Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2014, Rubrik Titelthema

Stichwort: Verteidigung des Abendlandes

Pegida: Find' ich gut


Hintergrund:
Patriotische Europäer gegen die 
Islamisierung des Abendlandes, kurz Pegida, ist ein Demonstrationsbündnis in Dresden, das seit Oktober regelmäßig montagabends Protestkundgebungen durchführt. Gestartet mit 500 Personen wuchs die Zahl der Demonstrationsteilnehmer im Dezember 2014 auf rund 15.000. In vielen Städten Deutschlands gibt es mittlerweile Ableger: Düsseldorf, Bochum, Bonn, München, Würzburg, Rostock, Kassel und auch in Ostfriesland. In einem Positionspapier bekennt sich die Pegida u. a. »für die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur« und »gegen das Zulassen von Parallelgesellschaften / Parallelgerichte in unserer Mitte, wie Sharia-Gerichte, Sharia-Polizei, Friedensrichter usw.« – Bernd Lucke (s.o.) ist der Vorsitzende der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD). Zu Bernd Lucke via Facebook: Klingt doch auf den ersten Blick recht moderat, was da Herr Lucke auf seiner Seite über Pegida gepostet hat. Er begrüßt die Friedlichkeit der Proteste und gibt sich besorgt, dass sich die Protestierenden von »den Politikern nicht verstanden fühlen«. Doch Halt. Das ist bereits eine rhetorisch auffällige Stelle. Der Politiker Lucke spricht von »den« Politikern, ist jedoch selber einer. Er ist seit Juli 2014 Abgeordneter im Europäischen Parlament für die AfD. Er macht sich aber gemein mit dem einfachen Mann, den die da oben, also undifferenziert alle Politiker, nicht mehr verstehen. Diese Ansprache ist eine typische Floskel aller Rechtspopulisten, die sich als Teil einer Bewegung von unten gerieren wollen. Weiterhin spricht Lucke von den »berechtigten Sorgen« vieler Menschen »über die Ausbreitung von radikalem islamistischen Gedankengut« und der damit verbundenen Infragestellung von »unserem Rechtsstaat«. Was erst zu hinterfragen wäre, beteuert Lucke indirekt als reales Faktum mit seiner Wertung »berechtigt« – und macht so aus der tatsächlich unbedeutenden Zahl radikaler Islamisten eine ernsthafte Bedrohung des Rechtsstaates in Deutschland. Indirekt ist diese Beteuerung, da Lucke sich nicht selbst über Gründe und Ausmaß der vermeintlichen Bedrohung auslässt, sondern an der Stelle, wo er argumentieren müsste, nur den Protestierenden Recht gibt und deren Sache »gut« heißt. Wo hingegen der Faschist oder Rechtsextreme selbst ein Zerrbild vom politischen Islamismus zeichnen und sogleich gegen andere, diskreditierte Menschen hetzen würde, da macht sich der feinere Rechtspopulist nicht die Hände schmutzig. Er gibt sich als Advokat von Volkes Stimme aus und erkennt in ihr »einen Ansporn für alle Politiker, entschlossener als bislang zu handeln, wenn der politische Islamismus unseren Rechtsstaat herausfordert«. Wiederum eine indirekte Argumentationsfigur. Der feine Herr Lucke benennt weder Mittel noch Maß des eingeforderten politischen Eingreifens, ist sich aber sicher, dass »entschlossener« gehandelt werden müsste. Dabei gibt es heute bereits klare Rechtsgrundlagen, die beispielsweise die Anwendung der Scharia eindeutig verbieten. Denn in den wenigen Fällen, wo scheinbar aus der Scharia gerechtfertigte »Ehrenmorde« in muslimischen Familien geschahen, nahm die Polizei die Strafverfolgung wegen Mord auf. Und es ist nicht erkennbar, dass die Justiz in Deutschland aufgrund soziokultureller Prägungen von Tätern ein Auge zudrücken würde. Wer da noch »entschlossener« handeln möchte, meint offenbar, ohne es zu benennen, etwas anderes – und macht so Tür und Tor für rechtsextreme Phantasien auf. Professor Lucke aber, der einst in seiner Lehrtätigkeit für Makroökonomie an der Universität Hamburg das eigenständige Denken der Studierenden befördern sollte, macht sich nicht die Mühe, hier selber differenziert zu argumentieren. Er protegiert im Facebook-Posting blind und unkritisch die Feindbilder der Pegida, die den politischen Islam zur Bedrohung des ganzen Abendlandes aufblasen. Wie groß im Übrigen diese drohende Gefahr in Deutschland sei, wird nicht verraten. Nur die Wortwahl zeigt den Alarmismus, dem Lucke hier beispringt. »Zentrale abendländische Werte des Abendlandes« seien gefährdet, und es gelte, diese zu verteidigen. Man könnte darüber lachen – über so viele Elefanten aus einer Mücke. Doch schon der Antisemitismus der Nazis funktionierte ohne Bedrohung eines sogenannten weltweiten Judentums. Daher ist der rechtspopulistische Alarmismus mit seinem Feindbild vom gefährlichen radikalen Islamismus politisch ernst zu nehmen: als noch verkappter Vorbote eines offen – in Wort und Tat – bekämpften Feindbildes. Ein Letztes: Der »Untergang des Abendlandes« ist übrigens längst passé. Oswald Spengler, einer der konservativen Urväter von Untergangsszenarien einer vermeintlich heilen Welt, meinte diesen bereits gegen Ende des ersten Weltkrieges erlebt zu haben, dargelegt in seiner gleichnamigen Buchpublikation von 1918. Wobei die noch größeren Katastrophen des Nazi-Deutschlands, des Völkermordes und des zweiten Weltkrieges erst noch folgen sollten. Wer mit Untergangsszenarien hantiert, dem sei also Vorsicht geraten. Der fröhliche Urstand des alten Kampfbegriffes »Abendland« jedoch bei Pegida und Lucke (vor allem in dessen mitgedachter Entgegensetzung zum Morgenland der islamischen Welt) lässt aktuell schaudern. Die Verfassungen der demokratischen Länder Europas stehen in einer, wie auch immer national gebrochenen, Linie zu den Idealen der französischen Revolution von 1789: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wer inmitten demokratisch verfasster Gesellschaften vom Abendland schwafelt, meint und will offenbar etwas anderes. Das von Lucke und Pegida wiederbelebte Bild beschwört die religiöse Entgegensetzung von Christentum versus Islam wieder herauf. Und in Opposition zu ihrem Feindbild einer islamischen Welt steht zu befürchten, dass diese gerade eben noch rechtspopulistischen Kräfte sich wappnen, einmal mit antidemokratischen Vorstellungen ernst zu machen. Weiterdenken + Weiterfragen: Der Philosoph Ernst Bloch formulierte 1935, rückblickend auf den Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik, das unbequeme Paradigma: »Die Nazis stellen die richtigen Fragen, geben aber die falschen Antworten.« – Diesen Satz auf die Pegida und vergleichbare Organisationen bezogen, wäre zu fragen, welche und wessen Sorgen sie artikulieren. Was ist schief an der Aussage von Lutz Bachmann, dem Organisator der Pegida-Demonstrationen in Dresden, der auf die »Heime mit Vollversorgung« für Flüchtlinge schimpft, während sich die deutschen Alten »manchmal noch nicht mal ein Stück Stollen leisten können zu Weihnachten«? Gibt es Altersarmut in Deutschland? Und wenn ja, worin gründen die gesellschaftlichen Ursachen? Oder essen etwa die Flüchtlinge den »deutschen Alten«
 die Stollen weg? (jg) Quellen: Den Eintrag zur Pegida auf www.facebook.com/BerndLuckeMdEP?fref=ts hat Bernd Lucke oder sein Team inzwischen kommentarlos gelöscht. Der im Screenshot dokumentierte Aufruf erfolgte am 10.12.14.
Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit; zuerst veröffentlicht in Zürich 1935; erweiterte Ausgabe, Frankfurt a. M. 1962