Von Andrea Mack-Philipp, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Stehen Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (VJM) noch im Abseits? Fehlt es an Unterstützung? Welchen Beitrag leisten sie zur Integrationsarbeit? Auf einer gemeinsamen Fachtagung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und des Deutschen Bundesjugendrings wurden Potenziale zur Stärkung der VJM durch die Zusammenarbeit von Akteuren der Jugend(verbands)arbeit und -politik ausgelotet. Ein Tagungsbericht.
»Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund sind mittlerweile wichtige und zuverlässige Akteure, deren Engagement aus der Integrationsarbeit nicht mehr wegzudenken ist«, betonte Dr. Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zu Beginn der Arbeitstagung. Die Arbeit dieser Jugendorganisationen werde in der Öffentlichkeit jedoch häufig nur wenig wahrgenommen. Auch sei ihre Entwicklung lange Zeit von Politik und Verwaltung nicht genügend unterstützt worden. In den vergangenen Jahren habe man jedoch die Anstrengungen verstärkt und gemeinsam viele erfolgreiche Maßnahmen zur Integration beginnen und umsetzen können.
Hans-Peter Bergner, Referatsleiter für Jugend und Bildung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), würdigte ebenfalls das Engagement der Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (VJM), die es in ihren Bemühungen weiter zu stärken und zu fördern gelte. Die Mitwirkung der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sei besonders wichtig, da deren Anteil an der Gesamtbevölkerung weiter steigen werde. In Jugendorganisationen lernten Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund durch die Übernahme von Verantwortung und Mitarbeit den Wert der Wahrnehmung von Gestaltungsmöglichkeiten kennen. Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund seien ein wichtiger Bestandteil des interkulturellen Dialogs und der Jugendverbandsarbeit, führte Hans-Peter Bergner weiter aus. Sie benötigten jedoch eine größere Akzeptanz als eigenständige Akteure der Jugend(verbands)- und Integrationsarbeit in der Gesellschaft.
Orte gelebter sozialer Integration. Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings, Hetav Tek, betrachtet die Arbeit der Jugendlichen in VJM nicht nur als ein Mittel zur Bildung einer eigenen – in ihrem Fall deutsch-kurdischen – Identität und zur persönlichen Entfaltung. Sie biete darüber hinaus auch Ansporn zur Übernahme von Verantwortung und zur Wahrnehmung politischer Gestaltungsmöglichkeiten. VJM seien Orte der gelebten sozialen Integration und böten zusätzlich Unterstützung bei der Bewältigung von Alltagssituationen. Sie bedauerte, dass immer noch überwiegend lediglich die Erwachsenenverbände von Menschen mit Migrationshintergrund als anerkannte Ansprechpartner für Politik und Verwaltung gelten, nicht jedoch die VJM. Man spreche über Jugendliche mit Migrationshintergrund, nicht aber mit Ihnen. Die VJM selbst verstünden sich nicht mehr als engagierte Amateure, sondern nähmen sich selbst als souveräne Organisationen mit langjähriger Erfahrung in der professionellen Integrationsarbeit und eigenen Interessenvertretung wahr.
Vor diesem Hintergrund sollte die Fachtagung Wege aufzeigen, wie die verschiedenen Akteure der Jugendarbeit und -politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene nachhaltig zusammenarbeiten können, um VJM den Zugang zu finanzieller Förderung zu ermöglichen, sie stärker in die Strukturen und Gremien der Jugendarbeit einzubeziehen und ihre Teilhabemöglichkeiten an Jugendpolitik zu verbessern.
Zivilgesellschaftliche Bedeutung. In Fachvorträgen wurde zunächst die Bedeutung von Vereinen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund als zivilgesellschaftliche Akteure erläutert und ein Überblick über die vielfältige Verbandslandschaft sowie das Engagement von VJM gegeben.
Kirsten Bruhns von der Forschungsgruppe Migration, Integration und interethnisches Zusammenleben des Deutschen Jugendinstituts in München zeigte auf, dass die Förderung bestehender VJM und weiterer Gründungsinitiativen ein wichtiger Schritt sei - nicht nur mit Blick auf individuelle Chancen und Entwicklungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund – sondern auch für die zivilgesellschaftliche Gestaltung. Sie hob insbesondere die Bedeutung von VJM für die Förderung von Potenzialen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund hervor: Als außerschulischer Lernort bieten die VJM Raum, um identitäre Zugehörigkeiten zu reflektieren und jugendspezifisches Handeln auszuprobieren. Die VJM bieten demokratisches Lernen, den Erwerb von Handlungsfähigkeiten für die Interessenvertretung sowie die Aneignung sozialer, kultureller und praktischer Kompetenzen. Indem sie Jugendliche mit Migrationshintergrund aktivieren, sich selbst öffentlich zu präsentieren und mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren zu kooperieren, trügen sie zur sozialen Integration ihrer Mitglieder und Teilnehmer bei.
Damit VJM ihre Potenziale entfalten können, bedürfe es jedoch zusätzlicher Unterstützungen. Als zentrale Aspekte zur Stärkung von VJM benannte Kirsten Bruhns die Öffnung jugendpolitischer Arenen wie Verbände, Gremien und die Sicherung der Infrastruktur von VJM sowie deren gesellschaftliche Anerkennung.
Vielfältig und engagiert. Wie vielfältig und dynamisch die Entwicklung der Vereine von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland ist, machte Ansgar Drücker, Geschäftsführer des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit (IDA), deutlich. Er stellte zunächst die drei größten eigenständigen VJM auf Bundesebene vor: Den Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ), dem derzeit rund 135 Vereine mit 33.000 Mitgliedern angehören, die DIDF-Jugend und die Deutsche Jugend aus Russland (DJR). Als Sonderfall nannte er die Deutsche Jugend in Europa (DJO), die als Dachverband für mehrere Bundesgruppen aus dem Bereich VJM fungiert. Eine Vielzahl weiterer VJM ist in einer VJM-Datenbank erfasst. Das auf der Internetseite des IDA abrufbare »Verzeichnis von Vereinen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund – VJM VZ« umfasse derzeit rund 250 Einträge und vermittle damit einen guten Überblick über die bundesweite Landschaft der VJM.
Als ein wichtiges Problem für die bundesweite Etablierung von VJM nannte Drücker die Fördervoraussetzung im Programm »Jugendverbandsarbeit« des Kinder- und Jugendplans des Bundes (KJP) in mindestens zwei neuen Bundesländern vertreten zu sein. Derzeit werde hier eine Übergangslösung über ein weiteres Förderprogramm im Kinder- und Jugendplan angewendet. Diese pragmatische und begrüßenswerte Lösung führe jedoch zu einer eigentlich ungewollten »Zwei-Töpfe-Lösung«.
In Bezug auf den sehr unterschiedlichen Stand der Repräsentation von VJM in Stadt- und Kreisjugendringen sei der Informationsstand nicht vollständig erhoben bzw. im Netz ablesbar. Das soeben gestartete Projekt »Go Together – Partizipation, Integration und interkulturelle Öffnung« des Bayerischen Jugendrings gehe dieser Frage für Bayern gezielt an. Einen Fehlschluss nannte Ansgar Drücker den Glauben, dass die Mitgliedschaft in Stadt- und Kreisjugendringen gleichbedeutend mit der Existenz und Relevanz von VJM vor Ort ist. Die Mitgliedschaft in Kreis- und Stadtjugendringen sei auch ein Ausdruck des Standes ihrer eigenen interkulturellen Öffnung und als Ring. Jugendringe vor Ort seien im Allgemeinen nicht so stark auf eine Besitzstandswahrung mit Tendenz zum »closed shop« orientiert, dennoch gäbe es weiterhin das unverbundene Nebeneinander von Jugendringen und VJM vor Ort.
Mit welchem Engagement sich Jugendliche mit Migrationshintergrund einbringen, verdeutlichte die Vorstellung von zwei unterschiedlichen VJM: Serdar Akin, Bundesvorsitzender des Bunds der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ), berichtete von der Entwicklung einer der ersten Migrantenjugendselbstorganisationen, die 1994 gegründet wurde, zur größten migrantischen Jugendorganisation in Deutschland. Mittlerweile hat sich der BDAJ in der Jugendverbandsarbeit etabliert und ist seit 2011 Vollmitglied im Deutschen Bundesjugendring. Als Beispiel für eine noch relativ junge, aber aufstrebende Jugendorganisation stellte die Vorsitzende Maria Klimovskikh den im Jahr 2001 gegründeten Verband der russischsprachigen Jugend in Deutschland – JunOst vor. Die politisch und konfessionell unabhängige Organisation ist ebenfalls bundesweit organisiert und bietet vielfältige Aktivitäten für Kinder und Jugendliche.
Neue Zugänge zum Engagement eröffnen und Eigeninitiative stärken. Wie erfolgreiche Ansätze zur Förderung der Jugendarbeit von und mit VJM beitragen, zeigte die Präsentation aktueller Projekte und Kooperationsformen auf. Vorgestellt wurde u.a. das Projekt »Engagiert statt abgehängt« der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, mit dem in VJM Einsatzstellen des Freiwilligendienstes geschaffen wurden.
Das Kooperationsprojekt »Go Together – Partizipation, Integration und interkulturelle Öffnung« des Bayerischen Jugendrings, des Bayerischen Jugendrotkreuz und der Alevitischen Jugend in Bayern soll die interkulturelle Öffnung der der Jugendverbandsarbeit in Bayern verstetigen.
Als Beispiel guter Praxis wurde zudem das Programm »Wir sind dabei! – Integration durch soziales Engagement« des Landesjugendrings Baden-Württemberg dargestellt. Das Programm fördert niedrigschwellige Projekte, die von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verschiedener Herkunft selbst erdacht, entwickelt und ehrenamtlich durchgeführt werden. Die Jugendlichen erhalten im Programm fachkundige Beratung, finanzielle Unterstützung und Anerkennung für ihr Engagement.
Chancen und Hindernisse für die Partizipation von VJM. Ein World Café sollte den Teilnehmern zunächst die Möglichkeit geben, ihre Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren. Dabei wurde den Fragen nachgegangen, welche Mitwirkungsmöglichkeiten VJM haben und wie sie diese wahrnehmen, welche Chancen und Hindernisse es für die Partizipation von VJM in den Strukturen der Jugendarbeit gibt und welche Ansprechpartner in der öffentlichen Jugendhilfe zur Verfügung stehen.
In den Workshops wurden anschließend einzelne Aspekte der Stärkung von VJM aufgegriffen und Handlungsbedarfe in diesen Themenfeldern identifiziert.
• Der erste Workshop befasste sich mit der Anerkennung von VJM als Träger der Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII. Viele VJMs erfüllen die Voraussetzungen für eine dauerhafte Förderung nicht. Das Anerkennungsverfahren unterscheidet sich aber von Bundesland zu Bundesland und stellt für VJM oft eine Hürde dar, die ohne Beratung und Unterstützung durch öffentliche Stellen und hierin erfahrene Jugendverbände oder -ringe nur schwer zu überwinden ist.
• Im zweiten Workshop wurde den Fragen nachgegangen, wie Partizipationsformen systematisch ausgeweitet werden können und welchen Beitrag öffentliche Träger zur gesellschaftlichen Teilhabe von VJM leisten können. Die Diskussion verdeutlichte, dass von Seiten der VJM ein großer Informationsbedarf zu Mitwirkungs- und Fördermöglichkeiten sowie Ansprechpartnern vor Ort besteht. Darüber hinaus sollten sich VJM, Jugendringe und -verbände sowie Verwaltungen stärker miteinander vernetzen.
• Im dritten Workshop wurde die Bedeutung von Kooperationen zwischen VJM und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren anhand von Praxisbeispielen thematisiert und die darin gewonnenen Erfahrungen vorgestellt. Die anschließende Diskussion verdeutlichte, dass Kooperationen die Strukturen von VJM nachhaltig stärken. Damit die Zusammenarbeit für beide Seiten ein Gewinn ist, müssen aber einige Voraussetzungen erfüllt sein.
• Einen Überblick über Förderinstrumente und -strukturen für VJM auf den verschiedenen föderalen Ebenen vermittelte der vierte Workshop. Am Ende waren sich die Teilnehmenden einig, dass die bestehenden Förderrichtlinien angepasst werden müssen, um den VJM eine stärkere Beteiligung an struktureller Förderung zu ermöglichen.
Die Veranstaltung machte deutlich, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund und ihre Organisationen ein großes Interesse daran haben sich gesellschaftlich zu engagieren und an den Strukturen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe zu partizipieren. Auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe an den finanziellen Ressourcen, politischen Gremien und Netzwerken der Kinder- und Jugendhilfe gibt es aber noch Hürden zu überwinden.
Eines der Grundprobleme ist, dass VJM, bedingt durch fehlende personelle (hauptamtliche) und finanzielle Ressourcen, über eine unzureichende Grundausstattung und Infrastruktur verfügen. Sie sind auf ehrenamtliches Engagement angewiesen und haben geringe Spielräume für die Gestaltung eigener Aktivitäten. Mithilfe von zeitlich befristeten Projektförderungen können teilweise Strukturen aufgebaut werden. Diese können jedoch keine kontinuierliche Arbeit gewährleisten. Zudem reichen die Personalressourcen und Kenntnisse häufig nicht aus um Projektanträge zu stellen.
Um Strukturen für eine nachhaltige Jugend- und Integrationsarbeit von bundesweit organisierten VJM zu schaffen, sollte eine Förderung ihrer Grundausstattung und Infrastruktur ermöglicht werden. Dazu ist eine Änderung der Richtlinien zum Kinder- und Jugendplan des Bundes notwendig, die für das Jahr 2014 angedacht ist.
Die Ehrenamtlichkeit der Mitarbeiter von VJM erschwert die Kommunikation mit hauptamtlichen Ansprechpartnern von öffentlichen Stellen und etablierten Organisationen aufgrund abweichender zeitlicher Erreichbarkeiten. Der Zugang zu administrativen Ebenen empfinden die VJM meist als schwierig. Behörden werden oftmals als »unüberschaubarer Dschungel« mit unklaren Zuständigkeiten gesehen, der ohne »unterstützende Lotsen nur schwer durchdrungen« werden kann.
Problematisch für die Teilhabe von VJM an Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe sind zudem die formalen Voraussetzungen für die Aufnahme in Jugendringe oder die Anerkennung als Träger der Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII. Die entsprechenden Voraussetzungen und Verfahren sollten überprüft und aktualisiert werden. Seitens der Jugendringe und -behörden sollten zudem Ansprechpartner benannt werden, die aktiv auf VJM zugehen, eine Lotsenfunktion übernehmen und die VJM während des Prozesses der Anerkennung als Träger der Kinder- und Jugendhilfe begleiten und unterstützen.
Beklagt wurden von den VJM auch ein fehlendes Interesse von öffentlichen Trägern und der schwierige Zugang zu jugendpolitischen Arenen, d.h. Gremien, Ämter und Akteure, die jugendpolitisch agieren. Ursachen hierfür seien vielfach Unkenntnis, aber auch weniger ausgeprägte Akzeptanz bis hin zur Ablehnung der VJM als Akteure in der Integrations- und Jugend(verbands)arbeit. Dies äußere sich in langen Reaktionszeiten, unbeantworteten Anfragen oder unzureichende Informationen über Termine oder Veranstaltungen. Hier müssen sich VJM durch Öffentlichkeitsarbeit stärker sichtbar machen und sich gegenüber etablierten Organisationen und Behörden als kompetenter Kooperationspartner präsentieren.
In ihren Schlussworten dankte Regina Jordan, Abteilungsleiterin Integration im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, allen Teilnehmenden für ihre Vorträge und Diskussionsbeiträge. Sie stellte fest, dass Jugendverbandsarbeit kein Selbstzweck sei, sondern dazu diene, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherzustellen. Nachhaltige Integration könne nur gelingen, wenn auch die Aufnahmegesellschaft Integrationsleistungen erbringe und bereit sei, sich interkulturell zu öffnen. Um diesen Prozess zu unterstützen, müssten neue Wege beschritten werden. In diesem Sinne sei die Tagung als Beitrag zu einem kontinuierlichen Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren der Jugend- und Integrationsarbeit zu verstehen, der weiter gefördert und intensiviert werden müsse.