Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 1-2009, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Sport ist mehr als nur Sport!

Der Zweite Kinder- und Jugendsportbericht

von Michael Sander, Hamburger Sportjugend

Die Ergebnisse des Zweiten Kinder- und Jugendsportberichtes zeigen, dass regelmäßiges Sporttreiben nicht nur für die gesundheitliche und motorische Entwicklung von Kindern von großer Bedeutung ist. Auch die sozialen und kognitiven Lerneffekte sind durch empirische Studien eindeutig positiv belegt. Die Hamburger Sportjugend lud am Freitag, dem 13. Februar zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung über die Ergebnisse des Berichtes.
Für die Herausgeber informierte Prof. Dr. Werner Schmidt, Universität Duisburg-Essen, über ausgewählte Inhalte und Ergebnisse des Berichtes. Unter den Zuhörern weilten u.a. die sportpolitischen Sprecher der Bürgerschaftsfraktionen von CDU, SPD und GAL, der Vorsitzende des Sportausschusses der Bürgerschaft und der Präsident des Hamburger Sportbundes Günter Ploß.

Im ersten Teil
der Ergebnisdarstellung zeigte Prof. Schmidt, wie stark sozialstrukturelle Ungleichheit sich auf die Bildungskarrieren von Angehörigen der »Risikogruppen« auswirkt (Abb. 1). Schon zu einem frühen Zeitpunkt zeigen sich erhebliche Unterschiede. So erscheint z. B. nur jedes fünfte Kind aus Risikofamilien regelmäßig zu den Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt, während in anderen Bevölkerungsteilen bis zu 90% der Kinder untersucht werden. Diese Unterschiede ziehen sich durch die Kindheit und Jugend bis hin zum Schulabschluss, den Jugendliche ohne Merkmale von Risikogruppen zu fast 97% erreichen. Von den Jugendlichen aus sozial schwachen Familien gehen rund 20% ohne Abschluss von der Schule; bei männlichen Jugendlichen aus Migrantenfamilien ist es sogar ein Drittel aller Jugendlichen.



Eindrucksvoll zeigte Prof. Schmidt, dass gerade der Sport geeignet ist, auch diese Jugendlichen zu erreichen und positiven Einfluss auf ihre schulische Karriere zu nehmen. Im Sport zeigen sich die Selektionseffekte nach sozialer Schicht viel weniger ausgeprägt als in der Schule und als in anderen Bereichen freiwilliger Freizeitgestaltung.
Die positiven Wirkungen von Sport und Bewegung zeigen sich in einer arbeitsmedizinischen Untersuchung von Schulkindern. Untersucht wurde die Konzentrationsfähigkeit von Schülern in den Fällen »sitzender Unterricht«, »Unterricht mit Bewegungspausen« und »Bewegter Unterricht mit Bewegungspausen«. Gemessen wurden die Werte in der ersten Stunde, in der dritten Stunde und in der fünften Stunde. Während die »sitzende« Gruppe im Tagesverlauf an Konzentrationsfähigkeit einbüßte, steigerten sich die beiden anderen Gruppen um 12% bzw. 52%. Die Konzentrationsfähigkeit der »sitzenden« Gruppe betrug in der fünften Stunde nur knapp ein Drittel des Wertes der »bewegten« Gruppe mit Bewegungspausen.
Arne Klindt und Stefan Rieger stellten für die Hamburger Sportjugend die Entwicklung der Aktion »Kids in die Clubs« vor. Im Rahmen seiner Examensarbeit hat Stefan Rieger sämtliche Einzelnachweise der Teilnehmer der Aktion im Jahr 2007 ausgewertet. Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass die Förderung genau die Risikogruppen erreicht: Hartz-IV-Bezieher (75%), Ein-Eltern-Familien (47%), kinderreiche Familien (43% der Geförderten haben mind. 2 Geschwister) und die Bewohner sozial schwächerer Stadtteile (von den 13 schwächsten Hamburger Stadtteilen sind 12 in den TOP-15 der Förderung mit Kids in die Clubs enthalten).

Nach einer kurzen Pause zeigte Prof. Schmidt, welche Bedeutung das sportliche Engagement für die Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen hat. Fast zwei Drittel der Nachmittagstermine von Kindern entfallen auf den Sport (Abb.2). Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich dieser Anteil kontinuierlich erhöht. Entsprechend steigt auch der Organisationsgrad von Kindern im Verein über viele Jahre hinweg an. Dabei ist in den letzten Jahren zu beobachten, dass sich der Zeitpunkt der höchsten Beteiligung der Kinder im Sportverein nach vorne verschiebt. Lag er vor einigen Jahren noch bei elf bis zwölf Jahren, ist er heute bereits im Alter von sieben Jahren erreicht.



Nach Ansicht der Autoren des Kinder- und Jugendsportberichtes haben die Sportorganisationen bisher zu wenig auf die tatsächlichen Gründe für das Sporttreiben der Mädchen und Jungen geachtet. Bei beiden Geschlechtern war die Motivation »wie ein Leistungssportler trainieren« weniger wichtig als die »Atmosphäre und positive Stimmung« (Spitzenwert bei Mädchen) oder die »Mannschaftszugehörigkeit« (Spitzenwert bei Jungen, s. Abb. 3).



Abschließend stellte Prof. Schmidt die Bedeutung des sportlichen Engagements für die Entwicklung des »Selbstkonzepts« dar. Sportlich Engagierte verfügen über ein gestärktes Selbstkonzept; sie werden innerhalb ihrer sozialen Bezugsgruppen besser anerkannt und insbesondere Mädchen, leistungsschwächere Kinder und Kinder aus sozial schwächeren Familien profitieren vom Sport.

Die Sportliche Ganztagsförderung wurde von Eike Schwede als Umsetzungsstrategie der Hamburger Sportjugend vorgestellt, die Systeme (Ganztags-)Schule und Sportverein miteinander zu vernetzen, ohne die unterschiedlichen Organisationslogiken (Abb. 4) der beiden Institutionen zu durchbrechen.



Der Clou des »Vereinsmodells« ist die herausragende Rolle der freiwilligen Vereinsmitgliedschaft von Schülerinnen und Schülern. Sie ist die entscheidende Größe, an der ein Verein bewertet, ob er erfolgreich mit Schulen kooperiert oder nicht. Auch in der Förderung der Kooperationen ist diese Logik aufgenommen worden. Nach einem Einstiegshalbjahr, das aus Schulmitteln bezahlt wird, bezahlen entweder die Eltern in Form des Vereinsbeitrags die Mitgliedschaft oder die Kinder werden analog zu »Kids in die Clubs« aus öffentlichen Mitteln gefördert. Die Schule selbst hat in dieser Phase keine laufenden Kosten für die Sportangebote in der Ganztagsförderung.

In der Podiumsdiskussion konnten die Zuhörer auch eigene Beiträge zu den Statements der Podiumsteilnehmer leisten. Sport-Staatsrat Dr. Manfred Jäger bekannte seine Sympathie zu den vorgestellten Aktivitäten der Sportjugend und sagte seine Unterstützung zu. Die Zweite Vorsitzende der Deutschen Sportjugend, Monica Wüllner, zeigte sich beeindruckt von den Initiativen in Hamburg und stimmte mit dem Leiter des Landesjugendamtes, Dr. Herbert Wiedermann zu, dass Sport verstärkt als Teil der Jugendhilfe berücksichtigt werden müsse und auch als Grundlage für Jugendhilfeplanungen in den Bezirken dienen könne.

Viele Gäste verließen die Veranstaltung mit dem Gefühl, das Richtige zu tun, und mit der Hoffnung, dass auch die Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung mit den eindeutigen empirischen Ergebnisses des Zweiten Kinder- und Jugendsportberichtes überzeugt werden können, die sportliche Kinder- und Jugendarbeit zu einem Schwerpunkt politischer Unterstützung zu machen.