist die Aussagekraft des Führungszeugnisses sehr gering – schon allein deswegen, da viele der im Gesetz benannten Straftaten von Minderjährigen gar nicht begangen werden können.

Wie weiter?
In Bezug auf § 72a gilt es zum einen abzuwarten, bis die Umsetzungsempfehlungen der BAGLJÄ und anschließend die der einzelnen Landesjugendämter vorliegen. Für den Fall, dass nicht alle Jugendämter abwarten können oder wollen, wird der DBJR ausgehend von den obigen Überlegungen voraussichtlich Anfang April seinen Mitgliedsorganisationen erste Empfehlungen zur Verfügung stellen (siehe dazu: www.dbjr.de/nationale-jugendpolitik/kinderschutzgesetz). Welcher Handlungsbedarf in Bezug auf die Vereinbarungen darüber hinaus besteht, kann erst eingeschätzt werden, wenn die Ergebnisse der Prozesse von BAGLJÄ, AGJ und DV vorliegen.

Zum anderen ist es sinnvoll, schon jetzt zu prüfen, was – z.B. ausgehend von den o.g. Überlegungen – aus Sicht des eigenen Jugendverbandes vor Ort in die Vereinbarungen aufgenommen werden sollte, könnte oder was auf keinen Fall. Spätestens bei Abschluss der Vereinbarungen müssen auch die praktischen Fragen geklärt sein: Wie läuft der Prozess der Einsichtnahme ab? Wo liegt die Verantwortung innerhalb des Verbandes? Wie kann der Datenschutz gewährleistet werden? Welche Nebenwirkungen können sich ergeben?

Bei all dem sollte jedoch nicht vergessen werden, dass der Kinderschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht (nur) im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gelöst werden kann.

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Anmerkungen

[1]  Hier wie im folgenden Text beziehen sich die Angaben auf das SGB VIII, soweit nichts anders benannt ist.

[2]  §8 (1) Satz 1 SGB VIII

[3]  Auch für diesen Text gilt, es sind immer die Erweiterten Führungszeugnisse gemeint.

[4]  Geregelt in § 72a (1) Satz 1 SGB VIII: Dies sind Straftaten nach den §§ 171, 174 bis 174c, 176 bis 180a, 181a, 182 bis 184f, 225, 232 bis 233a, 234, 235 oder 236 des Strafgesetzbuchs (StGB).

[5]  Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (Art. 3 Abs. 1 GG)