Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2010, Rubrik Kommentar

Zwei Mal zehn Stimmen für eine gelebte Demokratie?

Von Gregor Best, LJR-Vorsitzender

Aufbegehren im Ländle. Als im Herbst letzten Jahres die Proteste um Stuttgart21 ihren Höhepunkt erreichten, kam es zeitgleich auch zu einer bundesweiten Diskussion um mehr Bürgerbeteiligung. Volksbegehren, so argumentierten die einen, wären die zeitgemäße Antwort einer angemessenen Einbindung der Menschen und gelebte Demokratie, um die inhaltliche Diskussion von der Straße zu holen und in politische Entscheidungen einfließen zu lassen. Die Gegner warfen den Befürwortern Populismus und billigen Wahlkampf vor. Wie so häufig in erhitzten Diskussionen ging keine Seite als klarer Verlierer hervor – schließlich beanspruchen beide den moralischen Sieg für sich. Daran änderte der Schlichtungsspruch des ehemaligen Bundesministers Heiner Geißler auch nichts. Zumindest bis zu den nächsten Landtagswahlen im Ländle, werden die Oppositionsparteien das Thema aufrechterhalten. Dass es eine wesentliche Rolle in der Wahlentscheidung der Bürger/innen spielt, ist wahrscheinlich.

Aber nicht nur in Baden-Württemberg finden in diesem Jahr Wahlen statt, auch in sechs weiteren Bundesländern dürfen die Wähler/innen über die Zusammensetzung ihrer Parlamente entscheiden. Meist steht dabei kein vergleichsweise hitziges Ereignis wie im Süden der Republik im Vordergrund.

Hamburger Verhältnisse. Hier in Hamburg ist dies auch nicht verwunderlich. Der unplanmäßige Wahltag kam so spontan, dass er in kaum einem Kalender eingedruckt ist. Doch es war kein Großereignis – vergleichbar mit Stuttgart21 – für das vorzeitige Ende der ersten schwarz-grünen Koalition verantwortlich; vielmehr hatten sich die beiden Regierungsparteien im täglichen Miteinander auseinander gelebt.

Umso deutlicher wird dies im aktuellen Wahlkampf. Jede Partei versucht ihr Profil durch eigene Themen zu schärfen. Jede kämpft für sich. Während es die CDU mit einer inhaltlichen 180-Grad-Drehung und Hilfe des Schulreform-Gegners Walter Scheuerl probiert, wirken die Grünen wie losgelöst und lächeln, so als hätte es die letzte Koalition und die damit verbundenen Probleme nicht gegeben. Emanzipiert und lautstark treten sie dabei auf – wohl wissend, dass es für sie in einer wahrscheinlich rot-grünen Koalition nicht zwangsläufig leichter wird, als es mit den Christdemokraten war.

Die SPD wird, sofern man Umfragen glauben darf, als Gewinner der Wahl hervorgehen und den Bürgermeister stellen. Olaf Scholz kehrt damit in das Rathaus zurück. Welche Abgeordneten ihn dabei begleiten werden, ist unklar. Bedingt durch das neue Wahlrecht, das durch die Vergabe von zehn Stimmen eine differenzierte Einflussnahme des Wählers auf die Kandidaten der Parteien erlaubt, wird es bestimmt noch die eine oder andere Überraschung auf den Listen geben. Nicht nur bei der SPD. Denkbar ist, dass auf diesem Wege der gestärkten Personenwahl statt pauschaler Listenwahl auch indirekt Themen der Jugendverbände wieder verstärkt ihren Platz in der Bürgerschaft finden werden. Warum nicht mal träumen?

Die Linke wird es sich wieder auf den Oppositionsbänken gemütlich machen. Ganz gleich wie man zu ihren inhaltlichen Positionen steht, muss man die geleistete Arbeit der kleinsten Fraktion durchaus anerkennen. Ob die FDP überhaupt die notwendigen fünf Prozent erreicht, ist fraglich. Der liberale Landesverband glänzte in den letzten Jahren vor allem durch Grabenkämpfe in den eigenen Reihen. Ihre größte Hoffnung ist, neben dem Einzug ins Parlament, als kleiner Koalitionspartner einer Regierungskoalition zu dienen. Jeder darf träumen!

Fragezeichen. Die Politik des nächsten Senats stellt aber derzeit das größte Fragezeichen dar. Ganz gleich wer der nächste Bürgermeister wird, ist mit weiteren Sparmaßnahmen zu rechen. Proteste dagegen werden kommen – nur von wem ist die Frage. Bisher sind die Hamburger Jugendverbände noch vergleichsweise gut weggekommen. Ob dies auch in Zukunft der Fall sein wird, hängt von der personellen Zusammensetzung der Bürgerschaft ab. Und diese kann Jede/r mit ihren/seinen Stimmen beeinflussen. Mehr gelebte Demokratie mit Hilfe von zwei Mal zehn Kreuzen: je zehn für die Bürgerschaft und das jeweilige Bezirksparlament. Davon können andere nur träumen …