Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2019, Rubrik Vielfältige Jugendarbeit

Wie es ist, eine Demo für 450 Menschen zu organisieren …

Der Jugendtag der Evangelischen Jugend am Buß- und Bettag

Von David Barth, Evangelische Jugend Hamburg

Jan und Lisa gehören zu den ersten von rund 450 Menschen, die an diesem Tag bei einer Demonstration der Evangelischen Jugend Hamburg (EJH) durch die Mönckebergstraße ziehen werden. Jan will sich für Klimaschutz einsetzen (»save the planet«), Lisa ist gegen Vorurteile (»Stopp mit den Vorurteilen«). Beide haben Plakate gemalt, über die sie bereits auf ihrem Weg aus Wilhelmsburg mit den anderen Fahrgästen diskutiert haben. Aber bevor es überhaupt zu so einer großen Aktion kommen kann, ist einiges an Vorarbeit nötig …

Bereits im Februar haben sich knapp 20 Jugendmitarbeitenden aus verschiedenen Gemeinden Hamburgs versammelt, um über mögliche Themen für den Jugendtag der EJH, der traditionell am Buß- und Bettag stattfindet, zu beraten. Die Jugendmitarbeitenden begleiten »ihre Jugendlichen« in offenen Treffs, auf Ferienreisen und bei der Umsetzung von eigenen Projekten. Sie wissen, welche Themen Jugendliche beschäftigen und schnell sind die ersten Klassiker gesammelt: Etwa der Leistungsdruck, über den viele Jugendliche klagen. Dazu kommen Kirchenthemen wie Frieden und Gerechtigkeit. Soziale Medien und Freundschaft sind weitere Felder, die quasi alle Jugendlichen beschäftigen. Und dann sind sich plötzlich alle einig, was in diesem Jahr dran ist: Wir wollen an den Anfängen der Freitagsdemonstrationen anschließen – Jugendliche sollen sich für ein Thema ihrer Wahl einsetzen, das ihnen wichtig ist. Das finden alle in der Runde gut und wollen es unterstützen. Obwohl der Jugendtag, der jährlich wechselnd einmal als Großveranstaltung und dann wieder dezentral in der EJH organisiert wird, in diesem Jahr eigentlich dezentral stattfinden soll, beschließen wir, dass wir zusammen auf die Straße gehen müssen!

Vorausgesetzt, die Jugendlichen finden das auch. Die erste Instanz, das zu prüfen, ist der Vorstand der Evangelischen Jugend. Neun Ehrenamtliche im Alter zwischen 17 bis 25 Jahren sind auf der Vollversammlung für zwei Jahre in den EJH-Vorstand gewählt worden und treffen sich seitdem einmal im Monat, um die Interessen der evangelischen Jugendlichen zu vertreten. Der Vorstand ist sich einig, dass das Demo-Thema gut passt, und beginnt bereits in der Sitzung mit den ersten Wortspielen zum Titel. Außerdem setzen die Jugendlichen aus dem Vorstand das Thema auf die Tagesordnung vom nächsten »Lass’ mal machen…«

Das »Lass’ mal machen…« ist ein Treffen für Jugendliche, die gerade ihre Juleica-Schulung absolviert haben. Die meisten sind 16 Jahre alt und haben eine ziemlich differenzierte Meinung zu unserer Idee mit der Demo: »Man soll halt niemanden überreden, für ein bestimmtes Thema auf die Straße zu gehen. Das ist wie Überwältigen. Aber grundsätzlich dazu aufzurufen, dass einem nicht alles egal ist, dass man sich einsetzen soll, das geht schon.« Und Themen gibt es genug und werden auch sofort gesammelt: Gegen Homophobie und Vorurteile, für Klimaschutz, gegen Krieg…

Die Idee nimmt Form an. Auf einem offiziellen Planungstreffen im Juni, zu dem Jugendliche und Hauptamtliche aus dem Verband eingeladen sind, sollen Titel und Konzept gemeinsam beschlossen werden. Dabei ist der Gedanke, dass wir die Jugendlichen nicht instrumentalisieren wollen, handlungsleitend. In der Diskussion um einen entsprechenden Titel stehen deshalb »Zeig dich« und »Setz dich ein« hoch im Kurs, werden von den Jugendlichen aber als zu brav abgewählt. Den Jugendlichen ist wichtig, dass es wirklich um etwas geht. Etwas, für das man sich auch gegen Widerstände einsetzen würde. Außerdem soll es Spaß machen. So wird der Titel »Konflikt euch!« gemeinsam ausgewählt.

Während im Sommer die Ferienlager laufen, erfolgt die konkrete Ausarbeitung der Ideen. Plakate werden gedruckt, und die Kollegen/innen aus dem Jugendpfarramt entwickeln Workshops zur Frage, wofür man denn überhaupt auf die Straße gehen könnte. Außerdem müssen wir die Demo anmelden. Nur wie geht das überhaupt? Weil noch nie gemacht!?

Bestimmt haben die Kollegen/innen von der DGB-Jugend da mehr Erfahrung. Also ein schneller Anruf. Und die Kollegen/innen wissen nicht nur, an wen wir uns wenden müssen (die Versammlungsbehörde), sondern stärken uns auch nochmal in der Haltung: Eine Demo anzumelden – darum bittet man nicht, es ist ein Recht, das uns zusteht. Und tatsächlich geht es auch viel unkomplizierter, als wir eigentlich erwartet hätten. Allerdings mit einer Einschränkung: Mittwochs tagt die Bürgerschaft im Rathaus, also dürfen wir den Rathausmarkt nicht als Startpunkt setzen. Da wir inzwischen aber entschieden haben, die Aktion mit einem Gottesdienst in der Petrikirche zu beenden, suchen wir nach einem geeigneten Startpunkt in der Innenstadt. Schön wäre der Jungfernstieg, nur werden im November dort bereits Weihnachtsmärkte aufgebaut sein. Also vielleicht auf dem Kirchhof der Jacobi-Kirche, von Kirche zu Kirche, das passt eigentlich ganz gut. Es müssen nur viele werden, damit es auch gut wird!

Nach dem Sommer beginnt die Werbung. Verschiedene Gemeinden Hamburgs schließen sich zu insgesamt acht Startpunkten zusammen. Einer davon hat allerdings ein eigenes Thema: »Fairtragt euch« erscheint für die Kollegen/innen besser als »Konflikt euch«.

Teilnehmende am EJH-Jugendtag sind überwiegend Konfirmanden/innen aus den verschiedenen Gemeinden. Laut Schulgesetz steht es ihnen zu, sich an diesem Tag vom Unterricht befreien zu lassen. Zumindest theoretisch, denn in der Praxis beklagen viele Jugendliche, dass gerade an diesem Tag Klausuren geschrieben würden, oder auch, dass zu viel verpasst wird. Wie war das noch mit dem Leistungsdruck…

Aber weder Jan und Lisa haben noch viele andere haben sich nicht abschrecken lassen und sich für den 20. November für einen Tag vom Unterricht befreien lassen, »um darüber nachzudenken, was im eigenen Leben und in der Gesellschaft gerade wichtig ist«. Das ist zumindest die Idee vom Buß- und Bettag.

Novemberregen. Am liebsten hätten wir das unter freiem Himmel getan. Hätten auf dem Kirchenvorplatz mit Kreide die Steine bunt angemalt, Seifenblasen steigen lassen und Sprechchöre und Tanzschritte geübt. Aber es ist November in Hamburg. Es regnet also. Zum Glück dürfen wir uns in der Jacobi-Kirche sammeln und tatsächlich werden es minütlich mehr Menschen. Eine Kirche voller Leben!

Um kurz vor 14 Uhr üben wir gemeinsam unseren Sprechchor: »Wir demonstrieren | Für Menschen, Vielfalt, Frieden. | Seid nicht mehr leise | Sonst endet unsere Reise! (wahlweise: Sonst stirbt aus die Blaumeise). | Es ist noch nicht zu spät grad | Umdenken – Buß- und Bettag!«

Bunt und laut. Mit 13 Jahren ist ganz leicht vieles peinlich, zumal gerade laut zu schreien. Aber an diesem Tag nicht, an diesem Tag stimmen alle ein. Und trotz des Regens ist die Stimmung gut, als wir uns gemeinsam auf den Weg durch die Mönckebergstraße machen. Die Themen, für die sich die Jugendlichen entschieden haben sind vielfältig. Einig sind sie sich in der Überzeugung, mit der sie für ihr Thema einstehen. Die Jugendlichen positionieren sich mit ihren Plakaten zu Themen, die ihnen wichtig sind. Sie dürfen alle noch nicht wählen, deshalb ist Demonstrieren ihre Möglichkeit, ihren politischen Willen auszudrücken. Und das wird durchaus wahrgenommen. Passanten unterbrechen ihren Einkaufsbummel und machen Fotos und Videos von diesem bunten und lautstarken Umzug.

Nach dem Gottesdienst sind sich Jan und Lisa einig: »Die Demo war richtig gut!« Jedoch »etwas zu kurz«. Aber da wissen wir Rat: Schon am kommenden Freitag wird Fridays for Future wieder auf die Straße gehen. Jan und Lisa wollen dann (zum ersten Mal) dabei sein.