Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2015, Rubrik Kommentar

Mal darüber hinaus gedacht  …

Von Jonas Romann, LJR-Vorsitzender  

Das Bundesverdienstkreuz ist die hochkarätigste Auszeichnung für herausragende Leistungen auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem, geistigem und ehrenamtlichem Gebiet. Zwei jungen Aktiven aus dem Bereich der Jugendverbandsarbeit in Hamburg, Benedikt Alder und Lisa Martje Koch, wurde diese Ehre und Auszeichnung jüngst zuteil. Bundespräsident Joachim Gauck verlieh ihnen das Bundesverdienstkreuz für ihr beispielhaftes und herausragendes ehrenamtliches Engagement. Bei der feierlichen Verleihung im Schloß Bellevue ist es üblich, dass eine Person aus dem Kreis der Geehrten eine Dankesrede hält. Diesen Part übernahm diesmal Lisa Martje Koch. Sie betonte die Freiheit zur Ehrenamtlichkeit als zentrale Voraussetzung für ein gelingendes bürgerschaftliches Engagement und für deren vielfältige Wirksamkeit : Ohne diese Freiheit gäbe es keine Freiwilligkeit zum Engagement. Jedoch sprach Lisa nicht nur über Freiheit sondern auch über ihre Abwesenheit. Die fehlende Freiheit Geflüchteter zum Beispiel. Diese sind vor Krieg, Elend, Verfolgung oder Umweltkatastrophen in unser Land geflüchtet, um das Menschrecht auf ein lebenswertes Leben einzulösen. Hier aber leben sie zumeist am Rande der Gesellschaft. Oft verbringen sie Monate ohne geklärten Aufenthaltsstatus in ghettoisierten Unterkünften. Sie warten, bangen, einige beten – und alle hoffen, bleiben zu dürfen oder zumindest nicht direkt abgeschoben zu werden. Damit ihre Flucht nicht umsonst war. Andere haben bereits aufgegeben. Diese diffuse Zeit des Wartens und der Ungewissheit ist durch Leere, Langeweile und Nichts-Tun gekennzeichnet. Auch in meinen Gesprächen mit Geflüchteten und Flüchtlingsinitiativen wiederholen sich die Aussagen über die perspektivische Leere und die Aufgabenlosigkeit der Betroffenen. In diesem Hohlraum käme ehrenamtliches Engagement gerade richtig. Eine Aufgabe, die unfreiwillig freie Zeit der Geflüchteten mit Leben, Empathie und Solidarität zu füllen.

Jugendverbände könnten hier ansetzen. Sollten sie auch. Jedoch nur einzuspringen, um Lückenfüller für eine unbeschäftigte Zeit zu sein, ist weder eine Perspektive, die Menschen essentiell hilft, noch ist sie politisch. Perspektiven brauchen eine realistische Aussicht auf Erfüllung, den Übergang in Existenz. Eine Existenz mit Strukturen ermöglichte neue Perspektiven für Geflüchtete und dann sogar die von Joachim Gauck so oft gepredigte Freiheit. Wenn mit der Freiheit in Existenz das Ehrenamt möglich ist, sollte die Frage also heißen : Was schafft Existenz? Für die geflüchteten Menschen sind es vor allem Arbeit und Bleiberecht.

Eine konsequente politische Forderung könnte folglich lauten : Für junge Geflüchtete soll der Zugang zu Ausbildungsbetrieben geöffnet und Barrieren gemindert werden. Tausende Lehrlingsstellen in Handwerksbetrieben bleiben in der ganzen Bundesrepublik unbesetzt (siehe dazu hier). Eine angefangene Ausbildung würde die Tür zu einem dauerhaften Bleiberecht für Geflüchtete öffnen. Der handwerkliche Markt gibt es her. Lehrlinge werden einerseits gesucht, aber nicht gefunden – und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die dringend nach Arbeit, Existenz und Perspektiven suchen. So über den eigenen Tellerrand geschaut, geht die Frage zum ehrenamtlichen Engagement für und mit Geflüchteten über die verbandliche Lebenswelt hinaus. Als Landesjugendring treten wir der Politik gegenüber als Stimme junger Menschen und deren Interessen auf. Wir stehen für den Zusammenschluss von jungen Menschen aus dem verbandlichen Spektrum – mit gemeinsamen und jeweils eigenen Anliegen. Als Ehrenamtlicher eines Jugendverbandes besitze ich die Freiheit und Existenz, die anderen am Rande der Gesellschaft fehlt. Ich stelle also die Frage, ob ich – wie jeder andere Ehrenamtliche – nicht die soziale Verantwortung trage, für ungeteilte Freiheit einzutreten. Für Menschen, deren Menschenrechte noch nicht eingelöst sind.