Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2015, Rubrik Titelthema

Kinder- und Jugendbeteiligung – gemeinsam bessere Entscheidungen treffen!

Von Michael Freitag, Regionalbeauftragter und Koordinator der Bürgerbeteiligung im Bezirksamt Eimsbüttel

Nun ist es schon fast rum – das erste Jahrzehnt mit einer Verpflichtung der Bezirksämter und ihrer Einrichtungen zur Kinder- und Jugendbeteiligung durch den §33 Bezirksverwaltungsgesetz (seit 2006). Was hat sich in dieser Zeit entwickelt? Wo gibt es noch große Baustellen? Welche Perspektive kann skizziert werden?

Doch zunächst zurück ins Jahr 1996, da auch die Entwicklungen in Hamburg nicht ohne einen Blick nach Norden zu erklären sind : Schleswig-Holstein verankerte damals als erstes Bundesland eine Verpflichtung zur Kinder- und Jugendbeteiligung in der Gemeindeordnung und leistete in Kooperation mit dem Deutschen Kinderhilfswerk und der Fachhochschule in Lüneburg (Prof. Stange) eine konzeptionelle und methodische Entwicklungsarbeit, die bis heute als Fundament der gesamten Thematik gelten kann. Haben sich seitdem grundlegend neue Erkenntnisse ergeben, wie Kinder und Jugendliche am besten bei der Planung von Spiel-, Sport- und Aufenthaltsflächen, der Stadt- und Landschaftsplanung, der Weiterentwicklung der sozialen Infrastruktur, dem Betrieb von Jugendeinrichtungen, bei Projekten der Kinder- und Jugendkultur sowie weiteren Planungen und Vorhaben beteiligt werden? Nein! Die Klarheit dieser Aussage mag in einer Zeit irritieren, in der uns visionäre Technologieunternehmen mindestens einmal im Jahr die Welt neu erklären. Doch der Kern der Kinder- und Jugendbeteiligung hat sich in der ganzen Zeit nicht verändert.

Beteiligungsmethoden sind nicht entscheidend. Das methodische Knowhow ist zwar wichtiges Handwerkszeug, das von jeder und jedem erlernt und erprobt werden muss, der in der Praxis gut beteiligen will. Doch ob dieses handwerkliche Geschick überhaupt eingesetzt wird, hängt nun mal in erster Linie von der Beteiligungsbereitschaft des Einzelnen ab! Aber was ist mit den Rahmenbedingungen, vor allem den Ressourcen? Beteiligungsverfahren erfordern natürlich die entsprechenden Sach- und Personalmittel. Das ist nicht von der Hand zu weisen – und sollte auch an geeigneter Stelle diskutiert werden. Doch selbst unter schwierigen Rahmenbedingungen, zum Beispiel an einer Schule, die durch § 33 BezVG (Bezirksverwaltungsgesetz) zu nichts verpflichtet wird und an der die Schulleitung für das Thema vielleicht nicht gerade offen ist, werden sich für die einzelnen Lehrkräfte immer wieder Möglichkeiten bieten, gut zu beteiligen – wenn Sie es wollen. Dies gilt im selben Maße auch für die Offene Kinder- und Jugendarbeit sowie die Kernverwaltungen der Bezirksämter.

[ Infokasten: Der Paragraph 33 Bezirksverwaltungsgesetz ]

Ob ein Bezirksamt als Ganzes, ein Jugendzentrum, ein Team, Sie oder ich beteiligen wollen, hängt in zentraler Weise von unserem Selbstverständnis ab. Da ich mich seit fast zwanzig Jahren beruflich mit den Voraussetzungen guter Kinder- und Jugendbeteiligung befasse, erlaube ich mir einfach mal eine recht forsche Einschätzung: Je mehr eine Institution, eine Gruppe von Menschen oder einzelne Personen glauben, dass Sie den einzig richtigen Weg kennen und es ein Zeichen von Professionalität ist, sich in seinen Meinungen nicht irritieren zu lassen, desto weniger sind sie in der Lage, Kinder- und Jugendliche ernst zu nehmen und zu beteiligen.

Andersherum ausgedrückt: Wer bei aller Professionalität offen dafür ist, sich von jungen Menschen in der eigenen Fachlichkeit irritieren zu lassen, hat eine sehr gute Basis für Kinder- und Jugendbeteiligung! Ich zitiere immer wieder gern das Beispiel eines Jugendpflegers aus Schleswig-Holstein, der den städtischen Kinder- und Jugendbeirat so gut aufgebaut hatte, dass ihm die Mitglieder irgendwann sagten, dass er doch bitte nicht mehr bei jeder ihrer Sitzungen dabei zu sein bräuchte. Hatte er sich das so gedacht? Sicherlich nicht! Aber er brauchte nur einen kurzen Moment der Verwunderung, bevor er sich über diese Irritation als erfolgreiche Beteiligung freuen konnte.

Sprung ins Jahr 2006: Hamburg schreibt von Schleswig-Holstein ab. Der § 33 BezVG entspricht exakt dem § 47f der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung. Für die weitere Arbeit in Hamburg war dieses Zeichen von Größe (nicht zwanghaft etwas Neues formulieren zu müssen) durchaus hilfreich, da somit auch alle Praxiserfahrungen aus dem hohen Norden unter ähnlichen rechtlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden konnten.

In den Infokästen zu den Stufen der Beteiligung, der Klärung von Beteiligungsbereitschaften sowie den Qualitätsstandards finden sich zahlreiche Informationen, die Impulse für die praktische Arbeit geben können. Hier soll jedoch zunächst weiter verfolgt werden, wie die Beteiligungsverpflichtung in Hamburg aufgenommen worden ist.

Der § 33 BezVG ist eine Muss-Bestimmung, d. h. es geht hier nicht um eine sogenannte appellative Norm (»wäre schön, wenn Sie mal Zeit und Lust dazu haben«). Des Weiteren kennt diese Bestimmung von vorherein keine thematische oder quantitative Einschränkung. Diese uneingeschränkte Geltung ist jedoch nicht als Zwang zu verstehen, immer und überall zu beteiligen, da zugleich eine »angemessene« Beteiligung und »geeignete« Verfahren gefordert werden. Das Bezirksamt Eimsbüttel hat auf die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 33 BezVG in der Form reagiert, gemeinsam mit der Bezirkspolitik eine Ausführungsvereinbarung zur Beteiligungsverpflichtung zu entwickeln. Diese ist 2011 beschlossen worden und beinhaltet unter anderem Regelungen
• 
zu den besonders in den Blick zu nehmenden Planungsbereichen,
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zur Berücksichtigung von Beteiligungskosten in den jeweiligen fachlichen Zuständigkeiten,
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zur Kommunikation zwischen Verwaltung und Politik (Drucksachen, Beschlusscontrolling, Jahresbericht) sowie
• zur Fortbildung.
Noch im selben Jahr folgte ein zweiter Beschluss, der unter anderem die Qualitätsstandards, geeignete Öffentlichkeitsarbeit und ein gemeinsames Begriffsverständnis zum Inhalt hatte.

Für die Entstehung und die Auswirkung dieser Beschlüsse waren zwei Dinge besonders wichtig :
1. Die grundlegende Offenheit des Bezirksamtes dafür, sich von den Sichtweisen junger Menschen in konstruktiver Weise »irritieren« zu lassen.
2. Die Erarbeitung der Ausführungsbestimmungen in einer Arbeitsgruppe aus Bezirksverwaltung und Bezirkspolitik.

So sehr es mich auch freut, in einem Bezirksamt mit großer Bereitschaft zur Kinder- und Jugendbeteiligung zu arbeiten, bedeutet der Umstand, dass Eimsbüttel als erster von mittlerweile viereinhalb Bezirken so eine Vereinbarung auf den Weg gebracht hat, natürlich nicht, dass unsere Jahresbilanz immer nur von Erfolgen überquillt.

Wir sehen noch immer Luft nach oben und können auch jedes Jahr einige Dinge aufführen, mit denen wir nicht zufrieden sind. Vielleicht ist gerade dies das Besondere! Da wir gemeinsam mit der Politik überlegt haben, wie wir Kinder- und Jugendbeteiligung im Bezirk organisieren und wie viel auch realistisch zu schaffen ist, können wir auch ganz offen darüber reden, wo wir noch Baustellen sehen. Im Januar oder Februar werde ich wieder unseren Jahresbericht im Jugendhilfeausschuss präsentieren. Niemand erwartet von uns eine Hochglanzbroschüre, dafür aber umso mehr eine transparente Auseinandersetzung mit Erfolgen, Herausforderungen und Schlussfolgerungen aus der Praxis. Jeder Bezirk sollte bei dem Thema seinen eigenen Weg gehen, aber ich kann nachdrücklich empfehlen, die Weiterentwicklung der Beteiligungskultur als eine gemeinsame Herausforderung für Politik und Verwaltung zu begreifen.

[ Infokasten: »Das war doch gar keine ernst gemeinte Beteiligung!« ]

Knifflig kann es mit Parteien höchstens mal bezüglich repräsentativer Jugendgremien werden – und damit meine ich gar nicht explizit Eimsbüttel. Das ist durchaus eine Fragestellung, die bundesweit immer wieder aufkommt. Mit allem Respekt für unsere Kommunalpolitikerinnen und -politiker, die fast ihre gesamte Freizeit für ihre Ämter opfern, ist die Annahme, dass so etwas wie ein Bezirksjugendbeirat funktionieren könnte, zwar nachvollziehbar, fachlich aber kaum zu untermauern:
Über Jahre gesammelte Erfahrungen zum Beispiel mit dem Kinder- und Jugendbeirat in Elmshorn oder dem Kinder- und Jugendparlament in Itzehoe haben nicht nur den Aufwand ersichtlich gemacht, der bereits in Städten dieser Größenordnung zur Begleitung der Gremien erforderlich ist, sondern auch die Grenzen aufgezeigt, was für ganz normale junge Menschen noch bedeutsam und attraktiv ist. Was in Elmshorn und Itzehoe gerade noch funktioniert (und durchaus erfolgreich) kann nicht einfach auf einen Hamburger Bezirk übertragen werden. Manchmal hilft in der Argumentation schon der Hinweis darauf, wie viele Regional- und Fachausschüsse die erwachsene Politik benötigt, um der Komplexität des Großstadtlebens gerecht zu werden – und wie viele normale Bürgerinnen und Bürger zu einem durchschnittlichen Ausschuss kommen. Warum sollte dies für junge Menschen der richtige Weg sein? Letztlich konnte nie die Kritik entkräftet werden, dass ein repräsentatives Jugendgremium auf Bezirksebene höchstwahrscheinlich im hohen Maße sozial selektiv wäre.

Eine Alternative wäre natürlich, auf Stadtteilebene zu arbeiten, wo die Themen viel näher liegen, die Fahrtwege zu Treffen kürzer sind und auch die Identifikation mit einem Gremium deutlich leichter fallen würde. Doch hier spielen tatsächlich die Ressourcen eine Rolle. Die Einführung des § 33 BezVG als Pflichtaufgabe der Bezirksverwaltungen ist mit keinem einzigen Euro zusätzlicher Mittel verbunden gewesen. Daher ist es im Moment leider nicht möglich, repräsentative Gremien auf Stadtteilebene zu organisieren. Denkbar wäre hingegen ein »Parlament der Projekte«, bei dem gezielt darauf aufgebaut wird, dass sich junge Menschen bereits bei Themen einmischen, die ihnen am Herzen liegen. Bei so einem offenen Format z.B. auf Ebene der Regionalbereiche könnten auch gemeinsam mit den jungen Menschen die bisherigen Erfahrungen mit Beteiligungsprozessen ausgewertet werden. Denn wer weiß: Vielleicht haben die bereits Beteiligten ja noch Ideen zur Verbesserung, auf die wir bislang gar nicht selbst gekommen sind.

[ Infokasten: Qualitätsstandards der Kinder- und Jugendbeteiligung ]

Trotz des Plädoyers zum Einstieg, dass es vor allem auf die Beteiligungsbereitschaft ankommt, gibt es natürlich Faktoren, die begünstigen oder einschränken, dass sich so eine Bereitschaft entwickeln kann. Offene Kinder- und Jugendarbeit, Schule und Kernverwaltungen verbindet eine Gemeinsamkeit bezüglich der Arbeitsplatzrealität: die »Konkurrenz der Vorränge«. Da es nicht mehr so einfach möglich ist, die Aufgabenpakete in eine Reihenfolge absteigender Priorität zu bringen, bedarf es auch einer äußeren Orientierung, welche der konkurrierenden Prioritäten als besonders wichtig einzuschätzen sind. Bei der Abschlussveranstaltung zu einem großen Modellprojekt in Schleswig-Holstein hat ein bewusst fachfremd eingeladener Organisationsentwickler es mal so erklärt: Wenn bei der Kinder- und Jugendbeteiligung als einem Querschnittsthema aller Bereiche der Verwaltung die Spitze des Hauses nicht explizit klarstellt, dass dies aktiv zu betreiben ist, wäre es quasi die Aufforderung, anderen Aufgaben den Vorzug zu geben. Daher ist es auch keine Böswilligkeit, wenn Mitarbeiter/innen der Verwaltung, die noch nie pädagogisch gearbeitet haben, zögerlich mit dem Thema umgehen. Hier bedarf es einerseits einer Klarstellung der Priorität und andererseits der Fortbildung, um sich dem Thema anzunähern. Die Eimsbütteler Beschlüsse zur Umsetzung des § 33 BezVG waren in diesem Sinne auch ein starkes Signal der Bezirksamtsleitung, das Thema anzupacken! Bis heute ist es selbstverständlich, dass sich alle Fachämter einmal im Monat im Rahmen der Bezirksentwicklungsplanung über den Stand der Dinge bei der Kinder- und Jugendbeteiligung austauschen. Unterstützt wird diese Kultur dadurch, dass jedes Jahr neue Mitarbeiter/innen an der vom SPFZ angebotenen Fortbildung teilnehmen (siehe Infokasten auf Seite 5). Diese Fortbildungsmöglichkeit steht ausdrücklich allen Bezirken und auch allen freien Trägern offen.

Nicht nur die Jahresberichte in Eimsbüttel, sondern zum Beispiel auch in Altona zeigen die Bandbreite dessen auf, was in den sieben Hamburger Bezirken in der Praxis alles schon passiert. In Jugendzentren und Spielhäusern, bei der Planung von Spielplätzen und Grünzügen oder der Entwicklung neuer Baugebiete verbinden sich die Offenheit für Beteiligung, der Wille zum konkreten Handeln und methodisches Knowhow zu Beteiligungsformaten, in denen Kinder und Jugendliche Selbstwirksamkeit erfahren können. Denn darauf kommt es letztlich an! Selbstwirksamkeit bedeutet dabei nicht zwangsläufig, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen, sondern dass erlebt werden kann, wie die eigene Sichtweise ernst genommen wird, in einem Abwägungsprozess einbezogen wird und es ganz selbstverständlich auch eine Rückmeldung dazu gibt, was mit den Ergebnissen der Beteiligung passiert ist. Das läuft mit Sicherheit noch nicht überall perfekt, aber vieles konnte schon auf den Weg gebracht werden. Da die konkrete »Beteiligungsarbeit« tatsächlich in Konkurrenz zu vielen anderen Aufgaben steht, ist für die Bewertung des Status quo meines Erachtens auch eher die Bereitschaft entscheidend, sich immer wieder selbstkritisch damit auseinanderzusetzen, wie die Beteiligungsverpflichtung umgesetzt wird. Jugendverbände, aber auch die jugendpolitisch Interessierten in den Parteien sind als kritische Wegbegleiter wichtige Partner in dieser Entwicklung.

[ Infokasten: Blick in die Praxis: Modellprojekt »Partizipative Gestaltung von Ganztagsangeboten« ]

Abschließend möchte ich noch etwas hervorheben, dass mich in den letzten Jahren bezüglich der Bürgerbeteiligung (egal welchen Alters) zunehmend beschäftigt : Im Privatleben haben fast alle Menschen klare Haltungen zu vielen Aspekten der Stadtentwicklung und des Zusammenlebens – somit in ganz klassischem Sinne politische Haltungen, da sie sich darüber Gedanken machen, wie wir unsere gemeinsamen Angelegenheiten am besten regeln. Zugleich wird das passive Wahlrecht – immerhin ein Grundpfeiler unserer Demokratie – ziemlich mutwillig ignoriert, als ob es dies gar nicht geben würde. In meiner Arbeit begegne ich regelmäßig Menschen, die zwischen ihrem eigenen Leben und der Welt des Politischen einen riesigen Graben sehen oder angelegt haben. Wenn von »der Politik«, oder »der Regierung« die Rede ist, wird etwas bewertet, das in einer anderen Welt zu passieren scheint. Dass ein Nachbar oder eine Nachbarin ehrenamtlich in einem politischen Gremium sitzen könnte; dass letztlich so unser Land funktioniert, scheint vielfach gar nicht mehr präsent zu sein. Von der kaum vorhandenen Bereitschaft, irgendwo selbst mal ein politisches Amt zu übernehmen, will ich gar nicht erst anfangen.

Von allen Begründungen für Kinder- und Jugendbeteiligung, die an anderer Stelle schon oft genug referiert worden sind, erscheint mir daher immer wichtiger, dass die dort ermöglichten Selbstwirksamkeitserfahrungen jungen Menschen zeigen, dass es sich lohnt, sich in die Entwicklung der Stadt und damit auch in die Entwicklung des eigenen Lebensraumes einzumischen! Nur so lässt sich verhindern, dass die Gräben zur Welt des Politischen, die in der Erwachsenenwelt schon so lange kultiviert werden, der prägende Einfluss wird.


[ Infokasten: Fortbildung zur Kinder- und Jugendbeteiligung am SPFZ ]