Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2022, Rubrik Kommentar

Mehr als Bildungsfragen und Konsumverhalten

Von Maja Reifegerst, LJR-Vorsitzende

»Es kann sein, dass dies der kälteste Sommer ist für den Rest unseres Lebens«, so zitierte Moderator Christian Sievers im heute journal am 18. Juli 2022 Klimaforschende. Und auch wenn dies keine neue Erkenntnis ist, trifft es mich. Europa brennt schon seit Monaten. Die Fläche an verbrannten Wäldern in Europa hat in diesem Jahr ein Rekordhoch erreicht. In Italien wurde aufgrund des Wassermangels der Dürrenotstand erklärt. Die Hitzewelle im Juli hat in Portugal mehr als 1.000 Menschen das Leben gekostet. Dass dies die Folgen des Klimawandels sind, sollte uns allen inzwischen klar sein. Und dass der Klimawandel menschengemacht ist, wurde im vergangenen Jahr durch den 6.  Sachstandsbericht des Weltklimarates erneut verdeutlicht. Die logische Konsequenz ist daher doch: Wenn der Klimawandel menschengemacht ist, liegt es an uns Menschen, den Klimawandel zu stoppen. Auch das ist kein Geheimnis, trotzdem gelingt es uns nicht. Am 4. Mai 2022 war in Deutschland der »Earth-Overshoot-Day«. Das bedeutet, dass wir an diesem Tag alle Ressourcen, die die Erde auf natürlichem Weg reproduzieren kann, für dieses Jahr aufgebraucht haben. Um so weiter zu leben und zu wirtschaften wie bisher, bräuchten wir drei Erden.

Vor ein paar Jahren habe ich als Ehrenamtliche bei einer Jugendklimakonferenz mitgearbeitet. Ich habe Jugendliche getroffen, die sich um unsere Welt und ihre Zukunft sorgen und sich daher bei Fridays for Future engagieren, nur noch gebrauchte Klamotten tragen oder vegan leben. Und trotzdem hatten sie ein schlechtes Gewissen, nicht genug zu tun, um den Klimawandel zu stoppen. Denn das ist es, was Kinder und Jugendliche häufig lernen: Du musst dein Verhalten ändern, damit die Welt nicht untergeht. Und das stimmt zum Teil natürlich. Das Konsumverhalten jedes:jeder Einzelnen hat einen Einfluss auf das Klima. Der Comedian Till Reiners macht in einem sehr klugen und unterhaltsamen Beitrag der heute-show mit dem Titel »Wer ist schuld an der Klimakrise?« darauf aufmerksam, dass Tools zur Ermittlung des eigenen CO₂-Ausstoßes, wie der »CO₂-Fußabdruck Rechner«, den Eindruck verstärken, dass die Verbraucher:innen den größten Einfluss auf die Klimakrise hätten. Dabei falle aber häufig unter den Tisch, dass der CO₂-Fußabdruck von dem Ölkonzern BP populär gemacht wurde. Das lege die Vermutung nahe, dass die Energieunternehmen die Verantwortung für die Klimakrise den Bürger:innen anlasten will. Dabei gehören gerade diese Unternehmen zu den Hauptverursachern. Laut Pressemittteilung von Umweltbundesamt und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vom 15. März 2022 hat Deutschland im Jahr 2021 ca. 762 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen. Die drei Sektoren mit dem höchsten Ausstoß waren der Energiesektor mit ca. 247 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten, der Industriesektor mit ca. 181 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalenten und der Verkehrssektor mit ca. 148 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten.

Die aktuelle Debatte um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und die Reaktivierung der Kohlekraftwerke mit dem Ziel, die Energieversorgung in Deutschland abzusichern, finde ich absurd. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Kurzstreckenflüge innerhalb Deutschlands für unter 30 € erhältlich sind, obwohl Flüge nachweisbar eine der klimaschädlichsten Reisemöglichkeiten sind. Und ich finde es verrückt, dass Massentierhaltung, Produktion und Verkauf von »Billigfleisch« noch immer erlaubt sind. Deutschlands größtes Problem – und das vieler anderer Industrienationen auch – ist es, immer höher, schneller und weiter wachsen zu wollen. Dieses Prinzip wird über kurz oder lang mit endlichen Ressourcen nicht aufgehen. Was es also braucht, ist ein Systemwandel und den können wir Bürger:innen nicht alleine schaffen – sondern nur mit Politik und Wirtschaft zusammen.

Und ja, es braucht natürlich auch eine gute Bildung. Eine Bildung, die jungen Menschen dabei verhilft, sich zu verantwortungsvollen, selbstbewussten, reflektierten und kritisch denkenden Individuen zu entwickeln. So wie es zum Beispiel in der Jugendverbandarbeit geschieht.

Ich möchte niemanden demotivieren, klimaschonend zu handeln. Wenn du gerade leckere vegane Rezepte entdeckt hast, ist das mega! Teile sie mit anderen! Wenn du mit dem Fahrrad zur Schule, zur Uni oder zur Arbeit fährst anstatt im Auto, ist das super! Mach weiter so! Und gleichzeitig ist es unsere Verantwortung, die Politik immer wieder darauf hinzuweisen, dass sie entschieden mehr tun muss, um diese Erde zu retten.