Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2012, Rubrik Kommentar

Ein Vertrag als Signal

Von Ronja Kieslich, LJR-Vorsitzende

Aufeinander zugehen. Im August sorgte der sogenannte Staatsvertrag der Freien und Hansestadt Hamburg mit den drei großen muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde für Diskussionsstoff. Der Vertrag soll vornehmlich die nach Verfassung und Gesetz geltenden Rechte und Pflichten aller Vertragsparteien bestätigen und bekräftigen. Er eröffnet u.a. den gemeinsamen Religionsunterricht, die Anerkennung von nicht-staatlichen Feiertagen, den Bau von Gebetstätten und das Bestattungswesen. Gleichzeitig bekennen sich die Vertragspartner zu einer gemeinsamen Wertegrundlage, wie z.B. der Gleichstellung von Mann und Frau, der Toleranz gegenüber anderen Religionen, der Trennung von Staat und Religion sowie der Nichtdiskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und religiöser und politischer Anschauungen. Der Vertrag soll also »den islamischen und alevitischen Gemeinden ihre Rechte und Pflichten bestätigen und ihnen den Platz in der Mitte der Gesellschaft einräumen«, erklärte der Erste Bürgermeister Olaf Scholz. Auch wenn vieles Symbolcharakter trägt, so ist diese Vereinbarung, die erste ihrer Art in Deutschland, keine Selbstverständlichkeit. Obwohl sie festhält, was längst selbstverständlich sein sollte. Zumal in einer Stadt, in der mehr als 100.000 Muslime das Leben mitprägen. Der Vertrag könnte ihrer Integration folglich mehr dienen als alle Debatten, ob der Islam nun ein wenig, ganz oder gar nicht zu Deutschland gehört. Insofern ist er ein Signal.

Interkulturelle Öffnung. In der punktum 1/12 haben wir unter dem Titelthema »Jung, deutsch und Muslim« die Lebenssituation muslimischer Jugendliche in Deutschland sowie deren Organisationsstrukturen thematisiert. Auch die traditionelle Jugendverbandsszene ist aufgefordert, sich weiter interkulturell zu öffnen. Hierzu gehört sowohl die Zusammenarbeit mit Migrantenselbstorganisationen auf Augenhöhe als auch die Öffnung der eigenen Angebote für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Nach wie vor ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in der Jugendverbandsarbeit im Vergleich zu Angeboten der offenen Kinder und Jugendarbeit relativ gering. Jugendverbände bieten jedoch auf einzigartige Weise die Chance, an gesellschaftlichen Prozessen zu partizipieren. Sie sind Orte des gemeinsamen Lebens und Lernens und stellen ein wichtiges Sozialisationsfeld dar. Umso wichtiger ist es, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund für unsere Angebote, aber auch für das Engagement in unseren Verbänden zu gewinnen, denn die erfolgreiche Einbindung in die traditionelle Jugendverbandsarbeit ist gelebte Integration.

Voneinander lernen. Der regelhafte Austausch mit Migrantenselbstorganisationen ist für Jugendverbände bedeutend, denn sie bündeln Engagement, Migrationserfahrungen und Kompetenzen in der Integrationsarbeit vor Ort. Die Frage nach der Aufnahme von Migrantenselbstorganisationen in die bestehenden Strukturen der Jugendverbandsarbeit wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Insofern sich die einzelnen Organisationen als Jugendverbände verstehen und den formalen Aufnahmekriterien entsprechen, wäre eine Erweiterung des Spektrums aus meiner Sicht durchaus wünschenswert. Die Möglichkeiten voneinander zu lernen sind vielfältig. Während die relativ jungen Jugendorganisationen aus dem Bereich der Migrantenselbstorganisationen oftmals Strukturförderung benötigen, können die traditionellen Jugendverbände von den Migrations- und Integrationserfahrungen der anderen Seite profitieren. Als positives Beispiel lässt sich an dieser Stelle die Aufnahme der Alevitischen Jugend Hamburg als ordentliches Mitglied in den Landesjugendring nennen. Der Aufnahme im Jahr 2009 durch die Vollversammlung war ein gemeinsamer Vorbereitungsprozess vorangegangen, in dem sich beide Seiten erfolgreich annäherten und gemeinsam auf diesen Schritt vorbereiteten. Mit Erfolg!