Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2011, Rubrik Kommentar

Zahlen, Krise und Proteste

Von Sebastian Züge, LJR-Vorsitzender

Über das Jahr hinweg konnte man in den Nachrichten verfolgen, wie junge Europäer die Straßen und Plätze in ihren Städten besetzten oder revoltierten. In Griechenland, Spanien und zuletzt in Großbritannien protestierten hunderttausende junge Menschen. Die Ausdrucksformen dieses Protestes reichen von konstruktiv friedlich bis destruktiv gewalttätig. So differenziert das Erscheinungsbild auch ist, so ähnlich sind die Ursachen. Motor dieses Protestes ist das Gefühl junger Menschen, ohne Zukunftsperspektive ihr Leben fristen zu müssen. Zahlen belegen diese Desillusionierung. In den europäischen Ländern ist die Jugenderwerbslosenquote nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom Juli 2011 mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote. Durchschnittlich 20,5 % der jungen Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren sind in der EU vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Besonders dramatisch ist die Lage in Spanien: Mit rund 46 % ist fast jeder zweite junge Spanier ohne Arbeit. In Griechenland lag die Quote zuletzt bei 38,5 %. Auch Portugal und Irland vermelden mit rund 27 % überdurchschnittliche Jugenderwerbslosenzahlen.

Diese Zahlen und die Proteste junger Menschen haben der sogenannten europäischen Schuldenkrise ein Gesicht gegeben. Sie zeigen, dass die Euro-Krise nicht allein ein Währungsproblem oder die Krise der Staatsfinanzen in den Pleiteländern ist, sondern auch dramatische soziale Auswirkungen zeitigt. Und diese treffen junge Menschen meistens zuerst.

In Deutschland klopft man sich derweil angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit, die mit 9,1 % geringer ist als in den meisten anderen europäischen Ländern, gegenseitig auf die Schulter. Doch getreu dem Motto »Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast« lohnt sich auch hier ein genauer Blick. Denn nicht jeder Jugendliche, der keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz gefunden hat, ist gleich arbeitslos. Jedenfalls im Sinne der Statistik. Zum Beispiel wird man nur als ausbildungssuchend geführt, wenn man dies gegenüber der Agentur für Arbeit anzeigt. So kommt es zu der interessanten Tatsache, dass die jährliche Gegenüberstellung von Ausbildungsplätzen zu Ausbildungssuchenden auch deshalb so positiv ausfällt, weil in der Statistik weit weniger Jugendliche einen Ausbildungsplatz suchen als die Schule verlassen. Zusätzlich werden viele unversorgte Jugendliche in sogenannten »berufsvorbereitenden Maßnahmen« untergebracht. Die Ergebnisse dieser Maßnahmen bleiben überschaubar, aber die jungen Menschen sind erstmal aus der Arbeitslosenstatistik heraus.

Bei den (potentiellen) Studenten sieht die Lage auch nicht gerade rosig aus. Obwohl die Kanzlerin die Bildung junger Menschen als eines ihrer wichtigsten Themen sieht, schieben sich Bund und Länder gegenseitig den Schwarzen Peter zu, wenn es darum geht, die durch die doppelten Abiturjahrgänge und den Wegfall der Wehrpflicht zusätzlich benötigten Studienplätze zu finanzieren. Wenn ein Schulabgänger dann einen Studienplatz ergattert hat, steht er in einigen Bundesländern vor dem Dilemma, ein Vollzeit-Bachelor/Master-Studium mit einem strengen Zeitplan und ein Arbeitsverhältnis zur Begleichung der Studiengebühren in Einklang zu bringen. Wer da keine Eltern hat, die finanziell unterstützen, muss entweder mit wenig Schlaf oder wenigen Sozialkontakten außer­halb von Studium und Arbeit auskommen.

Am Ende der Ausbildung oder des Studiums drohen als »Belohnung« prekäre Arbeitsverhältnisse. Junge Menschen sind deutlich häufiger atypisch beschäftigt als im Bevölkerungsdurchschnitt und befinden sich zudem zahlreicher in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis. So waren im Jahr 2010 knapp 37 % der jungen Erwerbstätigen in Deutschland atypisch und über 27 % befristet beschäftigt.

Die Lage in Deutschland ist mitnichten so prekär wie in anderen europäischen Ländern, aber auch hier ist die Gemengelage aus ungewisser Zukunft und fehlendem Vertrauen in die Politik bei jungen Menschen vorhanden. Es bedarf folglich mehr als nur warmer Worte, um die Ursachen und nicht die Auswirkungen zu bekämpfen. Zumal die europäische (Schulden-)Krise keineswegs ausgestanden ist, sondern droht, immer mehr Länder anzustecken …