Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2021, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Spiele in der Internationalen Jugendarbeit

Ein Interview mit Remo Küchler von der european play work association in Hamburg (e.p.a.)

Ihr nennt euch european playwork association. Warum spielt ihr?

Remo: Unsere Ursprünge und der Name gehen auf internationale Kooperationen von Bauspielplätzen zurück. Seit vielen Jahren organisieren wir internationale Jugendbegegnungen, und wir gestalten diese tatsächlich sehr spielerisch. Das ermöglicht allen, sich kleinteilig einzubringen, z. B. indem sie zunächst eine Bewegung machen, bei der es gar nicht unbedingt darauf ankommt, ob diese richtig oder falsch, witzig oder übertrieben ist. Konkurrenzfreies Spiel ohne Wettbewerb ermöglicht Beteiligung in einem großen Kreis mit 60 Personen. Spielen ist eine gute Methode, Menschen zusammen in Interaktion zu bringen und Kommunikation zu starten. Wenn das Eis gebrochen ist, unterstützen wir den Einstieg in die Auseinandersetzung mit einem Thema, z.B. in einem Workshop, auch wieder mit spielerischen Methoden, mit Rollenspielen und kreativen Ausdrucksformen. So lassen sich durchaus gesellschaftliche und politische Themen mit Jugendlichen aus verschiedenen Ländern entdecken und gut diskutieren.
Viele unserer Teilnehmer*innen kommen aus sozial benachteiligten Verhältnissen, mit Druck von mehreren Seiten, weil sie z.B. keine Ausbildungsstelle gefunden haben oder sie in sehr beengten Wohnverhältnissen leben, Gewalterfahrungen haben oder Ähnliches. Dieser Druck, die Rucksäcke, die sie mit sich herumtragen, sind für die Entfaltung ihrer Potentiale nicht besonders hilfreich. Im gemeinschaftlichen Spiel können sie Fähigkeiten entdecken und erleben, wie sie in Interaktion mit anderen wirken. Voraussetzung ist jedoch, dass es Spiele sind, bei denen es nicht darauf ankommt, ob man gewinnt oder verliert, sondern bei denen alle mitmachen und sich einbringen dürfen, egal wie sie es machen. Es passt fast immer irgendwie – das bringt den Erfolg.

Wann und in welchen Momenten spielt ihr?

Während unserer Seminare und Begegnungen spielen Spiele täglich eine Rolle. Gerade zu Beginn, wenn es darum geht sich kennenzulernen, ist es wichtig, dass jede Person ihren Namen gesagt hat und sich jede*r auch in der großen Gruppe einmal getraut hat, sich vorzustellen.
In spielerischen Sprachanimationen geht es im weiteren Verlauf z.B. darum, Höflichkeitsfloskeln in der Sprache der Gastgeber*innen zu lernen und auszuprobieren. Auch als Geste der Wertschätzung gegenüber der Sprache der Gastgebenden – besonders dann, wenn die Sprache gerade nicht Englisch oder eine andere häufig in Schulen unterrichtete Sprache ist. In der Evaluation eines Teilnehmers heiß es dazu: »Was auch cool war, dass wir so viel gespielt haben. Da verstand man sofort alles«. Das ist bezeichnend für unsere Arbeit. Die Jugendlichen erkennen, dass sie mitmachen können, auch wenn sie die Sprache nicht gut verstehen. Nachdem sie z.B. zunächst nur einfache Bewegungen imitieren, dann eigene Beiträge zum Spielverlauf bringen, überschreiten sie beim nächsten Mal vielleicht schon ihre Grenzen, verlassen Komfortzonen, gehen ein Stück weiter und leiten dann vielleicht selber ein Spiel an. Sie merken, dass andere sich freuen, lachen und man bekommt sogar einen Applaus. Das sind tolle Erfolgserlebnisse. Als Pädagog*innen setzen wir uns dafür ein, das Setting sicher zu machen und dass es dort keine Misserfolge gibt. Wenn alle Grundbedürfnisse erfüllt sind, sich alle wohlfühlen können, wenn jede*r mit Namen angesprochen wird, bekommen Leute große Lust, angstfrei und freiwillig etwas beizutragen.

Warum macht ihr europäische Jugendarbeit und was ist Euer Ziel?

Unter anderem müssen wir uns überlegen, wie wir – trotz aller Kritik – Begeisterung oder zumindest ein persönliches Interesse am europäischen Projekt erzeugen können. Ich glaube, junge Menschen, die in der EU groß werden und von denen wir erwarten, dass sie diese Gemeinschaft weiter tragen sollen, brauchen auch einen persönlichen Bezug zu dieser Gemeinschaft. Die müssen positive Erlebnisse haben, um sagen zu können, dass Europa grundsätzlich ein gutes und wichtiges Projekt ist. »Auch wenn es zig Herausforderungen, Probleme oder gar Missstände gibt: Ich habe die europäische Idee verstanden und interessiere mich dafür. Ich habe Lust, mich dafür einzusetzen – vielleicht sogar dafür zu streiten.« Solche Einstellungen können wir fördern, indem wir Austausch und Begegnungen feiern. Es gibt viele Programme im akademischen Bereich und tolle Möglichkeiten, Europa als junger Mensch auch individuell – z.B. während eines Freiwilligendienstes – zu entdecken. Aber wir dürfen jene nicht vergessen, die diese Zugänge noch nicht haben. Diese Jugendlichen in einer internationalen Begegnung mit einem sehr spielerischen Ansatz zusammenzubringen, ist eine großartige Möglichkeit. Vielen TTeilnehmer*innen konnten wir über unsere Projekte dabei unterstützen, neue Türen aufzustoßen.
Außerdem fördert interkultureller Jugendaustausch die lustvolle und freiwillige Auseinandersetzung mit neuen Themen, die Entstehung grenzüberschreitender Freundschaften und den wichtigen Blick über den eigenen Tellerrand – wobei wir uns in unseren Projekten nicht nur auf die EU begrenzen.

Wird europäische Jugendarbeit gut gefördert?

Dazu eine Anektdote: In den 90er Jahren hat e.p.a. »Sexopoly« entwickelt. Ein mehrsprachiges Spiel zu Liebe, Freundschaft und Sexualität für die europäische Jugendaustauscharbeit. Es war ein Versuch, einen spielerischen Zugang zu komplizierten Themen zu schaffen und Jugendliche aus verschiedenen Kulturen und Ländern dazu in den Dialog zu bringen. Unser EU-Antrag wurde abgelehnt, im Sinne von »Wo ist denn da der Informationsgehalt?«. Heute ist es ganz klar eine Priorität im wichtigen und gut fördernden EU-Jugendprogramm Erasmus+, innovative und nicht-formale Methoden und Formate zu entwickeln, in denen insbesondere auch benachteiligte junge Menschen an europäischer Jugendarbeit und am internationalen Austausch teilhaben können. Ich bin mir sicher, dass wir mit unserer Idee heute viel größere Chancen hätten, dort eine gute Förderung zu erhalten. Ein paar Exemplare von den schließlich produzierten Spielen haben wir übrigens noch.
Neben Erasmus+ gibt es heute für die europäische Jugendarbeit vielfältige Möglichkeiten, Förderung zu erhalten, z.B. von den verschiedenen Jugendwerken wie dem Deutsch-Französischen, Deutsch-Tschechischen oder Deutsch-Polnischen. Auch der Landesförderplan bietet Förderung und ist für uns immer interessant, wenn wir neben den europäischen Zuschüssen noch eine Kofinanzierung benötigen, um ein Projekt auf die Beine stellen zu können. All diese Möglichkeiten sehen für Einsteiger*innen vielleicht erst einmal etwas kompliziert aus. Wir sind jedenfalls immer bereit, unsere Erfahrungen – nicht nur zur Förderung und zu den Finanzen – mit Interessierten internationaler Jugendarbeit zu teilen. Auch die Kolleg*innen in der Hamburger Sozialbehörde stehen für Beratung zur Verfügung.

Was bekommt ihr für Rückmeldungen von Euren Teilnehmer/innen?

Allein mit dem Blick auf Dankbarkeitsäußerungen und starken Identifizierungen mit unseren Projekten dürfen wir uns mit unserer Tätigkeit außerordentlich privilegiert fühlen. Was mich immer sehr fasziniert ist, dass Jugendliche, die zum Teil sehr belastende Erfahrungen mitbringen und mit einem gewaltigen Druck auf einer Jugendbegegnung ankommen – weil sie beispielsweise in ihrem Alltag als Versager dastehen, weil sie gemobbt oder ausgegrenzt werden etc., aus verschiedenen Gründen das Klima bei unseren Begegnungen sehr wertschätzen. Nochmals ein Zitat: »Es haben sich alle ganz liebevoll um mich gekümmert. Ich habe gelernt, Gefühle mitzuteilen, und mich Willkommen gefühlt«.
Dadurch, dass wir uns mit allen beteiligten Projektpartnern einige Mühe geben, ganz bewusst ein Willkommensklima zu schaffen, haben junge Leute die Chance, auch in Verbindung mit Spiel, sich noch einmal ganz anders zu entdecken. Sie können in einem sehr sicheren Umfeld andere Dinge und Interaktionen ausprobieren. Natürlich gehen Versuche auch mal daneben, aber in der Regel organisiert die Gemeinschaft sanfte Landungen mit ermutigendem Feedback. Mit den eingefahrenen Strukturen und häufigen Mehrfachbelastungen zu Hause haben unsere Teilnehmer*innen dazu sonst kaum Möglichkeiten und Räume. An dem Umstand, dass Peers aus anderen Ländern ähnliche Erfahrungen gemacht haben, vielleicht schon Lösungen gefunden haben oder das die eigene Expertise zu möglichen Problemlösungen nachgefragt war, haben wir schon viele Jugendliche wachsen gesehen. Manchmal bedarf es einer »Gegenwelterfahrung« während zwei Wochen Jugendbegegnung, um selbst zu verstehen, was zu Hause nicht gut läuft und um persönlich zu erfahren, dass es auch anders sein könnte. Hierzu haben wir Rückmeldungen von ehemaligen Teilnehmer*innen, die auch noch Jahre nach einem Projekt behaupten, dass sie mit ihren Erlebnissen aus der Begegnung und als Mitglied eines internationalen Freundschaftsnetzwerkes wichtige Weichenstellungen erlebt haben.

Wie finden junge Menschen zu Euch?

Die Zugänge zu europäischen und internationalen Mobilitätsprogrammen sind überwiegend den jungen Menschen vorbehalten, deren Eltern sie aktiv unterstützen können. Finanzielle Ressourcen spielen durch einige gut geförderte Programme nicht immer aber zu häufig eine Rolle. Wir pflegen unser internationales Netzwerk von Partnerorganisationen, die wiederum vertrauensvolle Kontakte und Beziehungen zu Jugendlichen pflegen, die auf jene Unterstützung nicht unbedingt zählen können. Sie arbeiten überwiegend in benachteiligten Stadtteilen. Andere Partner sind Jugendinitiativen, die sich gegründet haben, um Herausforderungen in ihrem Umfeld anzupacken oder um Bildungsarbeit zu machen. Diese Partner laden wir dann ein, mit einer Gruppe Teil eines e.p.a. Begegnungsprojektes zu werden. Es hat sich bewährt, statt frei beworbene Teilnehmer*innen bevorzugt Gruppen einzuladen, da so die Begegnung mit viel Vorfreude intensiver vorbereitet und die positiven Effekte auch nachhaltig in die lokal stattfindende Jugendarbeit mitgenommen werden können. Für eine Begegnung, die im Europäischen Jahr der Jugend – also in 2022 hoffentlich stattfinden kann, suchen wir übrigens gerade noch einen passenden Hamburger Partner!

Welchen Problemen begegnet ihr? Wie findet das Spiel als Methode Akzeptanz?

Ich glaube, dass sich da in den letzten Jahren viel getan hat und dass spielerische Methoden vor allem im Kontext internationaler Jugendbegegnungen inzwischen sehr anerkannt sind. Ich empfehle Trägern, die internationale Projekte machen, sich gute Werkzeugkoffer an Methoden zuzulegen, um die Arbeit z.B. non-verbal oder mit sprachanimierenden Elementen zu gestalten. Inzwischen werden wir weniger belächelt, weil wir »so viel spielen« und bekommen mittlerweile regelmäßig gute Anerkennung für unsere Methoden, wenn wir sie begründen. Aber das war eben auch ein langer Weg dahin. In den letzten Jahren gab es hin und wieder Auseinandersetzungen und gezielte Nachfragen zu unseren Programmen und Anträgen – z.B. durch Komitees, die unsere Anträge bewerteten. Bei einigen Verantwortlichen muss man vielleicht noch eine extra Erklärung machen und erläutern, was man erreichen möchte und warum die Zugänge so wertvoll sind. Aber da antworten wir gern drauf und versuchen zu erklären, warum wir das so machen.

Spielen und internationale Begegnung: Gilt es das nur für Jugendliche oder auch für Erwachsene?

Bevor man ein Spiel anleitet oder eine spielerische Methode anwendet, sollte man diese in ihrer Wirkung selber mal erlebt haben. Es ist gut zu wissen, wie ein Spiel wann gut funktioniert, worauf es ankommt und wie man es präsentiert. Ja, das probieren wir unter anderem bei unseren internationalen Seminaren für und mit Jugendarbeiter*innen, von denen die meisten zwar noch sehr jung aber schon erwachsen sind.
In Veranstaltungen mit Erwachsenen muss man manchmal vielleicht auch etwas frech sein und einfach loslegen. Ich habe schon oft erlebt, dass die Leute erst mal skeptisch sind oder meinen, keine Lust auf Spielen zu haben. Aber am Ende, wenn es mal wieder gut gelaufen ist, wird es als eine gelungene Aktion empfunden. Es kann ein Durchatmen in einer anstrengenden Diskussion hervorrufen, manchmal hilft es beim Gedanken sammeln oder um mal kurz ein bisschen abzuschweifen. Man muss dann aber auch selbst davon überzeugt sein, dass die Methode gut zur Situation passt. Wenn man jedoch mit einer gewissen Begeisterung voran geht, kann man in der Regel die Leute mitreißen, und sie empfinden im Anschluss das Spielen überwiegend als einen schönen Moment.
Gerade in Bildungszusammenhängen ist es sehr wichtig, dass die Themen, die wir vermitteln, die Inhalte, die wir weitergeben möchten, in eine Situation eingebettet sind, an die sich die Leute gern erinnern. Mensch lernt gut im Kontext. Und wenn wir Leute öffnen können, wenn wir ihnen Freude in einem guten Klima vermitteln können, geht es nicht nur ins Hirn – sondern vorher noch durch Bauch und Herz. Und das ist gut für Bildungsprozesse. Von meiner Seite ist der Einsatz spielerischer Elemente für die Erwachsenenbildung gut geeignet.
 

[Das Interview führten Tilmann Dieckhoff und Fatih Ayanoğlu (LJR) von den Hamburger Falken und dem Spielmobil Falkenflitzer]

-------------------------------------------------------------------

Info

e.p.a. ist eine Internationale Nichtregierungs-Jugendorganisation mit einem Netzwerk von Partneror-ganisationen in Europa, Afrika und Südamerika und koordiniert sowie betreut internationale Begeg-nungsprojekte. In Hamburg betreibt e.p.a. das Europa JUGEND Büro mit Angeboten zur Jugendmobili-tätsberatung und Jugendbildung. (Das Euroa JUGEND Büro ist der Hamburger Eurodesk-Partner.)

epa-network.org | europajugendbuero.hamburg | rausvonzuhaus.de