Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2012, Rubrik Kommentar

Was wirklich zählt …

Wahrscheinlich hat sich noch keiner die Mühe gemacht und die gefälschten Markenprodukte pro Kopf in jedem Hamburger Stadtteil gezählt. Aus soziologischer Sicht wäre dies durchaus spannend. Gerade in den statistisch ärmeren Gegenden scheinen auffallend viele Jugendliche Louis-Vuitton-Taschen zu besitzen. Kommt man mit den Eigentümern ins Gespräch und hat Gelegenheit, genauer hinzusehen oder nachzufragen, erweisen sich die Statussymbole fast ausschließlich als Fälschungen. Es ist ihre Form in unserer Gesellschaft Schritt zu halten. Die Oberfläche zählt.
Doch so sehr ich jedem Menschen seinen Besitz gönne – häufig wird für den schönen Schein sogar noch am falschen Ende gespart. Ein Problem, das scheinbar auch typisch für Hamburg ist. Als optisch herausragendes Symbol hierfür gilt vielen die Elbphilharmonie. Seit 2007 im Bau sollte bereits 2010 die Eröffnung sein. Aktuell wird das Jahr 2015 genannt. Trotz ruhender Bauarbeiten am Dach verschlingt Hamburgs »Sagrada Família« täglich über 100.000 Euro. Wer die Rechnung am Ende zahlt, ist noch offen.
Auf der anderen Seite plant der Senat massive Kürzungen, mit welchen auch die Jugendverbände rechnen müssen. Ob es genau so kommen wird, ist derzeit noch unklar. Aber darüber wird nachgedacht. Laut und öffentlich.
Mindestens 10 Prozent sind im Gespräch. Das wäre ein drastischer Einschnitt mit fatalen Folgen. Schon heute ist dieser Bereich massiv unterfinanziert. Doch daran stören sich die wenigsten. Kein Wunder: Denn viele Parteien scheinen sich erst dann für Kinder und Jugendliche zu interessieren, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist oder es dem eigenen Politikprofil nützt. Ein typisches Randthema, dass nur von Zeit zu Zeit bedient wird.
Der letzte große Aufschrei zum Thema ist noch nicht lange her. Er kam direkt nach der Todesnachricht von »Chantal« in Wilhelmsburg. Bestimmten eben noch die Bauwagenbewohner von Zomia und die Obdachlosen unter der Kersten-Miles-Brücke die sozialen Schlagzeilen der Stadt, entdeckten viele Politiker nun ihr Herz für Kinder. Jeder hatte plötzlich eine Meinung! Die Opposition echauffierte sich deutlich! Keine zwei Monate später – aus den Augen, aus dem Sinn – befinden sich andere Themen in den Schlagzeilen.

Doch bedarf es wirklich erst wieder eines Todesopfers, um eine öffentliche Diskussion über Kinder und Jugendliche – außer in Schulfragen – zu führen? Straftaten und Tote sind zählbar. Präventive Arbeit jedoch kann schwerlich geschätzt werden. Denn eine Gruppenstunde bei den Pfadfindern wird unmittelbar kaum ein Kind retten. Jedoch hat ein vertrauliches Gespräch innerhalb dort gewonnener Freundschaften gewiss schon die eine oder andere brenzlige, familiäre Situation entschärfen können. Solche Geschichten findet man nicht in der Zeitung. Ausführungen über die wichtige Rolle von Jugendverbänden in einer demokratischen und sozialen Gesellschaft finden sich nur in ausgewählter Fachliteratur.

Und dennoch: Unsere Arbeit wird von allen Parteien wohlwollend begrüßt. Diese Arbeit möchten wir auch in Zukunft gern leisten. Warme Worte reichen dafür aber nicht aus. Das Argument, dass sich für unsere Aktivitäten doch private Sponsoren aus der Wirtschaft finden ließen, stimmt nur zum Teil. Ein schickes Sportfest ließe sich vielleicht vermarkten. Aber wer gäbe schon sein Geld aus für eine kirchliche Jugendgruppe oder für die Gewerkschaftsjugend?
Jugendverbandsarbeit kommt nicht so gelackt daher wie die Welt in Hochglanzbroschüren. Eher nordisch kühl und ohne schönen Schein. Aber sie ist eben auch keine billige Kopie sondern eine echt gute Sache. Ein Stück Hamburg, bei welchem nicht die Oberfläche zählt …

Gregor Best, LJR-Vorsitzender