Von Marc Buttler, LJR-Vorsitzender
»Jugendverbände sind ein unentbehrliches Medium der organisierten Interessenvertretung und der politischen Beteiligung Jugendlicher.« (BT-Drs. 11/5948, 55)
Vor diesem Hintergrund streiten sich der Landesjugendring und der Bezirk Harburg seit gut einem Jahr über die Zusammensetzung des dortigen Jugendhilfeausschusses (JHA). Seit der Neuwahl der Bürgerschaft und der Bezirksversammlungen regiert in Harburg erstmals eine schwarz-grüne Koalition. Um sich im JHA, in den die Bezirksversammlung in der Regel neun Mitglieder aus ihren eigenen Reihen entsendet und sechs auf Vorschlag der freien Träger, eine Mehrheit zu sichern, »ernannten« die Mehrheitsfraktionen kurzerhand den Vorsitzenden des Volksmusikverbandes zum Vertreter eines Jugendverbandes.
Interventionen des Landesjugendringes blieben wirkungslos; selbst als dieser darauf hinwies, daß die Vorgehensweise des Bezirkes illegal ist. Nachdem der LJR schließlich vor dem Verwaltungsgericht begehrte festzustellen, daß die Zusammensetzung des JHA rechtswidrig sei, erkannte das Bezirksamt dies letztendlich im Oktober 2004 an und leitete die Neuwahl des JHA in die Wege. Harburg erhält wieder einen handlungsfähigen Jugendhilfeausschuß, der rechtliche Schwebezustand endet, dachte sich der LJR und hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Bezirksversammlung dachte nämlich gar nicht daran und behauptete kurzerhand, der LJR, der als einer unter vielen Trägern – darunter alle Jugendverbände – vorschlagsberechtigt ist, hätte in das »demokratische Auswahlrecht« der Bezirksversammlung eingegriffen, in dem er jeweils nur einen einzigen Kandidaten für die Vertretung und die Stellvertretung vorgeschlagen hätte. Natürlich ist es sinnvoll, wenn die Bezirksversammlung aus einer Anzahl kompetenter Personen den JHA zusammenstellen kann. Das »Recht der Auswahl«, welches die Bezirksversammlung reklamiert, wäre ein gutes Argument. Die schwarz-grüne Koalition erweckte allerdings frühzeitig und massiv den Eindruck, es gehe ihnen eigentlich gar nicht um demokratische Auswahl, sondern um bestimmte Personen bzw. um das Schaffen einer schwarz-grünen Mehrheit, wo der Gesetzgeber eine solche nicht vorsieht. Schon im letzten Jahr wurde dem LJR signalisiert, er habe »eins, zwei, drei, vier, …« Vorschläge zu unterbreiten, aus dem man sich dann »einen aussuche«. Nach der Neuausschreibung unterbreitete der LJR einen neuen, konsensualen Vorschlag der Harburger Jugendverbände und scheiterte erneut. Erstens, so wurde dem LJR-Vorstand seitens CDU und GAL beschieden, würden dem JHA schon mehrere »Kirchenvertreter« angehören, ein Vorschlag aus den Reihen der Evangelischen Jugend sei also nicht angemessen, und zweitens sei es angesichts der Bedeutung der Sportvereine für den Bezirk erforderlich, einen Vertreter eines Sportvereins in den JHA zu wählen.
»Auswahl« hat die Bezirksversammlung dabei auch bisher nicht ausgeübt. Als im letzten Jahr vermeintlich die Wahl zwischen mehreren Jugendverbandsvertretern bestand, wählten CDU und GAL den Vertreter des Volksmusikverbandes, ohne sich über die Qualifikationen der Kandidaten auszutauschen oder sie näher in Augenschein zu nehmen. Ausschlaggebend, so sagt man in Harburg, sei die Tatsache gewesen, daß der angenommene Vorschlag eindeutig der CDU zuzuordnen gewesen sei.
Auswahl könnte die Bezirksversammlung bisher auch gar nicht ausüben. Das Hamburgische Ausführungsgesetz unterscheidet zwischen Jugendverbänden, Wohlfahrtsverbänden und »sonstigen freien Trägern«. Die Bezirksversammlung müßte – allerdings vor der Wahl – feststellen, wie die Sitze der freien Träger innerhalb dieses Trägerspektrums zu verteilen sind. Maßgeblich wäre die Bedeutung der einzelnen Träger für den Bezirk, nicht etwa die Höhe der bezirklichen Zuwendungen oder eine Unterscheidung zwischen regionalen und überregionalen Trägern. Hierzu liegt der Bezirksversammlung zwar die Einschätzung des Bezirksamtes vor (»zwei oder drei« Vertreter der Jugendverbände), die Bezirksversammlung hat es aber bisher versäumt, hierzu einen Beschluß zu fassen. Sie wird dies wohl auch gar nicht wollen. Würde man doch die Möglichkeit beschränken, den JHA unter dem Aspekt der parteipolitischen Ausrichtung zu besetzten.
Im Ergebnis soll in Harburg das Vorschlagsrecht der Jugendverbände leer laufen. Die Koalition verkennt, daß den freien Trägern ein Vorschlagsrecht zusteht, welches diese ohne jede Beeinflussung wahrnehmen können.
Daß es sich bei den »Kirchenvertretern« um gesetzlich vorgeschriebene beratende Mitglieder handelt, nahm die Koalition auch nicht zur Kenntnis, als die SPD sie darauf hinwies, es sei halt eine »komplizierte juristische Materie«. Würde man der Auffassung von CDU/GAL folgen, wären alle konfessionellen Jugendverbände der Möglichkeit beraubt, Vorschläge für den JHA zu unterbreiten, obwohl sie anerkannte Träger der Jugendhilfe und Jugendverbände sind und den größten Anteil an den Jugendgruppen der Verbände stellen.
Dort wo Sportvereine in der Jugendhilfe tätig sind, sind sie auch als freie Träger anerkannt und somit vorschlagsberechtigt. Kommt die Bezirksversammlung zu dem Schluß, daß sie den Vorschlag eines Sportvereins berücksichtigen will, weil die Jugendhilfeplanung eine entsprechende Bedeutung ergibt, so ist sie frei einen Vertreter zu berücksichtigen, ohne daß hierfür die Unterstützung durch den LJR oder der Sportjugend notwendig wäre. Es kann aber nicht die Aufgabe des überregional tätigen Jugendverbandes Sportjugend sein, die Vertretung einzelner Sportvereine im Jugendhilfeausschuß abzusichern, weil diese womöglich nicht als freie Träger anerkannt sind. Daß freie Träger sich auf gemeinsame Kandidaten einigen und die Bezirksversammlungen diese Vorschläge unterstützen, ist in Hamburg und anderen Bundesländern gängige Praxis und vom Gesetzgeber gewollt. Es macht auch Sinn; das Spektrum der freien Träger ist so unüberschaubar groß, daß – wollte man alle Strömungen berücksichtigen – Jugendhilfeausschüsse mindesten drei bis viermal so groß sein müßten. Kandidaten, auf die sich mehrere Träger geeinigt haben, »vertreten« auch ein größeres Verbandsspektrum. Daß die Mitglieder des JHA, die diesem auf Vorschlag eines freien Trägers angehören, nicht unbedingt die Meinung der jeweiligen Koalition vertreten, ist nicht etwa ein Konstruktionsfehler sondern ausdrücklicher politischer Wille.
Rechtlich fragwürdig ist die Tatsache auch nicht, daß der LJR in Harburg nur einen Vorschlag unterbreitet hat. Es lag dem LJR tatsächlich nur ein Vorschlag vor, und es ist allgemein anerkannt, daß es eben nicht erforderlich ist, mehrere Vorschläge zu unterbreiten. Obwohl die Rechtslage eindeutig ist, hat die Bezirksversammlung zwischenzeitlich die Justizbehörde mit einem Rechtsgutachten beauftragt, das klären soll, ob der LJR (und zwar nur dieser) gezwungen werden kann, mehrere Vorschläge zu unterbreiten. Eine solche Regelung enthält das Hamburgische Recht z.Zt. nicht; sie wird sich auch nicht im Gesetz verankern lassen, wenn man sie auf ein Trägerspektrum beschränkt.
Mit »kurios« könnte man derweil das Vorgehen der Verwaltung bezeichnen. Hatte der Bezirksamtsleiter dem LJR noch im letzten Jahr mitteilen lassen, der JHA würde angesichts der ungeklärten Rechtslage »selbstverständlich« keine Beschlüsse fassen, ließ sein Nachfolger nun mitteilen, dieser sei »handlungsfähig«, da über eine »Wahlanfechtung« des LJR durch das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden sei. Fast könnte man meinen, dem neuen Bezirksamtsleiter sei nicht mitgeteilt worden, daß seine eigene Behörde die rechtswidrige Zusammensetzung des Jugendhilfeausschusses vor Gericht bereits anerkannt hat, eine Entscheidung in dieser Frage also gar nicht von Nöten ist.