Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2008, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Statements zur neuen Regelung der Studiengebühren

Junge Studierende aus den Hamburger Jugendverbänden beziehen Stellung

Der Hamburgischen Bürgerschaft lag im September (nach punktum-Redaktionsschluss) ein Gesetzentwurf der schwarz-grünen Koalition zur Reform der Studiengebühren vor. Die Eckpunkte der Reform sind:
• die Studiengebühren werden in der Regel während des Studiums gestundet;
• die Studiengebühren werden zinslos vorgestreckt für die Zeitdauer der Regelstudienzeit plus zwei Semester;
• die Studiengebühren werden von 500 € auf 375 € gesenkt;
• die Zahlung der Studiengebühren erfolgt erst nach Beendigung des Studiums, wenn die Einkünfte der/s Ex-Studierenden 30.000 €
brutto im Jahr übersteigen; sodann werden die Studiengebühren als Gesamtbetrag fällig;
• eine um zwei Semester verlängerte Stundung der Gebühren gilt für jene Studierenden, die sich in den Selbstverwaltungsorganen der Hochschule oder der Studierendenschaft
beteiligen;
• nach Überschreitung der Regelstudienzeit (plus zwei Semester) werden die Studiengebühren nicht mehr gestundet.

Trotz dieser Neuregelung der Studiengebühren sieht der Landesjugendring Hamburg die Vereinbarkeit von Ehrenamt und Studium weiter gefährdet. Denn ein Engagement im Jugendverband »kostet« Studierenden zunächst Zeit, in Folge damit Studienzeit und am Ende über zusätzlich angehäufte Studiengebühren bares Geld. Besonders problematisch: Während Studierende, die im ASTA oder in anderen Selbstverwaltungsorganen innerhalb der Hochschulen tätig sind, von einer um zwei Semester verlängerten Stundung der Gebühren profitieren sollen, gibt es für außerhalb der Uni ehrenamtlich Aktive keine analoge Regelung.

Das neue Studiengebührensystem fördert also das eher stromlinienhafte Verhalten junger Menschen, lehrt sie, Bildung als Ausbildung und Karriereweg zu begreifen und straft ehrenamtliches Engagement als letzthin kostspielige Ablenkung ab.

Doch wie sehen es Betroffene selber? Der Landesjugendring hatte einmalig zehn »Stipendien« in der Höhe der Studiengebühren für das Wintersemester 2007/2008 an junge Studierende mit Jugendleiterausbildung vergeben (vgl. punktum 1–2008). Bei ihnen hat sich punktum umgehört, wie sie die Reform der Studiengebühren einschätzen.


»Stundung ist so eine Sache«

Vanja-Christin Meyer (25) | Evangelische Jugend Hamburg | seit 2000 Leiterin einer Kinder- und Jugendgruppe in der Kirchengemeinde Schnelsen | Studentin an der Universität Hamburg | Fachbereich Rechtswissenschaft

[ Stundung ] »Leider ist das mit der Stundung ja so eine Sache. Für mich bleibt die Frage, ob ich im Semester jeweils einen ›kleinen‹ Beitrag oder nach dem Studium die komplette Summe auf einmal zahlen will. Ich werde mich wohl eher dafür entscheiden, die Studiengebühren im laufenden Studium zu zahlen, da ich nicht schon verschuldet in mein Berufsleben starten möchte.«

[ Job ] »Wie sich das Ganze nun auf meine Arbeitszeit auswirken wird, kann ich so noch nicht sagen, denn den monatlichen Verdienst von 400 € aus meinem Aushilfsjob brauche ich trotzdem als Lebensgrundlage. Allerdings werde ich wohl auf die eine oder andere Überstunde verzichten können, da ich eben nicht mehr unter dem Druck stehe, 500 € sondern eben ›nur‹ noch 375 € pro Semester davon abzuzweigen. Die eingesparte Zeit kommt dann natürlich meinem Ehrenamt wieder zu Gute. Alles in allem bin ich froh, 125 € pro Semester mehr für mich zu haben. Einen wirklich großen Unterschied zur vorherigen Situation wird es bei mir jedoch nicht geben.«


»Hart für junge Menschen im Zweitstudium«

Julia Sammoray (30) | Landesjugendwerk
der Arbeiterwohlfahrt | seit Mai 2008 Landesvorsitzende | Durchführung von Jugendleiterausbildungen | Studentin an der Universität Hamburg | Fachbereich Erziehungswissenschaft

[ Zweitstudium ] »Sicherlich stellt die Reduzierung und gleichzeitige Stundung der Gebühren eine vordergründige Entlastung des finanziellen Aufwandes dar. Allerdings sind die Forderungen der Universität ja lediglich verschoben, und Studierende, die ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit plus zwei Semester schaffen, oder – wie ich – ein Zweitstudium absolvieren, müssen trotzdem sofort zahlen. In diesem Zusammenhang sind Senat und Bürgerschaft meines Erachtens zu kurz gesprungen. Ich frage mich, was daran falsch ist, nach einem abgeschlossenen Hochschulstudium – in meinem Fall zudem nach sechs Jahren Berufserfahrung – sich noch einmal umorientieren zu wollen?

[ Stundung ] »Für mich persönlich kommt es leider nicht in Frage, die wöchentliche Arbeitszeit zu reduzieren. Ich habe kein Interesse daran, von meinem schmalen Einstiegsgehalt nach dem Examen auch noch Schulden an die Uni zurückzuzahlen. – Und ganz abgesehen davon, zähle ich ja bereits zu den ungeliebten ›Zweit- und Langzeitstudierenden‹, die sofort zur Kasse gebeten werden.

[ Regelstudienzeit ] »Das Lehramtsstudium (Staatsexamen) sieht eine Regelstudienzeit von zwölf Semestern vor. Die Toleranz von weiteren zwei Semestern wird addiert. Die Regelstudienzeit ist kaum zu schaffen, wenn man das Thema Bildung ernst nimmt. Es müsste ergo viel mehr Zeit eingeräumt werden, um Studierenden eine Chance zu geben, sich möglichst breit in ihrem Fächerportfolio aufzustellen. Das kann aber in der Regelstudienzeit gar nicht gelingen.«

[ StINe ] »Ein anderes großes Hindernis stellt die Neueinführung des sog. StudienInformationsNetzes (StINe) dar. Dieses computergesteuerte System teilt die Seminarplätze per Zufallsverfahren zu.
Ich habe es selbst am eigenen Leib erfahren, dass – obwohl noch Plätze im Seminar frei waren – mir der Zutritt verwehrt blieb. Ich solle nicht am Seminar teilnehmen, sondern mich vor den Computer setzen und das Restplatzverfahren
ausnutzen! Wenn solche Verfahren Schule machen, wird bereits systemseitig verhindert, dass ein Studium in der Regelstudienzeit zu schaffen ist.«

[ Selektion ] »Studiengebühren sind und bleiben ungerecht! Bildung muss vom Kindergarten bis zum Hochschulabschluss gebührenfrei sein, um soziale Benachteiligung auszuschließen.
Ich werde nicht auf mein ehrenamtliches Engagement verzichten – auch wenn ich dafür länger studieren sollte. Als Mitglied und Funktionsträgerin im Landesjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt sehe ich es als meine Aufgabe an, zumindest für zukünftige Generationen eine gebührenfreie Bildung zu erkämpfen!«


»Das Ehrenamt wird darunter leiden«

Christoph Schwalbe (25) | Evangelisch-methodistische Jugend | Leiter von Kinder-
und Jugendfreizeiten | »frischer« Absolvent der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg im Fachbereich Sozialpädagogik

[ Nicht-Zahlung ] »Die angestrebte Regelung, die Kosten auf 375 € zu senken, ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Allerdings wird dies zukünftig auch weiterhin eine Hürde zur Aufnahme eines Studiums für Personen darstellen, die weniger Geld zur Verfügung haben.
Die Stundung auf die Zeit danach finde ich besser als ein verzinstes Darlehen. Allerdings ist es einerseits schlecht, mit Schulden ins Berufsleben einzusteigen. Bei privaten Anliegen hat man dann kaum eine Chance, weitere Darlehen aufzunehmen.

Andererseits werden einige Berufsgruppen, z.B. Sozialarbeiter (i.d.R.), nicht mal die magische Grenze von 30.000 € pro Jahr überschreiten, was zu einer Nicht-Zahlung führt. Warum sollte man also nicht gleich die Gebühren den jeweiligen Berufsbranchen anpassen?

Natürlich bringt eine Senkung der Studiengebühren auch gleichzeitig eine Erleichterung bei der Finanzierung des Studiums. Trotzdem wird meiner Meinung nach das Ehrenamt weiterhin darunter leiden, da auch 375 € finanziert werden möchten. Und ich denke nicht, dass die Senkung automatisch prozentual zu einem Anstieg des ehrenamtlichen Engagements führt.«

[ Verschulung ] »In der Sozialpädagogik und zumal bei der Einführung des Bachelors wurde das Studium noch weiter verschult. Dies führt (sofern man aus geldbeschaffungstechnischen Gründen nicht am Regelkurs-Leben teilnehmen kann) automatisch zu einer Verlängerung des Studiums. Bereits in meinem Diplomstudiengang wurden nur einmal jährlich die Abschlussklausuren angeboten. Somit war man gezwungen, gleich zwei Semester anzuhängen, sofern nicht alle zur Zulassung zu den Abschlussklausuren benötigten Scheine zur jährlichen Frist bereits erworben waren. Diese Situation wird sich für Bachelor-Studenten, die ehrenamtlich engagiert sind oder zur Finanzierung des Studiums arbeiten und daher vom verschulten Regelstudium abweichen müssen, weiter verschlimmern.«

[ Relationen ] »Zumindest sollte eine Angleichung der Gebühren an den Verdienst im jeweiligen Studienfach gemacht werden. Denn es kann nicht sein, dass Sozialarbeiter genauso viel Studiengebühren bezahlen müssen wie Wirtschaftsleute, die vermutlich ein Vielfaches an Geld verdienen werden.«


»Hetze durch das Studium statt Allgemeinbildung«

Benjamin Ehlers (20) | Deutscher Pfadfinderbund Hamburg | 2004 bis heute Jugendleiter einer Horte | 2005 bis heute Stammesführer des Stammes »Ambronen« | Student an der Universität Hamburg | Fachbereich Physik

[ Zeitdruck ] »Ich denke, dass der Gesetzentwurf keine adäquate Lösung für das Problem der Studiengebühren ist. Das liegt für mich daran, dass der Zeitraum, in dem die Studiengebühren übernommen werden, zu begrenzt ist. Darin spiegelt sich ein grundsätzliches gesellschaftliches Problem wider: Das Studium soll immer weiter verkürzt werden. Diese Tendenz fängt an bei der Kürzung der Schulzeit um ein Jahr, geht in das neue Bachelor/Master-System ein und macht auch bei BAföG und Studiengebühren nicht halt. Während es früher üblich und möglich war, primär seinen Interessen im Studium nachzugehen und ruhig ein paar Semester länger zu studieren, damit man auch als allgemein gebildeter Mensch in die Arbeitswelt gehen konnte, hetze ich als Bachelorstudent der Physik nur Bewertungspunkten hinterher. Jedes Semester gibt es zahlreiche Abschlussprüfungen, Übungsklausuren etc.. Diese sorgen dafür, dass ich – auch durch mein Ehrenamt – gar keine Zeit finde, auch über den Tellerrand meines Studienfaches zu schauen und an etwas anderes zu denken, was mich persönlich interessieren würde.

Dass ein wirkliches Studium, in dem eine tiefe innere Auseinandersetzung mit dem Stoff stattfindet und in dem Zeit sowie Muße gegeben sein muss, um die Randfelder des Studienfachs kennen zu lernen, überhaupt nicht binnen der Regelstudienzeit abzuschließen ist, sagt dabei keiner.«

[ Parallelwelt ] »Mein Ehrenamt verschlimmert die Lage zusätzlich. Die Zeit, die andere Kommilitonen zum Lernen und Arbeiten aufwenden, verbringe ich häufig auf Fahrt oder in der Vorbereitung von Aktionen in meinem Jugendverband. Das Menschliche, das mir dadurch zuteil wird, ist für mich wie eine parallele Welt, in der ich manchmal eher aufs spätere Leben als durch das Studium vorbereitet werde. Ich bin gerne Pfadfinder und werde das auch nicht aufgeben.«


»Akademische Ausbildung ist Zukunftsvorsorge«

Jan-Henning Blohm
| Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nord | seit 2000 Sippen- und seit 2005 Stammesführer des Stammes »Mizar Alkor« in Wandsbek | Student an der Universität Hamburg | Fachbereich Holzwirtschaft

[ Regelstudienzeit ] »Mein Studium ist in der Regelstudienzeit zu schaffen – aber garantiert nicht von Ehrenamtlichen und auch nicht von ›normalen‹ Studenten, sondern nur von denen, die sich vor dem Beginn des Studiums hinsetzen und einen genauen Plan über alle Semester festlegen. Wenn dieser ›Masterplan‹ – ohne nach links oder rechts zu schauen – eingehalten wird, schafft man’s … Aber diese Studenten sehen dann in der Studienzeit nur die Bücher.«

[ Studiengebühren ] »Abschaffen! Die Leute nicht staatlich in eine Schuldenfalle schicken! Natürlich wird erst zurückgezahlt, wenn man verdient, aber bis dahin bleiben die Schulden! Ich kann es nicht verstehen, dass wir Geld bezahlen sollen, um zu studieren, während andere in der Ausbildung Geld bekommen.
Die akademische Ausbildung ist schließlich eine Zukunftsvorsorge unserer Gesellschaft. Wenn keiner mehr studiert, wer bringt uns dann weiter? – Wissen ist Macht – und Macht sollen wir kaufen?!«


»Geplante Änderungen sind ein guter Anfang«

Torsten Reuschel
| Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder |seit 2004 Leiter einer Sippe im Stamm »Bapu« in Volksdorf | Student an der Technischen Universität Hamburg-Harburg | Fachbereich Allgemeine Ingenieurwissenschaften

[ Gerechtfertigt ] »Durch den ohnehin als recht hoch geltenden Zeitaufwand meines Studiums musste ich in den vergangenen Monaten in der Verbandsarbeit leider etwas zurücktreten. Gleichzeitig begrüße ich die geplanten Änderungen, da sie in jeder Hinsicht eine Entlastung darstellen.
Ich halte die geplante Zahlung von Studiengebühren nach erfolgreichem Abschluss eines Studiums und den bis dahin zinslos gewährten Kredit für sinnvoll und gerechtfertigt.
An der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) gibt es an vielen Stellen kostenaufwendige Gerätschaften und Verbrauchsmaterialien (bspw. Experimente in Physik- und Chemie-Vorlesungen, Praktika), die es zu bezahlen gilt.
Entweder ich zahle als arbeitstätiger Akademiker über erhobene Steuern mein Studium im Nachhinein, oder aber ich werde direkt und ohne sonst möglicherweise nötige Steuererhöhung an den Kosten meiner Ausbildung beteiligt.
Sicherlich wäre es einfacher, die Steuern zu erhöhen und den arbeitenden Teil unserer Gesellschaft gleichmäßig oder gewichtet mit den Kosten der Ausbildung unserer Nachkommen zu belasten. Doch in einer Zeit, in der jeder lieber nur für das zahlt, von dem er oder sie glaubt selber etwas zu haben, ist die geplante Art der Erhebung von Studiengebühren sicherlich diejenige Lösung, die weniger Diskussion bedarf.«

[ Weniger Lernzeit ] »In ingenieurswissenschaftlichen Studiengängen ist es im Allgemeinen nichts Ungewöhnliches ein oder zwei Semester länger zu studieren – als die Regelstudienzeit vorsieht.

Einige der Kommilitonen jedoch, die den Eindruck vermitteln, ihr Studium schnurgerade und in Regelstudienzeit abzuschließen, erwecken mir gegenüber den Eindruck, wenig bis nichts anderes im Kopf zu haben. Ein Ehrenamt im Verband, welches, sofern ernsthaft verfolgt, eine große Menge an Zeit in Anspruch nimmt, wäre mit einer solchen Einstellung schwer zu vereinbaren.
Bisher verlief mein Studium gut, jedoch musste ich die Prüfungen im ersten Semester ehrenamtsbedingt mit weniger Lernzeit bestreiten als andere Kommilitonen.«