Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2006, Rubrik Titelthema

Herausforderungen einer Gesellschaft im Wandel

von Wu Jianrong, Generalsekretär des YMCA Shanghai; aus dem Chinesischen von Monika Gänßbauer

Shanghai verändert sich heute von einem Tag zum anderen. Die Stadt erfährt in ihrem Erscheinungsbild und ihrer Gesellschaftsstruktur drastische Umwälzungen.

1. Veränderungen in der Industrialisierungsstruktur

Die traditionellen Industrien Shanghais, wie Textil- und Maschinenbauindustrie, sind so gut wie verschwunden. Dafür bilden sich allmählich eine moderne verarbeitende Industrie, eine Finanz-, Handels und Hafenindustrie heraus. Dieser Wandel hat viele neue Probleme mit sich gebracht:
Im Prozess der Neuanpassung der städtischen Industriestruktur sind eine Menge Menschen, die in traditionellen Industrien wie der Textil-, Meßinstrumente-, sowie der Eisen- und Stahlindustrie beschäftigt waren, arbeitslos geworden, und Projekte der Regierung, die zur Wiederbeschäftigung führen sollen, können die Bedürfnisse der Menschen nicht umfassend befriedigen.
Menschen, die lange Zeit in einem planwirtschaftlichen System gelebt haben, gelingt es nicht, sich an die Veränderungen anzupassen, die die Marktwirtschaft mit sich gebracht hat.
Es hat sich in Shanghai eine neue städtische Armut entwickelt.

2. Bevölkerungswandel aufgrund der rasanten städtischen Entwicklung
In den letzten 10 Jahren sind in Shanghai viele Gebäude neu hochgezogen worden. Im Zuge dieses Wandels sind viele Leute vom Land nach Shanghai gekommen. Shanghai begegnet diesen Menschen, die einen entscheidenden Anteil zur Entwicklung Shanghais geleistet haben, mit gemischten Gefühlen. Einerseits haben sie die Entwicklung Shanghais mit ermöglicht. Andererseits haben sich durch ihre Anwesenheit neue Probleme ergeben, die die Entwicklung der Stadt beeinträchtigen.
Da sind z.B. Fragen der Ausbildung von Kindern der Arbeitsmigranten. Diese Kinder können zwar inzwischen Schulen besuchen, aber die Ausbildungssituation an Schulen für Migrantenkinder ist nicht gut.
Es gibt auch neue städtische Probleme der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Die Arbeitsmigranten kommen oft mit Illusionen nach Shanghai. Sie hoffen, dass sie hier viel Geld verdienen können und ihrem Clan und ihren Vorfahren Ehre machen. Aber ihre Arbeit hier wird schlecht bezahlt und sie stehen unter großem Druck. Das führt zu Konflikten zwischen »Illusionen« und der Realität und dazu, dass sie manchmal nicht mehr Herr über ihr Verhalten sind.

3. »Die Rolle der Regierung soll sich verringern, die der Gesellschaft sich vergrößern«
Dieser Slogan hat dazu geführt, dass gesellschaftliche Organisationen entstanden sind, aber dass die Gesellschaft über sie nicht gut Bescheid weiß und distanziert ist. Zwischen der Gesellschaft und den politischen gemeinwohlorientierten Maßnahmen klafft eine Lücke. Das bringt Fragen für nicht profitorientierte Organisationen (NPO) mit sich. Es ist grundsätzlich noch immer die Regierung, die gesellschaftliche Dienste und Stadtteilarbeit anleitet. Nicht profitorientierte Organisationen haben nur unzureichenden Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen.
Das ist eine Herausforderung für die Einstellungen und die Fähigkeiten professioneller Sozialarbeiter.

Unsere Antwort
1. Wir wollen der Gesellschaft mit einem aktiven Verhalten begegnen. Unser Hauptaugenmerk liegt nach wie vor auf den schwächsten Gruppen der Gesellschaft.
2. Motiv unseres Handelns ist die Liebe Gottes und wir möchten Impulse geben für gesellschaftliche Werthaltungen.
3. Es geht uns darum, Traditionen fortzusetzen, neue Wege zu finden und kreativ nach neuen Entwicklungsmöglichkeiten zu suchen.
4. Wir wollen zu breiten Kooperationen kommen und noch stärker aktiv werden im Bereich des Umweltschutzes und der öffentlichen Wohlfahrt.
Der gesellschaftliche Wandel bedeutet für uns nicht nur erfreuliche Entwicklungen. Wichtiger ist es für uns, neue Probleme zu identifizieren. Im Umgang mit ihnen verstärkt sich unser Gefühl einer Mission. Diese Mission besteht darin, Verantwortung für unsere Gesellschaft zu tragen.