Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2009, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Azubis ins Blickfeld nehmen

Zur Novellierung des Hamburgischen Schulgesetzes

Von Olaf Schwede, DGB-Jugend

Mitte Juni hat der Senat der Bürgerschaft einen Entwurf für ein neues Schulgesetz zur Entscheidung zugeleitet. Zeit, sich diesen Entwurf einmal genauer anzusehen und Anregungen für die Bürgerschaft zu formulieren – insbesondere mit Blick auf die beruflichen Schulen. Hier ist der vorliegende Entwurf sehr dünn.

Positiv:
Mehr Durchlässigkeit zur Hochschule. Mit dem neuen Schulgesetz soll die Berufsoberschule als neue Schulform eingeführt werden. Damit entspricht der Senat einer langjährigen Forderung der Gewerkschaftsjugend nach einer Verbesserung des Hochschulzugangs nach der Ausbildung. Mit einer abgeschlossenen Ausbildung ist es zukünftig möglich, innerhalb von zwei Jahren die Fachhochschulreife oder gar das vollwertige Abitur zu erreichen. Auch ist es geplant, die Fachhochschulreife mit zusätzlichen Kursen parallel zur Ausbildung erwerben zu können.

Rückblick: Reform der beruflichen Schulen. Mit dem »Schulreformgesetz« von 2006 wurde die Gremienstruktur der beruflichen Schulen in Hamburg grundlegend verändert. Mit der Gründung des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung wurde ein Kuratorium geschaffen, das mit Vertretern des Staates und der Arbeitgeber paritätisch besetzt ist. Den beiden Spitzenverbänden der Gewerkschaften wurde jeweils ein Vertreter mit beratender Stimme eingeräumt. An den beruflichen Schulen wurden die Schulkonferenzen durch Schulvorstände und die bis zu vier stimmberechtigten Vertreter des Schülerrates durch einen Vertreter mit eingeschränktem Stimmrecht ersetzt. Die Stimmrechte der Elternvertretungen wurden ebenfalls reduziert, Gewerkschaftsvertreter haben keine Stimmrechte mehr. Damit existieren nun Mitwirkungsmöglichkeiten erster Klasse (Arbeitgeber und ihre Kammern), zweiter Klasse (Eltern und Schüler) und dritter Klasse (Gewerkschaften). Dies ist von der damals oppositionellen GAL noch heftig kritisiert worden.

Nun wird diese Angelegenheit vertagt, eine Evaluation soll Empfehlungen für Veränderungen liefern. Fraglos ist dies ein Ausweichmanöver des Senats: Adäquate Mitbestimmungsrechte von Eltern- und Schülervertretungen und die gleichberechtigte Beteiligung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen sind genuin politische Fragen, bei der keine Evaluation weiterhilft. Zudem hatten sich 2004 fast 121.000 Hamburger Bürger im Rahmen des Volksbegehrens »Bildung ist keine Ware« gegen diese Gremienstruktur ausgesprochen. Die jetzige Reform wäre eine gute Gelegenheit dieses Votum aufzugreifen.

Mitbestimmung von Eltern- und Schülervertretung in den beruflichen Schulen. Aus unserer Sicht ist es notwendig, die Anzahl der Schülervertreter zu erhöhen und ihre Rechte auszuweiten. Die an den beruflichen Schulen bestehenden Regelungen werden dadurch zweifelhaft, dass nach dem jetzigen Senatsentwurf für das neue Schulgesetz Schülervertreter an den allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 4 in die Schulkonferenz gewählt werden können (§ 55) und dort über die Ziel- und Leistungsvereinbarungen mitentscheiden können (§ 53). Volljährigen Auszubildenden an den beruflichen Schulen und dort lernenden Technikerschülern bleibt dieses Recht jedoch verwehrt (§ 77). Das ist ein krasses Missverhältnis.

Mitwirkungsrechte für betriebliche Jugendvertretungen. In zahlreichen Betrieben engagieren sich Jugend- und Auszubildendenvertretungen für die Qualität der Ausbildung und für mehr Ausbildungsplätze. Oft sind sie in der dualen Ausbildung auch die erste Anlaufstelle für Auszubildende, wenn es um Qualitätsfragen in den beruflichen Schulen geht. Bisher sind jedoch die Möglichkeiten der Jugend- und Auszubildendenvertretungen auf Schule einzuwirken eher begrenzt. Es ist deswegen notwendig, die Jugendvertretungen an der Lernortkooperation zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieben zu beteiligen. Sinnvoll wäre, im Schulgesetz ein Anwesenheits-, Antrags- und Initiativrecht an die Lernortkooperation zu verankern.

Gleichberechtigte Teilhabe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die einseitige Beteiligung der Arbeitgeberseite an den Gremien der beruflichen Schulen und im Kuratorium des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung stellt einen bundesweit einzigartigen Bruch mit der ansonsten paritätischen Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern dar. Es ist deswegen aus Sicht der gewerkschaftlich organisierten Jugendlichen notwendig, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter gleichberechtigt an den Gremien der beruflichen Schulen und der übergeordneten Strukturen zu beteiligen.

Bildungsauftrag der Berufsschule. Der Bildungsauftrag der Berufsschule für Auszubildende im Schulgesetz muss wieder auf allgemeinbildende Inhalte erweitert werden. Die als Vorbereitung auf die Privatisierung der Schulen eingeführte Formulierung »berufsbezogene und berufsübergreifende« Qualifikationen ist nicht geeignet, dem Bildungsauftrag einer modernen beruflichen Bildung zu genügen. Das Schulgesetz muss den Berufschulunterricht in der dualen Ausbildung stärken.

Soziale Fragen der Auszubildenden. Nach dem Bundesrecht werden die betrieblichen Ausbildungsmittel vom Arbeitgeber bezahlt. Die schulischen Ausbildungsmittel müssen in Hamburg selber finanziert werden. Dies stellt eine finanzielle Belastung für die Auszubildenden dar, die teilweise von sehr niedrigen Ausbildungsvergütungen Wohnraum, Fahrtkosten und Lebensunterhalt zu finanzieren haben. Deswegen muss die Lernmittelfreiheit wieder hergestellt werden. Leider ist dies im jetzigen Entwurf eines neuen Schulgesetzes nicht vorgesehen.
Der Berufsschulunterricht für Auszubildende muss vollständig auf die betriebliche Ausbildungszeit angerechnet werden. Nach einem mindestens sechsstündigen Berufsschultag sollte keine Rückkehrpflicht in den Betrieb bestehen. Die bisherige Anrechnungsregelung für den Berufsschulunterricht ist in der Bundesgesetzgebung ungenügend. Bisher ist eine Freistellung von der betrieblichen Ausbildung für den Berufsschulunterricht nur möglich, wenn sich Unterrichtszeit und Ausbildungszeit überschneiden. Findet die Berufsschule also zu Zeiten statt, an denen nicht regelmäßig Ausbildung statt findet, muss keine Freistellung und auch keine Anrechnung auf die Ausbildungszeit erfolgen. In großen Betrieben wird die Freistellung oftmals in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen geregelt. Die Situation ist jedoch für viele Auszubildende und Ausbilder unübersichtlich. Eine gesetzliche Klarstellung ist an dieser Stelle notwendig. Erfolgt diese nicht durch den Bund, ist der Landesgesetzgeber gefragt.


Abgeordnete machen Gesetze. Der nun der Bürgerschaft vorliegende Gesetzesentwurf weist insbesondere hinsichtlich der Interessen der Auszubildenden und Schüler der beruflichen Schulen erhebliche Lücken auf. Insbesondere die Mitbestimmung der Jugendlichen in den Schulen ist eine Grundsatzfrage. Wie viel Demokratie ist für junge Menschen in der Arbeitswelt gewollt? Haben Jugendliche weniger Rechte, nur weil sie einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben? Hier ist eine Entscheidung notwendig. Gesetze werden von den Abgeordneten der Bürgerschaft und nicht vom Senat beschlossen. Das macht Hoffnung. Viele der hier benannten Punkte werden auf den Widerstand der Arbeitgeberkammern stoßen. Die DGB-Jugend wird im Gesetzgebungsverfahren ihre Vorschläge einbringen und hofft auf Unterstützung seitens der Abgeordneten.