Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2020, Rubrik Kommentar

Krisenfestes Ehrenamt – über Notwendigkeit, Beteiligung und Wertschätzung

Die Beteiligung von jungen Menschen ist einer der Grundpfeiler der UN-Kinderrechtskonvention, an welche sich Deutschland als Vertragsstaat gebunden hat. Die Berücksichtigung der Meinungen von Kindern und Jugendlichen ist also nach Art. 12 vertraglich zugesichert. Trotzdem haben viele Jugendlichen den Eindruck, dass sie eher wenig Einfluss auf die Politik haben. Jedoch ist die Mitbestimmung gerade in Bereichen, die den direkten Lebensraum der Jugendlichen berühren, besonders wichtig und notwendig. Hierzu zählen Schule, Ausbildung, Studium und natürlich die Stadt als Lebensraum. In all diesen Bereichen ist die Beteiligung junger Menschen an sie betreffenden Planungen zumindest ausbaufähig.

Durch das verbandliche Engagement junger Menschen werden demokratische Strukturen geschaffen und so der Weg zum Einbringen der eigenen politischen Meinung geebnet. Um einen Austausch zwischen den Jugendverbänden und der Hamburger Politik zu ermöglichen, hatte der LJR im September zu einem Forum geladen, in welchem ein direkter Austausch zwischen Vertreter*innen unserer Mitgliedsverbände und den jugendpolitischen Sprecher*innen der Bürgerschaftsfraktionen stattfand. Themen für diesen Abend waren die – durch die Coronapandemie beschleunigte – soziale Spaltung, die Mitbestimmung in der Quartierentwicklung und die Verbesserung der Wertschätzung des Ehrenamts. Ebenso kamen konkrete Anliegen aus den Verbänden zu Wort.

Folgen der Pandemie. Ein großes Thema auf der Veranstaltung war die soziale Spaltung. Schon vor dem Ausbruch der Pandemie waren die Lebenslagen junger Menschen höchst unterschiedlich. Jedes fünfte Kind wächst in Deutschland in Armut auf. 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre leben in Deutschland in einer Familie, die entweder einkommensarm ist und/oder Leistungen nach Arbeitslosengeld II bezieht. Und für Hamburg gilt: Die Stadt wuchs vor der Pandemie zwar ökonomisch, doch die Zahl der Kinderarmut stagnierte auf hohem Niveau. Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung lag der Anteil der Kinder unter 18 Jahren in Familien im Arbeitslosengeld II-Bezug im Jahr 2014 bei 20,2 % und 2019 bei 19,7 %. Nichts gefährdet das Kindeswohl so stark wie Armut. Und das gilt unter den aktuellen Bedingungen umso stärker. Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einkommensverluste bei vielen Familien droht eine wieder steigende Kinderarmut in der Stadt. Die Folgen beleuchtet die aktuelle COPSY-Studie aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf – die Ergebnisse sind alarmierend: »Zwei Drittel [der befragten Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren] geben eine verminderte Lebensqualität und ein geringeres psychisches Wohlbefinden an. Vor Corona war dies nur bei einem Drittel der Kinder und Jugendlichen der Fall gewesen.« Zudem erleben Kinder und Jugendliche während der Krise vermehrt psychische und psychosomatische Probleme: »Das Risiko für psychische Auffälligkeiten steigt von rund 18 Prozent vor Corona auf 31 Prozent während der Krise. Die Kinder und Jugendlichen machen sich mehr Sorgen und zeigen häufiger Auffälligkeiten wie Hyperaktivität (24 %), emotionale Probleme (21 %) und Verhaltensprobleme (19 %). Auch psychosomatische Beschwerden treten während der Corona-Krise vermehrt auf. Neben Gereiztheit (54 %) und Einschlafproblemen (44 %) sind das beispielsweise Kopf- und Bauchschmerzen (40 bzw. 31 %).« Geringes Einkommen der Eltern, beengter Wohnraum, mangelnde Rückzugsmöglichkeiten und eine fehlende Tagesstruktur verstärken diese Effekte nachweisbar. Jugendverbände sollten hier Räume und Angebote bieten können, welche für alle zugänglich sind. Diese Angebote sollten gerade für die jungen Menschen, die es am dringendsten benötigen, kostenfrei zur Verfügung stehen. Dafür benötigen wir eine flexible und auskömmliche Finanzierung.

Ergänzende Freiräume. Die Förderung der Kinder- und Jugendarbeit sollte auch zukünftig im Fokus stehen. Denn gerade in der Pandemie haben wir gesehen, dass Schule eben nicht ausreicht, um Jugendlichen ein ausgewogenes Umfeld zu bieten. Gemeinschaft und ein soziales Miteinander ordnet sich in der Schule immer dem Druck des Lehrplanes unter. Es ist deshalb wichtig, den Ausbau der Kinder- und Jugendarbeit unabhängig von ihrer Rolle als Schüler*in zu sehen. Sie benötigen auch außerhalb der Schule Räume zur Entfaltung ihrer individuellen Persönlichkeiten. Aus diesem Grund sind die Bedürfnisse und die Vielfalt junger Menschen in der Quartiersentwicklung besonders zu berücksichtigen. Es reicht in der Konsequenz auch nicht aus, einfach einen Sportplatz in die Planung von Quartieren mit einzubeziehen. Es benötigt flexible Räume, um die individuellen Bedürfnissen aller Jugendlichen zu befriedigen.

Sich als Ehrenamtliche*r in einem Jugendverband zu engagieren bedeutet auch, weniger Zeit für Schule oder Studium aufbringen zu können. Viele Ehrenamtliche müssen sich in ihrem Engagement sogar einschränken, da bessere Noten oder Klausuren zusammen mit der Arbeit in einem Verband nicht vollauf kompatibel sind. So fehlen den Verbänden nicht nur helfende Hände, um Angebote zu realisieren. Auch der Erwerb sozialer Kompetenzen rückt immer mehr in den Hintergrund. Dabei benötigt es für eine erhöhte Wertschätzung des Engagements nicht unbedingt mehr finanzielle Mittel. Erfahrungen zeigen, dass schon mehr Flexibilität und eine langfristige Planung entlasten können. Termine für Klausuren und Studienarbeiten sollten für Ehrenamtliche flexibler abgesprochen werden können.

Das Forum mit den jugendpolitischen Sprechern hat uns gezeigt, dass ein regelmäßiger Austausch mit allen Beteiligten notwendig ist. Jugendliche können ihre Anliegen so direkt bei Mitgliedern der Bürgerschaft anbringen, und diese bekommen einen Überblick über die konkreten Bedürfnisse der verbandlichen Jugendarbeit. Im Rahmen des Forums haben sich alle jugendpolitischen Sprecher*innen klar zum Ehrenamt und zur Wichtigkeit von jugendverbandlichen Aktivitäten bekannt. Doch ein solches Bekenntnis allein reicht am Ende nicht aus, um die Herausforderungen der Jugendverbandsarbeit zu lösen. Junge Menschen benötigen keine Lippenbekenntnisse – sondern klare Zugeständnisse für:
• eine unbürokratische Kostenübernahme bei Angeboten der Jugendarbeit für junge Menschen aus sozial schwachen Familien,
• eine bessere Vereinbarkeit von Schule und Ehrenamt zugunsten der sozialen Bildung junger Menschen,
• mehr Flexibilität in Schule und Studium, um die erhöhte Belastung des Ehrenamtes besser verteilen zu können,
• die Erhaltung bestehender und Schaffung neuer Räume zur kostenfreien Nutzung für Jugendverbandsarbeit.


Von Sören Behn, LJR-Vorsitzender