Der Erinnerungsboom wird 60 Jahre nach dem Ende des II. Weltkrieges und der Befreiung vom Nationalsozialismus auf allen Medienkanälen toben. Zeitzeugen werden berichten, Historiker erklären, Medienmacher gerade entdeckte Ton- und Filmdokumente des III. Reiches anpreisen.
Historische Jahrestage sind Feste für Medienmacher. Sonst auf geplagter Suche nach Themen, die durch Einschalt- oder Verkaufsquoten sich rechtfertigen lassen, nimmt der historische Kalender, zumal bei runden Gedenktagen, ihnen die Arbeit ab. Erst recht, wenn auf dem Kalender ein Datum sich jährt, dessen Thema ein Medienbewährtes ist. Unzählige Dokumentationen haben den II. Weltkrieg in allen Facetten seiner Kriegsschauplätze bereits dargelegt. Zum D-Day, zum Jahrestag der Landung der US-Truppen in der Normandie, erlebten Kriegsfilme eine abermalige Hollywood-Renaissance. Und pünktlich zum bevorstehenden 60ten nach '45 preist etwa Spiegel TV eine DVD mit unveröffentlichten, originalen Filmmaterialen an. Der Titel der DVD: »Das Dritte Reich in Farbe«.
Aber vor allem gilt: »Hitler sells«. Die »Marke Hitler«, wie Medienplaner den Themen-Komplex NS-Zeit bündig umreißen, ist zum TV-Dauerbrenner geworden. Die ZDF-Serie »Hitlers Helfer« von Guido Knopp begründete hierzulande die populäre History-Machart – mit durchschlagendem Erfolg: von »Hitlers Manager« bis zu »Hitlers Frauen« verfolgten regelmäßig drei bis über fünf Millionen Fernsehzuschauer den bunten Reigen von inszenierten »Doku-Materialien« und Erlebnisberichten der Überlebenden. Die erfolgreiche Masche fand schnell Nachahmer. Die ARD lieferte »Soldaten für Hitler« und RTL konterte mit »Hitler – Aufstieg des Bösen« (jeweils 3,5 und 2,1 Millionen Zuschauer). Wichtig wurde, daß allenthalben Hitler draufsteht, wo NS-History drinsteckt.
Die Machart dieser Doku-Reihen und Filme befördert – egal, ob beabsichtigt oder unbewußt – ein Geschichtsbild, das einmal als überholt galt: »Hitler war's«. Die mediale Inszenierung des NS-Unheils ist fokussiert auf die Köpfe prominenter Täter und ihrer Helfer, dahinter verschwindet die Masse der Bevölkerung als Mitläufer oder Verführte. Das ist das Schema, die Personifizierung des Unheils, mit dem die frühe Bundesrepublik in den fünfziger Jahren von der NS-Zeit sich abzusetzen versuchte. Die neue mediale Geschichtsbewegung der Histories aber planiert im Gegensatz zu damals heute vorhandene und differenzierte Aufarbeitungen der NS-Geschichte nieder.
»Geschichte schreiben ist eine Art, sich das Vergangene vom Halse zu schaffen«, argwöhnte bereits Johann Wolfgang von Goethe. Wie das gehen kann, analysiert Hannes Heer, Leiter der ersten Wehrmachtsausstellung »Vernichtungskrieg«, exemplarisch an dem Film »Der Untergang«. (jg)