Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2022, Rubrik Titelthema

Jungs, die im T-Shirt baden

Interview mit Helen Vogel (22) vom Hamburger Landesverband der Falken – Sozialistische Jugend Deutschlands

Bevor wir zu den Falken kommen – Du bist Studentin?

Helen: Ja, ich studiere Erziehungs- und Bildungswissenschaft an der Uni Hamburg.

Wie hast Du die Coronapandemie als Studentin erlebt?

Helen: Zu unterschiedlichen Phasen sehr unterschiedlich. Wir haben uns an der Uni relativ schnell zusammengetan und viele Präsenz- und Solidarsemester-Kampagnen und -Aktionen organisiert. Ich habe aber nicht so viele Lehrveranstaltungen besucht, weil ich überhaupt keinen Nerv für Online-Veranstaltungen hatte oder habe. Denn ich finde, dabei lernt man nicht so viel. Es gibt gar keine Möglichkeit zu diskutieren, und alles, was für mich zur Universität gehört, fehlt. Dann habe ich andere Orte gesucht, wo man sich auch politisch organisieren kann und bin vor anderthalb Jahren mitten in der Pandemie zu den Falken gekommen.

Wie sieht Dein ehrenamtliches Engagement bei den Falken aus?

Helen: Ich bin seit letztem Sommer im F-Ring, dem Bereich für Kinder bei den Falken, aktiv. Zielgruppe sind Sechs- bis Vierzehnjährige. Ich bin als Helferin aktiv; das heißt, ich habe vor kurzem eine eigene Gruppe gegründet. Wir machen Dinge wie die Durchführung von Zeltlagern, deren Vorbereitung oder planen einzelne Maßnahmen wie zum Beispiel Aktionen oder Spielfeste. Die pädagogische Arbeit macht natürlich einen Großteil aus. Ich bin aber eigentlich über den S-Ring, dem Ring für Jugendliche ab 15 Jahren, zu den Falken gekommen und nehme an den regelmäßigen Treffen der Aktiven teil. Wir machen dann Demovorbereitungen oder auch Bildungsveranstaltungen.

Du bist also Jugendleiterin bei der Kindergruppe?

Helen: Genau, nur dass es bei den Falken eben nicht Leiterin, sondern Helferin heißt.

Wie habt Ihr die Treffen der Kindergruppe in der Pandemiezeit gestaltet?

Helen: Ich kann da nicht für mich sprechen, weil ich meine Gruppe erst Anfang des Jahres gegründet habe. Ich weiß aber von den anderen Helfer*innen, dass es vor Corona eine Gruppe in Hamburg gab, die sich sehr regelmäßig getroffen hat, und andere, größere Aktionen geplant waren. Dann kam die Pandemie und vieles konnte nicht mehr stattfinden; vor allem weil Eltern ihre Kinder nicht mehr zu Veranstaltungen schicken wollten. Die Falken haben dann versucht, digitale Gruppenstunden durchzuführen, und haben zum Beispiel auch Pakete mit Bastelmaterialien zu den Teilnehmenden nach Hause geschickt. Aber das hat nicht gut funktioniert und wurde vom Verband wieder eingestellt. Auch konnte das Zeltlager über Pfingsten, ein kleines Camp mit dem ganzen Landesverband für alle Kinder, nicht stattfinden. Alternativ haben wir ein Ersatzprogramm draußen und ohne Übernachtung in Hamburg organisiert. Dieses Jahr hat das Pfingstzeltlager dann wieder ganz normal stattgefunden. Im letzten Sommer sind wir mit Hygienekonzept wieder auf das große Sommercamp gefahren und haben ab Herbst versucht, Veranstaltungen wieder Stück für Stück durchzuführen. Nachdem längere Zeit nichts mehr stattgefunden hatte, war es vor allem eine große Herausforderung, die Kinder wiederzufinden.

Ist es Euch gelungen, die Kinder zurückzugewinnen?

Helen: Ja, teilweise. Wir haben nach dem Sommercamp sehr viel Energie in den Wiederaufbau der Gruppe, die vor Corona bestanden hat, gesteckt. Wir haben in Billstedt, wo die Gruppe stattfindet, Spielfeste veranstaltet, sind auf Eltern zugegangen und haben mit den Kindern gesprochen. Das hatte zur Folge, dass wir gleich noch eine zweite Gruppe mit den jüngeren Geschwistern aufmachen konnten. Da wir so aktiv waren, ist uns das ganz gut gelungen, und wir sind nun im Vergleich zur Zeit vor Corona gewachsen. Aber eine ganze Menge Kinder, zu denen wir lose Kontakt hatten und die zu einzelnen Maßnahmen mitgekommen sind, sind wirklich auf der Strecke geblieben. Da ist der Kontakt völlig abgebrochen. Diese zwei Jahre sind an uns allen nicht, aber an den Kindern erst recht nicht, spurlos vorbeigegangen. Uns wurde klar, dass wir als Konsequenz daraus für den Verbandsaufbau wieder mehr Arbeit in feste Gruppe stecken wollen. Es ist cooler, in festen Gruppen auf ein Camp zu fahren.

Was konntet Ihr bezüglich der Auswirkungen der Coronapandemie bei den Kindern beobachten? Wie hat sich das geäußert?

Helen: Auf dem Camp hat man ein sehr enges Miteinander. Man kommt nicht daran vorbei, dass man durchgängig miteinander Zeit verbringt, zumal wir auf dem Camp fast drei Wochen unterwegs gewesen sind. So intensiv mit anderen Kindern gemeinsam den ganzen Tag zu verbringen, ist auch unabhängig von Corona immer eine Herausforderung für Kinder, denke ich. Dass Kinder fremde Kinder neu kennenlernen, passiert in der Regel eigentlich sehr schnell – etwa auf den Spielplatz. Auf unserem Camp hatte ich den Eindruck, dass das Kennenlernen sehr viel länger gebraucht hat und wir als Erwachsene sehr viel stärker Bezugspersonen für die Kinder waren. Sie haben sehr viel mehr über uns kommuniziert, anstatt die Kinder zum Beispiel selbst zu fragen »Wie heißt du?« und so weiter.

Ein Punkt, an dem die Auswirkungen der Pandemie auch sehr deutlich geworden sind, ist die Körperlichkeit. Beispielsweise sind Jungs nur mit T-Shirt baden gegangen, weil sie meinten, sie seien entweder zu wenig muskulös oder zu dick. Das hat es auch vor Corona gegeben, aber ich fand das Ausmaß überraschend groß. Normalerweise sieht man seine Mitschüler*innen gerade in dieser Wachstumsphase in der Sportumkleide oder den ganzen Tag auf dem Schulhof, aber bei Zoom-Veranstaltungen sieht man nur den Kopf und nicht den ganzen Körper. Das war zwar auch bei den Mädchen ein Thema, aber bei den Jungs deutlich stärker.

Uns ist auch aufgefallen, dass viele Schwierigkeiten hatten, Dinge zu teilen. Es gibt zwar immer Kinder, die das nicht so gut können. Aber ich habe vorher noch nie erlebt, dass so viele Kinder aus einer Gruppe Schwierigkeiten damit haben, beispielsweise das Essen aufzuteilen.

Ganz anders verhielten sich die Kinder aus einer Geflüchtetenunterkunft, die an unseren Maßnahmen teilnahmen. Bei denen waren die Störungen am wenigsten schlimm. Dadurch, dass die Geflüchtetenunterkünfte zwar abgeschottet waren, aber die Kinder untereinander sehr engen Kontakt hatten, waren bei ihnen Störungen im Sozialverhalten durch die Pandemiebeschränkungen am geringsten ausgeprägt. Wir haben auch Kinder dabeigehabt, die die anderen Kinder schon länger kennen und gleichwohl eine rückschrittliche Entwicklung gemacht haben. Bei Kindern aus kleineren Familien oder mit wenig Nachbarn sind uns deren Schwierigkeiten im Sozialverhalten stark aufgefallen.

Habt Ihr Pläne wie es nun weitergeht? Werdet Ihr in diesem Jahr wieder das Sommerzeltlager anbieten?

Helen: Ja, wir haben die Planung für das Sommercamp gemacht und hoffen, dass die Maßnahmen nun weniger werden. Zum Landesverbandscamp über Pfingsten sind die Teilnehmenden noch mit einem negativen Test angereist, damit wir vor Ort keine Masken mehr tragen müssen. Zudem waren wir die ganze Zeit an der frischen Luft, und die meisten Kinder und Helfer*innen sind dreifach geimpft.

Unsere Anstrengung, den Verband wieder richtig aufzubauen, neue Helferinnen zu finden und neue Kinder zu gewinnen, werden wir auf jeden Fall fortführen. Wenn die Pandemie etwas gezeigt hat, dann dass es auf jeden Fall mehr Bezugspunkte, mehr Jugendarbeit und mehr Begegnung unter Kindern geben muss und auch mehr pädagogische Arbeit – gerade in diesen informellen Rahmen außerhalb von Schule, wo Bildungsarbeit anders funktioniert. Wir werden damit weitermachen und darauf freue ich mich.

(Das Interview führte Charlotte Schindler, LJR Hamburg)