Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2007, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Welches Russland will die Jugend?

Podiumsdiskussion mit dem »Runden Tisch« aus St. Petersburg

Von Maren Riepe, Landesjugendring Hamburg

Politikverdrossenheit, mangelndes Interesse und Engagement konstatieren Umfrageinstitute bei Jugendlichen in Deutschland wie in Russland. Sowohl gegen über der Globalisierung als auch der Zukunft Europas seien junge Menschen in beiden Ländern skeptisch. Ihr Wertesystem und die Suche nach dem eigenen Glück richten sich daher zumeist auf ihr direktes Umfeld: auf Familie, Freunde, den Beruf und die persönliche Sicherheit. Mit Blick auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen sind diese Ähnlichkeiten, laut Dr. Diana Schmidt, Wissenschaftlerin der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen, erstaunlich. Während Jungendliche in Deutschland in sehr stabilen politischen Verhältnissen aufwuchsen, sind viele Bereiche des öffentlichen Lebens in Russland durch ständige Wandel geprägt: Vor allem die 1990er Jahre waren durch wirtschaftliche Überlebenskämpfe geprägt, die Medienlandschaft ist wechselhaft und korrupt, Parteien etablieren sich nur langsam und führen in der Regel populistische Wahlkämpfe. Mit dieser Einschätzung der Lage von Jugendlichen in Deutschland und Russland stiegen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Podium in die vom LJR organisierte Diskussion ein, welche von Benjamin Spatz, Referent für außerschulische Jugendbildung der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, am 31. Mai 2007 im Haus für Jugendverbände moderiert wurde.

»Wie kann Europa so über Russland denken?« fragt sich Oxana Zakharova, Mitglied der »Jungen Garde«. Der Blick von außen erscheint ihr in vielen Punkten total veraltet, das mache manchmal schon Angst. Neues Interesse und politisches Engagement bei jungen Menschen zu wecken, ist das Ziel ihrer Organisation, und Oxana ist sicher, dass dies auch gelingen wird. »Die Zukunft Russlands liegt in unseren Händen«, sagt die 20-Jährige über ihre Generation. Vor allem die aufmerksam verfolgte Außenpolitik wecke bei vielen Jugendlichen starkes Interesse. Der Konflikt um ein russisches Kriegerdenkmal in Estland beispielsweise habe viele junge Menschen mobilisiert. Hilfreich für die Aktionen ihrer Bewegung seien auch die Medien gewesen, die viele Aktivitäten begleiteten und ausführlich berichteten.

Auch Pavel Drugov, Mitglied von »Junges Europa«, hat sich vor vielen Jahren zum Ziel gesetzt, den Ruf der Politik bei Jugendlichen zu verbessern. Acht Jahre sind seitdem vergangen und die reale Politik hat es ihm, findet der 32-Jährige, nicht gerade einfacher gemacht. Die Wahlen in Russland empfindet Pavel als schlechtes Theater. Die Vorsitzenden der beiden größten Parteien »Einiges Russland« und »Gerechtes Russland« loben den Präsidenten um die Wette und alle anderen Parteien sind zu schwach oder erfüllen nicht die gesetzlichen Kriterien. Doch auch die Oppositionspartei Jabloko, in der sich Pavel viele Jahre engagiert hat, erntet wenig Lob. Die Parteistruktur sei starr und biete keine Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche. Für ihn ist die russische Politik zu einer Fassade geworden.
Der 27 Jahre alte Alexey Plotnikov, der Sekretär des »Runden Tisch« St. Petersburg ist und lange Zeit die Sozialdemokratische Jugend vertreten hat, ist traurig über das negative Russlandbild, das Frau Dr. Schmidt in ihrem Vortrag skizzierte. Dass kaum Interesse an Politik besteht, kann Alexey jedoch bestätigen. Laut einer Umfrage des Politikwissenschaftsinstituts, an dem Alexey studiert, schätzen sich nur 5 Prozent der Befragten als »politisch aktiv« ein. Als schwierigste Zeit schätzt Alexey die 1990er Jahre ein, die ein wahrer Überlebenskampf gewesen seien. Die aktuelle Stabilisierung der Wirtschaft wirke sich jedoch positiv auch auf die Jugend des Landes aus. Um früh Verständnis für demokratische Prozesse zu wecken, fordert er Schülerparlamente und andere Formen von jugendlicher Selbstverwaltung.

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Info: Der Jugendaustausch mit St. Petersburg
Um Kontakte zu Hamburger Jugendverbänden zu aufzubauen bzw. diese zu vertiefen waren vom 27. Mai bis 3. Juni acht Vertreter/innen von unterschiedlichen Jugendverbänden zu Gast in Hamburg. Der Gegenbesuch war der zweite Teil eines Multiplikatorenaustauschs zwischen dem »Runden Tisch« St. Petersburg und dem LJR. In einem abwechslungsreichen und informativen Programm haben die St. Petersburger die Jugendverbandsszene Hamburgs sowie viele unterschiedliche Seiten der Stadt kennen gelernt. Für die nächsten zwei Jahre haben der »Runde Tisch« und der LJR eine weitere Zusammenarbeit verabredet.