Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2008, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Jugendkonferenz Bergedorf

Ein Verfahren zur Beteiligung von Jugendlichen

Von Jörg Kowalczyk und Katty Nöllenburg, Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation, Hamburg

Hintergrund

Das Bezirksamt Bergedorf veranstaltet im Jahr 2008 ein Beteiligungsverfahren für Jugendliche, die Jugendkonferenz Bergedorf. Grundlage für dieses Projekt ist der §33 des Hamburgischen Bezirksverwaltungsgesetzes: »Das Bezirksamt muss bei den Planungen und Vorhaben, welche die Interessen von Kindern und Jugendlichen berühren, diese in angemessener Weise beteiligen. Hierzu entwickelt das Bezirksamt geeignete Verfahren.«

Das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation (ikm) in Hamburg wurde mit der Umsetzung der Jugendkonferenz vom Bezirk beauftragt. Das ikm stellte sein Beteiligungsprojekt vor, das modifiziert schon 2007 in der Kinderkonferenz für den Bezirk durchgeführt wurde. Die Jugendkonferenz wurde vom ikm in Begleitung der Fachämter Stadt- und Landschaftsplanung und Sozialraummanagement (Jugendamt) sowie der Pädagogen/innen der beteiligten Einrichtungen durchgeführt.

Abgrenzung zu anderen Beteiligungsformen

Aus den Erfahrungen mit Beteiligungsprojekten von Kindern und Jugendlichen, die wir im ikm durchführen (z.B. Schulhofumgestaltung, Schülerparlament) entwickelten wir auf der Grundlage der Methode Zukunftswerkstatt einen Projektplan. Dabei war uns wichtig, eine Vielzahl von Jugendlichen einzubinden und die Beteiligungsformen vor Ort individuell abzustimmen. Das Spektrum der Methoden reichte von niedrigschwelligen Angeboten für die offene Jugendarbeit bis hin zu Großgruppenmoderationen in Schulen. In die Überlegungen flossen auch die Erfahrungen aus den bestehenden Jugendparlamenten bzw. Jugendräten in den Stadtteilen oder Kommunen in Schleswig-Holstein und Hamburg ein. Jugendparlamente/-räte setzen sich aus Jugendlichen, die einen Etat verwalten, durch aufwändige Wahlvorgänge zusammen. Die Beteiligungsmöglichkeit wird meist auf erfahrene und beteiligungserprobte Jugendliche begrenzt und dadurch nicht Allen gleichermaßen zugänglich.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Entwicklung sahen wir durch die parallele Einführung von Demokratiestrukturen durch die Jugendparlamente/-räte gegenüber den Jugendeinrichtungen und Jugendverbänden, die Partizipation und Mitbestimmung in vielen Projekten schon jahrelang einüben.

Zusätzlich konnten wir beobachten, dass die Schulen sich isoliert und reserviert zum Thema Jugendparlamente/-räte verhielten. Dennoch können Jugendparlamente, dort wo sie von den Trägern der Jugendhilfe und den Schulen in einem überschaubaren Sozialraum selber implementiert wurden, sinnvoll sein und gut funktionieren. Unser Anliegen ist es, die bestehenden Mitbestimmungs- und Beteiligungsformen in den Jugendeinrichtungen und Schulen zu nutzen und zu stärken.

Vorbesprechung Auftraggeber

In den Vorbesprechungen mit den Verantwortlichen aus dem Bezirk haben wir den möglichen Beteiligungsumfang der Einrichtungen im Stadtteil abgestimmt. Der Etat für dieses Projekt war beschränkt, und wenn tatsächlich alle Einrichtungen teilnehmen würden, müsste der Finanzierungsrahmen neu verhandelt werden. Die Alterspanne für die Jugendkonferenz wurde von 12-21 Jahren festgelegt. Die Beteiligung der Einrichtungen und Jugendlichen war freiwillig. Zwei große Schulen sollten gezielt angesprochen werden. Wichtig war in dieser Vorbesprechung auch, ein Zeitfenster für die dreimonatige Durchführung vom ersten Treffen bis zur Präsentationsveranstaltung im Rathaus zu bestimmen, sowie die anschließende Bearbeitung und Umsetzungszeit, und die Veranstaltung einer weiteren Delegiertenversammlung, auf der die Kommunalvertreter ihre Antworten auf die Forderungen und Wünsche der Jugendlichen verkünden.

Der nächste Schritt für uns war, eine Bestandsaufnahme aller Jugendeinrichtungen im Bezirk durchzuführen und zu entscheiden, über welche Einrichtungen und Einrichtungsformen die Jugendlichen erreicht werden sollen. Die Mitarbeiter/innen wurden offiziell vom Bezirk zu einem Informationsabend eingeladen.

Treffen interessierter Einrichtungen

Auf dieser Veranstaltung wurden die Pädagogen/innen aus den einzelnen Einrichtungen über das Projekt informiert und motiviert teilzunehmen, was vom ikm moderiert wurde. Dabei war es wichtig, dass die zusätzliche Arbeitsbelastung der einzelnen Pädagogen relativiert wurde, da die Zukunftswerkstätten vor Ort in den Einrichtungen von externen Moderator/innen aus dem ikm durchgeführt werden würden. Das ikm übernahm auch die Moderationen der weiteren Veranstaltungen sowie die gesamte Organisation der Jugendkonferenz. Die Pädagogen/innen der beteiligten Jugendeinrichtungen und Schulen trafen sich im einem der teilnehmenden Jugendhäuser zur Vorbereitung und Planung der Jugendkonferenz. In diesem Fall haben sich folgende 13 Jugendeinrichtungen und 2 Schulen an dem Projekt beteiligt:
JuZ Vierlande – Jugendzentrum Vierland | HdJ Heckkaten | HdJ Lichtwarkhaus | JUZENA – Jugendzentrum Neuallermöhe | Schule Kirchwerder | Mädchentreff Lohbrügge | Mädchentreff Neu Allermöhe | IB Straßensozialarbeit | Gesamtschule Bergedorf | SteinJuz – Jugendclub Neu Allermöhe-Ost | Jugendfreizeit- und Beratungszentrum KAP | Ev. Jugendarbeit Petri&Pauli | Jungentreff im Billebogen | Jufit am Billebogen | Haus Warwisch.

Die Zukunftswerkstätten vor Ort

Gemeinsam mit den Pädagogen/innen der beteiligten Institutionen wurden unter Anleitung durch die Mitarbeiter/innen des ikm mehrtägige Zukunftswerkstätten zur Beteiligung der Jugendlichen in den einzelnen Einrichtungen vor Ort durchgeführt.
Die Methode der Zukunftswerkstatt diente hier ausschließlich zur Findung und Formulierung von Forderungen und Wünschen, die konkrete Planungsphase wurde reduziert. Jede Einrichtung wurde von den ikm-Moderatoren/innen individuell betreut. Der unterschiedliche Arbeitsrhythmus der einzelnen Einrichtungen musste berücksichtigt werden. In einigen Einrichtungen war es nötig, in den späten Abendstunden oder am Wochenende zu arbeiten. In den Schulen wurden die vorgegebenen Unterrichtszeiten am Vormittag genutzt.

Die Besucherstruktur musste ebenso berücksichtigt werden. So ergab es sich, dass wir in den Einrichtungen der Offenen Arbeit und Straßensozialarbeit eine Vorlaufzeit zum Aufbau von Beziehungen zu den Jugendlichen einbezogen, oder mit größeren Gruppen in den Schulen gemeinsam auch Großveranstaltungen moderierten. Die Arbeitszeiten vor Ort waren den Arbeitszeiten und den Konzentrationsphasen der Jugendlichen angepasst.

In jeder Einrichtung wurden neun bis zwölf Stunden in Tagesblöcken oder an verschiedenen Abendstunden an unterschiedlichen Tagen gearbeitet. In den Werkstätten vor Ort wurde von den Jugendlichen sehr viel Material produziert (z.B. Ideenfindungsprozesse auf Plakaten, Modelle, Fotos), die für die Präsentation und für die Ausstellung genutzt werden sollten.

Auf der Kinderkonferenz im Jahr zuvor wurden für die Kinder zur Bearbeitung in den Werkstätten bestimmte Schwerpunkte zur Erforschung vorgegeben. In der Jugendkonferenz wurden keine Vorgaben gestellt, sondern die Jugendlichen entwickelten ihre Schwerpunkte in den Planungsphasen vor Ort. Die entwickelten Utopievorstellungen wurden in den Werkstätten zu realistischen Forderungen und Ideen umgewandelt.

Die Arbeitsergebnisse der Jugendlichen reichten von konkreten Anträgen an den Bezirk bis zur Forderungen von Beteiligung bei der Gestaltung von Plätzen, Wiesen und Gebäuden. Themen wie Umwelt, Sicherheit, Freizeit und Verkehr wurden ebenso bearbeitet.

Die Jugendlichen überlegten zum Abschluss der Werkstätten, in welcher Form sie ihre Ergebnisse vortragen wollen, und wählten Delegierte, die diese Präsentation durchführen sollten. 200 Jugendliche nahmen direkt an dem Projekt teil und 40 Delegierte waren auf der Delegiertenversammlung anwesend.

Die Delegiertenversammlung

Die Jugendlichen aus den einzelnen Einrichtungen bestimmten Delegierte, die auf der Delegiertenversammlung ihre Arbeitsergebnisse vorstellten. Die Jugendlichen sollten sich auf dieser Veranstaltung kennen lernen und untereinander ihre Arbeitsergebnisse vorstellen. Die Präsentation diente zudem als Generalprobe für die kommende Vorstellung ihrer Wünsche, Forderungen und Ideen im Rathaus. Der Kreativität bei den Präsentationsformen waren keine Grenzen gesetzt. Ihre Vorträge wurden in Tanz- und Rapdarstellungen oder in Filmen und gut
formulierten Redebeiträgen dargestellt. Anschließend wurde die Ausstellung der gesamten Arbeitsergebnisse der Jugendkonferenz im Rathaus aufgebaut.

Präsentation im Rathaus

Am 11. Juli 2008 präsentierten die Delegierten aus den einzelnen Einrichtungen ihre Ideen, Wünsche und Forderungen im überfüllten Plenarsaal der Bezirksversammlung des Bergedorfer Rathauses. Anwesend waren Vertreter/innen aus der Kommunalpolitik und Verwaltung, Presse, Bürger/innen und alle beteiligten Jugendlichen aus den Einrichtungen. Die Veranstaltung moderierte Jörg Kowalczyk vom ikm gemeinsam mit Vertreter/innen aus dem Bezirk. Mit den Begrüßungsworten des Bezirksamtsleiters und einer kurzen Einleitung zur Jugendkonferenz begann die Veranstaltung.

Die Delegierten aus den einzelnen Einrichtungen präsentierten ihre Forderungen und überreichten diese symbolisch (in Form von Plakaten und Skulpturen) den anwesenden Kommunalpolitikern. Die einzelnen Fraktionsmitglieder stellten anschließend in kurzen Redebeiträgen ihre Einschätzung zur erlebten Präsentation dar. Abschließende Dankesworte von Seiten des Jugendamtes und die offizielle Eröffnung der Ausstellung rundeten die zweistündige Veranstaltung ab.
Alle Beteiligten wanderten anschließend durch die Ausstellung, welche über drei Stockwerke im Rathaus aufgebaut war und nochmals deutlich machte, wie die Entscheidungsprozesse der Jugendlichen in den einzelnen Einrichtungen zur Formulierung ihrer Forderungen verlaufen war. Die Delegierten stellten sich zu ihrem Ausstellungsbereich und beantworteten in Einzelgesprächen weitere Nachfragen der Kommunalpolitik, der Bürger/innen und der Presse. Anschließend war die Ausstellung im Bergedorfer Rathaus vom 8. bis 18. Juli 2008 für die Öffentlichkeit zugänglich.

Umgang mit den Ergebnissen

Die Forderungen, Wünsche und Ideen der Jugendlichen wurden in einer Drucksache zusammengefasst und dienen momentan als Vorlage für die weitere Bearbeitung in den Ausschüssen und Gremien. Um die Masse der Forderungen, Wünsche und Ideen zu strukturieren, welche die Jugendlichen aus den Zukunftswerkstätten zur Jugendkonferenz entwickelten, musste die Drucksache in mehrere Abschnitte aufgeteilt werden:

1. Aufzählung aller Forderungen

Zunächst wurden unzensiert alle Arbeitsergebnisse der beteiligten Einrichtungen ausformuliert und aufgelistet, um einen Gesamteindruck zu schaffen.

2. Beteiligungsformen der Jugendlichen

Es gab viele Ideen, Forderungen und Wünsche der Jugendlichen, die nicht einfach angenommen oder abgelehnt werden können, sondern die großen Diskussionsbedarf und den Wunsch nach Beteiligung an Prozessen in sich tragen. Daher wurden im nächsten Schritt die Vorschläge der Jugendlichen zu weiteren Beteiligungsverfahren gesammelt und zusammengefasst. Hierzu gehörten beispielsweise die Umgestaltung von Plätzen, die Verbesserung der öffentlichen Verkehrsanbindungen, aber auch eine moderierte Diskussion mit der Polizei. Wie diese Beteiligungsformen aussehen könnten, kann Beratungsgegenstand in den zuständigen Ausschüssen sein.

3. Vorlagen für die Arbeitskreise der Jugendarbeit

Der nächste Abschnitt der Drucksache umfasst Punkte, die in den Arbeitskreisen der Jugendarbeit bearbeitet werden müssen, bevor sie beispielsweise als Anträge weiter an die Ausschüsse der Bezirksversammlung konkret formuliert und eingereicht werden können, wie z. B. der Wunsch nach Jugendkulturveranstaltungen oder die Einrichtung einer Jobbörse.

4. Direkte Forderungen an die Einrichtungen und Schulen

Daraufhin folgen die Vorschläge für Anträge, die an die einzelnen Jugendeinrichtungen gestellt und konkretisiert werden können, wie z. B. eine Erweiterung der Öffnungszeiten, Änderung bestimmter Hausregeln, Verbesserung der Schulkantine und Ähnliches.

5. Konkrete Anträge an den Bezirksausschuss

Der letzte Teil der Forderungen in der Drucksache umfasst konkrete Einzelanträge an die verschiedenen Ausschüsse der Bezirksversammlung, so
z. B. dem Antrag auf Beleuchtung an einer Straße, die Reparatur eines Tors auf einem Fußballfeld, die Ausbesserung dokumentierter Schäden an einer Skateranlage, das Aufbauen von Fahrradständern und den Bau eines Grillplatzes mit beschriebenem Umfang und Stellplatz.

Das Nachtreffen mit den Politikern

Im Herbst 2008 ist eine weitere Veranstaltung mit den Delegierten aus den Jugendeinrichtungen und Vertreter/innen aus der Kommunalpolitik und Verwaltung geplant.
Auf dieser Veranstaltung soll über die ersten Umsetzungen der Vorschläge aus der Jugendkonferenz berichtet werden. Gespannt warten wir auf die ersten Entscheidungen der Kommunalpolitik. Sicherlich werden nicht alle Ideen realisiert werden können, dennoch werden alle Anfragen behandelt und bewertet werden, damit die Jugendlichen über die Entscheidungen und über das weitere Vorgehen informiert werden können. Die Jugendlichen wissen, dass einige Projekte länger dauern, einige zur Zeit nicht machbar sind. Aber sie erwarten auch, dass einige ihrer Ideen und Forderungen tatsächlich erledigt werden.
(Eine ausführliche Dokumentation der Jugendkonferenz Bergedorf 2008 ist zum Jahresende über das ikm zu erhalten.)


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Info:
Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation

Das Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation e.V. (ikm) ist ein gemeinnütziger Verein, der Weiterbildung im Bereich Gewaltprävention, Zivilcourage, Partizipation, Streitschlichtung, Konfliktaustragung und Mediation für die Bereiche Schule, außerschulische Jugend- und Stadtteilarbeit, sowie Arbeitswelt und Familie anbietet.

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