Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2012, Rubrik Titelthema

»Dass es irgendwann zum Selbstläufer wird …« – Kinder mit Behinderungen in Jugendverbänden

Auszüge aus den Ergebnissen einer empirischen Studie von Gunda Voigts

Zur Studie
Im Rahmen einer Dissertation wurden 54 Jugendverbände auf Bundesebene schriftlich befragt sowie 19 leitfadengestützte Interviews mit Experten/innen für die Arbeit mit Kindern auf Bundes- und Ortsebene geführt. Gefördert wurde das Forschungsvorhaben durch die Hans-Böckler-Stiftung. Der thematische Fokus der Erhebung liegt auf den Herausforderungen sozialer Segmentierung für die Arbeit mit Kindern in Jugendverbänden. Dabei sind Kinder in Armutslagen und Kinder mit Migrationshintergrund ebenso im Fokus wie Kinder mit Behinderungen. Mögliche Zugangsbarrieren wie Gelingensbedingungen auf dem Weg zu einer Kinder- und Jugendarbeit mit inklusivem Anspruch werden betrachtet.

Die Teilnahme von Kindern mit Behinderungen
Die Studie zeigt: Kinder mit Behinderungen sind in jugendverbandlichen Angeboten unterrepräsentiert. Am ehesten nehmen sie an Freizeiten teil. Anderseits wird deutlich: Dort wo Kinder mit Behinderungen in Jugendverbänden vorkommen und das Verbandsleben mitgestalten, sind die gemachten Erfahrungen auf allen Seiten positiv. Es entsteht der Wunsch, dass genau diese Teilnahme und Teilhabe selbstverständlich wird.

Die Frage der ehrenamtlichen Mitarbeitenden
Die Gruppenangebote und die Freizeiten der Jugendverbände werden entsprechend ihrer Strukturmaxime überwiegend von Ehrenamtlichen geleitet. Das – so formulieren die Befragten – stellt die Jugendverbände bei der Öffnung für neue Zielgruppe oft vor Schwierigkeiten. Das gilt nicht nur bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung. Die gesellschaftliche Frage der Inklusion und die konkreten pädagogischen Potentiale mit Blick auf Kinder mit Behinderungen müssten deshalb in der Aus- und Fortbildung der Ehrenamtlichen stärker vorkommen.

Die »körperliche Unversehrtheit« beim Helfen, Retten, Bergen, Löschen und sportlichen Angeboten
Deutlich wird, dass die Jugendverbände mit helfenden und rettenden Tätigkeiten vor eine besondere Schwierigkeit gestellt sind: Die »körperliche Unversehrtheit« der Kinder und Jugendlichen wird zum Teil als selbstverständlich vorausgesetzt, um anderen helfen zu können. Das gilt an einigen Stellen auch für Jugendverbände, die eher körperorientierte Angebote wie Sport und Bewegung anbieten. Bei diesen Jugendverbandsgruppierungen gilt es besondere Barriere aufzubrechen, den Verbandszweck neu zu denken und mit Lobbyarbeit im eigenen Verband zu beginnen.

Teilhabe entsteht durch Teilhabe
Junge Menschen mit Behinderungen sind wie alle Kinder und Jugendlichen Experten und Expertinnen in eigener Sache. Wie sie in Jugendverbänden stärker einbezogen sein können, ist in den untersuchten Verbänden noch unzureichend diskutiert. Klarheit besteht darüber, dass die jungen Menschen mit Behinderungen selbst dazu befragt werden müssen und die Zusammenarbeit mit Institutionen, die sie besuchen, intensiviert werden muss. Zumindest in Worten zeigt sich die Bereitschaft dazu. Erste Projekte sowie spezielle Verbandsgründungen zeigen den Weg in diese Richtung bereits auf.

Quelle:
Die Studie wird als Dissertation mit dem Titel »Inklusion oder Segmentierung? – eine Analyse der Arbeit mit Kindern in Jugendverbänden« im Herbst 2012 an der Universität Kassel von der Autorin eingereicht. Erste Ergebnisse sind nachzulesen unter: Voigts, Gunda (2012): Diversität und soziale Ungleichheit als wichtige Dimensionen auf dem Weg zu einem inklusiven Gestaltungsprinzip in der Kinder- und Jugendarbeit. In: Effinger, H. u.a. (Hrsg.): Diversität und Soziale Ungleichheit. Analytische Zugänge und professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit. Opladen u.a., S. 215-227.