Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2010, Rubrik Titelthema

Amrum auf unsere Faust

Mit der Naturschutzjugend in das nordfriesische Wattenmeer

Pfingstmontag, 8 Uhr: Ja, auch an unserem letzten Tag in der Jugendherberge Wittdün wird um diese Uhrzeit gefrühstückt. Also wieder die gleichen verschlafenen Gesichter, die sich erstmal Kaffee oder Kakao einschenken, dann gegenseitig einen guten Morgen wünschen, um glücklicherweise doch schnell die gewohnte Redseligkeit zurückzu- gewinnen. Und zu bereden gab es spätestens an diesem Montag genug. Die letzten zwei Tage waren schließlich für jeden ereignisreich gewesen: Wie geht es Mariam und Tamim? Warum war der Akku des GPS-Geräts so schnell leer? Wann müssen die Räder abgeben werden, und was genau unterscheidet die Pazifische Ringelgans von der gewöhnlichen? Aber der Reihe nach: Diese jeden Morgen größtenteils verschlafene Gruppe, die sich da gegen Acht im Seminarraum der Amrumer Jugendherberge versammelte, war eine bunt gemischte, 14-köpfige Gruppe aus Aktiven der Naturschutzjugend Hamburg und einigen neuen Interessierten. Das »Wir« im Folgenden meint also immer diese Gruppe oder zumindest Teile davon.

Es ist mittlerweile Tradition bei der Naturschutzjugend (NAJU) Hamburg, eines der verlängerten Wochenenden im Frühjahr für ein Seminar zu »verwenden« – früher meistens an Ostern, 2010 über Pfingsten. Das Ziel sollte dieses Mal die Nordseeinsel Amrum sein, die mitten im Nationalpark Wattenmeer gelegen ist und natürlich viel Interessantes zum Thema Nordsee-Ökologie zu bieten hat. Außerdem ist Amrum von Hamburg gut zu erreichen, wenn man bereit ist, sich an einem Freitagnachmittag auch auf den Boden der Regionalbahn Richtung Sylt zu setzen. Das dichte Gedränge am Bahnsteig und im Zug wird erst besser, als wir in Niebüll die Bahn verlassen und der Bummelzug uns nach Dagebüll bringt. Von hier ist es noch eine zweistündige Fährfahrt über Föhr nach Wittdün auf Amrum. Bei unserer Ankunft um 22 Uhr begrüßt uns Guido Teenck (Jugendbildungsreferent der NAJU) am Anleger, der bereits mittags aufgebrochen war, um noch rechtzeitig vor Toresschluss in der Herberge einzuchecken. Dort ist also alles toll vorbereitet, und wir können in aller Ruhe das Programm der nächsten Tage besprechen und die Zeit auch für eine Vorstellungsrunde nutzen. Während die eine Hälfte sich von den donnerstäglichen NAJU-Treffen in der Geschäftsstelle kennt (hier entstand die Idee zum Seminar und fand auch die Vorbereitung statt), haben einige durch Zufall davon erfahren und sich aus reinem Interesse angemeldet. Andere wurden z. B. über Freunde angesprochen. So bezeichnet dieses oben angesprochene »Wir« tatsächlich eine sowohl vom Alter (10 – 41 Jahre) als auch von der Herkunft (vom NAJU-Jugendleiter bis zum Austauschschüler aus den USA) sehr unterschiedliche Gruppe, in der aber alle ein großes Interesse an Amrum und einem gemeinsamen Erleben der Insel haben.

Inselkunde. Damit geht es dann auch am Samstagmorgen direkt los. Denn nachdem wir unsere Fahrräder geliehen haben, machen wir uns sogleich auf, Amrum zu erkunden. Wittdün, als Ort unserer Herberge, liegt ganz im Süden der Insel und ist als Hafen ein idealer Ausgangspunkt für einen Besuch. Obwohl Amrum einen Geestkern hat, also anders als viele der Nordseeinseln nicht nur aus flachem Marschland besteht, ist es alles andere als hügelig und insofern sehr gut mit dem Rad befahrbar. Viele Radwege über die gesamte Insel ermöglichten es uns, in drei Stunden die gesamte Insel zu erkunden und einen Überblick zu gewinnen. Guido, der gemeinsam mit Jan Schneider (ehrenamtlicher Teamer) als Seminarleitung fungiert, berichtet immer wieder ein bisschen von Amrum und versorgt uns mit spannenden Hintergrund-Infos. Eine erste Reifenpanne nach wenigen Kilometern trübt die Laune und Tour nur kurz, so dass wir bei gutem Wetter rechtzeitig wieder in Wittdün ankommen. Denn es geht gleich weiter mit einer – wohl obligatorischen – Kutterfahrt zu einer Seehundbank. Durch die mitgebrachten Ferngläser und Spektive können wir die Seehunde wunderbar beobachten. Hinterher besteht jedoch Diskussionsbedarf, ob und inwiefern solche Fahrten die Tiere nicht doch stören könnten. Schöne Beobachtungen sind es natürlich trotzdem. Nebenbei greifen wir zu unseren Lunchpaketen, die wir uns morgens gemacht haben, beobachten Vögel und die kleineren Meerestiere, die mit einem Netz gefangen werden.

Wie schnell die Zeit vergeht, wenn man ständig mit interessanten Dingen beschäftigt ist. Kein Vergleich mit der Ewigkeit einer Mathestunde oder einer Statistik-Vorlesung. Mit der Rückkehr des Schiffs nach Wittdün ist es dann zwar noch nicht Abend, aber erstmal ein bisschen Freizeit angesagt. Fast alle nutzen die Zeit neben ein paar Einkäufen für einen Besuch des Info-Zentrums der Schutzstation Wattenmeer. Dann erst steht das Abendessen an, während dessen noch einmal die Beobachtungen und Ereignisse des Tages Revue passiert und die Pläne für Sonntag vorgestellt werden. Nach einer für Einige doch arg kurzen Nacht (den Gründen möchte ich hier nicht weiter nachgehen) und teilweisen frühmorgendlichen Vogelbeobachtungsgängen gibt es erneut um 8 Uhr Frühstück. Was in Jugendherbergen seit jeher gang und gäbe ist und wohl auch jeder kennt, ist für uns erstmal gewöhnungsbedürftig. Die festen Essenzeiten scheinen zumindest auf den ersten (und manchmal auch zweiten) Blick alles andere als alltagstauglich, aber so sind wir bereits früh wieder auf den Rädern unterwegs, um uns in zwei Gruppen dem Geocaching zu widmen.

Bei dieser Schnitzeljagd 2.0 versucht man, mit GPS-Geräten ausgestattet, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wo man einen kleinen Schatz (den Cach) finden kann. Zwischendurch müssen immer wieder kleinere Aufgaben erfüllt werden, damit man die nächsten GPS-Daten bekommt. Erneut sind wir mit den Rädern über die ganze Insel unterwegs – immer wieder unterbrochen durch das Beobachten interessanter Vögel. So entdeckt Guido in der Norddorfer Marsch eine Pazifische Ringelgans, die sich von der »normalen« durch die insgesamt dunklere Färbung und größere Weißflächen an den Seiten unterscheidet. Auch wenn diese Beobachtungspausen dem Ziel der jeweiligen Gruppe, schnellstmöglich den Cach zu finden, etwas hinderlich sind, ist es auf Amrum schwierig, die Vögel zu ignorieren. Als Teil des wichtigen Rastgebietes Wattenmeer kann man hier fast das ganze Jahr große Vogelmengen beobachten und eben auch immer wieder Seltenheiten finden. Sogar direkt von der Terrasse unserer Herberge kann man jede freie Minute mit tollen Beobachtungen verbringen.

Dass das Geocaching ein etwas chaotisches Ende findet, liegt dann aber nicht am Vögelgucken, sondern am Sturz eines Teilnehmers mit dem Fahrrad. Da nach erster Diagnose nicht klar ist, ob nicht doch irgendetwas gebrochen sein könnte und da es auf Amrum tatsächlich kein Röntgengerät gibt, geht es für ihn und seine Schwester per Rettungshubschrauber zur Nachbarinsel Föhr. Erst am Montagmorgen kommen beide mit der Gewissheit zurück, dass außer ein paar Schrammen nichts Schlimmeres passiert ist. So etwas nennt man dann wohl Glück im Unglück.

Wattwärts. Die an das Geocaching anschließende Wattwanderung mit zwei Praktikantinnen der Schutzstation Wattenmeer bringt trotz des leichten Chaos und einer komplett matschigen Hose viel Spaß. Vor allem für die, die nicht im Watt stecken bleiben. Mit größtenteils nackten Füßen entdecken wir die Tiere des Watts und stellen amüsiert fest, dass diese Führungen seit Jahren auf ähnlichen Elementen aufgebaut und trotzdem noch immer interessant sind. Weniger amüsant sind die Infos und Diskussionen über die Ölförderung im Nationalpark und Weltnaturerbe Wattenmeer. Was ein Unfall in diesem sensiblen Gebiet anrichten kann, ist nicht erst seit der Pallas-Katastrophe klar: Der 1998 vor Amrum gestrandete und ausgebrannte Holzfrachter verlor »nur« 100 Tonnen Schweröl, woran über 16.000 Vögel zugrunde gingen. Doch trotz dieses sichtbaren Mahnmales – vor der Westküste Amrums liegt das Wrack der Pallas auf einer Sandbank – wird weiter südlich im schleswig-holsteinischen Wattenmeer Öl gefördert. Und nicht nur das: Weitere Ölvorkommen sollen in den nächsten Jahren erschlossen werden.

Diese 48 Stunden vergehen wirklich bemerkenswert schnell, nur an den Abenden lassen wir es etwas ruhiger angehen. Spiele wie Wizard, die Black Stories oder auch eines mit einem etwas vulgären Titel erfreuen sich dann großer Beliebtheit. Sonntagabend wird dann aber zum Abschluss in die Blaue Maus geladen. Dieses Nagetier ist nicht etwa eine weitere Naturbesonderheit Amrums sondern die wichtigste, beste und wohl auch einzige Kneipe der Insel. Hier lassen wir den letzten Abend ausklingen und ziehen ein erstes, nächtliches Resümee. Für das nächste Frühjahrsseminar werden wir sicherlich ein neues Ziel finden – und zwar mit dem Anspruch, an Amrum 2010 anzuknüpfen.


Info:

Naturschutzjugend (NAJU) Hamburg
Profil:
Bei der NAJU Hamburg sind junge Menschen mit Spaß und Engagement für den Natur- und Umweltschutz aktiv. Die NAJU ist als selbstständige Jugendorganisation innerhalb des NABU (Naturschutzbund) eine der größten Jugend-Umwelt-Organisationen Deutschlands. In den Jugendgruppen der NAJU bestimmen die 13 bis 27-jährigen selbst, was sie machen. Gemeinsam werden Naturschutzprojekte, Veranstaltungen und Outdoor-Events geplant und umgesetzt. Auf den Seminaren der NAJU, von der Küste bis zum Harz gibt es noch so manches Abenteuer zu erleben. Für alle umweltinteressierten Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren gibt es NAJU-Kindergruppen, die die Natur erkunden und viel über Tiere und Pflanzen lernen. Mit allen Sinnen erfahren die Mädchen und Jungen, wie schön und spannend die Umwelt sein kann.
Kontakt: NAJU Hamburg | Osterstraße 58 20259 Hamburg | Tel.: (040) 69 70 89 20 | mail@remove-this.naju-hamburg.de
Infos: www.naju-hamburg.de
Ansprechpartner: Guido Teenck