Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2018, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Strategie und Zukunft

Serie WirkungsStätten: Das Landesjugendwerk der AWO arbeitet am Vorstandswechsel

Von Marie Küntzler, Hamburg

Es gibt viele Wege, einen Jugendverband handlungsunfähig zu machen. Eine ziemlich sichere Variante wäre, als amtierender Vorstand sich einfach dem Staub zu machen. Nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Fraglos bedeutet die Verantwortungsübergabe von ausscheidenden Ehrenamtlichen auf ihre Nachfolger im Vorstand eine große Herausforderung. Die Jugendwerker/innen haben sich dafür etwas Besonderes ausgedacht. Ein Werkstattbericht.

Montagabend. Während die meisten Hamburger froh sind, nach dem ersten Arbeitstag der Woche ihren Feierabend zuhause zu verbringen, hat sich eine kleine Gruppe von Menschen vor der Geschäftsstelle der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Wandsbek eingefunden. Für sie steht zu ihrem Feierabend kein Abend auf dem Sofa an – sondern ein besonderes Seminar des Landesjugendwerks der AWO Hamburg: das Strategie-Treffen.

Das Treffen findet in einem Seminarraum im dritten Stock der Geschäftsstelle statt. Es gibt kleine Stärkungen und Kaffee. Nach und nach trudeln die Teilnehmer ein, die sich in einem Stuhlkreis zusammensetzen. Die Gruppe von zwölf Personen ist bunt gemischt aus Vorstandsmitgliedern sowie neuen und alten Mitglieder des Jugendwerks Hamburg. Auf der Seminaragenda steht das Selbstverständnis des Jugendverbandes. Die Teilnehmer wollen sich gemeinsam einen Überblick erarbeiten: Darüber, was das Jugendwerk an Aktivitäten anbietet, welche verschiedenen Positionen, Rollen und Ämter es innerhalb des Jugendverbandes gibt und auch wie dieser innerhalb der Gesamtorganisation der AWO verortet ist. Viele große und kleine Fragen also, auf die selbst langjährige Mitglieder nicht gleich die passende Antwort parat haben. Daher ist es Jakob Immer, dem Moderator des Seminarabends, wichtig, auf die Fragen, Wünsche und Interessen zumal der jüngeren Teilnehmer einzugehen. Schließlich geht es darum, innerhalb des Jugendwerks einen koordinierten Wechsel im Vorstand anzubahnen.
Jakob Immer hat selbst schon viele Wechsel miterlebt. Er ist 2002 über ein freiwilliges soziales Jahr zum Jugendwerk gekommen und konnte bei seiner Arbeit die verschiedenen Ebenen des Jugendwerks bis hinauf zur Bundesebene kennenlernen. Er war zweiter Bundesvorsitzender und später auch Geschäftsführer des Bundesjugendwerks in Berlin. Aktuell arbeitet Jakob als Referent bei der AWO in Hamburg.

Um einen ersten Überblick über das Jugendwerks zu sammeln, schreiben die Seminarteilnehmer Stichworte auf bunte Kärtchen. Aus dem großen Haufen formt sich allmählich ein Organigramm. Gemeinsam werden die Karten zugeordnet und damit Strukturen sichtbar. Wo es nicht weitergeht, klärt Jakob über Zusammenhänge auf. Schließlich ist das Jugendwerk ein seit 35 Jahren gewachsener und immer wieder sich wandelnder Jugendverband.

Rückblende. Das Bundesjugendwerk wurde 1978 als eigenständiger Jugendverband innerhalb der AWO gegründet. Das Landesjugendwerk Hamburg besteht als Untergliederung neben vielen weiteren Orts-, Kreis- und Landesjugendwerken im ganzen Bundesgebiet. Es versteht sich als eigenständige Sozialisations- und Bildungsinstanz für junge Menschen und beruht im Sinne der Jugendverbandsarbeit auf Selbstorganisation und Ehrenamtlichkeit.

Zwei sehr wichtige Stichworte – wie im Laufe des Abends immer deutlicher wird. »Das Jugendwerk lebt davon, was die Mitglieder daraus machen«, unterstreicht Jakob. Es gibt zwar bestimmte Strukturen und Positionen innerhalb des Jugendwerks mit bestimmten Aufgaben, die erfüllt werden müssen. Die Inhalte, Themen und Aktivitäten werden jedoch von den Mitgliedern selbst bestimmt. Das Jugendwerk besitzt als Verband natürlich eine Satzung und ein Grundsatzprogramm. Hier sind wichtige organisatorische Elemente sowie die Grundwerte beschrieben, auf denen die Arbeit des Jungendwerks beruht. Der Vorstand, der aus vier bis acht Personen besteht, ist dafür zuständig, dass die Satzung beachtet und gelebt wird. Er wird alle zwei Jahre auf der Landeskonferenz, zu der alle Mitglieder eingeladen werden, gewählt. Was das konkret bedeutet, erklärt Nathalia Gross. Sie ist seit fünf Jahren Mitglied im Jugendwerk und seit vier Jahren im Vorstand tätig. Sie kümmert sich gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern um die Öffentlichkeitsarbeit und das Tagesgeschäft im Verband sowie darum, dass alle Abläufe koordiniert werden und Aktivitäten funktionieren. Die konkrete Arbeit unterscheidet sich je nach Aufgabengebiet des Jugendwerks.
Die vielen Gesichter. Das Jugendwerk der AWO ist ein sehr vielfältiger Verein mit einem breit aufgestellten Aufgabengebiet. Das wird bei diesem Strategietreffen im Rückblick auf die letzten Aktivitäten deutlich. Auf der einen Seite steht zunächst die politische Arbeit. So gestaltet das Jugendwerk politische Aktionen und zeigt auch Präsenz auf Demonstrationen. Im vergangenen Jahr haben die Jugendwerker/innen beispielsweise an der Demonstration gegen Rechtsextremismus am Ersten Mai teilgenommen und aktiv für die Teilnahme an der Bundestagswahl geworben. Zudem veröffentlicht das Jugendwerk Positionspapiere, wenn sich eine Gruppe ihrer Mitglieder intensiv mit einem Thema befasst hat. So wurde zuletzt ein Positionspapier zum Thema gendergerechte Sprache verfasst, an dem sich nun der Verband selbst orientiert.

Ein weiterer, großer Arbeitsbereich des Jugendwerks sind Ferienfahrten für Kinder und Jugendliche, die seit 30 Jahren jeden Sommer veranstaltet werden. Begleitet werden die je Fahrt 25 bis 30 Kinder und Jugendlichen von ausgebildeten, ehrenamtlichen Jugendleitern im Alter von 18 bis 27 Jahren. Die Herausforderung auf jeder Ferienfreizeit lautet: Die Grundwerte des Jugendwerks – Solidarität, Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Toleranz und Emanzipation – sollen partizipativ gelebt werden. Jede Fahrt hat ein übergreifendes Thema, und die Kinder und Jugendlichen werden an der Planung und Gestaltung der Aktivitäten beteiligt. In den vergangenen Jahren wurden die Reisen gemäß dreier Altersgruppen aufgeteilt. So auch für die anstehende Feriensaison 2018: Für die Sieben- bis Elfjährigen ist eine Reise nach Wöpse in ein Jugendhaus am Rande des Landschaftsschutzgebietes Memsen-Sellingsloh geplant, das altersgerecht viele Spielmöglichkeiten und ein Waldschwimmbad bietet. Für die Altersgruppe von zwölf bis 17 Jahre stehen sogar zwei Reisen zur Auswahl: Eine Reise führt in den Sommerferien nach Pineda de Mar in Spanien, auf der am Mittelmeerstrand gezeltet wird; die andere geht nach Savudrija an der kroatischen Mittelmeerküste. Für die zweiwöchigen Fahrten besteht für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien die Möglichkeit, einen bezuschussten Platz zu beantragen, wodurch der Reisepreis deutlich sinkt.

Bildung mit Boßeln. Neben den Ferienfahrten organisiert das Jugendwerk zudem Seminarfreizeiten für die Altersgruppen von 13 bis 17 Jahre. Die Themen wählen die Aktiven nach ihren Bedürfnissen selbst aus. Rassismus, Drogen und Jugendbewegungen standen zuletzt auf der Agenda. Auf kürzeren Wochenendseminaren wurden Themen wie Partizipation, Kommunikation und Konflikttraining behandelt. Ergänzend organisiert das Jugendwerk regelmäßig »Stammtische«, bei denen neben Debatten gerade das gegenseitige Kennenlernen wichtig ist. Sei es auf der Schlittschuhbahn oder beim Boßeln.

Interkulturell. Wie viele Jugendverbände bildet das Landesjugendwerk seine Betreuer im Rahmen von Jugendleiterausbildungen selbst aus. Dabei werden auch neue Wege beschritten. So richtete sich die letzte Jugendleiterschulung im November vergangenen Jahres insbesondere an junge Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund. Hiwaron Binboga, seit zwei Jahren Mitglied des Jugendwerks, berichtet davon, wie schwer es zunächst war, einen Zugang zur Zielgruppe zu finden, der die Idee der Jugendverbandsarbeit und das Jugendwerk insbesondere noch völlig unbekannt war. Doch dank guter Seminarvorbereitung – u.a. durch eine Schulung in leichter Sprache –  konnten die Hürden gut genommen werden. Die zwei Teamenden der Schulung wurden zudem durch einen Übersetzer unterstützt und gemeinsam gelang es, mit einem Mix von Spiel, pädagogischen Übungen und thematischen Workshops die Teilnehmenden an die Jugendverbandsarbeit heranzuführen. Da zudem auf dem Seminar gemeinsam gekocht wurde, wurde die kulturelle Vielfalt der Teilnehmenden auch zu einer kleinen kulinarischen Reise. Der Erfolg des Projektes, so der gemeinsame Tenor auf dem Strategietreffen, ermutigt zur Fortsetzung: Eine weitere Schulung für junge Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund und gemeinsam mit weiteren Aktiven aus den Reihen des Jugendwerks soll auf den Weg gebracht werden. 

Blitzlicht-Feedback. Nach zweieinhalb Stunden intensiver Arbeit und Debatte auf dem Strategietreffen sind alle recht erschöpft. Doch die Eindrücke des Abends sind durchweg positiv. Im Blitzlicht-Feedback tauschen sich die Teilnehmenden zum Abschluss über das Erlebte aus. »Der heutige Abend hat mir mal wieder gezeigt, welche unterschiedlichen Rollen man im Jugendwerk übernehmen kann. Außerdem ist mir noch einmal bewusst geworden, welche Fähigkeiten ich durch das Jugendwerk für meine berufliche Karriere erlangt habe«, sagt Ann Kathrin, die im Vorstand tätig ist. Für Hiwaron hat der Abend ebenfalls mehr Klarheit gebracht. »Ich finde es super interessant, die unterschiedlichen Bereiche des Jugendwerks zu sehen und mit welchen ich schon in Kontakt gekommen bin. Durch dieses Aufschlüsseln der einzelnen Bereiche und Rollen innerhalb des Jugendwerks ist mir bewusstgeworden, was mir an der Arbeit des Jugendwerks wirklich wichtig ist.« Gina, die über eine Ferienfreizeit das Jugendwerk kennenlernte und erst seit vier Monaten Mitglied ist, war zum Reinschnuppern ins Seminar gekommen. Sie ist beeindruckt davon, dass die ganzen Aktivitäten des Jugendwerks auf der Freiwilligkeit der Mitglieder beruhen: »Ich bin gespannt, wie ich mich in Zukunft einbringen kann.« Und Leon bekundet: »Ich bin ohne große Erwartungen gekommen. Mein Kopf ist jetzt jedoch mit vielen neuen Gedanken gefüllt, und ich habe einen Nährboden für viele neue Ideen.« Zum Abschluss resümiert Antonia, die im Vorstand aktiv ist: »Was braucht das Jugendwerk? Menschen! Ich bin gespannt auf die nächsten Monate mit dem neuen Vorstand und auf neue Leute. Vielen Dank für die tolle Moderation, Jakob. Wenn ihr Fragen habt, stehen wir euch gerne zur Verfügung.« Die Fragen werden kommen, ein weiteres Strategietreffen ist geplant. Denn nichts ist beständiger in einem Jugendverband als der Wechsel: Die Erfahrenen scheiden aus, jüngere Mitglieder rücken nach und übernehmen Verantwortung. Umso besser, darüber gemeinsam einen Austausch zu haben. 

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