Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2020, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Eine eigenständige jugendpolitische Perspektive auf die Corona-Pandemie gefordert

Beschluss der Vollversammlung des Landesjugendrings Hamburg vom 12. Juni 2020

Corona bedingt fand die Vollversammlung erstmals als Videokonferenz statt. Und die Folgen der Corona-Pandemie auf junge Menschen und die Jugendverbandsarbeit waren nicht nur ein zentrales Austauschthema der Delegierten aus den Mitgliedsverbänden. Sie beschlossen auch ein Positionspapier, das eine eigenständige jugendpolitische Perspektive in der Krisenbewältigung fordert, damit Interessen von jungen Menschen, die über die Themen Schule, Ausbildung und Studium hinausgehen, nicht unter den Tisch fallen.

Der Beschluss vom im Wortlaut:

»Kontaktbeschränkungen, Homeschooling oder die vorübergehende Schließung von Einrichtungen der Jugendhilfe – die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben den Alltag aller Kinder und Jugendlicher grundlegend verändert. Sie sind angesichts der Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, notwendig und nachvollziehbar. Aus der Perspektive junger Menschen gehen mit ihnen aber auch besondere Herausforderungen einher, die in der politischen Debatte bisher nicht ausreichend berücksichtigt werden. Vor allem fehlt es an einer grundsätzlichen Beteiligung junger Menschen an den sie betreffenden Entscheidungen. [1]

Dabei wirken sich die Maßnahmen auf vielfältige Weise und unmittelbar auf den Alltag junger Menschen aus. Sie dürfen sich nicht mit Freunden/innen verabreden, können ihren Freizeitaktivitäten nicht nachgehen, treffen keine Mitschüler/innen in der Schule. Sie müssen gezwungenermaßen viel Zeit Zuhause und alleine verbringen. Das steigert die Gefahr von häuslicher Gewalt und Kindeswohlgefährdungen, insbesondere bei jungen Menschen in belasteten Beziehungen zu ihren Eltern oder in beengten Wohnverhältnissen. Durch die besonderen Anforderungen des Homeschoolings und digitalen Lernens droht außerdem eine Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen, die auf wenig Unterstützung und Ressourcen in der Familie zurückgreifen können. Auch die Orte der Selbstorganisation und Mitbestimmung von Jugendlichen, ob in Schulen, Sportvereinen oder Jugendverbänden, wurden von den Maßnahmen massiv eingeschränkt. Aufgrund der dynamischen Entwicklung und den einschneidenden Maßnahmen sind die noch kommenden Auswirkungen nicht gänzlich vorhersehbar. Wir können aber schon heute davon ausgehen, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen für junge Menschen in ihrer Gesamtheit gravierend sein werden und eine eigenständige jugendpolitische Antwort notwendig machen.

Angesichts der unmittelbaren und zukünftigen Folgen der Corona-Krise für Kinder und Jugendliche fordern wir:

• Junge Menschen haben auch ein Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung. Angebote der Jugendarbeit müssen auch in Krisenzeiten bestmöglich gewährleistet werden.

• Kinder und Jugendliche müssen an allen Entscheidungen beteiligt werden. Beteiligungsprozesse müssen kinder- und jugendgerecht gestaltet werden. Das Recht auf Beteiligung muss auch in Krisenzeiten Bestand haben.

• Bei der Entscheidung über Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus müssen die Interessen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden. Bereits getroffene Entscheidungen müssen jungen Menschen transparent und nachvollziehbar erklärt werden.

• Sie dürfen nicht auf ihre Rolle als Schüler/innen reduziert werden: Schule darf nicht Freizeit ersetzen, ihre Forderungen nach sozialer Interaktion und jugendlichen Freiräumen müssen ebenso in politische Abwägungen mit einbezogen werden.

• Die besonderen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen aus weniger wohlhabenden und stärker belasteten Familien müssen ausreichend berücksichtigt werden.

• Die Corona-Krise darf die sozioökonomische Spaltung der Jugend nicht vertiefen. Angesichts der akuten gesamtgesellschaftlichen Herausforderung und den weitreichenden Konsequenzen brauchen wir eine eigenständige und nachhaltige jugendpolitische Antwort. Jugendpolitik darf gerade in Krisenzeiten nicht nur ein Anhängsel der Wirtschafts- oder Familienpolitik sein.«

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[1] Siehe Ergebnisse der kürzlich erschienen Studie »Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen – Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo« (https://hildok.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/1078)