Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2006, Rubrik Kommentar

Go east? Die neue Himmelsrichtung im internationalen Jugendaustausch?

Von Anne Fritzler, LJR Vorsitzende

Nicht nur die Wirtschaft schaut interessiert gen Osten Europas, auch immer mehr Jugendaustauschmaßnahmen finden mit Ländern aus dem ehemaligen Ostblock und auch China statt.
Die Institution des Jugendaustausches gibt es schon seit vielen Jahren, wie eine kleine Rückschau verdeutlicht. Jedoch hat sich in der letzten Zeit die Orientierung nach Partnerländern vermehrt in den Osten orientiert.
Ein kurzer Rückblick auf die Entwicklung des Jugendaustausches zeigt die Bedeutung des Jugendaustausches. Denn es gibt kaum eine bessere Möglichkeit als einen Jugendaustausch, um die Völkerverständigung zu fördern, Vorurteile abzubauen und Interesse und Verständnis für andere Länder und deren Kulturen zu entwickeln!
Geschichtlich wurde der Jugendaustausch nach dem dritten Reich als Mittel entdeckt, die Westintegration auf der Jugendebene auszuweiten und damals noch bestehende Feindschaften zu überwinden. Aus diesem Verständnis heraus wurde auch das deutsch-französische Jugendwerk gegründet.
In den 1970er Jahren geriet der bundesdeutsche Jugendaustausch in eine Krise. Die sog. Breitenbach-Studie konstatierte eine wachsende Diskrepanz zwischen dem politischen Anspruch und veralteten Methoden sowie eine gewisse elitäre Geschlossenheit des Gebietes.
Zur gleichen Zeit ist die Exklusivität des Reisens über Austauschprogramme passé. Denn es entwickelten sich immer mehr Möglichkeiten, einen Jugendaustausch ohne politischen Auftrag durchzuführen, z.B. durch kommer-
zielle Jugendreisen und auch individuell einfacheres Reisen, wodurch der Westen Europas für Jugendliche auf abenteuerliche Weise schnell und günstig entdeckt werden konnte. Weite Teile der Jugend reist mittlerweile ohne Programm und macht »Jugendaustausch« auf eigene Faust, beginnend mit Begegnungen auf dem Campingplatz am Mittelmeer usw. Hinzu kommen spezialisierte, auch z.T. pädagogisch begleitete Angebote und nicht zu vergessen, die zahlreichen Reisen der Jugendverbände ins Ausland in den Sommerferien.
Als Zwischenfazit läßt sich festhalten: Der Jugendaustausch wurde durch die benannten Faktoren (günstige Reisemöglichkeiten, vielfältige Angebote zahlreicher dezidiert nicht politischer Akteure) »demokratisiert« – es ist eine ganz normale »Massenbewegung« im Sommer geworden. Die Frage ist: Wo ist nun das besondere des politisch gewollten Jugendaustausches? Wo liegt seine Legitimation? Was hebt einen politisch gewollten Jugendaustausch von den anderen Möglichkeiten des Reisens ab? Zunächst einmal ist es wichtig, den politisch gewollten Jugendaustausch neben der zuvor beschriebenen Massenbewegung zu sehen.
Denn es besteht kein Konkurrrenzverhältnis, sondern vielmehr ein weiteres Angebot interkulturellen Erlebens durch politisch gewollte Jugendaustauschmaßnahmen zu erfahren.
Ein entscheidender Unterschied zu der privat organisierten Ferienfahrt besteht darin, dass man sich mit den im Gastgeberland herrschenden Lebensverhältnissen auseinander setzt, zumeist unter bestimmten durch den Träger bzw. das Thema des Austausches vorgegebenen Gesichtspunkten. Auch werden diese Erfahrungen dann häufig mit Partnern vor Ort ausgetauscht und aktiv diskutiert. Gerade diese Auseinandersetzung mit der fremden Kultur führt zu einem stärkeren Verständnis für sie und auch zu interkulturellem Lernen.
Interkulturelles Lernen ist heutzutage Teil der Programmatik für politisch gewollte Jugendaustauschprogramme. Dieser Begriff ermöglicht jedoch eine Ausweitung auf relativ beliebige Begegnungen. Und wenn man mal ehrlich ist, so wirklich neu ist dieses Motiv doch auch nicht. Denn war die Motivation der ersten Jugendwerke nicht schon, die Völkerverständigung voranzutreiben? Und dies hat nur durch interkulturelles Lernen funktioniert.
Zu den bisher erwähnten Jugendwerken kamen schon bald die vielfältigen Städtepartnerschaften. Und diese durchbrachen frühzeitig die Monotonie der Westorientierung des offiziellen Bundesrepublik-Jugendaustausches auf Bundesebene – dies gilt auch für Hamburg und Leningrad, wodurch der LJR schon frühzeitig in diese Richtung auf der Jugendebene aktiv war.
Können diese Städetpartnerschaften in den Osten Europas als Vorboten der Neuorientierung des politisch geförderten Jugendaustausches auf Bundesebene gesehen werden?
Festzuhalten gilt, dass nach dem Fall des eisernen Vorhang der Osten von der Bundesrepublik als politisch nach Europa zu integrierendes Gebiet entdeckt wurde. Bezeichnend hierfür ist die Welle der Neugründungen von Jugendwerken, dem deutsch-polnischen, dem deutsch-tschechischen und zuletzt dem deutsch-russischen. Hat damit nicht schon die Renaissance des Ursprungsgedankens von der Völkerverständigung stattgefunden? Und ist die Ostorientierung des internationalen Jugendaustausches hierdurch nicht auch schon politisch vorgegeben?
Auf jeden Fall besteht für die Ostorientierung eine gewisse Berechtigung, da Reisen nach Osteuropa bei deutschen Jugendlichen nicht gerade auf der Hitliste ganz oben stehen. Aber was ist die politische Programmatik hinter dieser Neugründungswelle? Interkulturelles Lernen als neue Herausforderung in dieser Ostorientierung ? Oder handelt es sich doch nur noch um eine »jugendkulturelle Flankierung« wirtschaftspolitischer resp. geopolitischer Interessen; bzw. deren »Brotkrumen« also Abfallprodukt .
Und was ist mit China und der Städtepartnerschaft mit Shanghai? Handelt es sich hierbei wiederum um einen Vorboten nunmehr globalisierter Jugendaustauschmaßnahmen? Wohin führt der Weg? Was könnte bzw. was sollte der politische Gehalt sein? Die Schritte in den Osten sind auch für die Jugendverbände neu und mit unterschiedlichsten Hindernissen verbunden.
Die hamburger Jugendverbände können aber schon verschiedene erfolgreiche Maßnahmen aufweisen und sind bisher immer mit dem Trend der Zeit mitgekommen, wenn nicht sogar teilweise etwas voraus. Insofern bleibt abzuwarten, was die nächsten Jahre für den internationalen jugendaustausch in petto haben werden. Zugleich bleibt zu hoffen, dass die bürokratischen Hürden in diesem Bereich nicht noch weiter zunehmen werden und dass die Bedeutung, die internationale Jugendaustauschmaßnahmen haben, noch mehr in das Bewußtsein gerückt wird.