Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3+4-2018, Rubrik Kommentar

Vier Jahre Bundeskinderschutzgesetz in Hamburg – ein Zwischenfazit

Von Daniel Knoblich, LJR-Vorsitzender

Die Hamburgische Bürgerschaft hat mit der Drucksache 21/5948 (Einsetzungsantrag) am 14.09.2016 beschlossen, eine Enquete-Kommission zum Thema »Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken« einzusetzen. »Die Enquete-Kommission wird gebeten, das Ergebnis ihrer Beratung der Bürgerschaft bis zum 31.10.2018 schriftlich vorzulegen.« (s. Drucksache 21/5948 – III.). Aktuell befindet sich die Enquete-Kommission in der Endphase der Ergebnisdokumentation. Die Enquete-Kommission soll dabei zu 20 unterschiedlichen Fragestellungen Antworten liefern.

Doch was lässt sich alles unter dem Wort »Kinderschutz« subsummieren. In der Kinder- und Jugendhilfe ist das wirklich ein sehr breites Themenfeld: Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD), Jugendhilfeinspektion, Pflegekinderhilfe sowie Pflegestellen, etc. Ohne Frage handelt es sich hierbei um enorm wichtige Themen und Fragestellungen.Durchsucht man jedoch den Einsetzungsantrag der Enquete-Kommission nach den Worten »sexualisierte Gewalt«, dann erzielt man keinen Treffer. In der Jugendverbandsarbeit – welche ebenfalls Teil der Kinder- und Jugendhilfe ist – ist jedoch gerade dieses Thema höchst aktuell. Diesbezüglich ist es aus unserer Sicht zu bedauern, dass sich die Enquete-Kommission nur am Rande mit dem Thema beschäftigen kann und wird. Um jedoch abzusichern, dass die Problemlagen der Jugendhilfeträger/Jugendverbände im Themenfeld sexualisierter Gewalt an Kinder und Jugendlichen nicht in Vergessenheit geraten, hat der Vorstand des Landesjugendrings im Sommer 2018 – gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen – das Thema inkl. der Problemlagen diskutiert (s. auch die Dokumentation des LJR-Positionspapiers auf S. 8).

Im Fokus der Debatte stand dabei das »Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen« (BKiSchG) aus dem Jahr 2012, das seit 2014 in Hamburg durch Vereinbarungen (gem. § 72a Sozialgesetzbuch – Achtes Buch) zwischen dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe (der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration) und den Jugendhilfeträgern/Jugendverbänden Anwendung findet. Kern dieser Präventionsvereinbarungen ist die Einsichtnahme in das erweitere Führungszeugnis der in der Jugendhilfe tätigen Personen, wodurch einschlägig vorbestrafte Täter/innen (Sexualstrafrecht) erst identifiziert und dann aus den Strukturen der Jugendhilfeträger/Jugendverbände ausgeschlossen werden sollen. In der Praxis ergeben sich jedoch verschiedene Problemlagen; zu einigen ausgewählten möchte ich hier kurz Stellung nehmen :

Problem Dunkelfeld. Zuerst muss festgestellt werden, dass Verurteilungen (Sexualstrafrecht) und die daraus resultierenden Einträge im erweiterten Führungszeugnis eher eine Ausnahme darstellen. Zum einen geschieht sexueller Missbrauch oder auch die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung meistens in Eins-zu-eins-Situationen, was oft zu einem Mangel an Beweisen und Zeugen führt, die eine Verurteilung wahrscheinlich machen. Zum anderen wollen Opferschutzorganisationen Betroffene vor einer erneuten Traumatisierung durch ein Gerichtsverfahren bewahren. Tatsächlich gibt es pro Jahr in Deutschland vier bis sechs Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern mit Todesfolge. Jedoch ist das tatsächliche Ausmaß sexuellen Missbrauchs wesentlich höher. Forschungsergebnisse zum Dunkelfeld haben ergeben, dass auf einen Fall, der zur Anzeige kommt, zehn bis 20 Fälle nicht bekannt werden. (vgl. Was sie über sexuellen Missbrauch wissen sollten – Gedankenanstöße für einen wirksamen Kinderschutz jenseits polemischer Scheinlösungen; Amadeo Antonio Stiftung; Dresden; 2010).

Rechtsunsicherheit. Darüber hinaus nehmen erst polizeiliche, dann staatsanwaltliche Ermittlungen sehr viel Zeit in Anspruch. In der Zwischenzeit müssen die Jugendhilfeträger/Jugendverbände entscheiden, wie sie mit Beschuldigten und mutmaßlichen Opfern umgehen können und wollen. Trotz Unschuldsvermutung empfiehlt der öffentliche Träger der Jugendhilfe in solchen Situationen grundsätzlich die Freistellung der beschuldigten Person, um Beschuldigte und mutmaßliche Opfer voneinander zu trennen. Jedoch auf welcher Grundlage sollen Jugendverbände beschuldigte Personen freistellen?

Informationsdefizite. Dabei ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Informationsweiterleitung seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft an die Jugendhilfeträger/ Jugendverbände nicht strukturell aufgesetzt ist. Ketzerisch könnte man sagen, sie ist dem Zufall überlassen. Dabei kann die Weiterleitung von personenbezogenen Daten gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zum Problem für den Weiterleitenden werden.

Problem Rückfallquote. Selbst wenn Menschen einschlägig (Sexualstrafrecht) verurteilt werden, wird deren Eintrag im erweiterten Führungszeugnis nach maximal zehn Jahren wieder gelöscht. Dabei ist nach Einschätzung des Sexualwissenschaftlers Klaus Michael Beier das Rückfallrisiko für Sexualstraftäter extrem hoch. Der Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin am Berliner Universitätsklinikum Charité hat bei einer groß angelegten Studie festgestellt, dass vier Fünftel der hauptsächlich pädophil veranlagten Männer rückfällig würden. Dabei ist die Rückfallquote bei Sexualstraftaten im Vergleich zu anderen Straftaten erschreckend hoch. (vgl. www.sueddeutsche.de/politik/neue-studie-rueckfallrisiko-fuer-sexualtaeter-extrem-hoch-1.777837)

Ausblick. Im Rahmen unserer regelmäßigen Gespräche mit Senatorin Leonhard haben wir diese und weitere Problemlagen ihr gegenüber angesprochen. Wir haben uns aus den beschriebenen Gründen für Nachbesserungen bei der Umsetzung des Bundeskinderschutzgesetzes ausgesprochen. Senatorin Leonhard ist gewillt, uns hierbei zu unterstützen, jedoch hat sie gleichzeitig Erwartungsmanagement betrieben. Denn an den Stellen, die über ihren direkten Einflussbereich hinausgehen, beispielsweise der Bundesgesetzgebung (DSGVO), bedarf es eines langen Atems. Wir sind bereit diesen Weg zu beschreiten und werden Senatorin Leonhard sowohl unterstützen als auch fortwährend an die Dringlichkeit des Themas erinnern.