Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2010, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Positiver Störfaktor

Die neue EU-Jugendstrategie im Diskurs beim Landesjugendring Hamburg

Von Carlo Klett, Landesjugendring Hamburg

Die neue EU-Jugendstrategie ist ein aktuelles jugendpolitisches Thema, das punktum 3/09 aufgriff. Unter der Überschrift »Investitionen & Empowerment« positionierten sich Fachkräfte aus Politik und Wissenschaft zum Entwurf der EU-Kommission. punktum warf auch einen kritischen Blick auf das Vorhaben des Hamburgischen Senates, ein europapolitisches Jugendkonzept zu entwickeln. Die Erörterungen zum Entwurf auf europä-ischer Ebene sind zwischenzeitlich beendet; die neue EU-Strategie wurde am 27. November 2009 beschlossen. Den Beschluss der EU-Jugendministerkonferenz nahm der Landesjugendring Hamburg zum Anlass für eine Informationsveranstaltung. Am 1. Februar 2010 diskutierten im Haus für Jugendverbände Fachkräfte aus Politik und Verwaltung mit Vertreter/innen aus Jugendverbänden die aktuellen »Jugendstrategien in & für Europa«.

Heike Völger vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), die an den Verhandlungen über den Strategieentwurf beteiligt war, informierte aus erster Hand. Leidenschaftlich warb sie für eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. »Europa ist kein Thema, sondern eine Einstellung«. Auch wenn man die Jugendhilfe in Deutschland als vielfach ausdifferenziert und hoch entwickelt bezeichnen könne, gebe es trotzdem immer auch etwas, was man von den anderen lernen könne. Anschaulich machte sie es an Fachbegriffen, die in Deutschland jede/r verwendet, die in den Ohren der anderen jedoch befremdlich klingen. »Benachteiligte Jugendliche« zum Beispiel. Niemals würde ein solches Wort in einem Dokument der EU auftauchen. »Jugendliche mit geringeren Entwicklungschancen« sei die korrekte Terminologie auf europäischer Ebene. Spitzfindigkeiten oder doch der treffendere Begriff?

Manche Vorhaben seien in allen Ländern der EU noch unterentwickelt, z. B. der »Strukturierte Dialog«, den man »SD« abkürzt und der vollständig »Strukturierter Dialog mit der Jugend und Jugendorganisationen« heißt. Ein Kollege aus Belgien habe ihn mit dem Ungeheuer von Loch Ness verglichen. »Jeder kennt ihn, aber keiner hat ihn bislang gesehen.« Von anderen lernen ist eines der Arbeitsprinzipien der nächsten neun Jahre. Bis 2018 gelte die neue Strategie, die nicht mehr programmatisch mit »Investitionen und Empowerment« überschrieben ist, sondern eher pragmatisch mit »Erneuerter Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa«. Obwohl das Verhandlungsergebnis wegen des Einstimmigkeitsprinzips nicht überraschend kam und die neue EU-Strategie sofort in Kraft getreten ist, hat die Bundesrepublik Deutschland auch zwei Monate nach dem Beschluss noch keinen Plan, wie weiter verfahren werden soll. Schuld daran sei der Ministerwechsel im BMFSFJ. Darüber hinaus ist Jugendhilfe Ländersache, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe werde demnächst die Arbeit aufnehmen.

Ländersache war das Stichwort zur Überleitung zum zweiten Vortrag des Abends. Dr. Sicco Rah von der Senatskanzlei erläuterte den aktuellen Sachstand zum europapolitischen Jugendkonzept. Er schilderte die Mühen, die es macht, mehrere Behörden gleichzeitig mit einem Thema zu befassen. Querschnittspolitik sei Schwerstarbeit und deshalb brauche es noch Zeit. Dass schon am Tag nach der Informationsveranstaltung des Landesjugendrings der Senat sein Konzept beschloss, und dies im Haus für Jugendverbände top secret blieb, wunderte nicht nur den Landesjugendring. Auch mehrere Diskussionsteilnehmer/innen erfuhren von dem Senatsbeschluss erst aus der Zeitung und empfanden diese Geheimniskrämerei als eine Brüskierung des Veranstalters und ein Affront gegenüber den Gästen.

In der anschließenden Diskussion gab es gleich mehrere Premieren. Erstmalig nahm ein Abgeordneter des Europäischen Parlamentes an einer Informations- und Diskussionsveranstaltung des Landesjugendrings Hamburg teil. Knut Fleckenstein nutzte als Einziger der Hamburgischen Europaabgeordneten die Chance, mit interessierten jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. Er wies darauf hin, dass nach dem neuen Lissabonvertrag erst noch das Europaparlament dem Ministerbeschluss zustimmen muss. Er warnte davor, bei der Umsetzung des Beschlusses die dort gefundene Balance zu verlieren. Die EU sei eine wirtschaftliche und eine politische Union. Er werde darauf achten, dass die zur EU-Jugendstrategie gehörenden Förderprogramme finanziell gut ausgestattet bleiben und nicht nur das »Humankapital« ansprechen, sondern auch den »Bürger Europas«.

Während es üblich ist, dass Jugendpolitiker/ innen einer Einladung des Landesjugendrings folgen, kamen zu dieser Veranstaltung die Europapolitiker/innen der in der Bürgerschaft vertreten Fraktionen. Obwohl dem Fachausschuss Jugend und dem Fachausschuss Europa jeweils 15 Abgeordnete angehören, gibt es zwischen beiden Ausschüssen keinerlei personelle Überschneidungen. Auf die Kuriosität, dass in Hamburg Jugend- und Europapolitik von unterschiedlichen Menschen gemacht wird, hatte der Vorsitzende des Landesjugendrings, Gregor Best, schon bei seiner Begrüßung hingewiesen. Herr Waldowsky von der GAL-Fraktion und Gabriele Dobusch (SPD) trugen ihre Sichtweisen vor. Während der Vertreter der Regierungsfraktion das europapolitische Jugendkonzept des Senates begrüßte, herrschte bei der Opposition eher Skepsis vor.

Dr. Wiedermann, Leiter des Hamburger Landesjugendamtes, outete sich als »Fan« der EU-Jugendstrategie und kündigte eine Jugendkonferenz der fünf norddeutschen Bundesländer an, die Hamburg federführend veranstalte. Jochen Rummenhöller, Referent für Internationales beim Deutschen Bundesjugendring, stimmte mit seiner Vorrednerin, Frau Völger, darüber überein, dass die erfolgreichen Mobilitätsprogramme der vergangenen zwanzig Jahre nicht mehr ausreichen. Mobilität sei nach wie vor wichtig, die Herausforderung bestehe jedoch darin, junge Menschen mit dem politischen System vertraut zu machen und ihnen eine Stimme zu geben. Ein zentraler Leitsatz der EU-Strategie laute, »Anerkennung aller jungen Menschen als Bereicherung für die Gesellschaft und Einsatz für ihr Recht, an der Gestaltung der sie betreffenden politischen Strategien mitzuwirken«. Dieses Recht solle mittels des eingangs schon genannten strukturierten Dialogs erfolgen. Auf europäischer Ebene werde den nationalen Jugendringen bei der Umsetzung der Vorhaben eine zentrale Rolle eingeräumt.

Lars Becker, Vorsitzender der Jungen Europäischen Föderalisten in Hamburg, war einer der wenigen, die ausgesucht worden waren, um von Anfang an am Senatskonzept mitzuarbeiten. Er sprach die Hoffnung aus, dass der im Senatskonzept vorgesehene Runde Tisch bald einberufen werde. Dort sei der geeignete Platz, um die geplanten Maßnahmen auf einer breiteren Basis zu erörtern.

Die Zeit war schnell vorüber und kritische Positionen konnten nicht mehr vorgetragen werden, etwa die des Bundespräsidenten. Horst Köhler hatte beim Festakt zum 60. Jahrestag der Karlspreis-Proklamation am 20. Dezember 2009 in Aachen gesagt: »Einen wirklichen Aufbruch in der Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungspolitik in Europa kann ich auch nicht erkennen. Ich bedauere das. Vor allem wegen der Jugend Europas und ihrer Zukunftschancen. (...) Der traurige Verlauf des Bologna-Prozesses bei uns und in anderen europäischen Ländern dürfte die Europabegeisterung bei unseren jungen Menschen auch nicht gerade gesteigert haben. Mein Eindruck ist: Das politische Europa muss aufwachen und sich auf Prioritäten besinnen. Sonst könnten uns die besten jungen Europäer davonlaufen«. Ob das Europapolitische Jugendkonzept ein »Wecker« im Sinne des Bundespräsidenten ist?