Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2018, Rubrik Titelthema

Drei Wochen ohne Handy und ohne Taschenlampe in der Wildnis

Interview mit Deniz Främke (21), Sippen- und Stammesführer des Stammes Minas Tirith im Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nord


Wie bist Du zu den Pfadfindern gekommen?

Deniz: Ich bin in der 6. Klasse durch einen Freund dazu gekommen, dessen Vater schon im PBN war und einen Stamm mitgegründet hatte. Der Freund hat mich aufgefordert, einfach mal mitzukommen, weil Pfadfinderei eine coole Sache sei und Spaß bringe. Als ich schließlich auf meinem ersten Heimabend war, merkte ich, wie recht er hatte: Viele andere Kinder, die gemeinsam nur coole Sachen machen. Dann bin ich dabeigeblieben.

Wo sitzt Dein Stamm?

Unser Stamm sitzt in Ohlsdorf in der »Alten Wache«. Die Pfadfinderstämme haben alle ein eigenes Heim in Hamburg. Dort werden die Kohten gelagert. Dort finden die wöchentlichen Heimabende statt. Das bedeutet, man trifft sich mit seiner Gruppe und macht unterschiedliche Sachen: Man singt Lieder, baut irgendwas oder macht Sport zusammen. Es werden Fahrten vorbereitet oder Gruppen-T-Shirts bemalt.

Was sind für Dich die Highlights als Pfadfinder?

Die Highlights sind auf jeden Fall die Großfahrten im Sommer. Wir sind regelmäßig auf Fahrten. Die meisten gehen übers Wochenende und in die Umgebung von Hamburg. Aber das Kernelement unseres Bundes ist es, drei Wochen – und das gilt für jede Sippe – auf Großfahrt ins europäische Ausland zu fahren. Es geht dann häufig nach Schweden, Polen, Großbritannien, Slowenien oder in die Slowakei. Dabei erlebt man Dinge, die man hier in Hamburg nie erleben würde.
Für Kinder ist das Aufregende, dass sie drei Wochen von den Eltern getrennt sind. Für die Älteren liegt der Reiz darin, dass wir ohne technische Hilfsmittel fahren: Drei Wochen ohne Handy und ohne Taschenlampe in der Wildnis. Wir sind wirklich jeden Tag im Wald unterwegs und abends im Zelt. Das macht dieses Pfadfinder-Abenteuer-Leben aus.

Wie läuft so eine Großfahrt ab?

Wir nehmen eine Kohte mit. Das ist ein Zelt, in dem man auch Feuer machen kann. Am Anfang planen wir eine Route, nach der wir wandern wollen. Dann fährt man einfach los und kauft sich unterwegs etwas zu essen ein, das man auf dem Feuer gut kochen kann. Abends bauen wir unser Zelt auf und am nächsten Tag wandern wir weiter zu einem anderen Ort, zu einem anderen Wald. Und das drei Wochen lang.
Natürlich gibt es auch besondere Ereignisse. Wir versuchen durch die schönsten Landschaften zu gehen, besondere Sehenswürdigkeiten mitzunehmen und die Kultur eines Landes kennenzulernen. So in etwa ist das Grundprinzip einer Großfahrt.

Was heißt es für Dich, Pfadfinder zu sein?

Für mich heißt das, innerhalb einer Gruppe neue Ideen entstehen zu lassen. Wirklich frei zu sein, aber auch äußere, starke Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen. Für Jeden ist eine Großfahrt eine große Herausforderung. Man ist jedes Mal aufgeregt und auch ein bisschen vorsichtig. Denn man geht während der drei Wochen wirklich an seine Grenzen. Nicht nur körperliche – sondern vor allem auch psychische Grenzen. Es kann ganz schnell passieren, dass du denkst: »Nein, ich habe keinen Bock mehr. Ich will einfach nur noch nach Hause, in mein Bett und duschen, was bestellen und das dann genüsslich verzehren.« Das geht natürlich nicht, und damit musst Du erst einmal klarkommen. Aber genau das ist es, was uns so ausmacht. Diese Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen. Egal, wie schwer sie sind.

Würdest Du Dich als politischen Menschen bezeichnen?

Ja, aber nicht in Verbindung mit Pfadfindern.

Aber hat die Pfadfinderei einen Teil dazu beigetragen, ein Interesse an Gesellschaft und Politik zu haben?

Unser Bund ist frei von Konfessionen und frei von politischen Einstellungen. D.h. wir haben alle möglichen Einstellungen, wir haben Leute aus allen möglichen Schichten. Bei uns ist die Zugehörigkeit unabhängig vom sozioökonomischen Status der Eltern. Vielleicht ist das bereits politisch. Für mich ist Pfadfinderei einer der Gründe, warum ich angefangen habe, mich politisch zu interessieren und darüber nachzudenken, wie eine Gesellschaft funktionieren und wie Politik besser gelingen könnte. Ich denke, dass es spätestens damit losging, als ich eine Gruppe geleitet habe. Denn da habe ich gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist, viele Leute in ein gemeinsames Vorhaben einzubinden. Du musst dir viele Gedanken machen, wie du die Bedürfnisse von vielen Menschen zusammenbringen kannst. Du kannst ja nicht jemandem sagen: »Wir müssen jetzt das Zelt aufbauen. Du hast kein Bock, aber mach's einfach!« Das klappt nicht. Stattdessen musst du versuchen, dass alle zusammen entscheiden und dass alle gemeinsam ein Gefühl für die Ziele der Gruppe entwickeln.
Das bringt mich dann auf gesellschaftliche Ideen: Wie kann man die Gesellschaft so gestalten, dass alle harmonisch zusammenleben können. Das ist auch das Problem in einer Gruppe: Wie kann man das hinkriegen, dass sich niemand benachteiligt fühlt?

(Das Interview führte Oliver Trier, Hamburg)