Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2010, Rubrik Kommentar

Wachsende Einsicht?

Es ist soweit. Die Unterlagen zur Teilnahme am Volksentscheid über die Schulreform sind verschickt, und eine äußerst lebhafte Diskussion der jeweiligen Vor- und Nachteile biegt auf die Zielgerade ein. Auch innerhalb der Hamburger Jugendverbände wird die Schulreform intensiv debattiert. So erkennt die Katholische Jugend Chancen für mehr Bildungsgerechtigkeit im Reformprojekt, kritisiert aber deren politisch bedingte Formelkompromisse. Deutlich auf der Befürworterseite engagiert sich die DGB-Jugend im Aktionsbündnis »Ja zu besseren Schulen« – unter anderem mit der SchülerInnenkammer Hamburg. Auch das Landesjugendwerk der AWO unterstützt die Aktionen dieses Bündnisses. Und die Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände votiert mit ihrem Aufruf »Ja zur Primarschule« für den Vorschlag der Hamburgischen Bürgerschaft zur Schulreform.

Die Debatte über die Schulreform erreicht eine breite Öffentlichkeit. Wie schon bei den vorangegangenen Volksentscheiden – stellvertretend seien hier nur »(Kein) IKEA in Altona« und »Keine Privatisierung des Landesbetriebes der Krankenhäuser« genannt – ist das Engagement vieler Bürger und junger Menschen in unserer Stadt groß. Dies zeigt, dass ein weiter Teil der Hamburger Bevölkerung durchaus ein lebhaftes Interesse hat, sich den politischen Fragen, die ihr Lebensumfeld betreffen, zu stellen und diese kritisch zu reflektieren.

Verdrossen? Es existiert somit nicht – wie häufig in der Presse zu lesen – eine Politikverdrossenheit sondern eher eine Politikerverdrossenheit in der Bevölkerung. Dies belegt auch eine repräsentative Umfrage der Kommunikationsagentur Faktenkontor und des Marktforschers Toluna, laut jener der Politiker auf der Liste der unbeliebten Berufe auf dem zweiten Platz gelandet ist und nur vom Beruf des Versicherungsvertreters überflügelt wird. Es ist kein gutes Zeichen für eine Demokratie, wenn der Souverän seinen Vertretern so wenig Vertrauen entgegenbringt.

Denn Demokratie ist in unserem Land keine Selbstverständlichkeit, sondern muss Tag für Tag erarbeitet werden. Und zwar von allen Beteiligten. Es ist nicht damit getan, alle vier Jahre wählen zu gehen. Demokratie lebt davon, dass Menschen sich engagieren, sich einmischen und dass ihre Einflüsse von den Mandatsträgern als Beitrag in einer transparenten Entscheidungsfindung zur Kenntnis genommen werden.

Gerade jetzt, wo sinkende Steuereinnahmen die öffentlichen Haushalte belasten und über Ausgabenkürzungen nachgedacht wird, ist es unabdingbar, dass eine Debatte geführt wird, wie wir hier in Hamburg miteinander zusammenleben wollen und welche Dinge uns wichtig sind.

Hier hat der Senat mit dem »Leitbild Hamburg: Wachsen mit Weitsicht« und seinen fünf Leitprojekten einen ersten Aufschlag geliefert und Hamburgs Bürger zum Meinungsaustausch aufgerufen. Der Landesjugendring wird sich stellvertretend für die von ihm vertretenen Kinder und Jugendlichen in die Debatte einmischen und sich dafür stark machen, dass bei der Entwicklung unserer Stadt die Perspektiven verbandlicher Jugendarbeit Gehör finden.

Wachsende Einsicht? Ein Leitbild wird nur dann lebendig und von den Bürgern unserer Stadt gelebt werden, wenn es sich als Ergebnis eines diskursiven Prozesses ausformt. Hier schließt sich der Kreis: Die benannten Volksbegehren sind ein Ausdruck dafür, Politik von unten (mit-) gestalten zu wollen. Den Trend zur »Politikerverdrossenheit« umzukehren, würde gelingen, wenn die Ergebnisse eines Meinungsaustausches zwischen Bürgern und Politik von Nachhaltigkeit bestimmt sind. »Wachsen mit Weitsicht« wäre also zu paaren mit der Einsicht, die Teilhabe der Bürger am politischen Prozess weiterzuentwickeln.

Sebastian Züge, LJR-Vorsitzender | mail an Sebastian