Fehlt Ihnen etwas? – Beratung kann helfen!
Eine Kampagne der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg (AGFW) zu verdeckter Armut in Hamburg
Verdeckte Armut ist ein verdrängtes Thema. Medienberichterstattung und Politik konzentrierten sich meist auf Begriffe wie »Sozialmißbrauch« und »überhöhe Transferleistungen« oder auf Forderungen nach »mehr« Selbstverantwortung und persönlicher Autonomie. Im Jahr 2004 haben aus diesem Grund die Hamburger Wohlfahrtsverbände entschieden, eine Kampagne zu entwickeln, die über das Problem der verdeckten Armut informieren soll. Als Vorbild diente eine Kampagne der Berliner Wohlfahrtsverbände. Im September und Oktober letzten Jahres wurde die Kampagne mit einer Beratungshotline und einem Beratertag umgesetzt. Es ist gelungen, eine Kooperation mit der Universität Hamburg aufzubauen. Studenten haben die Kampagne wissenschaftlich begleitet und die einzelnen Aktionen empirisch ausgewertet. Die Ergebnisse der Universität und die Auswertung der Kampagne durch die Wohlfahrtsverbände führten zu der Entscheidung, die Kampagne im Juni 2005 fortzusetzen. Was meint verdeckte Armut? Armut ist ein vieldeutiger und nur schwer definierbarer Begriff. Und immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob es in Deutschland überhaupt Armut gibt. In der Wissenschaft hat sich der Begriff der relativen Armut durchgesetzt. Was Armut ist, muß im Verhältnis zum jeweiligen gesellschaftlichen Lebensstandard bestimmt werden.
Grundsätzlich kann man sagen, daß Menschen in verdeckter Armut leben, wenn sie aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenslage Anspruch auf staatliche Hilfen haben (Sozialhilfe / Arbeitslosengeld II / Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) und diesen Anspruch nicht geltend machen. Diese Menschen leben dann mit einem Einkommen, das unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums liegt. Das soziokulturelle Existenzminimum wird mit den Regelsätzen der Sozialhilfe festgelegt.
Warum leben Menschen in verdeckter Armut? Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen staatliche Hilfen nicht in Anspruch nehmen. Zum einen können strukturelle Gründe vorliegen: Menschen fehlt das Wissen darüber, unter welchen Bedingungen sie Anträge stellen können und wofür es Hilfen der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung für Arbeitsuchende gibt. Sozialämter und Leistungsträger des SGB II betreiben zudem keine offensive Informationspolitik.
Zum anderen können gesellschaftliche und private Gründe vorliegen: Menschen sind zu stolz und wollen aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt beschreiten. Der Gang zum Sozialamt wird als Eingeständnis des eigenen Mißerfolges gewertet. Menschen schämen sich, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, zumal der Bezug von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II (ALGII) als gesellschaftliche Abwertung empfunden wird. Und nicht zuletzt ist ein Grund für die Nichtinanspruchnahme, daß die Hilfsangebote der Behörden und der Freien Träger zu hochschwellig sind, als zu formal organisiert empfunden werden. Bei diesem Punkt setzt die Kampagne der AGFW mit unterschiedlichen Aktionen an. Menschen, die in verdeckter Armut leben, werden im Rahmen der Kampagne niedrigschwellige Beratungsangebote gemacht.
Kampagne und Ergebnisse 2004 Die Kampagne startete im September letzten Jahres mit einer vierzehntägigen
Beratungshotline. Wochentags wurden zwischen 15 und 18 Uhr unter einer kostenlosen Hotlinenummer allgemeine Fragen zu staatlichen Hilfeleistungen beantwortet und soziale Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände genannt. Insgesamt wurden 139 Beratungsgespräche geführt. Es zeigte sich, daß über 50 Prozent der Anrufer nur wenig oder gar nicht über ihre rechtliche Ansprüche informiert waren.
Zum Kampagnenstart wurde eine Übersicht der Beratungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege erstellt. Erstmalig wurden alle Adressen, Öffnungszeiten und Beratungsinhalte der einzelnen Beratungsstellen in einer Broschüre zusammengefaßt. Um zusätzliche niedrigschwellige Angebote für Hilfesuchende zu unterbreiten, wurde die Kampagne im Oktober mit einem
Beratertag fortgesetzt. An sechs sozialen Brennpunkten der Stadt wurden Beratungsstände aufgebaut, an denen MitarbeiterInnen aus Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände interessierte Passanten über verdeckte Armut informierten. Neben einer allgemeinen Information zum Thema, konnten konkrete Fragen zu staatlichen Hilfeleistungen geklärt werden. Mit der Hotline und dem Beratertag haben die Wohlfahrtsverbände Menschen erreicht, die in verdeckter Armut leben oder davon bedroht sind. Das Kampagnenthema konnte durch die beiden Aktionen und die begleitende Öffentlichkeitsarbeit wieder in das öffentliche Bewußtsein gebracht werden. Und gleichzeitig konnte öffentlichkeitswirksam dargestellt werden, wie professionell die zahlreichen Beratungsangebote der Freien Wohlfahrtspflege in Hamburg arbeiten. In einer Abschlußveranstaltung formulierten die beteiligten BeraterInnen gemeinsam drei Schlußfolgerungen:
• Sicherung einer unabhängigen Beratung Die unabhängige Beratung von Hilfesuchenden ist in Hamburg aufgrund finanzieller Einsparungen gefährdet. Personalstellen müssen abgebaut und Beratungsangebote verringert werden, obwohl der Beratungsbedarf ständig steigt.
• Erstellung eines neuen Armutsberichtes für Hamburg Der letzte Armutsbericht stammt aus dem Jahr 1997. Eine bereits vereinbarte Neuauflage wurde jedoch vor drei Jahren mit dem Hinweis auf andere Prioritäten abgelehnt. Die Armut kann jedoch nur wirksam bekämpft werden, wenn fundierte Untersuchungen zu Armutslagen in der Stadt vorliegen.
• Fortsetzung der Kampagne Es ist ein wichtiges Anliegen der Freien Wohlfahrtspflege, daß alle Personen ihre Ansprüche auf Sozialleistungen tatsächlich und bedarfsdeckend wahrnehmen können. Im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung wird festgestellt, daß es verdeckte Armut gibt: Auf drei Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG kamen im Berichtszeitraum 1,5 bis 2 weitere Berechtigte, die die Sozialleistung nicht in Anspruch nehmen. Ende 2003 erhielten 130.000 Menschen in Hamburg Sozialhilfe. Berücksichtigt man die Erkenntnisse des bundesdeutschen Armutsberichtes, leben mehr als 200.000 Menschen in Hamburg in Armut.
Kampagne 2005 1. Juni 2005: Die Kampagne 2005 startet mit einer Veranstaltung zum Armuts- und Reich-tumsbericht der Bundesregierung und der Frage nach einer entsprechenden Untersuchung für Hamburg.
8. Juni 2005: Die Beratungshotline ist in diesem Jahr von 9 bis 21 Uhr freigeschaltet. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800 – 4014 0000 geben fünf BeraterInnen Informationen zu Fragen der verdeckten Armut und nennen Adressen von Beratungsstellen.
15. Juni: Die Freie Wohlfahrtspflege ist an diesem Tag mit fünf Beratungsständen in den Hamburger Stadtteilen präsent, um auf der Straße Beratungen anzubieten.
Info: www.fehlt-ihnen-etwas.de Hamburger Beratungsstellen www.fehlt-ihnen-etwas.de/hamburg/adressen.html Kontakt: Michael Edele
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der
Freien Wohlfahrtspflege
Grevenweg 89 | 20537 Hamburg
Tel.: (040) 23 15 86