Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2021, Rubrik Titelthema

3. Stichwort: Die Folgen der Coronapandemie für junge Menschen auffangen

Junge Menschen, die durch Homeschooling und Social Distancing besonders unter der Pandemie leiden mussten, standen nicht im Fokus der Politik. Die letzte Bundesregierung hat erst spät das »Aufholprogramm« für junge Menschen aufgelegt. Reicht das?


Franziska Hoppermann (CDU):
Für Bildung und Schule sind die Bundesländer zuständig. Um die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche aber mit aufzufangen, wurde ein Paket mit über 30 Mrd. Euro Unterstützung für die Länder von der Bundesregierung und dem Bundestag beschlossen. Besonders wichtig sind zwei Punkte : Zum einen die Unterstützung für Kinder und Jugendliche, die in der Schule nicht mitgekommen sind und im Schulstoff Nachhilfe brauchen. Hier braucht es Programme wie Lernferien, Lerncoaches und ähnliches, um zu verhindern, dass große Lücken entstehen. Hierfür wird eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Und eine deutliche Verbesserung in Ausstattung und Umgang mit digitalen Lernformen. Und zum anderen psychologische Unterstützung und mehr Angebote in der Jugendarbeit. Kindern und Jugendlichen fehlt häufig der soziale Kontakt, Depressionen und Ängste haben zugenommen. Sie brauchen vermehrt Begleitung und Austausch, untereinander und mit professioneller Begleitung. Deshalb muss neben der Lernförderung das soziale Miteinander durch einen Ausbau der Angebote gestärkt werden. Hierfür wird eine weitere Milliarde zur Verfügung gestellt.


Ronja Schmager (SPD): Der Fokus muss mehr auf die Folgen für die junge Generation gelegt werden. Wir müssen alles daransetzen, dass die Coronapandemie die Lebenswege der Kinder und Jugendlichen nicht durch fehlende Bildung oder soziale Erfahrungen verbaut.
Unsere oberste Priorität gilt der Bildungsungerechtigkeit. Hier müssen die durch »Homeschooling« entstandenen Bedarfe erhoben werden, um zielgerichtete und niedrigschwellige Förderangebote anzubieten.
Wir setzen uns für eine bundesweite Ausbildungsplatzgarantie ein. Diese soll durch eine Abgabe der Unternehmen, die keine Ausbildungsplätze anbieten, andere Unternehmen unterstützen, jungen Menschen flächendeckend berufliche Perspektiven anzubieten. Die Unternehmen sollen im Rahmen eines Ausbildungsfonds entsprechend Betriebsgröße und einer Ausbildungsquote von mindestens 10 Prozent verpflichtende Beiträge für die Mindestanzahl an Auszubildenden im Betrieb an den Ausbildungsfonds einrichten müssen.
Wir werden ein elternunabhängiges BAföG umsetzen und dafür sorgen, dass vor dem Hintergrund der prekären Situation vieler Studierender der Verzicht auf Gebühren jeglicher Art durchgesetzt wird, um allen jungen Menschen den Zugang zum Studium zu erleichtern.
Wir müssen die finanziellen Lasten durch die Coronapandemie generationenübergreifend schultern, daher braucht es in den nächsten Jahren Investitionen, um insbesondere die sozial-ökologische Transformation zu bewältigen. Die Schuldenbremse darf dabei kein Hindernis sein und muss so reformiert werden, dass Investitionen auch über Kredite möglich sind.
Zur Finanzierung der coronabedingten Mehrausgaben fordern wir eine einmalige Vermögensabgabe für Vermögende, insbesondere für jene, die durch die Krise profitiert haben. Des Weiteren fordern wir mit Nachdruck eine umfassende Erbschaftsreform und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, um die anstehende sozial-ökologische Transformation zu finanzieren.


Ria Schröder (FDP): Für junge Menschen war und ist die Coronapandemie der drastischste Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Viele Erfahrungen, wie Abschlussball, Gap Year oder Ersti-Partys mussten ersatzlos ausfallen. Die Schulschließungen haben massive Brüche in Bildungsbiographien verursacht. Soziale Isolation und Lockdown machen jungen Menschen psychisch immens zu schaffen.
Wir Freie Demokraten wollen die Wartezeiten auf einen Therapieplatz reduzieren, den Ausbau von Therapieplätzen fördern, Prävention und Aufklärung stärken sowie die Ausbildung der psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weiterentwickeln. Die Anzahl der Kassensitze für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wollen wir deutlich erhöhen. Ebenso wollen wir mehr Studienplätze für Psychologie und Psychotherapie schaffen. Schulpsychologische Beratungsangebote wollen wir ausbauen. Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter sollen an jeder Schule verfügbar sein. Schließlich fordern wir eine bundesweite Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen, denn die psychische Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und soziale Teilhabe. Durch die Förderung von psychischer Gesundheit und Prävention wird die Gesellschaft sensibilisiert und Einzelnen kann schnell geholfen werden.
Um die Einschnitte in Bildungsbiographien abzufedern, wollen wir jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz finden können, mit Azubi-Botschaftern zur Seite stehen und ihnen mit einer Zukunftsgarantie den Einstieg in die Ausbildung erleichtern.
Die Große Koalition hat Studierende, die ihren Nebenjob wegen der Pandemie verloren haben, am langen Arm verhungern lassen. Wir wollen das BAföG für mehr Studierende öffnen, indem wir die Studienfinanzierung einfacher und digitaler machen und zu einem krisenfesten elternunabhängigen Baukasten-BAföG reformieren.


Żaklin Nastić (LINKE): Entscheidungen der Bundesregierung während der Pandemie haben das Kindes- und Jugendwohl nicht vorrangig berücksichtigt. Zentrale Schutzrechte sind unbeachtet geblieben. In Hamburg wurden Schülerinnen und Schüler sogar offen gegängelt und mit Bußgeldern dafür bestraft, dass sie nicht am Homeschooling teilnahmen – und das obwohl viele gar nicht die technische Ausstattung dafür hatten und sich diese auch nicht leisten konnten – ein ungeheuerlicher Vorgang! Auch die psychosozialen Folgen der Krise (und der ergriffenen Maßnahmen) sind laut »Copsy«-Studie des Hamburger Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) nicht übersehbar. Vor der Pandemie fühlte sich ein Drittel aller befragten Kinder und Jugendlichen »psychisch stark belastet«, seit der Coronakrise sind es 71 Prozent.
Um dem entgegenzuwirken, wollen wir die soziale Infrastruktur (z.B. Jugendhäuser) nachhaltig ausbauen, finanziell und personell stärken und eine funktionierende Kinder- und Jugendhilfe für Alle gewährleisten. Es war zwar definitiv ein Fehler, vor allem während des ersten Lockdowns unverzichtbar wichtige Jugendeinrichtungen an vielen Orten komplett zu schließen. Aber das Problem von zu wenigen sozialen und psychologischen Angeboten für Kinder und Jugendliche besteht nicht erst seit der Coronakrise, sondern ist eine direkte Folge jahrelanger Sparpolitik auf Kosten der jungen Generationen. Diese Politik wollen wir dringend umkehren.
Durch mehr Lehrpersonal in Schulen sowie durch flächendeckenden Einbau von Luftfiltern in Bildungseinrichtungen möchten wir außerdem verhindern, dass zukünftig wieder Wechselunterricht oder gar Homeschooling notwendig werden. Als pandemiebedingte Sofortmaßnahme wollen wir allen schulpflichtigen Kindern im Leistungsbezug einen einmaligen, unbürokratischen Zuschuss in Höhe von 500 Euro für Computer, Drucker und weitere IT-Ausstattung gewähren und ihnen somit bessere Möglichkeiten geben, Lernstoff aufzuholen und Defizite auszugleichen.


Linda Heitmann (Grüne): Sommercamps und Nachhilfe in den Kernfächern alleine sind ein Anfang, werden aber nicht ausreichen, um die Folgen der Krise zu bewältigen. In erster Linie ist es nun wichtig, dass die Schulen bei der nächsten Welle nicht wieder im Betrieb eingeschränkt werden, sondern Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit rücken. Kinder haben nicht nur an einem Mangel an Unterricht, sondern vor allem auch ganz besonders unter einem Mangel an sozialen Kontakten und Bewegungs- sowie Kulturangeboten gelitten.
Deshalb müssen wir Sport-, Erlebnis-, und Kulturangebote ausbauen, die Beratung und Einzelfallhilfe für Schüler*innen stärken sowie die Vermittlung von Wissen zur psychischen Gesundheit und zu Krisen an Schulen verbessern. Mit Mentor*innen, Bildungslots*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Psycholog*innen knüpfen wir ein sicheres Netz an breiter Unterstützung, um die psychische Gesundheit von unseren Kindern und Jugendlichen nachhaltig besser im Rahmen von Ganztagsangeboten zu schützen. Jedes zusätzliche Angebot für die Krisenbewältigung soll die Qualität an KiTas, Horten und Schulen auch langfristig voranbringen.