Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2023, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Das Tesch – ein Stadtteil- und Jugendhaus mit Haltung

Serie WirkungsStätten: Eine junge Initiative schlägt einen Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart

Von Hanna Lubcke, Hamburg

Mitten in Altona liegt an der belebten Max-Brauer-Allee das Tesch. Zwischen dem Altonaer Gericht, dem Karl-Möller-Sportplatz und dem August-Lütgens-Park wird in einem einstöckigen, blauen Gebäude ein Stadtteil- und Jugendhaus betrieben, das ein vielfältiges Angebot für die Nachbarschaft auf die Beine stellt und mit seinem Namen auf eines der ersten Opfers der Nazi-Justiz in Altona anspielt. Ich habe Pat (26) und Jenny (27) im Tesch getroffen, die mir erzählt haben, warum sich ein Stadtteil- und Jugendhaus nach dem vor 90 Jahren ermordeten Antifaschisten Bruno Tesch benennt und warum es ihnen wichtig war, einen solchen Raum zu eröffnen.

Der Werdegang. Das Tesch hat seine Türen im Jahr 2020 geöffnet. Dem ging ein langer Prozess voraus: Die Idee war, jungen Menschen einen Raum zu bieten, in dem sie einfach einkehren, ohne etwas kaufen und konsumieren zu müssen, und machen können, worauf sie Lust haben. Und weil ihnen als Jugendliche so etwas selbst fehlte, erklärt Pat, hat sich eine selbstorganisierte Gruppe zusammengefunden, um einen solchen Raum aufzumachen, in dem sich junge Menschen aus dem Stadtteil austauschen, zusammenfinden und gemeinsame Projekte starten konnten. Der Weg bis zur Eröffnung war nicht leicht, allein die Finanzierung gestaltete sich schwierig. Schließlich wurde dazu der »Verein für Bildung, Jugend und Basiskultur« gegründet, in dem Nachbarn, Freunde und Unterstützer Fördermitgliedschaften abschließen können. Nachdem sich die Gruppe jahrelang durch einen Dschungel von Auflagen und Hürden gekämpft hatte, fiel die Wahl schlussendlich auf einen blauen Bungalow unweit vom Altona Bahnhof, der mit viel gemeinschaftlicher Arbeit zu dem hergerichtet wurde, was es jetzt ist: Ein Raum, der mit großen Fenstern und einer offenen Gestaltung dazu einlädt, reinzukommen und sich wie zuhause zu fühlen. Auf 70 Quadratmetern können junge Leute jetzt »all das machen, was wir uns damals erträumt haben«, sagt Pat.

Der Raum wird auf vielfältige Weise genutzt, so mit Lerncafés oder Bildungsveranstaltungen. Außerdem können Gruppen und Initiativen das Tesch mit ihrer Idee kontaktieren. Dann wird geschaut, ob die Räume für die jeweilige Aktivität geeignet sind – ausgeschlossen sind allerdings Feiern. Cafés, Kinoabende und Vorträge hingegen finden regelmäßig statt.

Warum Tesch? Den Namen Tesch hätten sie nach langem Überlegen ausgewählt, erzählt Jenny. Als sie die Zusage für das Haus direkt gegenüber vom Altona Amtsgericht bekamen, setzten sie sich auch mit der Geschichte des Ortes auseinander und stießen schnell auf Bruno Tesch. Bruno Tesch war ein Jungkommunist und setzte sich aktiv gegen den aufsteigenden Nationalsozialismus ein. In Folge des Altonaer Blutsonntags im Jahr 1932 wurde er zusammen mit August Lütgens, Walter Möller und Karl Wolff im Alter von 20 Jahren von den Nationalsozialisten zu Tode verurteilt und im Innenhof des Gerichtes im Jahr 1933 ermordet. Dies waren die ersten offiziellen Hinrichtungen der Nationalsozialisten. Die vier jungen Opfer gingen als »Altonaer Vier« in die Geschichte ein.

------ Hintergrund -------------------------------

»Der Altonaer Blutsonntag bezeichnet die Ereignisse am 17. Juli 1932, an dem SA- und SS-Leute durch das mehrheitlich sozialdemokratisch und kommunistisch geprägte Altona marschierten, maßgeblich, um die Anwohner zu provozieren. In den durch die Nationalsozialisten verursachten Auseinandersetzungen kam es zu 18 Toten. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten eröffneten diese die »Blutsonntagsprozesse«, in denen sie den Blutsonntag zum Anlass nahmen, politischen Widerstand auszuschalten.«

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»In Altona gab es auch schon vor dem Tesch eine lebendige Erinnerungskultur an diese Ereignisse«, erklärt Pat. Zum Beispiel wurde eine Schule im Stadtteil auf Initiative der Schülerschaft nach Bruno Tesch benannt. Diese wurde jedoch in den 2000er Jahren abgerissen. Auch diese Lücke wollten sie mit der Benennung ein wenig schließen. In den letzten Jahren seien sie mit vielen aktiven Nachbarn auf Spurensuche gegangen und hätten festgestellt, dass die Forschungslage in diesem Feld nach wie vor schlecht sei: »Die meiste Forschung stammt von Verfolgtenverbänden noch aus den Nachkriegsjahren, zum Beispiel von dem französischen Resistancekämpfer Léon Schirmann. Ohne ihn wäre nicht aufgedeckt worden, dass es sich bei den Prozessen gegen die Altonaer Vier um politisch motivierte und gefälschte Schauprozesse gehandelt hat und sie wären nicht nachträglich freigesprochen worden«. Weil seit den 90ern fast keine Forschung mehr zu dem Thema stattfindet und die Unterlagen und Dokumente auf gut arbeitende Stadtteilarchive verteilt sind, hat das Tesch im letzten Jahr anlässlich des 90. Jahrestages des Altonaer Blutsonntag eine wissenschaftliche Aufarbeitung durch den Bezirk gefordert, denn den Altonaer Vier folgten viele Prozesse, die in Haftstrafen und später auch in Konzentrationslagern endeten und bis heute nicht vollständig aufgeklärt sind.

Auch das Tesch hält die Erinnerungskultur aufrecht. Zum 90. Jahrestag des Blutsonntags wurde ein Gedenken veranstaltet, bei dem die Nachbarschaft zu Musik und Essen zusammenkam und bei dem auch Stadtteilrundgänge zur Aufklärung stattfanden. Auch in diesem Jahr, zum 90. Jahrestag der Ermordung, wird ein Gedenken geplant. Im Tesch findet noch weitere Erinnerungsarbeit statt. Eine junge Initiative arbeitet seit einiger Zeit an einer Gedenkbibliothek, die in dem Jugend- und Kulturzentrum eröffnet werden soll. Aus dem Büchernachlass von Esther Bejarano, der bekannten Überlebenden von Auschwitz und Antifaschistin, die sich ihr Leben lang gegen den Faschismus einsetzte und 2021 verstarb, soll eine Bibliothek errichtet werden. Diese wird kein ruhiger Raum werden, in dem man sich ein Buch ausleihen und wieder gehen kann, sondern sich in den Alltag des Tesch einfügen. Besucher können beim Kaffee und Kuchen in den Büchern stöbern, gemeinsam lesen und sich über das Gelesene austauschen. »Wir freuen uns, bald die Eröffnung der Gedenkbibliothek feiern zu können«, sagt Jenny.

Volles Programm
Bruno Tesch habe sich die wichtigen Fragen gestellt, wie man Frieden, Freiheit und Solidarität umsetzen könnte. Diese Fragen zu stellen ist nach wie vor eine gesellschaftliche Verantwortung, die das Tesch sich nicht nur im Gedenken, sondern auch im Hier und Jetzt stellt. Daher versteht es sich als parteiische Vertretung für junge Leute aus ganz Hamburg, vor allem diejenigen, die von gesellschaftlichem Reichtum und Teilhabe ausgeschlossen sind: »Wir versuchen nicht, Widersprüche zu verdecken, sondern Probleme gemeinschaftlich anzugehen und Menschen dabei zu unterstützen. Das heißt für uns, nicht einfach Konfliktmanagement zu betreiben. Denn wir sind der Meinung, dass gesellschaftliche Probleme auch gesellschaftlich gelöst werden müssen.«

Und so ist jeden Tag Programm, in dem sich gemeinsam ausgetauscht, aber auch stark gemacht und vernetzt wird. Zum Beispiel trifft sich eine Nachbarschaftsinitiative im Tesch, die Protestkundgebungen und Essensverteilung organisiert und sich gegen die Teuerungen und die Verarmung im Stadtteil einsetzt. Auch die Queer Refugee Support Group, die rechtliche Beratung und Anschluss für queere Geflüchtete organisiert, sowie verschiedene Jugendinitiativen und Gruppen finden Unterkunft im Tesch. Dazu kommen Veranstaltungen wie ein Kleider-Umsonst-Flohmarkt, bei dem Kleidung getauscht werden kann, sowie offene Cafés und Diskussionsabende. Der große Raum im Tesch ist liebevoll eingerichtet, es gibt eine Sofaecke und einen Tresen, an dem man sich mit Getränken versorgen kann. Infotafeln klären über den Namensgeber auf, Plakate und Bilder verweisen auf die vielfältigen Aktivitäten. Im Sommer ist die Tür offen und Schilder laden jeden ein, der vorbeikommt – das Tesch trägt immer mehr auch zur offenen Kultur des Stadtteils bei.

Aber natürlich gab und gibt es für das junge Projekt auch Hürden: »Unser Verein muss all den Papierkram, die Versammlungen und Sitzungen machen, die ein Verein eben machen muss, und das ist auch alles total in Ordnung«, sagt Jenny. Trotzdem sei es als junge Gruppe schwierig, sich ohne finanzielle und strukturelle Hilfe in diesem Bereich über Wasser zu halten. »Wir fallen aus der staatlichen Unterstützung heraus, weil wir kein Jugendverband, sondern ein offenes Angebot, aber auch nicht als Offene Kinder- und Jugendhilfe qualifiziert sind,« erklärt Pat. Somit ist auch kein Geld für Anschaffungen oder Rücklagen da. Das Tesch ist vollständig auf die ehrenamtliche Initiative junger Menschen angewiesen, obwohl es den Staat eigentlich in der Verantwortung sieht, soziale Fürsorge zu gewährleisten. Auch der Neutralitätsanspruch, der an offene Angebote und Stadtteilzentren gesetzt wird, bremse wichtige Diskurse oft aus, erklärt Jenny. Das Tesch sei zwar kein explizit politisches Projekt, aber biete Raum, um gemeinsame Lösungen für Probleme zu finden. »Die Leute kommen mit Problemen hierher, die gesellschaftliche Ursachen haben, und wissen das auch.«

So findet das Angebot im Tesch immer mehr Anklang, und das blaue Haus wird zur Anlaufstelle für Nachbarn und Jugendliche verschiedenster Hintergründe. Und so verbindet das Projekt soziale Begegnungen mit einer lebendigen Erinnerungskultur und hält den Einsatz für Frieden, Freiheit und Solidarität im Sinne von Bruno Tesch am Leben.
 

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Info: tesch – Jugend- und Stadtteilhaus
Max Brauer Allee 114 | 22765 Hamburg | T. (040) 18 06 93 36 | www.tesch-altona.de  | info@tesch-altona.de

Regelmäßige Termine:
• Jeden zweiten Montag: offene Stadtteilinitiative Gemeinsam Solidarisch | ab 17 h
• Dienstags Queer Refugees Support Hamburg | 16 bis 18:30 h
• Donnerstags: Die offene Jugendgruppe »Lelka & Mania« arbeitet an einer Gedenkbibliothek mit Büchern aus dem Nachlass von Esther Bejarano | ab 18.30 h
• Jeden zweiten Freitag: Der Jugendrat Hamburg ist ein selbstorganisiertes, offenes Treffen für alle Jugendlichen, die Lust haben sich politisch zu organisieren und gemeinsam als Jugend aktiv zu werden | ab 18.30 h