Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2014, Rubrik Titelthema

Kinder | Armut | Hamburg

Eine Analyse

Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller, nordLINKS

Der Hamburger Senat hat im Herbst 2013 der Fachöffentlichkeit den überfälligen Sozialbericht (der letzte Bericht stammt aus dem Jahr 2007) vorgelegt. Mit diesem Bericht, der die Lebenslagen insbesondere der Hamburger Familien und Senioren/innendarstellt, soll eine empirische Grundlage für den Diskurs über Handlungskonzepte und Handlungsoptionen in der Arbeits- und Sozialpolitik und deren Anpassung an soziodemographische und andere gesellschaftliche Entwicklungen geliefert werden. Zusammenfassend wird als Ergebnis festgehalten: »Die vorgelegten Studien zeigen, dass weite Teile der Hamburger Bevölkerung an Bildung und Arbeit teilhaben und ökonomisch abgesichert sind. … Die Bevölkerung wie auch der Lebensstandard in Hamburg wachsen; immer mehr Menschen haben Zugang zu höherwertiger Bildung gefunden und damit die Voraussetzungen für eine nachhaltige Teilhabe an Arbeit und Wohlstand erhalten.« Armut und soziale Spaltung sind daher für die politische Führung aktuell keine Herausforderung.

Im Gegensatz zu dieser Bewertung der sozialen Spaltung [1] durch die politische Klasse wird seit Jahren in der Öffentlichkeit der Hansestadt über die Verfestigung einer Dreiteilung debattiert: in eine Stadt der Reichen, des luxuriösen Wohnens und der internationalen Wirtschaft, eine Stadt der Mittelschichten und wachsender Mietpreisprobleme und einen dritten Bereich, der gekennzeichnet ist durch Marginalisierung, soziale Benachteiligung und wohnungspolitische Verdrängung. Zentral für diese auch geographisch fixierte soziale Spaltung ist, dass der Arbeitsmarkt wenig zur sozialen Integration beiträgt und die Politik sich von der Zielvorstellung einer »Stadt für alle« abgewandt hat.
Das Grundproblem lässt sich wie folgt umreißen: Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und an der Kaufkraft ist Hamburg die reichste Region Deutschlands. Die strukturelle Entwicklung der Stadt war in den 1960er bis 1980er Jahren durch einen fortschreitenden Rückgang geringqualifizierter Beschäftigung vor allem im Bereich der maritimen Wirtschaft gekennzeichnet. Außerdem gab es ein starkes Wachstum bei hochentlohnter Beschäftigung. Parallel zu diesem Strukturwandel lässt sich eine deutliche Segregation von Niedriglohnbeziehern feststellen. Der Niedriglohnanteil in Hamburg liegt mit etwa 20 % im bundesdeutschen Durchschnitt. [2]

Zwar hat die Hansestadt zwischen 2004 und 2007 hohe Wachstumsquoten und eine Abnahme der Arbeitslosigkeit verzeichnet, aber auch in dieser Zeit lag die Zahl der Lohnabhängigen, die über ein Nettoeinkommen von weniger als 900 Euro verfügten, konstant bei über 20 %. Zugleich zeigt sich eine »eher ungleiche räumliche Verteilung der Niedriglohnanteile innerhalb der Stadt. Vor allem in den südlichen (alsternahen) Teilen der Bezirke Eimsbüttel und Hamburg-Nord, in den elbnahen Teilen des Bezirks Altona sowie im äußersten Nordwesten Hamburgs finden sich große Gebiete mit sehr geringen Niedriglohnanteilen. Dagegen erstrecken sich ausgehend vom Bezirk Harburg über Teile von Hamburg-Mitte (z. B. Wilhelmsburg und Horn), hin zum südlichen Teil des Bezirks Wandsbek (z. B. Jenfeld) Wohngegenden mit einem ausgeprägt hohen Niedriglohnanteil. Aber auch in den anderen Bezirken gibt es punktuell hohe Niedriglohnanteile (z. B. Lurup im Bezirk Altona).« [3] Wirtschaftswachstum allein ist kein Gegenmittel gegen Segregation. Das zeigt sich jetzt sechs Jahre nach der großen Krise 2008 in einer deutlichen Verhärtung der sozialen Spaltung. Zwar ist die Arbeitslosigkeit insgesamt rückläufig, die sozialräumliche Spaltung zwischen Arm und Reich (Segregation) nimmt jedoch zu. Insbesondere die Kinderarmut konzentriert sich zunehmend in bestimmten Stadtteilen. Eine Verdrängung der von Armut betroffenen Haushalte mit Kindern in die Großwohnsiedlungen am Stadtrand ist mittlerweile nachweisbar. Sowohl bei prekärer Beschäftigung als auch beim Bezug von Leistungen im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit lässt sich die Tendenz zur Segregation zeigen. Und die Kinder sind von diesen Strukturen besonders betroffen. Kinderarmut in einer reichen Region
In der Kinderarmut in Hamburg bündeln sich die sozialen Spaltungen. In vielen Stadtteilen ist fast jedes zweite Kind auf Sozialleistungen angewiesen. Dies ist die Einschätzung von Susann Grünwald, Gründerin der »Stiftung Mittagskinder« in Hamburg. »Es wäre schön, wenn unsere Stiftung überflüssig wäre«, sagt sie. »Der Bedarf ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden.« [4] Auch die Einführung von Ganztagsschulen habe die Situation nicht verändert. Den Kindern fehle es häufig an den wichtigsten Dingen, weiß Grünwald aus ihren langjährigen Erfahrungen. Eine bundesweite Untersuchung zur Kinderarmut [5] kommt zu dem Ergebnis, dass sie mit einem Mangel an vielen Dingen des Alltagslebens verbunden ist. So nehmen arme Kinder in den alten Bundesländern deutlich seltener an Aktivitäten teil, die für nichtarme Kinder fast selbstverständlich sind. [6]
Die Sozialbehörde betrachtet diese Stimmen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich als übertriebene Verallgemeinerung von Einzelfällen. Gegen diese Abwertung eines gesellschaftlichen Problems kämpft bundesweit das Kinderhilfswerk. Kinder, die mit knurrendem Magen in die Schule gehen [7], Viert- oder Fünftklässler/innen, die nur mit Mühe und Not lesen und schreiben können, oder Mädchen und Jungen, für die ein Besuch in der Schwimmhalle zu teuer ist – die Kinderarmut in Deutschland hat viele Gesichter. In der Bevölkerung ist das bekannt. Nach einer Umfrage des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) [8] sehen fast zwei Drittel der Befragten Kinderarmut als Problem. Seit Jahren wird auch öffentlich darüber diskutiert, doch eine dauerhaft erfolgreiche Strategie hat die Politik nicht gefunden.
Und wenn die Verdrängung anhält, wird sich wenig ändern. Denn aus Sicht von Praktikern/innen und Experten/innen wird Kinderarmut schlicht ignoriert. Hamburg ist ein herausragendes Beispiel für diese Verdrängungspolitik.
UN-Kinderrechtsexperten/innen haben von der Bundesregierung mehr Engagement gegen Kinderarmut gefordert. So müssten die materiellen Zuwendungen an ökonomisch benachteiligte Familien erhöht werden, um Kindern einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Das geht aus den Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes hervor, die im Februar 2014 vorgestellt wurden. Die UN-Experten/innen kritisierten zudem die ungleichen Bildungschancen in Deutschland sowie die Behandlung minderjähriger Asylbewerber/innen. Die Bundesregierung hatte bei der Präsentation ihres Berichts vor dem Ausschuss Fortschritte bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention hervorgehoben, zugleich aber weitere Diskussionen angekündigt. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes überprüft regelmäßig die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention. Hamburg im Bundesvergleich
Werfen wir einen Blick auf die Datenlage. Wie sieht die Kinderarmut in der reichsten Region Europas aus? Statt zu sagen, dass jedes fünfte Kind in Armut lebt, rechnet Sozialsenator Scheele vor, dass 83 % der Eltern über mittlere bis hohe Einkommen verfügen. Beschäftigen wir uns entgegen dieser Verniedlichung doch mit dem Fünftel der armen Kinder.
Armut wird im internationalen Vergleich und in der Bundesrepublik allgemein als relative Größe im Vergleich zum mittleren oder auch zum Medianeinkommen gemessen. [9] Als armutsgefährdet gilt demnach, wer weniger als 60 % des Pro-Kopf-Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Die »Armutsgefährdungsschwelle« in Hamburg liegt bei 928 Euro (2012) für einen Einpersonenhaushalt. Bei einer Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern liegt sie bei 1.948 Euro verfügbaren Einkommens. Für die Kinder heißt dies: In der Bundesrepublik leben 18,9 % aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren unterhalb der Armutsgrenze. Im Westen sind es 17,4 %, während im Osten ganze 26,3 % als arm gelten. Insgesamt haben sich die Werte der Kinderarmut in Deutschland zwischen Ost und West allerdings seit 2005 angenähert. Trotz der besseren Werte im Westen gibt es aber auch hier noch einige Problemgebiete. So ist das westliche Bremen Spitzenreiter in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung und auch Teile von Nordrhein-Westfalen weisen überdurchschnittlich hohe Quoten auf, teilweise mit steigender Tendenz. Die Armutsquote lag 2012 in Hamburg mit 14,8 % deutlich über der Quote der Hamburger Haushalte von 12,4 %, die Leistungen aus dem SGB II erhielten. Das Ausmaß der Armut wird also unterschätzt, wenn allein der Sozialleistungsbezug zur Grundlage genommen wird. Trotz dieser Unterzeichnung halten wir uns nachfolgend an den Sozialleistungsbezug, weil hier aktuellere Daten vorliegen. Am Jahresende 2012 lebten 224.486 Hamburger/innen ganz oder teilweise von staatlichen Sozialleistungen zur Sicherstellung der laufenden Lebensführung. Sie erhielten entweder Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld nach SGB II (›Hartz IV‹), Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, laufende Sozialhilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen oder Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Die Zahl der auf Hartz-IV-Leistungen angewiesenen Bürger/innen in Hamburg ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Dazu beigetragen haben vor allem die durch den wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre geschaffenen zusätzlichen Jobs, aber auch einige politische Entscheidungen wie Kindergeldzuschlag und Wohngelderhöhung. Insgesamt lebten im Durchschnitt des Jahres 2012 knapp 180.000 Bürger/innen in etwa 100.000 Bedarfsgemeinschaften. Besonders hoch ist der Anteil von Hartz-IV-Empfängern/innen bei Migranten/innen (50.680) mit knapp 21 % und bei Alleinerziehenden (18.342) mit über 40 %.Die Kritik am Hartz-IV-System bezieht sich nicht nur auf die Ausgestaltung der Regelsätze, die unzureichende Berücksichtigung des Bedarfes der Kinder (Bildungspaket), die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung (1-Euro-Jobs) sondern auch auf die Sanktionen. Die Politik des »Forderns und Förderns« bringt wachsende Höchststände von Sanktionen und Rekorde bei den dagegen gerichteten Widersprüchen und sozialgerichtlichen Klagen. Ein sozialer Dienstleistungssektor kann als langfristiges soziales Inklusionsprojekt nur dann gelingen, wenn ein kooperatives Zusammenwirken auf allen Ebenen ohne ständige Drohkulisse mit Strafen gesichert ist. Kinderarmut ist kein Randproblem
Kinder und Jugendliche sind besonders von Armut betroffen – auch wenn die Zahlen in den letzten Jahren leicht rückläufig waren. So lag die Quote der Kinder unter 15 Jahren, die mit ihren Eltern Leistungen zur Grundsicherung erhalten, mit 21,1 % in 2012 fast doppelt so hoch wie die der Leistungsbezieher/innen insgesamt (12,4 %). Dies betraf knapp 50.000 Kinder und Jugendliche. Noch ungünstiger stellt sich die Lage für Kinder bis sieben Jahre in Hamburg dar. Von ihnen lebt mit 22,0 % deutlich mehr als jedes fünfte Kind in Armut. Bei den Kindern und Jugendlichen im Alter von sieben bis 18 Jahren nimmt die Hilfebedürftigkeit bei einer Quote von 20,8 % in 2012 nur unwesentlich ab.»Der vorliegende Lebenslagenbericht zeigt: Im Januar 2013 lebten in Hamburg ca. 48.000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, die auf SGB-II-Leistungen angewiesen waren. 23.950 von ihnen waren unter sieben Jahre alt. Damit sind 21 % aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren auf diese Leistungen angewiesen. Weitere ca. 850 Kinder erhielten Leistungen zum Lebensunterhalt im Rahmen des SGB XII. Rund 2.000 Kinder und Jugendliche erhielten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, dessen Leistungsniveau bis zum 1. September 2012 um ein Viertel niedriger lag als in der Sozialhilfe und beim Arbeitslosengeld II.« [10] Kinder Alleinerziehender und mit Migrationshintergrund
Drei Gruppen von Kindern bzw. Haushalten, in denen sie leben, sind besonders von Armut betroffen:
• Haushalte mit drei und mehr Kindern: Familien mit drei oder mehr Kindern waren 2011 zu 25,3 % Leistungsbezieher nach SGB II.
• Alleinerziehendenhaushalte: Alleinerziehende sind im Durchschnitt zu mehr als 40 % von Grundsicherungsleistungen abhängig, bei zwei und mehr Kindern steigt diese Quote auf 49,5 %.
• Haushalte von Personen mit Migrationshintergrund: Ende 2011 waren 28 % aller Migranten/innen ohne deutschen Pass auf Sozialleistungen angewiesen – gegenüber 13 % in der Gesamtbevölkerung. Und in 2012 waren 28,9 % der Hamburger Bürger/innen mit Migrationshintergrund arm (Gesamtbevölkerung: 14,8 %). Kinderarmut ist selbstverständlich zunächst ein Armutsproblem der Eltern. Es zeigt sich aber bei genauerem Hinsehen, dass das Risiko, armutsgefährdet zu sein, mit der Kinderanzahl, die in einem Haushalt lebt, deutlich steigt. Haushalte mit drei und mehr Kindern fallen häufig unter die Armutsgrenze, auch wenn die Eltern voll erwerbstätig sind. Da die Kinderzahl in Haushalten von Bürgern/innen mit Migrationshintergrund (noch) deutlich höher liegt, gilt dies hier besonders. Auch von Arbeitslosigkeit ist Migranten/innen überdurchschnittlich betroffen – ebenso wie Alleinerziehendenhaushalte mit Kindern. Da Arbeitslosigkeit und Armut in sehr engem Bezug zueinander stehen, sind beide Personengruppen ganz besonders von Armut betroffen. Problemgruppe: Alleinerziehende
In Hamburg gab es in 2012 etwa 72.000 Alleinerziehendenhaushalte [11]. In 48.000 dieser Haushalte lebten 65.000 minderjährige und 6.000 erwachsene Kinder. Von diesen 48.000 Haushalten waren 18.800 oder 41,4 % auf Hartz-IV-Sozialleistungen angewiesen. 32,9 % dieser Alleinerziehenden waren Migranten/innen ohne deutschen Pass.
Während die Hilfequote bei Haushalten mit einem Kind mit 35,3 % etwas niedriger ausfiel, lag sie bei Haushalten mit zwei und mehr Kindern bei 55,3 %. Und: Trotz leichtem Rückgang der SGB-II-Quote in den letzten Jahren, ist die Hilfequote bei den Alleinerziehenden auf hohem Niveau geblieben.Das hat auch damit zu tun, dass nur etwa ein Drittel aller alleinerziehenden ALG-II-Bezieher/innen einer Erwerbstätigkeit nachgehen konnte, die dann auch nicht zum Leben reichte, sondern »aufgestockt« werden musste. Weitere 6.125 oder 33,4 % der alleinerziehenden erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (eLb) waren im Jahresdurchschnitt 2012 arbeitslos gemeldet. Die 12.217 oder 66,6 % der eLb, die Leistungen aus der Grundsicherung erhalten, ohne arbeitslos zu sein, können in folgende Gruppen unterteilt werden:
(1) Teilnehmer/innen an Maßnahmen der Arbeitsförderung, die weitere Leistungen aus der Grundsicherung beziehen (Anteile jeweils bezogen auf alle alleinerziehenden eLb: 10,2 %);
(2) erwerbstätige Leistungsbezieher/innen, die mehr als 15 Wochenstundenarbeiten (20,0 %);
(3) erwerbsfähige Leistungsberechtigte, welche die Schule, ein Studium oder eine Ausbildung absolvieren (0,6 %);
(4)erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen (14,9 %);
(5) erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die arbeitsunfähig erkrankt sind (8,3 %) und
(6) erwerbsfähige Leistungsberechtigte in vorruhestandsähnlichen Regelungen (1,1 %). Schließlich: Alleinerziehende haben schlechte Chancen aus ihrer Abhängigkeit von Sozialleistungen herauszukommen. Ihre Verweildauer von 48 Monaten und länger in dieser Abhängigkeit lag im Dezember 2012 bei 57,4 % (für alle eLb: 50,4 %), mit zwei Kinder bei 59,9 % sowie mit drei und mehr Kindern bei 68,6 %. Verteilung der Kinderarmut auf Stadtteile
Nicht einmal in jedem fünften Haushalt in Hamburg lebten im Jahr 2012 Kinder, knapp ein Drittel dieser Haushalte mit Kindern sind Haushalte von Alleinerziehenden (meist Frauen). Die Haushalte verteilen sich ganz unterschiedlich auf das Stadtgebiet: In einem Radius von fünf Kilometern um die Alster leben besonders wenig Haushalte mit Kindern, ebenso in den Zentren Bergedorfs und Harburgs. Dagegen ist in den Randbereichen der Stadt die Quote der Haushalte mit Kindern deutlich höher. Berücksichtigt man darüber hinaus die Dichte der Besiedlung in den Stadtteilen, dann zeigt sich, dass eine besonders hohe Anzahl von Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren in Stadtteilen wie Rahlstedt, Billstedt und Wilhelmsburg lebt.
Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund betrug 2012 in Hamburg ca. 30 % – mit deutlichen Verschiebungen nach Alter. Ihr Anteil ist in den jüngeren Altersgruppen deutlich höher als in den älteren. Nur 15 % der Männer und 12 % der Frauen über 65 Jahren haben einen Migrationshintergrund, aber 45 % der unter 15-Jährigen. Nur 19 % der Kinder unter 15 Jahren mit Migrationshintergrund haben nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den Personen mit Migrationshintergrund im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) haben hingegen fast 54 % keinen deutschen Pass. Bei den über 65-Jährigen ist der Ausländeranteil an der Bevölkerung mit Migrationshintergrund mit 51 % wiederum etwas geringer. Knapp 123.000 Kinder und Jugendliche in Hamburg haben einen Migrationshintergrund. Sie verteilen sich ganz unterschiedlich auf das Stadtgebiet. Ein Viertel aller Hamburger/innen mit Migrationshintergrund lebt im Bezirk Hamburg-Mitte. Im Vergleich der sieben Hamburger Bezirke findet sich hier mit fast 45 % auch der höchste Anteil von Personen mit Migrationshintergrund. In den Bezirken Hamburg-Nord und Eimsbüttel sind es hingegen nur 22 bzw. 23 %. Doch auch innerhalb der Bezirke gibt es zwischen den rund 100 Hamburger Stadtteilen große Unterschiede.
So gibt es bei Jugendlichen unter 20 Jahren mit Migrationshintergrund mit einem Anteil von 42 % (2006) an ihrer Alterskohorte und bei den migrantischen Kindern unter drei Jahren mit einem Anteil von 45,3 % (2009) deutliche Schwerpunkte in einzelnen Stadtteilen: »Während in Kirchwerder nur 17,5 % der Kleinkinder einen Migrationshintergrund haben, liegt der Anteil im Stadtteil Veddel mit 92,2 % um mehr als das Fünffache höher. Weitere bevölkerungsreiche Stadtteile mit einem sehr hohen Anteil von Kleinkindern mit Migrationshintergrund sind Wilhelmsburg und Rothenburgsort. Beispiele für Stadtteile mit einem geringen Anteil an Kleinkindern mit Migrationshintergrund sind unter anderem die Stadtteile Kirchwerder, Duvenstedt, Sasel und Wellingsbüttel.« [12] Kinder haben in Hamburg ein deutlich höheres Risiko, zur laufenden Lebensführung von staatlichen Sozialleistungen abhängig zu sein. Mehr als jedes fünfte Kind in Hamburg erhielt 2012 staatliche Unterstützung (gegenüber 12,4 % der Gesamtbevölkerung).
Auch hier gibt es keine Gleichverteilung in den Stadtteilen. In Billstedt, Dulsberg, Veddel und Jenfeld liegt die Abhängigkeit bei über 50 %, in Wilhelmsburg und Rothenburgsort nur knapp darunter. Dagegen ist die Hilfequote in den Elbvororten, im Alstertal und den Walddörfern deutlich unterdurchschnittlich.

Folge der Einkommensarmut: Bildungsbenachteiligung
Die Verdichtung sozialer Problemlagen hat wiederum massive Auswirkungen auf die Bildungsbedingungen und -chancen in diesen Quartieren, die in ihren Konsequenzen Armut und Kinderarmut befördern. Das beginnt beim Sprachförderbedarf der Vierjährigen. Differenziert nach einfacher bzw. ausgeprägter Förderbedürftigkeit ist festzustellen, dass jedes vierte Kind in Hamburg einen Förderbedarf hat. Kinder mit Migrationshintergrund haben einen deutlich höheren Sprachförderbedarf: Während ihr Anteil an allen untersuchten Viereinhalbjährigen 45 % beträgt, liegt ihr Anteil an allen Sprachförderbedürftigen bei 73 %, bei denen mit ausgeprägtem Förderbedarf sogar bei 85 %. Aber Sprachförderbedarf ist nicht so sehr ein Problem von Kindern mit Migrationshintergrund, sondern vor allem ein soziales Problem, das sich in bestimmten Stadtteilen mit besonderer Problemlage konzentriert. In Jenfeld, Billstedt, Horn, Rothenburgsort, Veddel, Wilhelmsburg, Cranz, Harburg und Heimfeld liegt der Förderbedarf bei 43-57 %, in vielen anderen Stadtteilen nur zwischen 2 % und 16 %.
In der Schule setzt sich die Bildungsbenachteiligung fort. Die Stadtteile, in denen viele arme Haushalte leben, haben Schulen, an denen die Kinder deutlich schlechtere Chancen haben, gute Schulabschlüsse zu erwerben. Die Ungleichheit setzt sich bei den weiterführenden Schulen – noch verstärkt durch die soziale Spaltung zwischen Stadtteilschulen und Gymnasien – fort. Kinderarmut ist nicht nur, aber auch, ein Problem materieller Armut. Nicht ohne Grund sind heute Forderungen nach kostenlosem Frühstück und Mittagessen an Kitas und Schulen weit verbreitet. Die Erfahrung, dass Kinder ohne hochwertiges, nahrhaftes und gesundes Essen massive Nachteile auch beim schulischen Lernerfolg haben, wird an vielen Schulen täglich gemacht. Dies ist oft nicht in erster Linie eine Frage der kulturellen Gestaltung des Lebens in der Familie, sondern schlicht materieller Not. Zur täglichen Versorgung mit Nahrungsmitteln hat das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) Folgendes ermittelt: »Zwischen 2,82 Euro (Kleinkinder) und 4,77 Euro (Erwachsene) enthält die Regelleistung in 2013 für die tägliche Ernährung (mit Mahlzeiten außer Haus). Das ist entschieden zu wenig. Für eine Ernährung auf mittlerem Aktivitätsniveau braucht es täglich mindestens zwischen 3,03 Euro und 8,06 Euro.«[13] Ebenso schwer wiegt, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, von vielen sozialen, kulturellen und sportlichen Aktivitäten ausgeschlossen sind, weil diese immer mehr Geld kosten: »Das Leben von armen Kindern ist ein Leben mit stark beschränkten Möglichkeiten. Kinder aus armen Familien können ihre Geburtstage oft nicht so wie ihre Klassenkameradinnen und -kameraden feiern, die üblichen Preise für Fahrkarten, Sportveranstaltungen, Musik, Theater, Kino oder Schwimmbad sind große Barrieren: Was das Leben schöner machen soll, kostet zu viel. Deshalb würde es für arme Kinder und ihre Eltern eine enorme Entlastung bedeuten, wenn die Regelsätze für Kinder und Erwachsene erhöht würden und sich an den tatsächlichen Bedarfen orientieren würden. (…) Die Möglichkeiten von in Armut lebenden Eltern, ihren Kindern förderliche Entwicklungsbedingungen zu bieten, sind beschränkt. Armut bedeutet oft wenig kindgerechtes und beengtes Wohnen, welches das Familienklima belastet. Armut verringert die Möglichkeiten für die soziale, kulturelle, bildungsbezogene Teilhabe und Gesundheit der Kinder. Kinder aus armen Familien verfügen häufig über geringere Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten in Vereinen, außerschulischen Bildungsangeboten und kindergerechten Informationsmöglichkeiten.«[14] Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Hamburg in vielfältiger Hinsicht eine gespaltene Stadt ist. Neben Stadtteilen, in denen kaum Kinder aufwachsen, gibt es Stadtteile, in denen sich die Zahl dort lebender Kinder, Armut und Sozialhilfebezug, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit und Haushalte von Bürgern/innen mit Migrationshintergrund konzentrieren. Unsere Kritik zielt letztlich auf die politische Konzeptionslosigkeit der Stadtregierung. Auch mit dem Instrumentarium der Stadtstaaten könnte die räumliche Zusammenballung der sozialen Probleme gelindert werden. Weitergehende Maßnahmen unterstellen allerdings bundesweite Eingriffe in die Sozialtransfers. Vor allem mit einer Bündelung von Maßnahmen zur sozialen Stadtentwicklung könnte die Verdichtung der Problemlagen in einigen Armutsquartieren zurückgedrängt werden. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat sich dafür ausgesprochen, die Familienförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Letztlich geht es um die Einführung einer bedarfsorientierten Kindergrundsicherung. Diese soll proportional zum Familieneinkommen gestaffelt werden. Nötig sei Unterstützung für Familien mit Finanz-problemen und nicht für die, die über höhere Kinderfreibeträge schon seit langem von der Familienförderung profitiert hätten. Bisher laufe die Förderung an vielen Stellen in die falsche Richtung. Etwa durch die derzeitige Ausgestaltung des Ehegattensplittings und der steuerlichen Freibeträge hätten Eltern mit hohen Einkommen überproportional Vorteile. Der Deutsche Kinderschutzbund hat seine Forderung nach einer finanziellen Grundsicherung für Kinder bekräftigt. »Wir brauchen eine finanzielle Grundsicherung für jedes Kind in Höhe von mindestens 500 Euro. Nur so lässt sich Kinderarmut dauerhaft verhindern«, sagte der Präsident der Organisation, Heinz Hilgers. »Im Gegenzug könnten die bisherigen Einzelleistungen abgeschafft werden. Damit könnte auch jede Menge Bürokratie eingespart werden.« Auch die Diakonie hat ein Konzept entwickelt. Es umfasst eine einheitliche finanzielle Förderung, die die bisherigen Einzelleistungen – Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag und 10-Euro-Päckchen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) – zusammenfasst. Finanziert werden soll das durch bisherige Leistungen und die Reduktion des Ehegattensplittings auf die gemeinsame Absetzbarkeit des Existenzminimums. ---------------------------------------------------------------------------------------------------- Anmerkungen: [1] Aktuelle Kommentare und Analysen zu den diversen Aspekten der sozialen Spaltung in Hamburg finden sich auf der Website: www.vorort-links.de/nordlinks/hamburg. Dort kann auch unsere zusammenfassende Bilanz »Soziale Spaltung in Hamburg« unter www.vorort-links.de/fileadmin/users/nordlinks/pdf-dateien/nords_LINKS_Soziale_Spaltungen_in_Hamburg_2014_Web.pdf heruntergeladen werden.
[2] Im Unterschied zu den offiziellen Zahlen kommen wir zu anderen Zahlenwerten im Bereich prekärer Beschäftigung: Nach unseren Berechnungen ist etwa ein Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse prekär (siehe Tabelle auf S. 5).
[3] IAB-Kurzbericht 12/2014, S. 2
[4] Zitiert nach Hamburger Morgenpost vom 18.1.2014; siehe auch die Tabelle auf S. 9
[5] Helge Baumann und Eric Seils: Wie »relativ« ist Kinderarmut? Armutsrisiko und Mangel im regionalen Vergleich, WSI-Report 11, Januar 2014
[6] Immerhin hat es mit dem Bildungspaket ein wenig Bewegung gegeben: Bedürftige Kinder und Jugendliche haben einen Rechtsanspruch aufs Mitmachen – bei Tagesausflügen und dem Mittagessen in Kita, Hort und Schule, bei Musik, Sport und Spiel in Vereinen und Gruppen. Das Bildungspaket der Bundesregierung unterstützt gezielt 2,5 Mio. Kinder und Jugendliche. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hält das Bildungspaket allerdings für gescheitert. »Besonders die Musik- und Sportgutscheine entpuppen sich als reine Luftnummer.« Das Bildungspaket sei das wohl lebensfernste, was vom Arbeitsministerium auf den Weg gebracht wurde. Auch die vom Wohlfahrtsverband befragten Kindertagesstätten, Sozial- und Familienberatungsstellen sowie Anbieter in der offenen Jugendarbeit bewerten das Bildungspaket sehr kritisch.
[7] Selbstverständlich geht es in Europa und somit auch in Hamburg immer um einen Begriff von »relativer Armut«. Ein Vergleich mit gesellschaftlichen Verhältnissen aus Ländern der 3. Welt oder Regionen mit militärischen Konflikten oder Vertreibung von Bevölkerungsgruppen führt bei der Auseinandersetzung mit Armutserscheinungen in Wohlstandsregionen nicht weiter.
[8] »Große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland fordert umfangreiche Maßnahmen gegen Kinderarmut – Umfrage im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes«, Pressemitteilung des DKHW vom 14.1.2014
[9] Ein zentraler Punkt der Debatte: Zieht man in Hamburg den Landesdurchschnitt (Median) oder Bundesdurchschnitt heran? Nimmt man den Landesmedian als Bezugspunkt, der die Lebenshaltungskosten vor Ort besser berücksichtigt, ergibt sich für die Alleinerziehenden-Haushalte in 2012 eine Armutsgefährdungsquote von 40,8 % statt der 35,2 % beim Bundesmedian.
[10] Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, S. 5/6, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014
[11] Zur Situation der Alleinerziehenden siehe die sehr materialreiche Studie: Bundesagentur für Arbeit; Analyse des Arbeitsmarkts für Alleinerziehende in Hamburg 2012
[12] Institut für Bildungsmonitoring, Bildungsbericht 2011, S. 54
[13] Zitiert in: Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, S. 3, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014
[14] Ebd., S. 5