Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2020, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Verbände auf Distanz

Serie WirkungsStätten: Wie Hamburger Jugendverbände in der Corona-Pandemie agieren

Von Oliver Trier, Hamburg

Während der Corona-Pandemie ist Physical Distancing auch für Jugendverbände das Gebot der Stunde. Inzwischen gibt es erste Lockerungen, und Jugendarbeit ist unter Auflagen wieder möglich. Doch die lange Zeit der umfassenden Kontaktbeschränkungen ist nicht spurlos an den Jugendverbänden vorbei gegangen. Grund genug sich einen ersten Überblick zu verschaffen, wie Verbände mit der Ausnahmesituation umgegangen sind. Die Beispiele stehen für die Szene der Hamburger Jugendverbände.

»Wir hatten es sowieso vor, uns intensiver mit digitalen Medien zu befassen. Und dafür haben wir jetzt ausreichend Gelegenheit gehabt.« Erwartungsvoll begrüßt Patrick Sucholbiak die Teilnehmer/innen einer Videokonferenz. Patrick ist Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum Hamburg und leitet eine digitale Sitzung des sogenannten Hauptausschusses. In diesem Gremium des Dachverbandes katholischer Jugendverbände tauschen sich die Delegierten/innen der einzelnen Mitgliedsverbände über ihre Erfahrungen der letzten Wochen aus. Und die gleichen sich: Seit Wochen gab es keine richtigen Gruppenstunden mehr, Veranstaltungen und Wochenenden mussten abgesagt werden, und die Lücke persönlicher Begegnungen versuchen die Jugendverbände mit digitalen Angeboten und Videokonferenzen aufzufangen. »All diese Angebote sind wichtig, um den Kontakt zu unseren Mitgliedern zu halten«, meint Ivona Gerloff, Diözesanvorsitzende der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ). »Aber so langsam werden die Leute müde.« Das sieht Sven Krüger, Vorsitzender der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG), ganz ähnlich: »Auf Dauer ist es einfach schwierig Pfadfinder/innenarbeit digital zu machen.« So wie den Verbänden im BDKJ geht es vielen Hamburger Jugendverbänden.

Allgemeinverfügungen und Kontaktbeschränkungen. Vor gerade einmal drei Monaten ging alles ganz schnell. Innerhalb weniger Tage folgte eine Verfügung der nächsten. Die ersten Beschränkungen bezogen sich zunächst auf Rückkehrer/innen aus Risikogebieten. Schon einen Tag später wurden Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen untersagt, und in der Folge kamen fast täglich weitere Beschränkungen hinzu. Nach den Schließungen von Schulen, Kitas, Geschäften und Kulturbetrieben verfügte der Senat am 22. März umfangreiche Kontaktbeschränkungen. Ab sofort galt in der Öffentlichkeit ein Sicherheitsabstand von 1,5 Metern, und Treffen im öffentlichen Raum waren nur noch mit einer weiteren Person oder den Mitgliedern des eigenen Haushalts möglich. Unter diesen Umständen war an normale Jugendverbandsarbeit nicht mehr zu denken.

Phasen der Pandemie. »Das war am Anfang ein wenig surreal, und wir waren wie in Schockstarre«, erinnert sich Franziska Kötter. Für die Bildungsreferentin und ihre Kollegen/innen in der Landesgeschäftsstelle der Naturschutzjugend (NAJU) ging es von Anfang an ins Home Office. »Es kam zwar nicht überraschend. Aber als tatsächlich alles runtergefahren wurde, war es sehr unwirklich.« Die NAJU musste sich erst sortieren, bevor sie auf die neue Lage reagieren konnte. »Zuerst haben wir viele Veranstaltungen abgesagt«, erzählt Franziska. »Doch so konnte es natürlich nicht weitergehen, und nach einigen Tagen sind wir auf Onlineangebote umgestiegen.« Das ursprünglich für Mitte März geplante Projekt »Clima Coaches« wurde beispielsweise um nur zwei Wochen verschoben und startete nicht mit einem gemeinsamen Wochenende sondern mit regelmäßigen, zweistündigen Webinaren am Dienstag. »Von den 18 Teilnehmern/innen sind tatsächlich alle dabei geblieben und werden im Sommer anfangen, eigene Projekte auf die Beine zu stellen«, freut sich die Bildungsreferentin.

Als Zäsur nahm auch David Barth, Bildungsreferent der Evangelischen Jugend Hamburg (EJH), die umfangreichen Kontaktbeschränkungen wahr: »Das hat bei uns für einen erheblichen Technologisierungsschub gesorgt.« Gemeinsam mit Kollegen/innen vom Landesjugendpfarramt der evangelischen Nordkirche sorgte er auf Instagram in den ersten Wochen für regelmäßige #Drinspirationen. »Das waren Linktipps, Anregungen und Ideen für Dinge, die man gut allein oder drinnen machen kann.« Doch nach zwei bis drei Wochen sei klar geworden, dass die Situation sich nicht so schnell ändern würde. »Außerdem merkten wir, dass es nicht reicht, den Leuten nur Dinge an die Hand zu geben, sondern dass wir versuchen müssten, das zu tun, was wir sonst auch machen: Räume für sozialen Austausch anbieten.« Von da an ging die EJH dazu über, ihren Mitgliedern über Videokonferenzen regelmäßig Begegnungen und Austausch zu ermöglichen. »Wir haben relativ schnell auf den Anbieter Zoom gesetzt, denn das System hat sich als das stabilste erwiesen.« Um den datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber Zoom gerecht zu werden, lässt die EJH das Tool über deutsche Server laufen.

Digital ist besser? »Teilweise war das wie ein Rückzug ins Private«, meint Steffen Wolff, Bildungsreferent der BUNDjugend. »Politische Themen und noch vieles mehr traten hinter Corona und der Frage zurück, wie man persönlich mit der Krise umgehen solle oder welche Folgen das für Schule und Ausbildung habe. Trotzdem oder gerade deswegen war es uns wichtig, politische Kommunikation und Bildung zu ermöglichen.«

Mit dem Aktiventreffen, einem Angebot für junge Menschen von 14 bis 27 Jahren, seien sie umgehend online gegangen. »Zunächst in Form von Livestreams und Videoessays. Doch wir haben schnell gemerkt, dass es viel ergiebiger ist, wenn die Kommunikation in beide Richtungen laufen kann.«

Ähnlich erging es der Arbeitsgemeinschaft interkultureller Jugendverbände (AGIJ), wie ihre Bildungsreferent/innen Lina Westermann und Ramin Habibi bei einer Videokonferenz berichten. Zunächst sei es darum gegangen, die Teilnehmer/innen zu informieren – und das in verschiedenen Sprachen. Denn der Dachverband interkultureller Jugendverbände richtet sich mit seinem Angebot nicht nur an die Mitglieder seiner Verbände sondern auch an junge Geflüchtete. »Am Anfang fragten wir uns, was online realisierbar sei«, sagt Lina. »Sportliche Angebote waren beispielsweise nicht mehr möglich. Außerdem war es uns wichtig, den Kontakt zu unseren Verbänden zu halten, um zu erfahren, was sie brauchen.« Für die erste, sehr strenge Phase der Kontaktbeschränkungen habe die AGIJ auf ihren unterschiedlichen Kanälen vor allem Tipps für die Zeit allein zu Haus geteilt, erklärt Ramin. »Doch es dauerte nicht lange, und wir konnten unsere klassischen Formate auch online anbieten: montags einen Gitarrenkurs, dienstags das Sprach-Café und vor allem unsere Beratungsangebote, die je nach Terminvereinbarung telefonisch oder online stattfinden.« »Tatsächlich konnten wir sogar zusätzliche Angebote machen«, ergänzt Lina. »So bieten wir nun auch einen Englisch-Sprachkurs und Yoga an. Das Sprach-Café aber war für uns die beste Möglichkeit, mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben und zu hören, welche Sorgen sie haben und was sie brauchen.« In den letzten Wochen habe die AGIJ außerdem vermehrt Wettbewerbe initiiert, so Ramin. »Das ging querbeet: Foto-, Schreib- oder Videowettbewerbe zum Beispiel. Doch jetzt freuen wir uns sehr, wieder mit den ersten Präsenzangeboten starten zu können.« »Dafür haben wir ein Hygienekonzept erstellt, die Anzahl der Teilnehmer/innen reduziert und führen eine Liste mit Kontaktdaten unserer Besucher/innen«, sagt Lina. »Aber der Aufwand ist es uns wert. Denn wir alle freuen uns sehr, endlich wieder persönliche Kontakte pflegen zu können.« »Digitale Formate können unsere klassischen Angebote nicht ersetzen«, ist sich Steffen von der BUNDjugend sicher. »Am Anfang war das alles noch aufregend und neu. Aber es zeigt sich, dass Treffen übers Internet keine Konkurrenz sind zu einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht.«

So sieht es auch David von der EJH: »Die Phase des digitalen Ausprobierens ist im Laufe der Zeit ein wenig ins Stocken geraten.« Bei den Ehrenamtlichen und den Teilnehmern/innenhabe sich eine gewisse Gewöhnung abgezeichnet. »Der Reiz des Neuen war nicht mehr da und stattdessen zeichneten sich auch schon die ersten Lockerungen ab.«

Eine neue Hoffnung. Solche Erfahrungen haben auch viele Pfadfinder/innen gemacht. Anfang Juni sitzt der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Pfadfinderverbände (AHP) nach Wochen der Video- oder Telefonkonferenzen erstmals wieder beisammen. Dewey, Hempel und Jakob sitzen mit ihrem Bildungsreferenten Benjamin Dau im gebotenen Sicherheitsabstand an Tischen und müssen sich an die neue, alte Situation erst wieder gewöhnen. »So komisch sich das auch anfühlt, freut es uns doch sehr, dass wir uns wieder treffen konnten«, meint Hempel, die seit zweieinhalb Jahren im Vorstand der AHP sitzt. Anfangs hatte sich auch die AHP darum bemüht, ihre Mitgliedsverbände zu unterstützen und mit praktischen und kreativen Ideen für Quarantäne-Gruppenstunden zu versorgen. »Doch dann bemerkten wir eine digitale Sättigung bei den Leuten«, sagt Benjamin. »Als wir im Zuge der ersten Lockerungen den Eindruck bekamen, dass die Jugendverbandsarbeit unter den Tisch fallen könnte, wurde uns klar, dass wir aktiv werden müssten«, ergänzt Hempel. »Deswegen haben wir uns mit unseren Verbänden beraten und in einem Positionspapier Vorschläge zur Anpassung der Corona-Verordnung formuliert.« »Dabei ging es uns vor allem darum, auf die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen hinzuweisen. Denn die sind in unseren Augen während der Kontaktbeschränkungen zu kurz gekommen«, betont Dewey. »Dass nun wieder Angebote mit 15 Teilnehmern/innen möglich sind, freut uns natürlich sehr.« Trotzdem stelle sich die Frage, was für Angebote es während der Sommerferien geben könne.

Die meisten Verbände hätten ihre Fahrten schon abgesagt. »Aber wir geben die Sommerferien nicht auf und prüfen bis zum Schluss, ob es realistische Optionen gibt«, versichert Benjamin. Deswegen bekräftige die AHP gegenüber der BASFI, dass die Jugendlichen sehr flexibel seien und mitunter kurzfristig auf weitere Lockerungsmaßnahmen reagieren könnten. »Natürlich beraten die Verbände über Alternativen zu den klassischen Freizeiten«, meint Jakob. Das könnten coole Tagesauflüge sein oder auch Aktionen mit Übernachtungen. »Momentan wäre das aber nur in Hamburg möglich«, meint Dewey. »Viel lieber würden wir eigentlich was von der Welt sehen, selbst wenn es am Ende nur andere Bundesländer wären.«

Freizeiten im Sommer. An Alternativen zur klassischen Freizeit arbeite das Jugendrotkreuz (JRK), berichtet Amelie Schwichtenberg, die Bildungsreferentin des Jugendverbands. Nachdem der Verband die lange geplante Kinderstadt »Henry Town« mit 200 erwarteten Kindern und zwei Ferienfreizeiten absagen musste, sei nun ein digitales Zeltlager für junge Menschen zwischen sieben und dreizehn Jahren geplant. Eine Woche lang trifft sich das Betreuer/innen-Team vom 29. Juni bis zum 5. Juli regelmäßig online mit den Kindern und stellt Videos, Challenges und Podcasts zur Verfügung. Höhepunkt solle eine Schnitzeljagd quer durch die Stadt werden. Wobei noch nicht klar sei, ob eine echte Tour im Juli möglich sein werde oder es besser sei, auf eine digitale Variante auszuweichen.

Auch die NAJU musste Ihr Kinder-Sommercamp auf Sylt absagen, erzählt die Bildungsreferentin Franziska. Am Kinder-Waldwochenende Ende Juli wolle der Verband aber festhalten. Das Programm könnte im Zweifel auch ohne Übernachtung durchgeführt und die Teilnehmer/innen auf kleinere Gruppen aufgeteilt werden.

Die Evangelische Jugend habe zwischenzeitlich schon geplant, ihr Kinderzeltlager und das TeensCamp in Hamburg zu veranstalten und das Programm von zwei Wochen auf eine zu kürzen, berichtet ihr Bildungsreferent David. Angedacht war es, die Teilnehmer/innen der Freizeiten auf jeweils drei Gruppen mit 15 jungen Menschen aufzuteilen und an verschiedenen Orten das gleiche Programm durchzuführen. Abends wollte man sich über Videokonferenzen zu einem gemeinsamen Abendausklang zusammenschalten. Doch inzwischen gelte dieser Plan nur noch für das Kinderzeltlager. »In den letzten Wochen haben junge Menschen ihre Bedürfnisse schon sehr zurückstecken müssen«, erklärt David. »Deswegen wollen wir die neuen Lockerungen nutzen und zumindest mit dem TeensCamp nach Mecklenburg-Vorpommern fahren.

Auch wenn nur 30 und nicht wie normalerweise 70 Jugendliche mitfahren können, überwiegt für uns der pädagogische Gewinn die Bedenken. Denn natürlich wissen wir um das Risiko und werden alles unternehmen, um Ansteckungen nicht zu befördern. Wir vertrauen allerdings auch fest darauf, dass nicht nur die Gruppenleiter/innen, sondern auch die Teilnehmer/innen den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern aktiv umsetzen werden.«

Einen ähnlichen Weg will die KSJ wagen. Da inzwischen auch in Schleswig-Holstein Kinder- und Jugendfreizeiten wieder möglich sind, plant der Schüler/innenverband seine fünf Jahrgangslager von zwei Wochen auf sechs Tage zu kürzen und dafür nicht an unterschiedliche Orte sondern nacheinander an ein Hüttencamp an der Schlei zu fahren. »Natürlich arbeiten wir parallel an einem Alternativprogramm in Hamburg«, versichert Ivona. »Aber wir wünschen uns sehr, unseren Gruppenmitgliedern eine Auszeit vom Corona-Alltag zu ermöglichen. Besonders für unsere Gruppen und Leiter/innen der 9. Klassen wäre das die letzte Gelegenheit als Gemeinschaft weg zu fahren. Denn nach fünf Jahren endet ihre gemeinsame Zeit als Stufe – und das betrifft dieses Jahr leider auch mich.« Mit insgesamt 50 Personen pro Zeltlager seien die Freizeiten deutlich kleiner als normal. Schließlich bestünde eine Leiter/innenrunde schon aus ca. 14 Jugendlichen. Hinzu kämen noch mindestens sechs Leute für das Küchenteam und die Lagerleitung. »Wir gehen mit einem gewaltigen Respekt an diese Aufgabe heran«, meint Ivona. »Schon allein die Hygieneregeln jederzeit im Auge zu haben und ein Programm mit Sicherheitsabständen zu entwickeln, sind echte Mammutaufgaben.«

Solche Umplanungen passen jedoch nicht für alle Ferienprojekte. »Internationale Begegnungen von Jugendverbänden wurden bis Ende September komplett abgesagt«, berichtet Marija Sachau. Sie betreut als Bildungsreferentin bei der Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände eine Reihe kleinerer Verbände, von denen einige insbesondere auf dem Feld interkultureller und internationaler Begegnungen aktiv sind. So sollten Austauschprojekte von MitOst Hamburg ins Altai (Sibirien), in Hamburgs Partnerstadt Dar es Salaam und mit der Brigg Roald Amundsen auf die Ostsee führen. Ebenfalls musste der IJEL, Internationaler Jugendverband Europa – Lateinamerika, alle internationalen Projekte absagen. Beide Verbände stehen vor vergleichbaren Problemen, die an die Substanz ihrer Organisationen gehen: »Wie halten wir unsere Mitglieder, wenn alle internationalen Begegnungen nicht stattfinden können? Diese interkulturellen Treffen sind elementar für unsere Aktivitäten. Unser Verbandsleben steht und fällt mit der Planung und Durchführung internationaler Austausche.« Die Kontakte zu Partnerorganisationen in den Zielländern können zwar eine Zeitlang auf digitalen Kanälen gehalten werden, doch langsam setzt der digitale Overkill bei den Mitgliedern ein. MitOst Hamburg versucht, einige Projekte national »umzutopfen«. Unter dem Titel #hashtag war ein interkulturelles Treffen im November geplant. Nun wird geprüft, ob die deutschen Teilnehmer/innen vor Ort in Hamburg zusammenkommen und die russischen Partner/innen digital zugeschaltet werden können. Hierzu soll das Projekt als Mix aus On-und Offline-Formaten neu gedacht werden. Damit dies gelingen kann, wird zurzeit mit großer Unterstützung auf allen Ebenen daran gearbeitet, Fördermittel, die an internationale Jugendbegegnungen geknüpft waren, in Zeiten der Corona-Eindämmung für solche Ersatzformen umzuwidmen.

Was zu meistern ist. Über einen Mangel an Herausforderungen konnten sich Jugendverbände in den letzten Wochen allerdings nicht beklagen. Manche Schwierigkeiten waren ganz praktischer Art. »Digitale Angebote funktionieren natürlich nur, wenn unsere Teilnehmer/innen überhaupt ins Internet kommen«, erklärt Ramin von der AGIJ. »Ohne Handy, Computer oder vernünftiges Internet aber haben sie nichts davon. Auch ein Online-Gitarrenkurs ist nur sinnvoll, wenn alle eine Gitarre haben.«

Im Laufe der Zeit fiel einigen Verbänden auf, dass es schwerer ist, jüngere Mitglieder mit Onlineangeboten zu erreichen. »Das fängt schon bei den grundlegenden Sachen an«, meint Sven von der DPSG. »Viele können mit den Geräten noch nicht sicher umgehen und so muss immer jemand anderes dabei sein.« Außerdem zögen die Jüngeren nicht die gleiche Befriedigung aus Videokonferenzen. »Am Ende haben unserer Gruppenleiter/innen ihren Gruppenkindern teilweise einfach aus Büchern vorgelesen.«

Den Kontakt mit den Jüngsten zu pflegen, fiel auch der NAJU nicht so leicht. Relativ bewusst habe man es vermieden, die Kinder online zu vernetzen, erzählt Franziska. »Stattdessen haben wir versucht, alle zwei Wochen, ein Alternativprogramm anzubieten, das die Kinder in die Natur führen sollte.« Per E-Mail oder Post hätten die Gruppenleiter/innen Aufgaben verschickt, welche die Kinder rund um die festen Treffpunkte ihrer Gruppen selbständig erledigen sollten. »Die Lösungen konnten sie dann in den Briefkasten einwerfen, den es an jedem Treffpunkt der elf Kindergruppen gibt.«

Für einen ähnlichen Weg entschied sich die BUNDjugend. »Wir haben den Familien der Kindergruppen regelmäßig Mitmachtipps per Mail geschickt, damit die Kinder allein oder mit der ganzen Familie die Natur ihrer Umgebung erleben konnten«, berichtet Steffen. »Auf unsere Abfrage, welches Format und welchen Rhythmus sich die Kinder für die Gruppentreffen wünschen würden, haben sich die meisten für den Materialbrief entschieden. Scheinbar verbringen die Kinder durch Schule und andere digitale Angebote schon so viel Zeit am Rechner, dass eine gewissen Sättigung einsetzt.«

Die größte Herausforderung für alle Jugendverbände besteht aber in der Schwierigkeit, lang- oder auch nur mittelfristig zu planen. Da der Infektionsverlauf von COVID-19 dynamisch ausfällt und sich nicht verlässlich vorhersagen lässt, können auch die Behörden keine langfristigen Aussagen über mögliche Lockerungen oder Einschränkungen machen. Trotzdem sind die Jugendverbände mit ihrem Kontakt zur BASFI sehr zufrieden. »Ich habe das Gefühl, dass die BASFI sich uns gegenüber sehr bemüht und gerade auch durch unsere Fachberaterin gut ansprechbar ist und versucht, auf unsere Probleme einzugehen«, findet Amelie vom JRK. »Trotzdem birgt vor allem der Punkt Ferienfreizeiten derzeit noch eine gewisse Unsicherheit. Eine normale Ferienfreizeit mit Übernachtung ergibt im Landesförderplan eine ganz andere Basis als viele einzelne Tagesveranstaltungen – auch in Bezug auf Sonderurlaub, Verdienstausfall etc.. Hinzu kommt, dass wir noch nicht wissen, inwieweit Ausgaben im Nachhinein über andere Punkte des Förderplans beantragt werden können.«

Auch David von der EJH wünscht sich frühzeitige Zusagen, was mit welchen Mitteln finanzierbar sein wird: »Es wäre wirklich wichtig zu wissen, ob der Landesförderplan in entscheidenden Punkten geändert wird, ob zum Beispiel die Mindestzahl an Übernachtungen für die Förderung einkommensschwacher Familien an die Umstände angepasst wird.« Insgeheim wünscht er sich einen Vertrauensvorschuss für die jugendlichen Ehrenamtlichen – von Seiten vieler Hauptamtlicher und auch von Seiten der Stadt. »Unsere Ehrenamtlichen machen die Aktivitäten aus Sozialengagement und weil sie selber große Lust darauf haben. Sie sind bereit, Freizeiten auch hier vor Ort zu ermöglichen, und sie werden das verantwortungsvoll meistern. Das sollte gewürdigt werden!« Denn das Gegenmodell wäre, auf Nummer sicher zu gehen und gar nichts zu machen. Doch die Kinder und Jugendlichen hätten nun mal ein Recht auf Freizeit.

Wirtschaftliche Folgen. Vor besonderen Herausforderungen stand die Hamburger Sportjugend, die sich als Träger von Freiwilligendiensten auch in Verantwortung für ihre 160 Freiwilligen sah. Als der Betrieb in der Geschäftsstelle mit allen Mitarbeiter/innen runtergefahren und ins Home Office verlegt wurde, legte die Sportjugend den Einsatzstellen nahe, ihre Freiwilligen vorläufig freizustellen. Während die Freiwilligen je nach Umständen seit Anfang Mai wieder ihrer Arbeit nachgehen können, ist bei den obligatorischen Seminarwochen noch lange nicht an Alltag zu denken. So fänden sämtliche Abschlussseminare nur im Onlineformat statt, wie Dorothee Kodra, Geschäftsführerin in Elternzeitvertretung, berichtet.

Ende Juni plane die Sportjugend außerdem ihre Ferienanlage Schönhagen an der Ostsee zumindest teilweise wieder in Betrieb zu nehmen. Zunächst werde nur das Apartmenthaus vermietet, da es als abgeschlossene Einheit belegt werden könne. »Wie es nach dem 25. Juni weitergeht, müssen wir dann alle zwei bis vier Wochen kurzfristig entscheiden«, so Dorothee. Das Personal sei derzeit in Kurzarbeit, was den Kostendruck senke. »Aber wir haben nun mal laufende Kosten, die wir im Moment nicht durch Einnahmen decken können.«

Ein Problem, das die Schreberjugend nur zu gut kennt. Ihr Jugendferienheim in Sprötze musste der Jugendverband Mitte März schließen. »Ohne Belegungen gab es natürlich keine Einnahmen«, erzählt Whitney Schwark, die Vorsitzende der Schreberjugend. »Obwohl wir die Kosten massiv runterfahren konnten und die Mitarbeiter/innen in Kurzarbeit gehen mussten, hätten wir nur einen Monat weitermachen können.« Doch dem rein ehrenamtlich geführten Verband sei es gelungen, die Finanzierung des Hauses für die kommenden Monate zu sichern, freut sich Whitney. »Unser Kooperationspartner – der Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg – unterstützt uns mit einem großzügigen Darlehen. Außerdem haben wir Mittel aus dem Hamburger Rettungsschirm bekommen und Einzelspenden von Kleingärtner/innen erhalten.« Doch leider sei noch nicht absehbar, wie es weitergehen könne. Seit dem 8. Juni dürfen Jugendherbergen in Niedersachsen wieder an volljährige Gäste vermieten. »Jugendherbergen, die keine jungen Menschen beherbergen dürfen, sind eine Farce«, findet Whitney. »Unser Haus bleibt vorerst bis zum Herbst geschlossen. Einerseits dürfen wir bis Ende August sowieso keine Kinder und Jugendlichen aufnehmen. Andererseits müssten wir massiv investieren, um die Hygienevorgaben für die Essensausgabe einhalten zu können, so dass die Einnahmen in keinem Verhältnis zu den Ausgaben stünden. Doch auch wenn sich die Regeln ändern, müssen wir genau kalkulieren, ob es sich lohnt, den Betrieb wieder aufzunehmen. Momentan passen die ganzen Vorschriften allerdings nur bedingt zu unserem gemeinschaftlichen Ansatz.«

Mitbestimmung unter erschwerten Bedingungen. »Wir hatten großen Respekt davor, wie wir unserem Anspruch an Partizipation gerecht werden können«, erinnert sich Dewey von der AHP. »Doch das hat sehr gut funktioniert.« So hätten sich beispielsweise alle Mitgliedsverbände in den Beratungen für die Positionspapiere einbringen können.

Auch für ihre Vollversammlungen, dem klassischen Format der Mitbestimmung und Beteiligung, mussten sich die Jugendverbände Alternativen überlegen, sofern sie jene nicht verschieben wollten. Die DPSG entschied sich dafür, ihre Diözesanversammlung mit den Delegierten aller Stämme als Videokonferenz durchzuführen. »Es war uns wichtig, dass wir dieses Jahr keine Versammlung mehr machen müssen«, führt der Vorsitzende Sven aus. »Deswegen haben wir uns auf das Wesentliche beschränkt, diskutieren weniger Anträge und konnten das Programm auf einen Tag verkürzen.« Es sei vor allem wichtig gewesen, die Projektleitung für das diözesane Lager 2022 zu berufen und auch weitere Wahlen durchzuführen. »Weil auch Wahlen vom Rechtsträger dabei sind, haben wir uns für eine Briefwahl entschieden.« Um für einen kurzweiligen Rahmen zu sorgen, habe sich sogar eine AG unter dem Namen »Nette DV« zusammengefunden.

Dass die lange Ausnahmesituation sogar für einen intensiveren Grad der Beteiligung sorgen kann, bemerkte die KSJ. »Unsere Gruppenleiter/innen waren in jede Entscheidung eingebunden – anders als in ihren Schulen«, freut sich Ivona. »Nur so kann es funktionieren. Denn wenn wir in den Sommerferien tatsächlich wegfahren sollten, dann ist das nur möglich, wenn alle hinter der Entscheidung stehen. Natürlich hatten manche große Vorbehalte und Ängste. Deswegen haben wir uns in einer Videokonferenz mit 45 Leuten zusammengesetzt und darüber gesprochen, wie der beste Weg aussehen könnte. Das war sehr intensiv, aber wir hatten auch viel zu besprechen: den Plan für die Freizeiten, wie unsere Alternativen aussehen, wenn wir nicht fahren, und wie wir zu einem vernünftigen Hygienekonzept kommen. Vor allem aber glaube ich, dass es noch besser gelaufen wäre, als wenn wir uns wie normalerweise in einem großen Raum versammelt hätten.«

Was bleibt. Tatsächlich mangelt es nicht an positiven Erfahrungen aus den letzten Monaten. Die Kontaktbeschränkungen zwangen viele Verbände, sich erstmals mit den Möglichkeiten digitaler Technik und Tools auseinanderzusetzen. Dieses Wagnis wurde in der Regel mit der Erkenntnis belohnt, dass digitale Angebote den persönlichen Kontakt und die Gemeinschaftserfahrungen der klassischen Gruppenstunden und Aktionen der Verbände nicht ersetzen können. Trotzdem dürfte künftig niemand ernsthaft auf die Vorzüge digitaler Vernetzung verzichten wollen. Schließlich können sie eine praktische Ergänzung zu den klassischen Formaten darstellen – ganz gleich ob rein digital oder als Mischform zwischen physischer und digitaler Zusammenkunft. So freuten sich nicht wenige Mitglieder über die Chance, unverhofft aus einer anderen Stadt oder aus dem Ausland an den unterschiedlichen Angeboten teilnehmen zu können. Vor allem aber kann es deutlich reizvoller sein, sich für ein kurzes Treffen in einer Videokonferenz zu verabreden, als dafür einen mindestens so langen Fahrweg in Kauf zu nehmen. Auf diese Weise lassen sich kurze und spontane Treffen deutlich leichter in die verschiedenen Tagesplanungen der Ehrenamtlichen integrieren.

Die greifbare Verunsicherung über die Folgen von Kontaktbeschränkungen für den eigenen Verband oder die eigene Ortsgruppe führte oft dazu, dass sich die Akteure/innen häufiger und intensiver miteinander vernetzt haben. »Es hat uns im Vorstand noch mehr zusammengeschweißt«, glaubt Franziska von der NAJU. »Wir haben gelernt, damit umzugehen, dass es keine Deadline mehr gibt. Deswegen sind wir eigentlich sehr positiv gestimmt und haben vor, das kommende Jahr auch ohne weitere Absagen zu meistern.«

Rahmenbedingungen. Wie Jugendverbände auf die veränderten Umstände in der Corona-Pandemie reagieren können, hängt auch von den Rahmenbedingungen ab, die im Landesförderplan »Familie und Jugend« beschrieben sind. Der Förderplan bildet die Grundlage für die Finanzierung von Ferienfreizeiten und ist fraglos an Corona freie Zeiten orientiert. Um jedoch alternative Angebote zu den klassischen Ferienfreizeiten zu ermöglichen, wäre es notwendig, den Förderplan an die aktuelle Lage anzupassen. Dabei geht es gerade auch um Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien, denen Jugendverbände günstige Ferienfreizeiten ermöglichen. Denn die umfangreichen Fördermittel für diese Familien sind normalerweise an Freizeiten gebunden, die Übernachtungen umfassen und mindestens drei Tage dauern. Deswegen hat Daniel Knoblich, als einer der Vertreter der Jugendverbände im Landesjugendhilfeausschuss (LJHA), in Zusammenarbeit mit dem Landesjugendring einen Antrag in den Ausschuss eingebracht. Der Antrag verfolgt vor allem folgende Ziele: 1. Förderberechtigte Ferienfreizeiten sollen nicht mehr an Übernachtungen gebunden sein, sondern auch als Tagesunternehmungen möglich sein. 2. Vorgeschriebene Eigenmittel, die Jugendverbände in der Regel aus den Kostenbeiträgen der Teilnehmer/innen generieren, sollen komplett wegfallen. 3. Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien sollen Zuschüsse ebenfalls bei Tagesunternehmungen erhalten können. 4. Durch die neue Ein-Tages-Regelung sollen auch Jugendleiter/innen mit Juleica Sonderurlaub und eine Verdienstausfallentschädigung für einzelne oder mehrere eintägige Ferienfreizeiten erhalten können.

Auf diese Initiative einer zeitlich begrenzten Änderung des Landesförderplans reagierte die BASFI mit einem Gegenvorschlag. Die Behörde kündigte an, inhaltlich die Punkte zu übernehmen und einen bürokratiearmen Weg zu beschreiten, worauf Daniel Knoblich seinen Antrag zurückstellte. Zum Zeitpunkt der Drucklegung von punktum war der Prozess noch nicht abgeschlossen. Aber die Jugendverbände können auf das nächste Schreiben der Behörde gespannt sein. Die Rahmenbedingungen beginnen im Takt der Pandemie zu tanzen.