Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2009, Rubrik Titelthema

Hamburgs jugendpolitischer Weg nach Europa

Workshop der Hamburger Senatskanzlei zum »Europapolitischen Jugendkonzept: Hamburgs Zukunft – Europas Zukunft«

»Ey, ich dachte erst, was will die Polizei von mir?«, berichtet Çem Arslan. Der Jugendliche der HipHopAcademy wunderte sich über einen unerwarteten Brief mit Hamburgwappen im Briefkasten. Doch dann die Entwarnung beim zweiten Blick: Das Schreiben kam von der Senatskanzlei. Trotzdem ungewöhnlich genug: Eine Einladung zum Workshop über ein Senatskonzept hatte Çem erreicht. Wie einige andere Jugendliche auch.

Die Geschichte dieser überraschenden Einladung geht mittelbar auf die Koalitionsvereinbarung vom April 2008 zurück. In dieser hatten CDU und Grüne mit einem dürren Satz verabredet, ein Konzept zu entwickeln, das »die Jugendpartizipation stärken« und »Jugendliche an das Thema Europa heranführen« soll. Gut ein Jahr später liegt ein 15-seitiger Entwurf vor – federführend von der Senatskanzlei erarbeitet. Das Papier ist etwas hochtrabend mit »Hamburgs Zukunft – Europas Zukunft« überschrieben. Was liegt also näher, mögen die Verfasser in der Senatskanzlei gedacht haben, als diesen Entwurf mit Jugendlichen zu diskutieren. Rund 30 Jugendliche aus Hamburger Jugendeinrichtungen, Jugendorganisationen und Schulen folgen der Einladung der Senatskanzlei zur Partizipation und treffen sich zum Workshop am 15. September im Haus der Jugend »Stintfang«.

Partizipation ist ein Lernprozess. Der Workshop startet mit einer Irritation. Auf Seite drei des versendeten Konzeptentwurfes scheinen Prozess und Ergebnisse der Partizipation Jugendlicher bereits vorweggenommen. Die Vertreter der Jugendverbände – Sven Barth (AHP), Marc Buttler (AGfJ) und Jürgen Garbers (LJR) – kritisieren dies. Denn im Papier heißt es vorauseilend: »Bei der Entwicklung des europapolitischen Jugendkonzeptes waren die Jugendlichen als Zielgruppe des Konzeptes aktiv beteiligt. Die erste Konzeptionierung erfolgte in Zusammenarbeit mit Vertreterinnen und Vertretern der Jugendarbeit, um schon in einem frühen Stadium die Einbindung und Partizipation möglichst vieler Akteure zu gewährleisten.« Sicco Rah von der Senatskanzlei rechtfertigt die Passage mit dem Hinweis, dass beim Konzeptentwurf das Hamburger Europa Jugend Büro und als Jugendverband die Jungen Europäischen Föderalisten beteiligt waren. Das sind ja nicht so viele, moniert Jürgen Garbers mit Blick auf die ca. 60 Jugendverbände in Hamburg, »und der heutige Workshop ist auch noch nicht vorbei.« Man einigt sich darauf, dass die entsprechende Textstelle im Senatskonzept gestrichen werden soll. Doch der Disput signalisiert ein Grundproblem bei der Partizipation Jugendlicher. Wenn staatliche Akteure Jugendliche und ebenso Multiplikatoren demokratischer Jugendorganisationen ernst nehmen wollen, sollte deren Partizipation ergebnisoffen gestaltet sein. Alles andere wirkt legitimationserheischend. Zudem sind Partizipationsstrukturen, wie sie gerade Jugendverbände bieten, einzubinden. Es zeigt sich, dass das Projekt der Partizipation von Jugendlichen in Hamburg noch ein Lernprozess ist.

Blick ins Konzept. Aber darum geht es im europapolitischen Jugendkonzept des Senats. Es will die Partizipation Jugendlicher fördern und zugleich deren Wissen und Kompetenz in Sachen Europa verstärken. »Jugendliche sollen motiviert werden, die Chancen und Möglichkeiten der europäischen Einigung für ihre Lebensplanung aktiv zu nutzen«, heißt es im Konzeptentwurf. Ziel sei es, Jugendliche als »Botschafter der Weltoffenheit Hamburgs für die europäische Idee zu motivieren«. Als Handlungsfelder identifiziert der Senat die Bereiche: »Bildung und Weiterbildung, Beschäftigung, Sport und Gesundheit, gesellschaftliche Integration und politische Partizipation«. Ganz im Sinne der kommenden EU-Jugendstrategie (vgl. im Heft S. 4 ff.) begreift der Senat diese Handlungsfelder als »interdisziplinäre Querschnittsaufgabe« mehrerer Fachressorts. Weiterhin wird hervorgehoben, dass »sozial benachteiligte und bildungsferne Jugendliche gefördert und stärker einbezogenen werden müssen, um das Bild des ›Europas der Eliten‹ zu revidieren«. Als Instrument zur Realisation von konkreten Maßnahmen wird die »offene Methode der Koordinierung« genannt. Der Blick in die Handlungsfelder schließlich zeigt die Absicht, das Thema Europa einerseits als Informationsoffensive in allen Jugendbereichen zu befördern und andererseits Zugänge zur Teilhabe an europäischen Förderprogrammen zu ermöglichen. In der Frage eigener Ressourcenaufwendung zeigt man sich jedoch zugeknöpft, denn mit dem europapolitischen Jugendkonzept »als solche[m] sind keine (neuen) finanziellen Auswirkungen verbunden. In den Fachbehörden müssen jedoch ggf. Haushaltsmittel [d.h. aus dem laufenden Etat] bereitstehen.«
Vergleicht man nun das Hamburger Konzept mit der kommenden EU-Strategie, fällt auf, dass der Grundtenor unterschiedlich ist. Die EU-Strategie will Jugendhilfe als Instrument zum »Empowerment« Jugendlicher als Marktindividuen (Beschäftigung, Bildung, politische Teilhabe) bündeln, während der Senatsentwurf vorrangig die Europadimension als Bildungs- und Teilhabeziel proklamiert. In beiden Konzeptionen ist jedoch die Partizipation Jugendlicher mehr als Mittel (Einbindung Jugendlicher) denn als Zweck (Emanzipation) gedacht.

Ergebnisse des Workshops. Nach einer Aufwärmrunde mit HipHop-Einlagen diskutieren die Jugendlichen in drei Arbeitsgruppen das Senatskonzept. Zwei Gruppen folgen dem Open-Space-Konzept: Hier bringen Jugendliche ihre Erwartungen und Fragen an Europa ein und erarbeiten eine To-Do-Liste, welche Aufgaben die Senatsvorlage noch berücksichtigen sollte. Die dritte Gruppe setzt sich konkret mit dem vorgelegten Senatskonzept auseinander. Auf dem Abschlussplenum werden die Ergebnisse präsentiert. Auffällig ist, wie sehr sich die Forderungen der Gruppen ähneln. Viele Jugendliche, insbesondere Gymnasiasten, heben ihre positiven Auslandserfahrungen über EU-Austauschprogramme hervor. Sie wünschen sich, dass mehr Jugendliche diese Chance zur persönlichen Entwicklung und zum Kennenlernen europäischer Vielfalt nutzen können. Da dieses das Wissen über europäische Programme voraussetzt, fordern die Schüler, an den Schulen Maßnahmen zu ergreifen, um EU-Austauschprogramme bekannter zu machen und insbesondere den Zugang durch bessere Beratung und Hilfen zu erleichtern. Zudem sei auch einiges im Unterricht zu verbessern: Europa sollte »mehr konkret zum Anfassen gezeigt werden. Und nicht so, dass man alle EU-Mitgliedsstaaten auswendig lernen muss und dabei einschläft.« Die Schüler fordern, dass in Sachen EU auch Lehrer noch lernen sollten.

Wie geht es weiter? Zum Abschluss des Plenums verspricht Sicco Rah für die Senatskanzlei, dass die Anregungen und Vorschläge bei der Weiterentwicklung des Senatskonzeptes einfließen werden. Noch liegt keine überarbeitete Fassung vor; sie ist aber in Arbeit. Im Dezember, so der interne Fahrplan, will sich der Senat mit dem europapolitischen Jugendkonzept befassen und es anschließend in die Bürgerschaft einbringen. Anfang 2010 könnte dann der parlamentarische Beratungsprozess beginnen.