So gibt es bei Jugendlichen unter 20 Jahren mit Migrationshintergrund mit einem Anteil von 42 % (2006) an ihrer Alterskohorte und bei den migrantischen Kindern unter drei Jahren mit einem Anteil von 45,3 % (2009) deutliche Schwerpunkte in einzelnen Stadtteilen: »Während in Kirchwerder nur 17,5 % der Kleinkinder einen Migrationshintergrund haben, liegt der Anteil im Stadtteil Veddel mit 92,2 % um mehr als das Fünffache höher. Weitere bevölkerungsreiche Stadtteile mit einem sehr hohen Anteil von Kleinkindern mit Migrationshintergrund sind Wilhelmsburg und Rothenburgsort. Beispiele für Stadtteile mit einem geringen Anteil an Kleinkindern mit Migrationshintergrund sind unter anderem die Stadtteile Kirchwerder, Duvenstedt, Sasel und Wellingsbüttel.« [12]
Kinder haben in Hamburg ein deutlich höheres Risiko, zur laufenden Lebensführung von staatlichen Sozialleistungen abhängig zu sein. Mehr als jedes fünfte Kind in Hamburg erhielt 2012 staatliche Unterstützung (gegenüber 12,4 % der Gesamtbevölkerung).
Auch hier gibt es keine Gleichverteilung in den Stadtteilen. In Billstedt, Dulsberg, Veddel und Jenfeld liegt die Abhängigkeit bei über 50 %, in Wilhelmsburg und Rothenburgsort nur knapp darunter. Dagegen ist die Hilfequote in den Elbvororten, im Alstertal und den Walddörfern deutlich unterdurchschnittlich.
Folge der Einkommensarmut: BildungsbenachteiligungDie Verdichtung sozialer Problemlagen hat wiederum massive Auswirkungen auf die Bildungsbedingungen und -chancen in diesen Quartieren, die in ihren Konsequenzen Armut und Kinderarmut befördern.
Das beginnt beim Sprachförderbedarf der Vierjährigen. Differenziert nach einfacher bzw. ausgeprägter Förderbedürftigkeit ist festzustellen, dass jedes vierte Kind in Hamburg einen Förderbedarf hat. Kinder mit Migrationshintergrund haben einen deutlich höheren Sprachförderbedarf: Während ihr Anteil an allen untersuchten Viereinhalbjährigen 45 % beträgt, liegt ihr Anteil an allen Sprachförderbedürftigen bei 73 %, bei denen mit ausgeprägtem Förderbedarf sogar bei 85 %.
Aber Sprachförderbedarf ist nicht so sehr ein Problem von Kindern mit Migrationshintergrund, sondern vor allem ein soziales Problem, das sich in bestimmten Stadtteilen mit besonderer Problemlage konzentriert. In Jenfeld, Billstedt, Horn, Rothenburgsort, Veddel, Wilhelmsburg, Cranz, Harburg und Heimfeld liegt der Förderbedarf bei 43-57 %, in vielen anderen Stadtteilen nur zwischen 2 % und 16 %.
In der Schule setzt sich die Bildungsbenachteiligung fort. Die Stadtteile, in denen viele arme Haushalte leben, haben Schulen, an denen die Kinder deutlich schlechtere Chancen haben, gute Schulabschlüsse zu erwerben. Die Ungleichheit setzt sich bei den weiterführenden Schulen – noch verstärkt durch die soziale Spaltung zwischen Stadtteilschulen und Gymnasien – fort.
Kinderarmut ist nicht nur, aber auch, ein Problem materieller Armut. Nicht ohne Grund sind heute Forderungen nach kostenlosem Frühstück und Mittagessen an Kitas und Schulen weit verbreitet. Die Erfahrung, dass Kinder ohne hochwertiges, nahrhaftes und gesundes Essen massive Nachteile auch beim schulischen Lernerfolg haben, wird an vielen Schulen täglich gemacht. Dies ist oft nicht in erster Linie eine Frage der kulturellen Gestaltung des Lebens in der Familie, sondern schlicht materieller Not.
Zur täglichen Versorgung mit Nahrungsmitteln hat das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) Folgendes ermittelt: »Zwischen 2,82 Euro (Kleinkinder) und 4,77 Euro (Erwachsene) enthält die Regelleistung in 2013 für die tägliche Ernährung (mit Mahlzeiten außer Haus). Das ist entschieden zu wenig. Für eine Ernährung auf mittlerem Aktivitätsniveau braucht es täglich mindestens zwischen 3,03 Euro und 8,06 Euro.«[13]
Ebenso schwer wiegt, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, von vielen sozialen, kulturellen und sportlichen Aktivitäten ausgeschlossen sind, weil diese immer mehr Geld kosten: »Das Leben von armen Kindern ist ein Leben mit stark beschränkten Möglichkeiten. Kinder aus armen Familien können ihre Geburtstage oft nicht so wie ihre Klassenkameradinnen und -kameraden feiern, die üblichen Preise für Fahrkarten, Sportveranstaltungen, Musik, Theater, Kino oder Schwimmbad sind große Barrieren: Was das Leben schöner machen soll, kostet zu viel. Deshalb würde es für arme Kinder und ihre Eltern eine enorme Entlastung bedeuten, wenn die Regelsätze für Kinder und Erwachsene erhöht würden und sich an den tatsächlichen Bedarfen orientieren würden. (…) Die Möglichkeiten von in Armut lebenden Eltern, ihren Kindern förderliche Entwicklungsbedingungen zu bieten, sind beschränkt. Armut bedeutet oft wenig kindgerechtes und beengtes Wohnen, welches das Familienklima belastet.
Armut verringert die Möglichkeiten für die soziale, kulturelle, bildungsbezogene Teilhabe und Gesundheit der Kinder. Kinder aus armen Familien verfügen häufig über geringere Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten in Vereinen, außerschulischen Bildungsangeboten und kindergerechten Informationsmöglichkeiten.«[14]
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Hamburg in vielfältiger Hinsicht eine gespaltene Stadt ist. Neben Stadtteilen, in denen kaum Kinder aufwachsen, gibt es Stadtteile, in denen sich die Zahl dort lebender Kinder, Armut und Sozialhilfebezug, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit und Haushalte von Bürgern/innen mit Migrationshintergrund konzentrieren.
Unsere Kritik zielt letztlich auf die politische Konzeptionslosigkeit der Stadtregierung. Auch mit dem Instrumentarium der Stadtstaaten könnte die räumliche Zusammenballung der sozialen Probleme gelindert werden. Weitergehende Maßnahmen unterstellen allerdings bundesweite Eingriffe in die Sozialtransfers. Vor allem mit einer Bündelung von Maßnahmen zur sozialen Stadtentwicklung könnte die Verdichtung der Problemlagen in einigen Armutsquartieren zurückgedrängt werden.
Das Deutsche Kinderhilfswerk hat sich dafür ausgesprochen, die Familienförderung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Letztlich geht es um die Einführung einer bedarfsorientierten Kindergrundsicherung. Diese soll proportional zum Familieneinkommen gestaffelt werden. Nötig sei Unterstützung für Familien mit Finanz-problemen und nicht für die, die über höhere Kinderfreibeträge schon seit langem von der Familienförderung profitiert hätten. Bisher laufe die Förderung an vielen Stellen in die falsche Richtung. Etwa durch die derzeitige Ausgestaltung des Ehegattensplittings und der steuerlichen Freibeträge hätten Eltern mit hohen Einkommen überproportional Vorteile.
Der Deutsche Kinderschutzbund hat seine Forderung nach einer finanziellen Grundsicherung für Kinder bekräftigt. »Wir brauchen eine finanzielle Grundsicherung für jedes Kind in Höhe von mindestens 500 Euro. Nur so lässt sich Kinderarmut dauerhaft verhindern«, sagte der Präsident der Organisation, Heinz Hilgers. »Im Gegenzug könnten die bisherigen Einzelleistungen abgeschafft werden. Damit könnte auch jede Menge Bürokratie eingespart werden.«
Auch die Diakonie hat ein Konzept entwickelt. Es umfasst eine einheitliche finanzielle Förderung, die die bisherigen Einzelleistungen – Kindergeld, Kinderfreibeträge, Kinderzuschlag und 10-Euro-Päckchen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) – zusammenfasst. Finanziert werden soll das durch bisherige Leistungen und die Reduktion des Ehegattensplittings auf die gemeinsame Absetzbarkeit des Existenzminimums.
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Anmerkungen:
[1] Aktuelle Kommentare und Analysen zu den diversen Aspekten der sozialen Spaltung in Hamburg finden sich auf der Website: www.vorort-links.de/nordlinks/hamburg. Dort kann auch unsere zusammenfassende Bilanz »Soziale Spaltung in Hamburg« unter
www.vorort-links.de/fileadmin/users/nordlinks/pdf-dateien/nords_LINKS_Soziale_Spaltungen_in_Hamburg_2014_Web.pdf heruntergeladen werden.
[2] Im Unterschied zu den offiziellen Zahlen kommen wir zu anderen Zahlenwerten im Bereich prekärer Beschäftigung: Nach unseren Berechnungen ist etwa ein Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse prekär (siehe Tabelle auf S. 5).
[3] IAB-Kurzbericht 12/2014, S. 2
[4] Zitiert nach Hamburger Morgenpost vom 18.1.2014; siehe auch die Tabelle auf S. 9
[5] Helge Baumann und Eric Seils: Wie »relativ« ist Kinderarmut? Armutsrisiko und Mangel im regionalen Vergleich, WSI-Report 11, Januar 2014
[6] Immerhin hat es mit dem Bildungspaket ein wenig Bewegung gegeben: Bedürftige Kinder und Jugendliche haben einen Rechtsanspruch aufs Mitmachen – bei Tagesausflügen und dem Mittagessen in Kita, Hort und Schule, bei Musik, Sport und Spiel in Vereinen und Gruppen. Das Bildungspaket der Bundesregierung unterstützt gezielt 2,5 Mio. Kinder und Jugendliche. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, hält das Bildungspaket allerdings für gescheitert. »Besonders die Musik- und Sportgutscheine entpuppen sich als reine Luftnummer.« Das Bildungspaket sei das wohl lebensfernste, was vom Arbeitsministerium auf den Weg gebracht wurde. Auch die vom Wohlfahrtsverband befragten Kindertagesstätten, Sozial- und Familienberatungsstellen sowie Anbieter in der offenen Jugendarbeit bewerten das Bildungspaket sehr kritisch.
[7] Selbstverständlich geht es in Europa und somit auch in Hamburg immer um einen Begriff von »relativer Armut«. Ein Vergleich mit gesellschaftlichen Verhältnissen aus Ländern der 3. Welt oder Regionen mit militärischen Konflikten oder Vertreibung von Bevölkerungsgruppen führt bei der Auseinandersetzung mit Armutserscheinungen in Wohlstandsregionen nicht weiter.
[8] »Große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland fordert umfangreiche Maßnahmen gegen Kinderarmut – Umfrage im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes«, Pressemitteilung des DKHW vom 14.1.2014
[9] Ein zentraler Punkt der Debatte: Zieht man in Hamburg den Landesdurchschnitt (Median) oder Bundesdurchschnitt heran? Nimmt man den Landesmedian als Bezugspunkt, der die Lebenshaltungskosten vor Ort besser berücksichtigt, ergibt sich für die Alleinerziehenden-Haushalte in 2012 eine Armutsgefährdungsquote von 40,8 % statt der 35,2 % beim Bundesmedian.
[10] Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, S. 5/6, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014
[11] Zur Situation der Alleinerziehenden siehe die sehr materialreiche Studie: Bundesagentur für Arbeit; Analyse des Arbeitsmarkts für Alleinerziehende in Hamburg 2012
[12] Institut für Bildungsmonitoring, Bildungsbericht 2011, S. 54
[13] Zitiert in: Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Hamburg e.V., Armut in Hamburg, S. 3, in: Sozialbericht der Freien und Hansestadt Hamburg, Januar 2014
[14] Ebd., S. 5