Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 2-2018, Rubrik Titelthema

Das ist meine Familie, die ich mir selber ausgesucht habe!

Interview mit Nadja Klusowski (24), Landesvorsitzende des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder


Auf Eurer Fahne steht neuerdings: »Pfadfinden que(e)rfeldein« – was steckt dahinter?

Nadja: Wir haben uns schon häufiger politisch positioniert. Das ist immer so eine Sache, weil wir nicht parteipolitisch sind, aber durchaus politisch bilden. Doch das ist ein Thema aus unseren Werten und Idealen heraus: Als Pfadfinder stehen wir für Offenheit, für Toleranz und Akzeptanz eines jeden Menschen – egal, wo er her kommt, an wen oder was er glaubt und wen er liebt. Daher warf vor allem Gesa, meine Kollegin, die Frage auf, warum wir nicht mehr in dieser Richtung aufklären und unterstützen. Sie hatte sich schon in Norwegen und Österreich intensiver mit Fragen rund um LGBTIQ* auseinandersetzen können und so fanden wir, dass der Hamburg Pride im August eine gute Gelegenheit sei, sich dieses Thema auf die Fahne zu schreiben: Wir wollen auf dem Hamburg Pride einen großen Pfadi-Block stellen und laden dazu die anderen Verbände und Bünde ein. Wir wollen mit ganz vielen Pfadfindern ein großes Zeichen für Toleranz und Respekt setzen.
Wir setzen uns natürlich im Vorfeld mit den Themen auseinander. Es gab im Frühjahr ein Schwerpunktseminar, um eine gemeinsame Wissensbasis zu haben und auch pädagogische Methoden zu erarbeiten, was man mit Gruppen dazu machen kann. Es gibt Filmabende oder das sogenannte queer-beer, wo wir uns stammtischmäßig zusammensetzen, schnacken und Ideen sammeln. Letztlich wollen wir uns als Verband offen machen für alle Menschen.

Was reizt Dich an dem Amt des Landesvorstands?

Ich bin da unverhofft reingekommen. Eigentlich wollte ich mich nicht so sehr auf Landes- bzw. Bundesebene engagieren, weil ich den Kontakt zur Basis nicht verlieren will. Aber inzwischen stelle ich fest, dass es ein Job ist, den ich gut machen kann und der mir auch Spaß macht. Zudem kann ich jetzt auf Landes- und Bundesebene etwas verändern.
Es reizt mich zu wissen, was überall läuft, und überall mitwirken zu können. Mich reizt auch das Networking total. Denn selbst innerhalb unseres Verbandes gibt es auf Bundesebene sehr unterschiedliche Strukturen. Wenn man das Land Bayern mit dem VCP Hamburg vergleicht – es liegen Welten dazwischen! Ansonsten bin ich ein Organisationstalent. Das kann ich hier immer mehr ausleben.

Wie geht Ihr als Landesvorstand mit den Erwartungen an Euch um?

Sehr unterschiedlich. Zum Teil genießen wir es alle, uns so richtig reinzustürzen und keinen freien Termin mehr in der Woche zu haben, zum Teil ist das auch anstrengend. Worauf ich aber wieder mehr Wert lege, ist, mir die Freiheit zu nehmen, Termine abzusagen, wenn die Woche ansonsten voller Landesvorstandstermine wäre. Dann muss ich Abstriche machen und Prioritäten setzen. Dieses Recht gestehen wir uns alle ein. Wir sehen uns so oft, da ist das kein Weltuntergang, wenn mal jemand nicht kann.
Generell ist unser Verband sehr offen dafür, den ehrenamtlichen Vorständen die Freiheit zu lassen, ihr Amt so auszufüllen, wie es für sie passt. Man muss es nicht so machen, wie der »perfekte« Vorstand vor einem.

Wie bist Du zu den Pfadfindern gekommen?

Ich bin schon immer ein Kind gewesen, das viel draußen rumgeturnt und getobt hat. Das brachte meine Mutter dazu, zu überlegen, wo ich meine ganze Energie rauslassen kann. Sie hat dann über die Gemeinde von dem VCP erfahren. Mir hat das damals gut gefallen, weil ich da sein konnte, wie ich bin. Aber als Kind macht man das wie so eine Art Hobby – wie Fußball oder Geige spielen.
Mit ungefähr 14 hatte ich ein Break, weil ich lieber Saxophon gespielt habe. Als ich dann auf einem großen Gemeindefest zum Jubiläum unserer Kirche alle wieder getroffen habe, fühlte es sich an, als würde ich nach Hause kommen. Da dachte ich: »Scheiß aufs Saxophon, ich komme wieder zu Euch! Das ist meine Familie, die ich mir selber ausgesucht habe.« Das ist der Moment gewesen, an dem ich mich ganz bewusst dafür entschieden habe. Seitdem mache ich das mit ganzem Herzen und habe es nie wieder in Frage gestellt.
Ich frage mich manchmal, wie ich heute wohl wäre, wenn ich nie zu den Pfadfindern gekommen wäre. Ich glaube, das hat mich sehr geprägt. Denn ich war früher sehr zurückhaltend, viel stiller. Doch bei den Wölflingen habe ich gelernt, wer ich bin und was ich alles kann.

Fahrt oder Lager – hast Du einen Favoriten?

Schwer zu sagen. Für mich persönlich wohl die Fahrt, weil ich dann weniger mit Organisation und Programmgestaltung beschäftigt bin. Wenn ich zwei Wochen mit meiner Sippe in Schweden wandern gehe, dann breche ich morgens meine Zelte ab und packe alles in meinen Rucksack. Vielleicht laufen wir nur 5 oder auch 30 Kilometer. Abends kommen wir irgendwo an und finden ein schönes Fleckchen, an einem See bei Sonnenuntergang. Da bauen wir unser Zelt wieder auf und freuen uns, dass wir einen so schönen Platz gefunden haben. Dabei gehen wir durch dick und dünn, egal was auch passiert.

(Das Interview führte Oliver Trier, Hamburg)

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* Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer