von Philipp Günzel, Hamburg, und Jürgen Garbers, Landesjugendring Hamburg
Anstatt mit Jugendlichen würde über die Jugend gesprochen. Zudem zeigten sich die jugendpolitischen Sprechern der Bürgerschaftsparteien inhaltlich schlecht informiert. Hatte jemand der Diskutanten die immerhin 410-seitige Studie überhaupt gelesen? Einhellig ist daher die Enttäuschung bei Astrid, Jana, Johann und Naoné über die Veranstaltung zur Shell Jugendstudie (s. S. 8). In gemeinsamer Runde werten die Jugendverbandler/innen die Debatte aus, hinterfragen die These von der »pragmatischen Jugend« und loten ihre Position zwischen Engagement und Politik aus. punktum hat zugehört.
Das Thema des Abends war gut gewählt: »Ich engagier’ mich doch – aber anders!« Die 16. Shell Jugendstudie konstatiert bei Jugendlichen ein wachsendes Interesse an Politik, ein hohes Maß an Engagement in ihrer Lebenswelt – aber eine fortgesetzt deutliche Distanz zur Parteipolitik. Dieses Auseinanderdriften von bürgerschaftlichem und parteipolitischem Engagement hätte einen guten Ausgangspunkt für eine spannende Diskussion geliefert. Doch weder der Impulsreferent Thomas Gensicke, Mitautor der Shell Jugendstudie, noch der Moderator Matthias Iken, stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblattes, vermochten es, die Debatte mit den jugendpolitischen Sprecher/innen der Bürgerschaftsfraktionen auf die grundlegenden Fakten und Erkenntnisse der Jugendstudie zuzuspitzen. Stattdessen kreisten die Beiträge zunächst selbstbezüglich um die Innen- und Außenwahrnehmung des politischen Systems und ihrer Akteure, dann allgemein über Jugendpolitik und schließlich darüber, wie mehr oder weniger (un-)politisch junge Menschen seien. Der Abend drohte in Belanglosigkeiten zu versiegen, bis ein Jugendlicher aus dem Publikum aufstand und so entrüstet wie zornig kundtat, wie sehr die Podiumsrunde über die Köpfe junger Menschen hinweg redete und unfähig sei, in eine Auseinandersetzung mit ihnen einzutreten.
Reaktionen. «Mir ging es genauso wie diesem Jugendlichen«, bekundet Jana Matzke (18, Freiwilliges Ökologisches Jahr bei der BUNDjugend) bei der Nachbesprechung. »Die Politiker/innen saßen oben auf dem Podium und machten ihr übliches Ding.« Auf die fundamentale Kritik des jungen Schülers reagierten sie mit Unverständnis. Anstatt die Kritik ernst zu nehmen und darauf einzugehen, sei ihm lediglich eine »Anti-Haltung« unterstellt und ein stereotypisches Jugendbild wiederholt worden. Auch Johanna »Naoné« Griffel (20, Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nord) und Johann Meis (16, Pfadfinder & Pfadfinderinnenbund Nordlicht) sind von der Diskussion enttäuscht. Sie hatten das Gefühl auf einer »Wahlkampfveranstaltung« zu sein, bei der es nur darum ginge, die eigene Partei als die beste und die anderen als schlecht darzustellen. Daher entwickelte sich auch kein kritischer Dialog, stimmt Astrid Haas (30, Landesjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt) zu. Der Befund der Wissenschaftler, dass junge Menschen durchaus politisch interessiert seien, sich jedoch nicht in Parteien sondern lieber anders engagieren, wurde nur oberflächlich gestreift. »Es ging ihnen mehr um die Frage, wie man Politik besser vermitteln könne«, kritisiert Naoné. »Dass das Problem jedoch ein strukturelles ist, wurde nicht erkannt.« So sei bei der Veranstaltung im Rathaus die Chance vertan worden, einmal gemeinsam mit jungen Menschen die Frage auszuloten, warum sie einen Bogen um Parteipolitik machen.
Bruchstellen. Wo es hakt, weiß Naoné aus eigener Erfahrung zu berichten: »Da mein Engagement als Pfadfinderin ehrenamtlich ist, erhält man einerseits von Politiker/innen viel Zuspruch. Zur weiteren Unterstützung reicht es andererseits meist nicht. Jugendliche sind für Politiker/innen einfach nicht interessant genug. Sie dürfen erst ab 18 Jahren wählen und stellen – demographisch gesehen – kein großes Wählerpotential dar.«
Auf Johann wirkt zudem die Parteiraison, der sich Abgeordnete immer wieder unterordnen, befremdlich. »Wenn zum Beispiel der jugendpolitische Sprecher der CDU in der Diskussion sagt, dass er persönlich gegen die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke sei, seine Partei jedoch dafür und er sich am Ende der Mehrheit beugen muss, dann schreckt mich das einfach ab.«
Ist deshalb das Mitwirken in einer Partei so schwer vorstellbar? Naoné stimmt zu: »Ich habe das Gefühl, ich bin viel authentischer und wahrhaftiger, wenn ich mich nicht parteipolitisch engagiere. Man hat immer dieses Bild vor Augen, dass alle Parteimitglieder hinter allen Beschlüssen stehen müssen …«
Die großen politischen Versprechungen sind ein weiteres Reizthema. Stichwort Atomausstieg. Die rot-grüne Bundesregierung nannte den Einstieg in den Ausstieg einst »unumkehrbar«. Doch gilt das noch nach der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke durch die schwarz-gelbe Bundesregierung? Solche Versprechungen sind »unglaubwürdig und unecht«, findet Jana, die in ihrer Heimat, dem Wendland, eine bezeichnende Beobachtung machte. »Während der rot-grünen Bundesregierung haben SPD und Grüne nicht gegen die Castortransporte demonstriert. Jetzt in den Zeiten von Schwarz-Gelb sind sie wieder dabei.«
Was tun? Als unpolitisch sehen sich die vier jungen Menschen trotz eingestandener »Parteienverdrossenheit« nicht. Im Gegenteil. Astrid sieht Chancen zur politischen Einflußnahme in der Selbstorganisation. Es gehe dabei auch um eine Gegenöffentlichkeit, um eigene Interessen zu artikulieren. Ähnlich sieht das Jana in ihrem Engagement als konsumkritische Stadtführerin bei der BUNDjugend. Sie leiste Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit, um eine Bewusstseinsveränderung anzuschieben. Das Ziel der konsumkritischen Stadtführungen sei es, die eigene Rolle als Konsument kritisch zu hinterfragen und dabei zu erkennen, welchen Einfluss wir auf globale Prozesse und nachhaltige Entwicklung durch gezielte Kaufentscheidungen nehmen könnten.
Selbstorganisation im Gegensatz zur bloßen Konsumhaltung ist ebenso das Stichwort, mit denen die anderen ihr Engagement umreißen. Die gewählten Wege sind vielfältig. Sei es die Teilnahme an Seminaren zu politischen Themen, das Planen und Durchführen von Gruppenaktionen oder die Leitung der eigenen Pfadfindergruppe – zentral sei bei diesen Aktivitäten das zu fördern, wovon eine demokratische Gesellschaft lebt: den mündigen Bürger. All das geschehe unspektakulär und im Kleinen. Astrid findet es bezeichnend, dass dieser grundlegende Punkt, der weit unterhalb der Parteipolitik ansetzt, in der Diskussionsveranstaltung kaum zur Sprache gekommen sei. Denn hier verlaufe die Bruchstelle zwischen dem politischen System und der Lebenswelt engagierter junger Menschen. Denn wenn der Jugend fehlendes politisches Engagement attestiert wird, werde lediglich auf die rückläufigen Mitgliederzahlen bei den Jugendorganisationen der Parteien geschaut …
Pragmatisch, oder? Jugendforscher fokussieren ihren Befund über die jeweilige Jugend gern in einem anschaulichen Etikett. So galt die Nachkriegsjugend als »skeptisch«, die Jugend der 60er und 70er Jahre als »politisch«. In den 80ern reüssierte schließlich eine «hedonistische«, die nunmehr von einer »pragmatischen« Jugend abgelöst worden sei. Laut der Shell Jugendstudie sei dafür eine optimistische und leistungsorientierte Grundhaltung und ein ausgeprägter Sinn für soziale Beziehungen unter jungen Menschen verantwortlich. Johann, der jüngste in der Runde, kann mit dem Begriff Pragmatismus nicht viel anfangen. Sein Engagement als Jugendgruppenleiter bei den Pfadfindern beschreibt er eher schwärmerisch: »Es ist einfach ein wunderbares Gefühl etwas mit Gleichgesinnten in einer Gemeinschaft zu machen; das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man es nicht selbst erlebt hat.«
Naoné benennt ein ganzes Bündel an Motiven für ihr Engagement: »Mir macht es einfach Spaß, meine eigene Pfadfindergruppe zu leiten, dabei kritisch und reflektiert mit der Welt umzugehen und andere Menschen aufzuklären. Ich möchte Jüngeren andere Aspekte des Lebens vermitteln. Denn Jugend sollte mehr sein als nur zukünftige Arbeitskraft. Nächstes Jahr werde ich fünf Jahre meine eigene Gruppe haben. Das macht mich schon ein wenig stolz, und ich kann sagen: Das habe ich geschafft.« Und hat dieses eine pragmatische Dimension? »Im Ehrenamt gilt das Prinzip Geben und Nehmen«, antwortet Naoné, »und bei den Pfadfinder/innen das Prinzip ›Jugend bildet Jugend‹. Daher ist mir Pragmatismus ein zu weiter Begriff. Denn im Grunde kann man alles pragmatisch nennen, weil man es auch für sich macht.« Entscheidend bei der Engagementfrage sei vielmehr, »dass man es ohne äußeren Druck macht.«
Dem stimmt Jana zu: »Mein Freiwilliges Ökologisches Jahr sehe ich als volle Arbeitszeit für wenig Geld. Ich mache es aber, weil es mir Spaß bringt, und ich das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun. Ich kenne aber auch genug Jugendliche, die auf schnellstem Wege Karriere machen wollen.« Und da einige – ganz pragmatisch – dabei ein soziales Engagement als Karriere fördernd ansehen, gäbe es auch Ehrenamtliche, die »jedoch keine Leidenschaft dafür entwickeln«. Astrid gibt sich in dieser Frage entspannt: »Es ist völlig okay, wenn man sich bei der ehrenamtlichen Tätigkeit fragt, was das für einen selbst bringt.« Die Motivation »könne dann sowohl pragmatisch als auch idealistisch« begründet sein. Alle vier betonen das durchs Engagement entstehende Gemeinschaftsgefühl in ihren Gruppen. »Wie eine andere Welt«, so Jana, stehe diese konträr zur Zwangsinstitution Schule, in der sich Schüler gegenseitig als Konkurrenten wahrnehmen und dementsprechend verhalten.
Eine optimistische Jugend, oder? »Viel zu pauschal« finden die Diskutanten den Befund der Shell Jugendstudie. Naoné zeichnet für sich ein differenziertes Bild: »Ich blicke recht zuversichtlich in die Zukunft. In meinem Freundeskreis gibt es schon den einen oder anderen ›Pessimisten‹. Wir diskutieren dann darüber, ob es verantwortlich ist, ein Kind in die Welt zu setzen, oder über den Kapitalismus, der dafür verantwortlich ist, dass es Armut auf der Welt gibt. Generell ist Armut eines der größten Probleme auf der Welt. Da werde ich dann schon nachdenklich und frage mich: Wie es wohl weiter geht?«