Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2009, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Auf Begegnungskurs!

Ein deutsch-russischer Jugendaustausch zur See

Von Felix Klein, Ex-Zivildienstleistender des Landesjugendringes Hamburg

Der Wind pfeift, die Sonne scheint, um uns herum die offene See. Herrlichste Segelbedienungen! Über das Deck ertönt ein mehrstimmiger Gesang. Der russische Teil unserer Besatzung hat sich an Deck versammelt, um das Hissen ihrer Fahne mit dem Singen der Nationalhymne zu begleiten. Dieses Ritual ist durchaus sehr ernst gemeint und scheint wichtig für die Teilnehmer zu sein. Bei mir hinterlässt dieses Schauspiel eher Erstaunen über soviel Nationalstolz.

Wir sind zwei Wochen gemeinsam unterwegs. Wir, das heißt 28 Jugendliche im Alter von 16 bis 26 Jahren – zur Hälfte aus Hamburg und zur anderen Hälfte aus Kaliningrad. Organisiert wird der Törn von der Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz im Rahmen der Städtefreundschaft zwischen Hamburg und Kaliningrad. Ausgangspunkt für diesen deutsch-russischen Jugendaustausch ist Hamburg, wo wir gemeinsam an Bord des Traditionsseglers »Ryvar« gehen. Unsere Route führt uns über die Elbe, dann durch den Nord-Ostseekanal und schließlich über die Ostsee zu unserem Zielhafen Kaliningrad in Russland.

Segeln ist Teamwork. Das Erreichen dieses Zielhafens verlangt von jedem Teilnehmer einen konstruktiven Beitrag zum Zusammenleben an Bord. Da man sich beim Segeln besonders auf seine »Mitreisenden« verlassen muss, ist schnell Teamwork gefragt. Die Zusammenarbeit gestaltet sich anfangs jedoch manchmal schwierig: Dies liegt vor allem an den Sprachbarrieren. Englisch, die verabredete Austauschsprache an Bord, wird nicht von allen russischen Teilnehmern gesprochen. Dies überrascht mich, denn die Teilnehmer – zum größten Teil Anfang 20 – haben ein Studium an einer Hochschule begonnen. Für einige der russischen Mitreisenden ist dieser Austausch zudem eine Premiere. Sie haben weder Erfahrungen mit Auslandsaufenthalten noch mit internationalen Jugendaustauschen. Hintergrund dafür ist, dass in Russland für Jugendaustauschprojekte zu wenig Mittel vorhanden sind. Die deutschen Teilnehmer betreten mit diesem Pilotprojekt »Jugendaustausch zur See« zwar auch Neuland, aber viele bringen bereits Erfahrungen aus anderen interkulturellen Austauschen mit.

Die Durchmischung der beiden Gruppen kommt anfangs durch die Sprachprobleme folglich nur schwer zustande. Daraus resultieren auch einige Missverständnisse. An manchen Stellen ist die Auffassung von Humor eine andere. Allerdings gibt es von beiden Seiten engagierte Bemühungen, die sprachlichen Hindernisse zu überwinden. Vieles geht zunächst mit Händen und Füßen. Je mehr Vertrauen aber untereinander erworben wird, desto mehr steigt die Bereitschaft, das etwas angestaubte Schulenglisch zu verwenden.

Insbesondere aber schweißt das gemeinsame Segeln zusammen. Jede nautische Aktion bedeutet hier Teamwork und »interkulturelle« Begegnung zugleich. Allein ein Segel richtig zu setzen – für trainierte Matrosen ein Leichtes, ist für unsere Gruppe deutsch-russischer Landratten zunächst ein technisches Lehrstück und bringt damit die Kontakte zwischen den Gruppen in Gang. Ebenso wirken die beengten Platzverhältnisse an Bord untereinander »aneckend«. Die Unterbringung in kleinsten Sechser-Kabinen erfordert aber auch eine hohe Kompromissbereitschaft unter allen Teilnehmern.

Zusammengerauft. Einmal vom Essen abgesehen, bei dem es immer wieder kleine Streitigkeiten bei der Planung und beim Kochen gibt, verläuft das Bordleben eigentlich sehr harmonisch. Ich lerne die jungen Russen als sehr herzliche, aufrichtige und hilfsbereite Menschen kennen. Fraglos könnten sie in manchen Punkten etwas mehr Kompromissbereitschaft zeigen. Aber ich denke, alle diese recht unterschiedlichen Erkenntnisse gehören beim Kennenlernen einfach dazu. Und damit ist für mich das wichtigste Ziel dieses Projektes noch vor dem Einlaufen in den Kaliningrader Hafen erreicht: ich habe die russischen Teilnehmer – beim Schuften wie beim Feiern an Deck – wirklich kennen gelernt. Für mich sind junge Menschen aus Russland nun nicht mehr die großen Unbekannten eines sehr fremden Landes – und ich hoffe, es geht den russischen Teilnehmern andersherum genauso. Dieser Faktor ist eine gute Grundlage für die Verständigung zwischen Russen und Deutschen. Es ist schön zu sehen, das 28 Jugendliche aus diesen beiden Ländern, die keine leichte gemeinsame Geschichte haben, so unvoreingenommen ein Projekt wie diesen Segeltörn zusammen gestalten können.

Abwechslung. Ein zweiwöchiger Segeltörn bietet eine Menge Platz für eindrucksvolle Momente: Ob nun kollektive Seekrankheit bei schwerer See, langes Sonnenbaden an Deck oder der grenzenlose Sternenhimmel über unserem Ankerplatz auf offener See – alles Erlebnisse, die mir mehr oder weniger gut im Gedächtnis bleiben werden. Besonders spannend verlaufen auch die Zwischenstopps auf unserer Reise, die uns entlang der Ostseeküste von Deutschland über Polen nach Russland führt. Jeden Morgen in einem anderen Hafen aufzuwachen, anderen Menschen zu begegnen und neue Eindrücke bei unseren kurzen Trips durch die Hafenstädte zu sammeln, ist für mich eine aufregende Abwechslung zum engen Leben an Bord. Einzig die knappe Zeit und das jeweils überladene Programm mit offiziellen Pflichtterminen bei den Landgängen lassen mir zu wenig Spielraum für individuelle Erkundungen.

Fazit. Ein Jugendaustausch zur See ist eigensinnig. Die Naturgewalten – Wind und Seegang – bestimmen das Fortkommen, der bald hundert Jahre alte Segellogger »Ryvar« verlangt immer wieder volle Aufmerksamkeit. So prägte das gemeinsame Segeln unsere deutsch-russische Begegnung: Der Weg, den wir an Bord als Gruppe gemeinsam genommen haben, um unseren Zielhafen Kaliningrad zu erreichen, war das eigentliche Ziel. Wir haben an Bord Grenzen, Sprachbarrieren und Fremdheit überwunden – und sind segelnd auf Begegnungskurs gelangt.