Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2010, Rubrik Extras

5 mal 6 Fragen zur Bürgerschaftswahl

Jugendpolitische Wahlprüfsteine

Wen am 20. Februar in die Hamburgische Bürgerschaft wählen? Welche Programmatik, welche Partei? Jugendpolitik wird im Wahlkampf der Parteien nur eine untergeordnete Rolle spielen. punktum hat daher sechs Fragen an die vier jugendpolitischen Sprecher der aktuellen Bürgerschaftsfraktionen und einen Vertreter aus den Reihen der Hamburger Jugendverbände, der auf der SPD-Landesliste kandidiert, gerichtet.

1) Was wurde gut für junge Menschen in den letzten Jahren schwarz-grüner Politik?

Christiane Blömeke:

Unter der grünen Schulsenatorin Christa Goetsch ist es uns gelungen, einen großen Schritt in Richtung mehr Bildungsgerechtigkeit zu gehen, die allen Jugendlichen – insbesondere aber denen, die aus bildungsfernen Eltern­häusern kommen – zugute kommt. Der Zusam­menhang zwischen Bildungsgrad und sozialer Herkunft war und ist besorgniserregend. Zu viele Jugendliche schaffen keinen Schulab­schluss, obwohl Bildung der Schlüssel für die gesellschaftliche Teilhabe ist. Unter schwarz-grün ist es gelungen, die Hauptschule als »Rest­­­schule« abzuschaffen und stattdessen die neue Stadtteilschule als attraktives Angebot für alle – auch bis zum Abitur – einzurichten. Die Klas­sen sind kleiner geworden, und es wurden mehr Lehrer/innen eingestellt. So hat jeder Jugend­liche, jedes Kind die Chance persönlich besser gefördert zu werden.

Außerdem haben wir im Schulgesetz verankert, dass auch Kinder und Jugendliche mit Behin­derung ein Recht haben, gemeinsam mit allen zu lernen. Jedes Kind und jeder Jugendliche gehört dazu. Es gibt keine Ausgrenzung behinderter Kinder und Jugendlicher mehr in der Schule. Und im Freizeitbereich der Jugend­lichen haben wir als Grüne dafür gesorgt, dass in Steilshoop eine Mehrzweckhalle zum Skaten, Klettern und vielem mehr gebaut wird. Außer­dem haben wir die Straßensozialarbeit aufgestockt, die aus unserer Sicht sehr wichtig ist, um niedrigschwellig in der Szene eventuelle Konflikte direkt vor Ort zu lösen. Für die Jugendlichen sind die Straßensozialarbeiter oft vertrauensvolle Ansprechpartner.

Stephan Müller:

Hamburg ist gerade für junge Menschen eine attraktive Stadt. Das belegen verschiedenste Umfragen.

In den letzten Jahren haben wir für die junge Generation Einiges bewegt. Beispielsweise haben wir die von der CDU entwickelte neue Schulstruktur mit Stadtteilschulen und Gymna­sien umgesetzt. Jetzt führen zwei Wege zum Abitur. Gemeinsam mit den Kammern und Verbänden haben wir dafür gesorgt, dass es in Hamburg mehr Ausbildungsplätze als Auszu­bil­dende gibt. Unsere Bildungsinitiative umfasst die Berufs- und Studienorientierung sowie die Vernetzung von Wirtschaft und Schulen. Wir haben neue Sporthallen gebaut und zahlreiche Sportanlagen saniert. So ist uns die Rettung und Sanierung aller acht Lehrschwimmbecken gelungen. Wir haben das Programm »Kids in die Klubs«, welches den Vereinseintritt von Kindern und Jugendlichen in die Sportvereine fördert, finanziell aufgestockt. Wir haben ein umfassendes Handlungskonzept gegen Jugendgewalt beschlossen, umgesetzt und weiterentwickelt. Auch haben wir die Hilfen zur Erziehung ausgebaut, intensiviert, weiterentwickelt und teilweise umgestaltet.

Olaf Schwede:

Es sind viele gute Ideen angeschoben worden. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Schulpolitik. An der Auseinandersetzung um den Volksentscheid haben sich insbesondere auch viele junge Menschen beteiligt. Als junger Gewerkschafter denke ich natürlich auch an die erhöhte Durchlässigkeit von der Ausbildung in das Studium und die Einführung der Mit­bestimmung von betrieblichen Jugendvertre­tungen an Berufsschulen. Aber auch die Rechte der Schülervertretungen an allgemeinbildenden Schulen wurden gestärkt.

Und ich gebe es zu: Ich bin ein Fan der roten Stadträder.

Carola Veit:

Ich hoffe, dass sich für viele junge Menschen vieles gut entwickelt hat in den letzten Jahren – aber sicher nicht aufgrund schwarz-grüner Politik. Gut ist, dass es jetzt kleinere Klassen gibt und das Büchergeld wieder abgeschafft wurde. Diese von der SPD durchgesetzten Ver­besserungen gelten trotz des Scheiterns der Schulreform.

Mehmet Yildiz:

Leider gibt es nicht viel Positives, was schwarz-grüne Jugendpolitik angeht. Der Senat hat nicht gerade viel zur Verbesserung der Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen beigetragen. Auch unter Schwarz-Grün ging die soziale Spaltung auch auf Kosten der Kinder und Jugendliche weiter.

2) Und was lief schlecht?

Christiane Blömeke:

In Zeiten knapper Finanzmittel ist es nicht gelungen das Angebot für Jugendliche noch weiter auszubauen. Bei dem Einsparvolumen von rund 510 Mio. Euro ging und geht es eher darum, die bestehenden Angebote für Jugend­liche zu erhalten. Das wird uns auch in der Zukunft begleiten – egal, welche Parteien auch immer Hamburg regieren.

Stephan Müller:

Im Rahmen der Haushaltskonsolidierung hatte der Senat, auf Vorschlag der GAL, beschlossen, die mit dem Familienpass verbundene Ermäßi­gung auf HVV-Karten auslaufen zu lassen. Da der Familiepass im Zuge dieser Maßnahme einen Großteil seiner Attraktivität verloren hat, wurde er gestrichen.

Wir fordern nun die Einführung einer Hambur­ger Kinder- und Jugendkarte für alle Familien, auf der verschiedene Angebote zusammengeführt werden. Diese Karte soll auch die Leis­tungen des Bildungs- und Teilhabepakets für alle Empfänger von Leistungen nach dem SGB II/XII enthalten. Hamburg will dazu als Modell­region Vorreiter in Deutschland sein.

Olaf Schwede:

In ein paar Bereichen kann man dem Senat vorwerfen, die Probleme nicht gezielt angegangen zu sein. So hätte man bei allen schulpolitischen Diskussionen mehr Wert auf eine Stär­kung der neuen Stadtteilschule legen müssen. Auch dem durch die Wirtschaftskrise entstandenen Rückgang an Ausbildungsplätzen stand der Senat relativ hilflos gegenüber.

Insbesondere hat der Senat aber die soziale Lage junger Menschen nicht ausreichend in seiner Politik berücksichtigt. Dies wird beispielsweise bei der Erhöhung von Kita-Gebühren oder bei der Beibehaltung der Studiengebühren deut­lich. Ohne die Verhandlungen mit der SPD über die Schulreform wäre aber auch das Büchergeld an den Schulen nicht abgeschafft worden. Auch der stark rückläufige Wohnungs­bau trifft vor allem junge Menschen mit geringen Einkommen wie Studierende, Auszubilden­de und Berufsanfänger. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist insbesondere zu kritisieren, dass der Senat nicht auf eine ausgewogene Beteiligung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen geachtet hat. Noch zu oft standen die Arbeitnehmer vor der Tür. Das gilt auch für die Schülervertretungen der ­beruflichen Schulen. Diese haben nach wie vor nur sehr eingeschränkte Mitwirkungsrechte und -möglichkeiten.

Carola Veit:

Schlecht ist, dass die Studiengebühren in Hamburg beibehalten wurden. Der Zugang zu Bildung darf keine Frage des Geldbeutels oder der Herkunft sein. Das gilt übrigens vom Kin­der­garten bis zum Studium, und deshalb sind auch die noch höheren Kita-Gebühren,

die Schwarz-Grün eingeführt haben, falsch. Schlecht ist zum Beispiel auch, dass Schwarz-Grün beschlossen hat, dass Kinder künftig nicht mehr bis 14 Jahre, sondern nur noch bis 12 in den Hort dürfen. Schlecht ist außerdem, dass zahlreiche Versprechungen aus dem schwarz-grünen Koalitionsvertrag nicht eingehalten wurden – zum Beispiel die Stärkung von Jugendpartizipation.

Schließlich ist auch die miese Haushaltslage der Stadt zu nennen, die auch durch unmäßiges Geldausgeben (z. B. für Wasserköpfe in der Ver­waltung und Großprojekte wie die U 4 oder die Elbphilharmonie) zustande gekommen ist. Schuldenmachen auf Kosten künftiger Genera­tionen ist schlecht – ganz besonders, wenn es ihnen nicht direkt zugutekommt, zum Beispiel für eine bessere Ausbildung.

Mehmet Yildiz:

Der Bereich der Kinder- und Jugendpolitik litt und leidet weiterhin unter dem harten Spardiktat des schwarz-grünen Senates. Vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschafts­krise wurde insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung gekürzt, die Kita-Gebühren und Essensgeldpauschalen wurden massiv er­höht, auch in der offenen Kinder- und Jugend­arbeit sowie in den Elternschulen wurden Mittel gestrichen. Der gescheiterte schwarz-grüne Senat hatte geplant, im Bereich der offenen Kinder- und Jugendarbeit weitere zwei Millio­nen Euro zu kürzen. Im Bereich der Hilfen zur Erziehung war der Senat bei der Haushalts­planung völlig orientierungslos und musste trotz besseren Wissens einen Nachtrags­haus­halt verabschieden, obwohl der erhöhte Bedarf absehbar war.

Die Folgen sind u.a., dass Mitarbeiter/innen der jugendspezifischen Einrichtungen erheblichen Belastungen ausgesetzt sind sowie Bücherhallen und Clubs früher geschlossen werden müssen. Man kann sagen, dass Kinder- und Jugendpolitik das Stiefkind des schwarz-grünen Senates war.

3) Die Partizipation junger Menschen soll in Hamburg vielfältig ausgebaut werden. Es gibt Ansätze auf bezirklicher Ebene. Auf der Landesebene hakt es. Welche Perspektiven gibt es nach der Wahl? Was sollte realisiert werden?

Christiane Blömeke:

Die Grünen in Hamburg unterstützen die Linie von Bündnis 90/ die Grünen im Bundestag. Wir wollen Kinder und Jugendliche früher und mehr beteiligen. Gute Kinder- und Jugendbeteiligung fördert Solidarität, Integration und Zugehörig­keit. Sie vermittelt jungen Menschen Bildung, Kompetenzen und Werte. Nach der Wahl setzen wir uns erneut dafür ein, dass das Wahlrecht für Jugendliche auf 16 Jahre gesenkt wird. In der Koalition mit der CDU ließ sich dieser Punkt nicht durchsetzen, da die CDU sich gegen eine Absenkung des Wahlalters ausgesprochen hat. Wir wollen die Jugendlichen aber auch stärker und verbindlicher an der Gestaltung und Erneuerung ihrer Wohnumfelder einbinden und daher die Jugendpartizipation in den Bezirken stärker und verbindlicher durchsetzen. Das Zeitalter der neuen Medien macht es erforderlich auch im Netz mehr Beteiligung einzurichten. Die sogenannte »E-Demokratie« soll dazu beitragen, dass Beteiligungsangebote in den neuen Medien gefördert werden. Wir wollen nach der Wahl auch hier in Hamburg zielführende Konzepte entwickeln, die das Potenzial der Medien in dieser Hinsicht stärken.

Stephan Müller:

Wer politisches Engagement will, muss frühzeitig Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche schaffen. Auf Bezirksebene ergeben sich naturgemäß bessere Beteiligungsmöglichkeiten. Aber auch auf Landesebene wollen wir die Parti­zi­pationsmöglichkeiten von Jugendlichen stärken und ihnen neben Projekten wie »Jugend im Parlament« weitere Chancen geben, ihre Ideen einzubringen. Dazu gehört auch die Förderung der Freiwilligendienste. Auf Landesebene unterstützen wir u.a. die Einführung eines Freiwilli­gen Sozialen Jahres »Politik«, welche die Partizipation Junger Menschen ebenfalls unterstützen kann (siehe auch Antwort auf Frage 4).

Olaf Schwede:

Ich wünsche mir einen strukturierten politischen Dialog mit den bezirklichen und den auf Landesebene organisierten Jugendverbänden als Interessenvertretung junger Menschen. Hier ist mehr Anerkennung als demokratisch legitimierte Interessenvertretung notwendig. Ins­ge­samt sollte weniger auf politische Planspiele und zufällige Beteiligungsformen gesetzt werden sondern mehr auf die von den Jugend­lichen demokratisch legitimierten Verbände und Organisationen. Hierzu zähle ich auch die Kreisschülerräte, die es überall in Hamburg als regionale Gremien gibt. Warum sollte man hier nicht über neue Formen von Mitwirkung nachdenken? Ich möchte hier nicht die Beteili­gungsformen gegeneinander ausspielen, sondern für ein mehr an strukturierter Beteiligung werben. Zwischen den unterschiedlichen Beteiligungsformen muss ein angemessenes Gleich­gewicht gefunden werden. Insbesondere sollte aber die fachliche Expertise von Jugendlichen in den für sie relevanten Themenbereichen genutzt werden. So wäre es beispielsweise doch denkbar, die Mitbestimmung der Auszubil­den­den in den beruflichen Schulen weiter zu stärken. Hier gibt es noch viel Nachholbedarf.  

Carola Veit:

Es reicht ja nicht, dass wir darüber reden, Jugend­räte und Jugendparlamente stärken zu wollen. Man kann nicht sagen, dass sich hier spürbar etwas getan hätte. Also müssen wir gemeinsam mit den Jugendverbänden überlegen, welche Schritte sinnvoll sind. Die SPD ist übrigens die einzige Partei, die in der letzten Legislaturperiode ein kommunales Wahlrecht ab 16 Jahren für Hamburgs Bezirke einführen wollte. CDU und GAL haben das abgelehnt.

Mehmet Yildiz:

Partizipation ist für uns die Grundlage einer solidarischen Gesellschaft. Wir als Partei DIE LINKE sehen, dass es in Hamburg erheblichen Nachholbedarf diesbezüglich gibt und ganze Gruppen von Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe vollkommen ausgeschlossen sind. Dies gilt es zu ändern, beispielsweise durch die Förderung und den Ausbau von Jugend­verbandsarbeit und Investitionen in stadtteilbezogene Projekte wie z.B. Häuser der Jugend, Sport- und Kulturvereine. Es kann nicht sein, dass Kindern und Jugendlichen keine Freizeit­möglichkeiten mehr zur Verfügung gestellt werden, weil die Betreuungsplätze gestrichen wurden oder das Geld für den Besuch eines Vereins fehlt. Wir wollen, dass jeder junge Mensch tatsächlich an den Aktivitäten teilnehmen kann, an denen er will, auch wenn das familiäre Umfeld nicht die finanziellen Mittel dafür aufbringen kann. Auch Jugendliche, die in Pro­blemsituationen geraten sind, müssen individuell und bedarfsgerecht betreut werden. Schwarz-grüne Politik ging hier in Richtung »billiger, schneller und oberflächlicher«. Und auch unter einem SPD-geführten Senat zeichnet sich ab, dass der Jugendpolitik keine Priorität eingeräumt werden wird.

4) Wehr- und Zivildienst sind ausgesetzt. Freiwilligendienste im sozialen und ökologischen Bereich (FSJ/FÖJ) werden verstärkt nachgefragt. In Hamburg übersteigt die Nachfrage junger Menschen das bisherige Angebot. Wie kann der Ausbau gefördert werden? Auch durch die Schaffung eines Freiwilligen Soziales Jahres »Politik« und »Jugendar­beit/Bildung«?

Christiane Blömeke:

Freiwilligendienste für Jugendliche sind aus grüner Sicht ein wichtiger Bestandteil für die persönliche Entwicklung der Jugendlichen. Sie sind eine besondere Form des bürgerlichen Engagements, tragen zum sozialen Lernen und zur Übernahme von gesellschaftlicher Verant­wortung bei. Daher ist es uns Grünen wichtig, die Freiwilligendienste weiter auszubauen. In der schwarz-grünen Regierung haben wir die Einrichtung eines Freiwilligen Sozialen Jahres Politik eingefordert, das jetzt auf Umsetzung geprüft wird. Doch auch die anderen, bereits sehr gut bewährten Freiwilligendienste, wie das ökologische, das soziale oder das europäische Jahr, wollen wir weiter fördern. In der Tat gibt es regelmäßig mehr Nachfragen von Jugend­lichen als Angebote. Unser Ziel ist es, das Angebot an die hohe Nachfrage anzupassen. Wichtig ist uns aber auch, dass wir mehr Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern oder mit Migrations­hin­ter­grund für die Frei­willigendienste begeistern können. Dreh- und Angelpunkt sind aber auch hier die nötigen Finanzen, sowohl von der Bundesebene als auch aus dem Landeshaushalt. In einer möglichen neuen Regierungs­ver­ant­wortung werden wir auf jeden Fall prüfen, wie eine Aufstockung der Landesmittel für den Ausbau der Frei­willigendienste in Hamburg erfolgen könnte.

Stephan Müller:

Wir setzen uns für den Ausbau des Frei­willi­gendienstes ein. Freiwilligendienste sind ein wesentliches Element, um den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken. Zudem ist deren Ausbau auch eine Option, um zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Um das Angebot zu steigern, möchten wir die Einsatzfelder im Freiwilligen Sozia­len Jahr weiter ausbauen. Wir wollen Freiwillige auch verstärkt im Bildungsbereich einsetzen. Dazu gehören beispielsweise die Mehrgenera­tionen­häuser und die Kinder­be­treu­ung, Schu­len, Selbst­hilfe­gruppen, Benachtei­lig­te sowie Felder im Bereich der Migration. Darüber hinaus unter­­stützen wir die Einführung des Frei­wil­ligen Sozia­len Jahres »Politik«, das als weiteres Format mit einer spezifischen Aus­rich­tung ohne Veränderung rechtlicher Rahmen­bedingungen ein­geführt werden kann. Hierzu müssen mit poli­tischen und gemeinnützigen Stiftungen finanzielle Fördermöglich­kei­ten ausgelotet werden, da die reguläre Förde­rung nur mit rund 10 Prozent vom Bund und 90 Prozent vom Träger erfolgt.

Olaf Schwede:

Wehrpflicht und Zivildienst sind ausgesetzt worden. Das haben viele Jugendverbände über Jahre hinweg gefordert. Dies ist erstmal ein Erfolg im Interesse junger Menschen und ermöglicht eine individuellere Zukunfts­pla­nung. Gleichzeitig gibt es aber den Wunsch vieler junger Menschen sich für ein Jahr gesellschaftlich zu engagieren und diese Zeit als Phase der Orientierung zu nutzen. Dem muss die Politik entgegenkommen und insbesondere auch Träger der Jugendhilfe bei der Bereit­stellung von Plätzen und den notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen unterstützen. Mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr »Politik« und »Jugendarbeit/Bildung« könnten Jugendver­bände je nach ihrem Profil eigene Plätze anbieten. Dafür benötigen sie aber Unterstützung sowohl finanzieller Art als auch durch einen gemeinsamen Träger. Hier kann der Landes­jugendring eine wichtige Rolle übernehmen.

Carola Veit:

Im Bereich »Jugendarbeit/Bildung« ist ein FSJ bei Erfüllung der Voraussetzungen durch die Träger bereits jetzt möglich – auch wenn es nicht so heißt. Diese Ausweitung gab es schon mit der SPD-geführten Bundesregierung. Ein FSJ »Politik« lehnen wir ab – auch wenn wir es ja selbst nutzen könnten. Parteien sollten andere Möglichkeiten nutzen, junge Leute zu gewinnen. Und: Das FSJ »Politik« würde ja nicht der beruflichen Orientierung dienen.

Als SPD-Fraktion in der Bürgerschaft haben wir einen Antrag gestellt zur Stärkung von FSJ und FÖJ inklusive Platzbörse und Internetportal. Dieser wurde von GAL und CDU abgelehnt.

Mehmet Yildiz:

Es ist begrüßenswert, wenn junge Menschen die Möglichkeit bekommen, aus einem vielfältigen Angebot von freiwilligen Engagements auszuwählen. Allerdings gehen wir da einen Schritt weiter: Das Freiwillige Soziale Jahr sollte jedem offen stehen und angemessen bezahlt werden. Das muss die Stadt natürlich mit mehr Geld­mitteln fördern und Konzepte dazu vorlegen, damit jeder Mensch einen Platz erhält. Was Wehr- und Zivildienst angeht, sind wir gegen jede Form von erzwungenen Arbeitsmaß­nah­men. In den letzten Jahren ging die Tendenz dahin, Wehrdienstersatzleistende als billige Hilfs­kraft in den ausgebluteten Sozialein­rich­tungen einzusetzen. Wir als DIE LINKE haben dies immer kritisiert und hoffen, dass durch die Abschaffung kein junger Mensch mehr dazu genötigt wird.

5) Bildung endet nicht am Schultor. Non-formales Lernen, so wie es Jugendverbände ermöglichen, wird immer wichtiger. Wie kann Bildung durch Teilhabe und Integration durch soziales Engagement in Hamburg weiter gefördert werden?

Christiane Blömeke:

Diesem Punkt stimmen wir eindeutig zu. Das non-formale Lernen ist unverzichtbarer Bestand­teil der Bildung für Kinder und Jugendliche. Die Jugendhilfelandschaft in Hamburg (und in ganz Deutschland) leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Respekt und Wertschätzung. Viele Jugend­hilfeträger machen Demokratie erlebbar und geben soziale Kontakte, die für die eigene Biographie wichtig sind. Deshalb ist es aus unserer Sicht wichtig, die Arbeitsfelder der freien Träger zu sichern. Gerade bei dem Aus­bau weiterer Ganztagesschulen wird es darum gehen, die bestehende Jugendhilfelandschaft dem längeren Schulalltag der Kinder und Jugendlichen anzupassen, bzw. sie auch in den Schulalltag zu integrieren. Dabei ist es uns wichtig, dass Schule und Jugendhilfeträger auf gleicher Augenhöhe arbeiten.

Ein anderer Punkt ist die Förderung von internationalen Jugendaustauschen und Begeg­nungs­programmen, die wir zunehmend mehr in den Fokus auch der Jugendhilfepolitik stellen wollen, weil durch diese insbesondere auch interkulturelle Kompetenzen gefördert werden.

Stephan Müller:

Jugendverbände sind ein wichtiger Bildungs­akteur. Wir unterstützen daher die umfassende Förderung und Anerkennung der Tätigkeit von Jugendverbänden, Vereinen und Jugendini­tia­tiven.

Olaf Schwede:

Jugendverbände sind einer der wichtigsten Orte für den Nachwuchs der demokratischen Zivil­gesellschaft. Was wäre unsere Gesellschaft ohne Sportvereine, Gewerkschaften, Kirchen, Freiwillige Feuerwehr oder Hilfsorganisationen? All diese Institutionen leben davon, dass sich junge Menschen in Jugendverbänden für sie begeistern und oft bis ins hohe Alter für diese oder andere Verbände ehrenamtlich aktiv sind. Eine gute finanzielle Förderung der Jugend­verbände ist damit eine wesentliche Stütze unserer demokratischen Gesellschaft. Kürzun­gen sind hier vollkommen unangemessen. Soziales Engagement junger Menschen muss aber auch möglich sein. Hürden hierfür wie z. B. Studiengebühren, die viele ehrenamtliche Jugend­gruppenleiter benachteiligen, müssen beseitigt werden. Durch die Anerkennung von im Ehrenamt erworbenen Qualifikationen in Schule, Studium und Beruf könnte soziales Enga­gement nachhaltig gefördert werden.

Carola Veit:

Das so genannte »Non-formale Lernen« wird nicht nur unterschiedlich definiert, sondern ist auch nicht zu verordnen. Angebote und Inte­r­es­senten müssen zusammenfinden. Ich denke, dass viele Möglichkeiten zum sozialen Enga­ge­ment vorhanden sind – aber vielleicht nicht überall gleichermaßen. Auch ist die Voraus­setzung in der Regel, dass man persönlich klar kommt. Teilhabe ist insofern der erste Schritt, auch soziales Engagement zu ermöglichen. Wenn es seitens der Jugendverbände konkrete Vorschläge gibt, wie wir dies dann noch attraktiver gestalten und mehr Jugend­liche erreichen, sollten wir darüber sprechen. Sehr gern.  

Mehmet Yildiz:

Soziales Engagement ist ein wichtiger Aspekt für eine funktionierende Bildungslandschaft, aber es kann kein Ersatz für eine angemessene Schulbildung geschweige denn für Bildungs­gerechtigkeit sein. Teilhabe und Integration müssen seitens der Politik endlich wirklich ernst genommen werden, denn Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Fami­lien oder mit Migrationshintergrund sind einer massiven Bildungsungerechtigkeit ausgesetzt. Es muss endlich dafür gesorgt werden, dass Kinder von Hartz-IV-Empfängern, Geringverdie­nern und Migranten/innen die Möglichkeit haben, von einer ganztägigen und kostenfreien Kindertagesbetreuung ab dem ersten Lebens­jahr zu profitieren.

Ebenso wenig kann man Jugendverbände als Korrekturfaktor für eine gescheiterte Schul- und Bildungspolitik benutzen, das ist nicht ihre Aufgabe. Stattdessen sollte man grundsätzliche Chancengleichheit schaffen und die Jugendver­bände personell bzw. finanziell ausstatten, damit sie ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nach­kommen können.

6) Zuletzt mahnten die Autoren der Shell Jugendstudie einen Paradigmenwechsel in der Jugendpolitik an. Im Fokus der bisherigen Jugendhilfepolitik stünde strukturell ein »Defizit geleiteter Blick« auf junge Menschen. Durch diese Fokussierung auf die Gruppe der »Abgehängten« geht die Entwicklung einer Gesamtkonzeption der Jugendpolitik verloren. Eine umfassende Jugendpolitik, die sich den Lebenslagen und Interessen junger Menschen zuwendet, müsste daran ansetzen, die Bedingungen der Lebensphase Jugend zu verbessern. Wie könnte in Hamburg ein solcher Paradigmenwechsel eingeleitet werden?

Christiane Blömeke:

Dieses Konfliktfeld beobachte ich in der Jugend­hilfepolitik auch. Es ist aus meiner Sicht allerdings richtig, dass in Zeiten begrenzter Finanzmittel der Schwerpunkt der Jugendhilfe zunächst bei den Jugendlichen liegt, die För­derung und Unterstützung benötigen, weil das Elternhaus dazu aus vielerlei Gründen nicht in der Lage ist. Ich würde allerdings auch nicht sagen, dass durch diese Schwerpunktsetzung die Gesamtkonzeption der Jugendpolitik verloren geht. Es ist uns wichtig, das jeder junge Mensch seinen Platz in der Gesellschaft findet. Das hat nichts mit einem »Defizit geleitetem Blick« zu tun, denn in der Tat braucht gerade die Gruppe der »Abgehängten«, wie Sie diese Jugendlichen nennen, ganz besonders unsere Aufmerksamkeit und Hilfe. Jedes andere Han­deln würde bedeuten, dass wir hier Jugendliche zurück lassen – und das kann sich auch eine Gesellschaft nicht leisten.

Aus diesem Grund ist es eine unserer politischen Zielsetzungen in der Tat, die Lebenslagen der jungen Menschen zu verbessern. Mit unserem Konzept der sozialen Stadtteilentwicklung, unserem Konzept zur Bildungspolitik und auch mit den Bereichen der Jugendhilfepolitik haben wir bereits viel dazu beigetragen die Lebens­umstände der Jugend­lichen zu verbessern. Damit können und wollen wir uns aber noch nicht zufrieden geben, denn es besteht auch weiterhin Handlungsbedarf. Insbesondere werden wir weiterhin auch Druck auf die schwarz-gelbe Bundesregierung aus­üben, die mit ihren politischen Beschlüssen nicht für Verbesse­rungen sorgen. Die Erhöhung der Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger um fünf Euro und das noch nicht ausgereifte Bil­dungs­paket ohne Erhöhung der Kinderregel­sätze werden von uns stark kritisiert.

Stephan Müller:

Jugendpolitik darf sich nicht nur als Jugend­hilfepolitik gestalten, die sich in der Umset­zung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes erschöpft. Das Gros der jungen Generation ist engagiert, leistungsfähig und leistungsbereit. Sie wollen Verantwortung für die Zukunft übernehmen und sich aktiv für Ihre Zukunfts­chan­cen einsetzen.

Entscheidend ist, dass wir die Startchancen für alle jungen Menschen von Anfang an verbessern. Gute Bildung ist die Grundvoraussetzung, denn Bildungschancen sind Zukunftschancen und somit Lebenschancen für die junge Gene­ration. Hierfür müssen wir die notwendigen Ressourcen bereitstellen. Im Interesse der jungen Generation liegt einer unserer Schwer­punkte daher in der Bildungspolitik, welche bereits in der Kita beginnt. Die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für die junge Generation gehört ebenfalls dazu. Insgesamt muss Jugendpolitik als eine Querschnitts­auf­gabe aller Politikfelder, von der Bildungs­poli­tik, über die Familien- und Sozialpolitik, die Wirtschafts- und Wohnungsbaupolitik bis hin zu einer generationengerechten Haushalts­politik verstanden werden.

Olaf Schwede:

Wichtig ist, dass die Jugend als Lebensphase und nicht als Ansammlung von Problemen wahrgenommen wird. In der Jugend geht man zur Schule, widmet sich seiner Ausbildung und macht die ersten Schritte in sein späteres Leben. Es ist eine Übergangs- und Prägungs­phase, in welcher der Förderung gesellschaftlicher Teilhabe eine entscheidende Bedeutung zu­kommt. Dies betrifft zum einem die Sicher­stellung einer qualifizierten Ausbildung und guter Arbeit als Grundlage der sozialen Siche­rung, zum anderen die Sicherstellung demokratischer Teilhabe, um diese Gruppe für die Gesellschaft und ein Engagement in ihr zu gewinnen. Politik darf deshalb Jugend nicht als Randthema verschiedener Behörden behandeln, sondern muss die Förderung ihrer Lebens- und Mitwirkungsmöglichkeiten als zentrale gesellschaftliche Aufgabe begreifen.

Bisher gibt es hier deutliche Defizite. Dies spiegelt sich auch in der Wahlbeteiligung junger Menschen wieder. Die Wahlbeteiligung der 18- bis 24-Jährigen betrug bei der Bürger­schafts­wahl 2004 nur 48,6 Prozent, bei den Bürger­schaftswahlen 2008 sank dieser Anteil auf nur noch 38,2 Prozent. Nicht einmal jeder zweite Jugend­liche hat damit von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht.

Dies bedeutet, dass wir Jugendliche wieder für unser demokratisches System und unsere Gesellschaft gewinnen müssen. Das geht nur über ein mehr an Parti­zi­pation und das Gefühl gewollt zu sein und wirklich etwas bewegen zu können.

Carola Veit:

Ich mache seit einigen Monaten eine Besuchs­reihe durch Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg – quer durch die Stadtteile. Die Lebenslagen und Bedarfe sind extrem unterschiedlich. Es gibt Gruppen, die bedürfen im wahrsten Sinne des Wortes der »Jugendhilfe«. Angebote der Jugendarbeit sollten natürlich immer möglichst integrativ sein, aber unsere Wirklichkeit ist auch: Viele Jugend­liche haben Bildungschancen und materielle Möglichkeiten, ihren Interessen zu folgen, von denen andere nur träumen. Wenn wir den Blick nicht auf die Defizite richten, holt uns das alle ein. Deswegen bin ich überzeugt davon, dass eine gute Jugendpolitik sich an den Lebens­lagen im jeweiligen Quartier orientieren muss. Und da muss ja nicht nach den Defiziten gefragt werden – sondern: »Was können wir schaffen?«

Mehmet Yildiz:

Ich denke, wir sollten die Probleme der jungen Menschen aus einer anderen Perspektive be­trach­ten, statt sie zu kriminalisieren und zu stigmatisieren: Weshalb sind die »Abgehäng­ten« überhaupt in dieser Situation? Was führt dazu, dass junge Menschen resignieren? Wollen wir in einer Gesellschaft mit solchen Unter­schie­den, solchen Ungerechtigkeiten wirklich leben? In Hamburg leben tausende Kinder und Jugend­liche in Armut, die sich obendrein auch noch vererbt. Wirkliche Chancengleichheit in der früh­kindlichen und schulischen Bildung, bei der Ausbildungssuche, der persönlichen Entfal­tung gibt es nicht, weil die Ausgangs­situa­tionen völlig andere sind. Um ein friedliches Miteinander zu gewährleisten, müssen wir alle Kinder und Jugendliche mitnehmen. Das fängt in der frühkindlichen Bildung an und endet nicht erst mit dem Schulabschluss. Dazu ist es unbedingt notwendig, dass Bildung von Kin­desbeinen an kos­tenlos und gebührenfrei wird und die Schul­struk­tur geändert werden muss, um die Selek­tion bereits nach vier Jahren endlich zu über­winden. Schwarz-Grün hat bei der Frage der zukünftigen Kinder- und Jugend­politik damit argumentiert, dass das Geld nicht da wäre. Im gleichen Atemzug wurden für die Elbphilhar­mo­nie etwa 400 Millionen, für die U4 250 Millio­nen und für die HSH Nordbank als Krisenver­ursacher drei Milliarden Euro verpulvert. Hier wird noch mal deutlich, dass die bisherigen Senate für die Wohlhabenden und Krisenverur­sacher immer Geld übrig hatten, während Hilfe­bedürftige in der Stadt den Gürtel immer enger schnallen müssen.