Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2007, Rubrik Titelthema

Neue Perspektiven durch Web 2.0?

Was geht. Was wird?

»Um nun positiv zu werden: das heißt, um das Positive am Internet aufzustöbern; ein Vorschlag zur Umfunktionierung des Internets: Das Internet ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Das Internet wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, es wäre es, wenn dieses es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Nutzer nicht nur lesen und sehen, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.«

So Bertold Brecht. Seine Vision über den »großartigsten Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens« ist allerdings über 70 Jahre alt. Brecht formulierte diese unvermindert aktuellen Thesen in einer Rede – gehalten im Jahre 1932.

Hoppla: Brecht und das Internet? Nun, das ist natürlich geschummelt. Wo im obigen Zitat die Begriffe »Internet« und »Nutzer« stehen, sprach Brecht seinerzeit vom »Rundfunk« und seinen »Zuhörern«. Er wollte deren technisch bedingtes Hierarchieverhältnis – einer sendet, alle anderen können allein empfangen und bleiben dabei stumm – revolutionieren: der Zuhörer sollte aus seiner Passivität befreit werden, um selbst als »Sender« zu agieren. Eine technische und eine soziale Utopie.

Was zu Brechts Zeit technisch unausdenkbar war, ein »ungeheures Kanalsystem« zur Vernetzung der Menschen zu errichten, ist heute mit dem Internet längst alltäglich. Die technische Infrastruktur ist in den industriell entwickelten Ländern kostengünstig nutzbar. So ist also das World Wide Web quasi jener »technisch aufgebohrte« Rundfunk, dem Brechts Vision galt.
Die entscheidende Frage jedoch bleibt: Ist auch der emanzipatorische Kern der Brechtschen Medienutopie realisiert? »Der Rundfunk«, so Brecht und bitte jetzt ans WWW denken, »müsste demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren.«

Das klingt alles nach Web 2.0 – oder genauer gesagt: nach dem, was aktuell allerorts dafür gehalten wird: Die »User« publizieren »Content« – Filme bei YouTube, Fotos bei Flickr, Texte in Wikis oder Tagebücher in Weblogs. Das »Mitmachnetz« Web 2.0 emanzipiert den vormals passiven Nutzer zum aktiven Mitglied der Online-Community.

Macht es das wirklich? Die jüngste ARD/ZDF-Onlinestudie* kommt empirisch zum gegenteiligen Befund. »Passiv durch das Web 2.0« lautet die Erkenntnis der repräsentativen Umfrage vom Mai 2007. Weiterhin stehe »der passive Abruf und nicht das aktive Erstellen von Inhalten im Vordergrund. [...] Beliebtester User Generated Content bleiben Online-Nachschlagewerke wie Wikipedia und Videoportale, die 47 Prozent bzw. 34 Prozent der Onliner schon genutzt haben. Allerdings haben erst 6 Prozent der Nutzer dieser Anwendungen schon einmal einen Beitrag für Wikipedia verfasst, 7 Prozent einen Film in ein Videoportal eingestellt und 2 Prozent eine eigene Spielfigur in einer virtuellen Welt wie Second Life geschaffen.«

Was geht. Was wird? Unsere punktum-Autoren Franz Josef Röll und Edmund Weitz werfen unterschiedliche Blicke auf das »Mitmachnetz«; fragen sowohl nach innovativen Wegen, die in der Jugendarbeit relevant sind, als auch danach, was das Web 2.0 überhaupt ist bzw. sein könnte.

(Jürgen Garbers, Landesjugendring Hamburg)


* Weitere Materialien unter: www.ard-zdf-onlinestudie.de
– Internetnutzung zwischen Pragmatismus und YouTube-Euphorie:
www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/Online07/Online07_Nutzung.pdf
– Zur typologischen Struktur medienübergreifender Nutzungsmuster
www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/Online07/Online07_ONT.pdf