Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3+4-2023, Rubrik Titelthema

Sofaecke statt Plenarsaal

Serie WirkungsStätten: Das Jugendparlament Horn

Von Hanna Lubcke, Hamburg

Montagabend – rein in die U2 in Richtung Mümmelmannsberg. Beim »Rauhen Haus« steige ich aus und laufe durch den Hammer Park zum Haus der Jugend Horn. Ich bin gespannt, was mich erwartet, denn heute bin ich nicht bei irgend- einer Initiative – sondern beim Jugendparlament (JuPa) Horn zu Besuch.

Plenarsaal und Geschäftsordnung? »Parlament« – das klingt groß und bedeutend, nach einem Plenarsaal und Menschen in Anzügen, nach Anträgen und Ausschusssitzungen. Auf dem Weg komme ich an einem Skatepark vorbei, auf dem Hof vor dem Jugendhaus spielen Kinder und auf einem großen Platz nebenan wird Fußball trainiert. Das hier wirkt eher wie ein ganz normaler Jugendtreffpunkt, die Stimmung ist ausgelassen. Das Jugendhaus schließt grad, die Mitarbeitern räumen die letzten Überreste des Tagesgeschehens auf. Der Raum ist groß und gut ausgestattet, man kann sich vorstellen, dass Jugendliche hier gerne ihre Zeit verbringen. Vom Kicker zu PS5-Playstationen ist hier alles vorhanden. Ein Mitarbeiter spricht mich sofort an: »Möchtest du zum JuPa? Die treffen sich hinten in der Sofaecke«.

Und tatsächlich, auf einem Podest im hinteren Teil des Raumes sitzen ein paar Leute ganz gemütlich auf Sofas, vor ihnen auf dem Tisch haben sie Snacks ausgebreitet – Schokorosinen, Tomaten und Kekse. Das JuPa ist heute nicht vollständig, vier Leute sind gekommen. Ich werde herzlich begrüßt und bin direkt etwas entspannter.

Seit 1999. Das Einzige, was an die Bürokratie eines Parlaments erinnert, sind Vordrucke, auf denen mit einem sehr offiziell aussehenden Briefkopf die Tagesordnung des Treffens festgehalten ist. Mein Besuch ist bereits der erste Punkt und so darf ich direkt meine Neugierde darüber stillen, was genau hinter diesem Parlament steckt. Fast alle der anwesenden Mitglieder sind Anfang 20, haben aber schon im Alter von 14 oder 15 Jahren im JuPa angefangen. Sie treffen sich einmal im Monat in wechselnden Jugendeinrichtungen in Horn. Rahja, die Teil der Leitung des JuPa ist, erzählt ein bisschen über den Stadtteil: Horn sei sehr vielfältig, es gibt viele Familien und somit viele Jugendliche und Kinder. »Obwohl es hier auch viele Einrichtungen für die jungen Leute gibt, ist der Stadtteil nach wie vor förderbedürftig«, fügt sie hinzu. Um im Jugendparlament Horn mitzumachen, muss man übrigens nicht selbst in dem Stadtteil wohnen – jeder ist willkommen.

Das Jugendparlament hat sich 1999 gegründet. Mitmachen können alle zwischen 14 und 26. Die einstigen Gründungsmitglieder sind heute folglich kein Teil der Parlamentarier mehr, aber sie zum Teil in einem Beirat, der das JuPa berät, weiterhin aktiv.

Anders, als es der Name Parlament vermuten lässt, wird man ins JuPa nicht hineingewählt. Vielmehr müssen interessierte junge Menschen bei drei Sitzungen dabei gewesen sein und werden dann von den anderen Mitgliedern als Jugendparlamentarier bestätigt. Insofern sei der Begriff »Parlament« auch ein bisschen irreführend, weil viele immer denken, man wäre direkt in der Politik tätig, erklärt Rahja. »Vielleicht wäre ein neuer Name ja gar nicht so schlecht?«, überlegt sie laut. »Das wäre vielleicht weniger abschreckend«.

A pocket full of dreams … und ein eigener Etat. Im JuPa sollen Jugendliche einen Raum in Horn finden, den sie für sich einnehmen und mit ihren Ideen ausgestalten können. Andere Gremien seien meistens mit älteren Menschen besetzt – man verstehe sich also schon als Sprachrohr für die Interessen junger Menschen in Horn, sagt Rahja. »Hier bekommen junge Menschen früh das Gefühl, dass sie gehört werden, dass ihre Meinung wichtig ist und dass sie auch etwas erreichen können.«

Das Besondere am JuPa ist, dass es einen eigenen Etat besitzt, über den frei verfügt werden kann. So können die Mitglieder den Stadtteil mitgestalten: Das Geld kann dafür ausgegeben werden, was die Mitglieder entscheiden. »Natürlich müssen wir die Rechnungen behalten und können jetzt keine Zigaretten oder Alkohol von dem Geld kaufen«, lacht Timo, auch aus der Leitung des JuPa. »Aber sonst sind uns keine Grenzen gesetzt«. Das JuPa nimmt sich beispielsweise zur Aufgabe, das Freizeitangebot im Stadtteil zu verbessern. So wurde kurz vor dem Treffen eine Geige angeliefert, die das JuPa für das Haus der Jugend bestellt und finanziert hat. Allgemein werden die Aktivitäten sowohl über den eigenen Etat oder, bei größeren Projekten, durch Sponsoren (wie die HASPA) oder Stiftungen finanziert.

Der Horner Käse. Im Internet kann man zahlreiche Artikel finden, die das »Vorzeigeprojekt« loben. Die Mitglieder des JuPa erzählen mir von vergangenen Aktivitäten, zum Beispiel vom »Horner Käse«, einer künstlerischen Installation von einem Lehrer aus dem Stadtteil, das aber auch als Spiel- und Sportgerät fungiert. Den scherzhaften Namen hat die Skulptur aufgrund ihrer Form, die an einen Käse erinnert, erhalten. Das Projekt wurde vom JuPa und durch Spenden finanziert. Der ganze Prozess dauerte mehrere Jahre und die Eröffnung war eine große Sache. Termin im Frühstücksfernsehen inklusive.

Weitere Projekte waren zum Beispiel eine Graffiti-Aktion in der Unterführung bei der U-Bahn »Horner Rennbahn«, um diesen düsteren Ort belebter und attraktiver zu machen, oder ein kleiner Skatepark, der aber heute nicht mehr steht, weil er zum »Konsumhotspot« wurde. Das JuPa plant aber auch regelmäßig kulturelle und sportliche Veranstaltungen für Jugendliche aus dem Stadtteil und ist auf dem jährlichen Stadtteilfest präsent, um junge Menschen anzusprechen. Dieses Jahr gab es zudem eine Reise nach Berlin, um sich mit anderen Jugendparlamenten auszutauschen, was viele neue Ideen erbrachte. In Berlin sei das Konzept von Jugendparlamenten viel weiter verbreitet, sagt Leila, dort gebe es in vielen Stadtteilen eigene JuPas. In Hamburg ist das JuPa in Horn jedoch bislang das einzige seiner Art. Und Leila findet, oftmals würden neuen Gründungen in anderen Stadtteilen Steine in den Weg gelegt.

Was hat das alles mit Politik zu tun? Wie wird das JuPa denn allgemein in der »realen« Politik behandelt? »Würdet ihr sagen, das JuPa ist ein politisches Gremium?«, frage ich die anderen. Das regt Diskussion an: Das JuPa sei insofern nicht politisch, da es nicht aus Parteien gebildet ist, sondern dessen Mitglieder unabhängig ganz unterschiedliche Ansichten vertreten würden. Dem wird entgegnet: Die Arbeit habe aber trotzdem etwas Politisches, denn es sei ja eine politische Frage, wie wir über das JuPa versuchen, auf die Ausgestaltung des Stadtteils einzuwirken. Auf die Formel »Das JuPa ist nicht parteipolitisch« wird sich geeinigt. Aber fraglos wirkt das JuPa nach außen politisch – wie zuletzt bei einem Interview in der Zeitschrift Hinz und Kuntz. Der Fokus des JuPas liege aber nicht darauf, politische Positionen zu formulieren, sondern über Aktionen im Viertel zu wirken. »Die Arbeit im JuPa regt also indirekt politisches Interesse an, weil man Missstände mitbekommt«.

Trotzdem wird das JuPa von der bezirklichen Politik häufig als die Interessenvertretung junger Menschen im Viertel wahrgenommen. Manchmal bekommen die Mitglieder dabei das zwielichtige Gefühl, zwar nach Rat gefragt zu werden, obwohl die Planung der Sache schon feststehe. Dann erfülle eine solche »Jugend«-Beteiligung eher eine Alibifunktion. Und manchmal fehle zudem das Verständnis, dass die Arbeit im JuPa ehrenamtlich ist. Mit allen Hochs und Tiefs, die jugendliches Engagement eben auszeichnet. Hintergrund der ans JuPa gerichteten Anfragen ist Jugendbeteiligungsparagraf im Bezirksverwaltungsgesetz, nach dem Kinder und Jugendliche bei »Planungen und Vorhaben«, die ihre »Interessen berühren«, in »angemessener Weise zu beteiligen« sind. »Dann kommen sie manchmal zu uns, um das abzuhaken«, erklärt Timo. Sie würden das aber meistens ablehnen: »Wir sind ja nicht ›die Jugend‹ in Horn. Wir planen eher selbst Veranstaltungen, wo wir Jugendliche zu ihrer Meinung befragen«, und versuchen dann was draus zu machen.

Nachwuchs gesucht! Die Frage, wer sich wie beteiligt, ist für das JuPa Horn auch selbst von Belang, da die aktive Generation langsam älter wird. Viele verlassen das JuPa nach der Schule, wenn sie selber in einer Umbruchphase stecken. Auch während Corona war es schwierig, alle Aktiven dabei zu behalten. Das alles ist einer der Gründe, warum sich das JuPa abwechselnd in verschiedenen Jugendhäusern trifft: Um für junge Menschen im Viertel sichtbarer zu werden. Die Sitzungen sind öffentlich, jeder kann dazukommen und die Arbeit des JuPa ist niedrigschwellig ausgerichtet. Gleichwohl sei es schwierig, junge Menschen zur Mitarbeit zu gewinnen. Dazu kämen eher diejenigen, die eh schon gesellschaftlich engagiert sind.

Deshalb ist es dem JuPa wichtig, in Horn öffentlich präsent zu sein und den Kontakt zu Jugendlichen auf verschiedenen Wegen zu eröffnen. Vor allem über die regelmäßigen Veranstaltungen und über das Stadtteilfest sprechen sie Jugendliche – aber auch Eltern an. Da die Mitglieder des JuPa größtenteils selbst aus Horn kommen, haben sie zwar einen eher einfachen Zugang zur Zielgruppe. Trotzdem sind auf der Suche nach Nachwuchs immer wieder neue Wege notwendig: Zum Beispiel habe sich aus Gesprächen mit Jugendlichen ergeben, dass der Bedarf nach Sportangeboten groß ist. Darum planen sie jetzt ein Sportfest zusammen mit einer Schule, um darüber das JuPa für neue Jugendliche bekannt zu machen.

Nächste Aktionen. Auch im weiteren Verlauf der Sitzung werden viele Aktivitäten angesetzt. Das JuPa arbeitet neben den monatlichen Treffen in Arbeitsgruppen, die sich mit besonderen Aufgaben und Veranstaltungen beschäftigen. Die Poetry-Slam-AG präsentiert einen Entwurf für einen Flyer, denn an einem besonderen Freitag soll ein Slam stattfinden. Das Motto wird »Freitag der Dreizehnte« sein, jeder und jede kann sich anmelden. Aber was sollen die Preise sein? Es wird gebrainstormed, von Tütchen mit Süßigkeiten bis zu einem Schreibworkshop ist alles dabei. »Poetry Slam hat häufig etwas Schichtspezifisches«, kommentiert Timo. Da sich sonst vor allem Studierende und Akademiker für diese Events interessieren, war es dem JuPa besonders wichtig, das Format ins Viertel zu bringen. Mit Erfolg, der kommende ist bereits der dritte Slam, welchen das JuPa plant.

Zumal in Horn können sich viele Jugendlichen teure Freizeitangebote leisten. Daher gilt es für JuPa, hier alternative Angebote zu schaffen. So gibt es seit einiger Zeit die AG für ein Hip-Hop-Festival, das im Stadtteil stattfinden soll. Außerdem ist der »Merch«-Kram bei den letzten Aktivitäten sehr gut angekommen und es muss neuer bestellt werden. Es wird über Aufnäher, T-Shirts, Kugelschreiber und scherzhaft auch über Pullunder abgestimmt.

Ein weiterer Diskussionspunkt ist die anstehende Wochenendreise. Jedes Jahr vor Corona wurde mindestens eine dieser Reisen unternommen, über die viele der jetzigen Mitglieder des JuPas dazu gekommen sind. Doch die diesjährige Reise ist noch nicht geplant: In eine Stadt soll es gehen, so wird sich verständigt, und am besten soll ein Austausch stattfinden. Vielleicht nach Berlin, um die anderen Jugendparlamente wiederzutreffen? Der Austausch habe beim letzten Mal viel neue Inspiration ergeben, wie man die Arbeit an mehr Jugendliche herantragen und die Beteiligung fördern könne. Denn wie konstruktiv ein JuPa sei, hängt damit zusammen, wer es wie umsetzt, fasst Melissa zusammen: »Wenn es durch Erwachsene betreut wird, dann bleiben es eben auch die Erwachsenen, die die Dinge umsetzten.«
 

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Info: Jugendparlament Horn
Das Jugendparlament tagt an unterschiedlichen Orten. Wer dabei sein möchte, wendet sich an die unten genannte Mailadresse.
Anmeldung zum Newsletter: admin@remove-this.jupa-horn.de
Kontakt: Die Telefonnummern kannst Du gerne auf Anfrage beim Timotheus Jugendclub oder im Haus der Jugend Manshardtstraße oder auch via Mail an admin@jupa-horn.de erhalten.
Web: https://jupa-horn.de/