Von Christian Kahlstorff, Hamburg
Wer allumfassenden Pflanzenschutz erwartet, wird zunächst geschockt: »Diese Fläche nutzen wir im Sommer zum Zelten. Dort wächst der Japanische Riesenknöterich«, erläutert Ines Möller bei einem Rundgang um das Seminarhaus der Waldjugend Hamburg, »aber die Pflanzen werden wir alle rausreißen! Und die Amerikanische Traubenkirsche reißen wir auch raus, wo wir sie finden.« Ines ist die Erste Vorsitzende der Waldjugend Hamburg. Schließlich mildert sie den Schrecken mit Bildung: Gastfreundschaft ist unter Pflanzen leider keine Tugend. Durch exotische Gartenpflanzen wird das ökologische Gleichgewicht unserer Umwelt eher bedroht als bereichert. Neophyten heißt das im Fachjargon. Umwelt- und damit Pflanzenschutz ist selbstredend ein großes Thema für die Waldjugend Hamburg. Doch vor dem Schutz steht das Verständnis.
Im dem Seminarhaus »bene partus« der Waldjugend in Hamburg-Harburg ist dies die erste Lektion. Das alte Haus in den Harburger Bergen liegt direkt am Rande eines Naturschutzgebiets. Alleine der Weg dorthin ist schon eine Erfahrung und ein Lehrpfad: Weit weg vom Stadtzentrum mit seinem Lärm und den Abgasen liegt das Haus zwischen Bäumen auf etwas, das nur Hamburger ernsthaft einen Berg nennen. Vom S-Bahnhof Neuwiedenthal fährt ein Bus einmal in der Stunde zu einer Haltstelle im Wald. Von dort geht es eine holprige Straße hügelaufwärts. Der Name der Straße »Beim Bergwerk« kommt nicht von ungefähr; sie hat ihn von einem alten Kohlebergwerk auf der anderen Seite des Hügels. Über Stock und Stein kommt man endlich zu einer kleinen Siedlung auf der Kuppe und gelangt zum »bene partus«. Der Name ist eine Schöpfung aus der Zeit der Deutschen Waldjugend. »Malepartus« bezeichnet in der Tierfabelwelt den Fuchsbau bzw. seinen Aus- und Eingang. Bene steht im Lateinischen für gut. Der »gute Fuchsbau« der Waldjugend hat eine lange Geschichte. Reiche Hamburger erbauten das Haus 1904, das damals noch nicht mitten im Wald lag. »Ursprünglich konnte man von hier bis nach Hamburg hineingucken,« erklärt Ines. Inzwischen hat der Wald sich das Gebiet zurückgeholt, sehr im Sinne der Waldjugend, die das Haus Ender der 1980er Jahre übernahm. Wer Ausblick will, steigt einige hundert Meter entfernt im Hotel Hamburg-Blick ab. Auch das »bene partus« diente lange Zeit der Erholung, was heute noch spürbar ist.
Es ist in der Tat das Erste, was auffällt, sobald man vor dem Haus steht: Es fällt nichts auf. Denn: Es ist ruhig. Kein Autolärm, keine Abgase, keine Menschen – für Stadtkinder beinahe spektakulär. Das Zweite ist der Geruch. Es riecht intensiv nach Wald. Das nahe Naturschutzgebiet drängt erst langsam und sanft in die Sinne des Stadtmenschen ein – und bringt ihm das Anliegen der Waldjugend zu Bewusstsein: »Die Kinder müssen überhaupt erst einmal wieder den Wald und die Natur erleben lernen. Manche von ihnen sind zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt im Wald«, sekundiert Ines den Eindrücken. Die Erste Vorsitzende des Vereins sieht im Vermitteln von Wissen und einem Gefühl für die Natur eine der Hauptaufgaben der Waldjugend. Das mag zunächst wenig erscheinen; doch beim Rundgang über das Gelände korrigiert sich der Eindruck: Es ist nicht wenig, es ist elementar.
Entschleunigte Jugend. Auf dem Gelände gibt es Natur pur, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Nur eine Totholzhecke grenzt das Gelände vom Wald ab. Ein Abenteuerspielplatz für Jugendliche – sobald diese von der hektischen Zivilisation entwöhnt sind. »Meist müssen wir die Kinder erstmal entschleunigen«, erläutert Ines ein Problem vor Ort. Im »bene partus« gibt es weder Fernseher noch Radio. Videospiele sind tabu, zu viel Zucker durch Schokoriegel übrigens ebenfalls. Das mutet sehr umfassend an; für Ines ist es nur konsequent. Naturschutz geht eben nicht, ohne auf Fragen der Ernährung und des Lebensstils zu achten. Zu entdecken gibt es auf dem Gelände und im nahen Wald genug: Davon zeugen nicht nur die selbstgebauten Vogelbrutkästen und die Tierschädel im Gruppenraum der so genannten Bibergruppe. Die trifft sich einmal wöchentlich im Haus und besteht aus Kindern aus der Gegend. Neben Eigenbauten wie den Brutkästen lernen sie vom Teamleiter Wissenswertes über die Natur und die Tiere im Wald. Viele Aktivitäten der Waldjugend finden auch im Vereinshaus in Niendorf statt, das sich der Verein mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald teilt. Dort treffen sich etwa 30 Kinder in mehreren Gruppen jeden Freitag von 16 bis 18 Uhr. Im nahe liegenden Niendorfer Gehege bringen ihnen die Gruppenleiter den Umgang mit der Natur bei. Die Nistkästen sind nur eine Gelegenheit, der Natur zu helfen. Gräben müssen gereinigt, fremde Pflanzen vertrieben oder gar Bäume gefällt werden.
Doch wie wendet man das Interesse der Jugendlichen von Videospielen wieder auf die Natur? Ines kennt die Tricks: »Ein Lagerfeuer geht immer.« Reale Erfahrungen sind eben die intensivsten. Ines Möller (31) ist seit 22 Jahren aktiv im Verein. Dabei ist die Waldjugend Hamburg selbst erst 23 Jahre alt. Sie untersteht nicht der Deutschen Waldjugend. Warum diese strikte Trennung? Jan Borcherding (31) hebt die Unterschiede hervor: »Die Deutsche Waldjugend hat einen deutlich traditionelleren Ansatz als wir. Es geht ihnen um Lagertechnik, Jagd- und Försterwissen.« Die Waldjugend Hamburg will hingegen alltagstauglichen Umweltschutz lehren. »Natürlich ist auch bei uns der Kontakt zum Förster sehr wichtig«, betont Jan. Doch geht es eben um Bewusstseinsfragen. Keinen Müll im Wald zu lassen, die Waldtiere möglichst nicht zu stören und den Wald als Lebensraum der Tiere zu begreifen, nennt Ines die »Basics« und ergänzt: »Im Wald ist der Mensch nur zu Gast.«
Wie es sich für einen Jugendverband gehört, sind Persönlichkeitsbildung und das Lernen von Verantwortungsgefühl auch bei der Waldjugend wichtige Ziele für die Heranwachsenden. Bei der Planung von Wochenenden und Seminaren werden alle mit einbezogen. Die Essenseinkäufe werden besprochen und koordiniert (Bio bevorzugt!), die Kinder reisen in Fahrgemeinschaften an und reduzieren so Autoabgase. Kleine Schritte, aber jeder davon zählt. Ebenso wichtig ist das Wir-Gefühl der Gruppe; und das wird auf Wochenend-Seminaren im Haus »bene partus« durch gemeinsame Projekte gestärkt. Zu tun gibt es immer etwas. Im Gebäude ist praktisch alles von Vereinsmitgliedern zusammen gebaut oder gestiftet worden. Erst seit 2007 gibt es eine Zentralheizung; vorher mussten die Räume mit vier Specksteinöfen erwärmt werden.
Das letzte Projekt springt dem Betrachter schon bei der Ankunft ins Auge: Mitglieder und Eltern haben die komplette Fassade neu gestrichen. »Sand-Farbe«, betont Ines, um jegliche Rosa-Assoziation schnell zu zerstreuen. Vereinzelte Farbkleckse auf dem Boden zeugen noch vom eifrigen Arbeitseinsatz der Jugendlichen. Zudem wurde der Küchen- und Sanitärbereich umgestaltet. Dort ist man allerdings noch nicht fertig, der Umbau geht weiter. »Wichtig ist, dass nach dem Wochenende ein Ergebnis sichtbar ist«, formuliert Jan die Motivationshilfen für jedes Projekt. So sehen Kinder und Jugendliche, dass sie etwas erreichen können. Und der Einsatz lohnt sich: Immer wieder erzählen Eltern von ihren Kindern, die verantwortungsbewusster werden und mit ihrer Umwelt anders umgehen. Die nächsten Projekte stehen schon an, die Liste der Verbesserungen ist lang: Während der Sanitärbereich weiter umgestaltet wird, muss im oberen Stockwerk, wo die Schlafräume für Jugendliche und Betreuer sind, dringend eine Isolierung angebracht werden. Zur Sicherheit gibt es in dem alten Haus eine zusätzliche Feuertreppe, die aus dem ersten Stock direkt nach draußen führt – unangemeldete Übungen inklusive. Auch die Veranda, die auf den bewaldeten Hang blickt, bedarf einer gründlichen Sanierung. Dennoch ist das Haus keine Baustelle: Zwei Gruppen- und Aufenthaltsräume bieten reichlich Platz, um sich zu versammeln, besprechen oder zu spielen.
Menschliche und tierische Gäste. Für Freizeiten, Treffen und den Ausbau durch die eigene Jugend sind im Haus längst nicht alle Wochenenden reserviert. An zwei bis drei Wochenenden in jedem Monat wird das Haus an fremde Gruppen vermietet. So wird – neben den Spendeneinnahmen oder Geld von Fördermitgliedern – dafür gesorgt, dass der Umbau auch finanziert werden kann. Durch die zwei Gruppenräume und die Schlafmöglichkeiten bietet das »bene partus«-Haus Platz für sehr unterschiedliche Gruppen – von befreundeten Pfadfinderverbänden, die das Haus zur Vorbereitung ihrer Touren nutzen, bis hin zu privaten Familienfeiern. Gerade die wissen das Gelände zu schätzen, weiß Jan zu berichten: »Um Kinder muss man sich hier keine Sorgen machen. Die kommen nach einer Stunde von draußen rein – zwar völlig verdreckt, aber überglücklich.«
Im Winter sind die Möglichkeiten der Aktivitäten übrigens kaum geringer. Zwar liegt die Feuerstelle schon fast im Winterschlaf und das Holzrund des ehemaligen »grünen Klassenzimmers« wartet auf einen grundlegenden Neu-, Auf- oder Umbau, doch der nahe Wald bietet reichlich Interessantes, nicht zuletzt fremde Besucher. Rehe und Füchse sind regelmäßige Gäste am Haus. Noch willkommener ist freilich eine Gruppe Tiere, die Stadtmenschen wohl zweifellos erst einmal einen kräftigen Schrecken einjagen würde: Wildschweine! Für Ines Möller sind diese Tiere jedoch tatkräftige Helfer. Sie graben nämlich die Erde um auf der Suche nach Wurzeln und Knollen, besonders nach denen des Japanischen Riesenknöterichs. Eine umweltfreundlichere Schädlingsbekämpfung ist wohl kaum denkbar. Wenn Tier und Mensch überall derart harmonisch zusammenarbeiten und -leben würden, wäre schon viel für den Wald getan. Bis dahin hilft nur Basisarbeit – wie die der Waldjugend Hamburg.
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Info:
Waldjugend Hamburg e.V.
Lokstedter Holt 46 | 22453 Hamburg | T.: (040) 53 05 56 22 | Fax: (040) 55 40 36 82 | www.waldjugendhamburg.de | info [at] waldjugendhamburg.de
Haus bene partus
Wulmstal 8 | 21149 Hamburg | Buchung über www.benepartus.de
[Update]
Inzwischen existieren zwei Waldjugenden in Hamburg; die 2010 gegründete Deutsche Waldjugend Landesverband Hamburg e.V. hat ihre Wurzeln in der im Artikel beschriebenen Waldjugend Hamburg. Die Kontaktdaten:
Deutsche Waldjugend Landesverband Hamburg e.V. | Postfach 610407 | 22424 Hamburg | Tel. (040) 18 19 15 31 | Fax: (040) 18 19 15 33 | info@ | deutsche-waldjugend-hh.dewww.hamburg.waldjugend.de