Von Janka Harger, Junge Presse Pinneberg
Ein Spaziergang durch Planten un Blomen dürfte am 17. Juni für überraschte Gesichter gesorgt haben. Auf den Wegen der großen Wallanlage tummelten sich jede Menge Jugendliche in Klufthemden und Halstüchern. Rund 500 Aktive und Besucher erkundeten Hamburgs berühmte Parkanlage zum ersten Pfadfindertag der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Pfadfinderverbände (AHP). Neben einem Dutzend schwarzer Jurten, in denen die elf AHP-Mitgliedsverbände und der Dachverband ihre Standorte, Projekte und Werte vorstellten, waren über das Gelände die Flaggen der 28 europäischen Staaten verteilt. Dort gab es viel zu entdecken – nicht nur für Pfadfinder. Ein Bericht über die AHP und die Pfadfinder-Szene Hamburgs.
Zwei Wochen zurück. Der Duft von Erdbeeren durchströmt den Tagungsraum im Haus des Jugendberatungszentrums in Winterhude. Nach und nach füllt er sich mit 15 Pfadfindern aus den Bünden. Ein letztes Mal treffen sie sich heute, um den ersten Hamburger »Pfadi-Tag« vorzubereiten.
Man kennt sich – oder lernt sich schnell kennen. Denn bei den monatlichen AHP-Treffen sind immer neue Gesichter dabei, wie hempel (Nina Kreutzfeld) erzählt. Kein Wunder – rund 10.000 Aktive gibt es in den elf Mitgliedsverbänden. Viele von ihnen haben wie hempel einen Pfadi-Namen, der gemeinsam mit der Sippe im Laufe einer Pfadi-Karriere bestimmt und meistens klein geschrieben wird. Gleiches gilt für imko (Fabian Benthack), kurzer (Jan Koß) und pipper (Sascha Lütje), die gemeinsam mit hempel den Vorstand der AHP bilden. Seit 1971 verbindet die Arbeitsgemeinschaft die Pfadfinderverbände Hamburgs, sorgt für Austausch, fördert und organisiert gemeinsame Veranstaltungen – wie in diesem Jahr den ersten Hamburger Pfadfindertag im Planten un Blomen. Neben dem engagierten Vorstand haben sich dazu Freiwillige aus allen Mitgliedsverbänden seit mehr als einem Jahr monatlich getroffen um Motto, Ablauf, Technik und Material zu planen. Schon im Herbst 2017 sollte das Event für die Hamburger Mitgliedsverbände stattfinden – doch auch Pfadfinder waren gegen das Sturmtief Xavier, das seinerzeit die Wiesen unter Wasser setzte, machtlos. Nun soll es endlich soweit sein. Zuletzt gab es ein ähnliches Treffen in den 90er Jahren. Dieses Event soll nun unter dem Motto »pfadisch by nature« wiederbelebt werden.
Mit Klampfe. Die Gruppe, die sich bei diesem letzten Organisationstreffen zusammengefunden hat, ist genauso bunt wie die ausliegenden Muffins: vom Wölfling bis zum ehemaligen Vorstandsmitglied, groß oder klein, in Fahrten-Hemd, mit Halstuch oder »zivil«. Begonnen wird die Sitzung ganz Pfadi-like mit der Gitarre – ein Geburtstagslied wird angestimmt. Samuel Schmidt von der CPA hat es sich auch an seinem Ehrentag nicht nehmen lassen, an der Organisation des Pfadi-Tags mitzuarbeiten. »Pfadfinder ist man zuerst mit dem Herzen, nicht mit dem Taschenmesser«, zitiert er begeistert einen seiner Schützlinge. Nach dem Studium konnte er diese Lebenseinstellung zum Beruf machen und begann als Pädagoge in der Adventjugend Hansa.
An der Gitarre sitzt mali (Benjamin Ehlers), der sich nach fünf Jahren großem Engagements dazu entschieden hat, aus dem Vorstand auszuscheiden und dem AHP noch ein paar weitere Monate beratend zur Seite zu stehen. Für ihn ist hempel in den Vorstand aufgerückt. Ein weiteres Gesicht der AHP ist Berrit Ahnsehl, die seit Oktober 2016 als Bildungsreferentin für die AHP und für die Mitgliedsverbände tätig ist. Ein Netzwerk aus ca. 10.000 Ehrenamtlichen rechtfertigte diese Stelle beim Landesjugendamt in der BASFI relativ schnell. So konnte die AHP ein Büro anmieten und gemeinsam größere Projekte wie den Pfadi-Tag gestalten. Fernab von diesem Event steht die Diplom-Sozialpädagogin allen Verbänden beratend zur Seite, sei es für inhaltliche Beratung, Austausch, Behördenangelegenheiten oder bei Problemen verschiedenster Art. Auch bei aktuellen Themen - wie z.B. beim Datenschutz - entlastet Berrit die ehrenamtlichen Teamer, sodass diese sich auf die Betreuung ihrer Schützlinge konzentrieren können.
Dass es für den großen Tag noch einige Dinge zu organisieren gibt, zeigt sich schnell nach der Vorstellungsrunde. Zum Tag der offenen Jurte bringt jeder der elf Verbände eins der schwarzen Zelte mit, aber wie kommen diese in den Park? Wo werden die Stationen der Europa-Rallye sein, steht die Technik für die Kundgebung und hat noch jemand einen Weihnachtsbaum? Nach rund einer Stunde sind Erdbeeren und Muffins aufgegessen, alle Fragen beantwortet und die letzten Aufgaben verteilt.
Hell strahlt die Sonne – genau wie die Gesichter der Organisatoren. Hamburgs Wetter meint es gut mit den Pfadfindern. Schon am Vortag wurden die Jurten aufgebaut und Nachtwache gehalten. Pünktlich um zehn Uhr begrüßt imko aus dem Vorstand die Pfadfinder, Eltern und Interessierte und eröffnet die dreistündige Europa-Rallye. Die 28 Stationen, welche für die Mitgliedsländer der EU stehen, bieten Spiele und kreative Herausforderungen. Für jedes besuchte Land gibt es einen Aufkleber im Reisepass einer Rallye-Gruppe. Nebenbei kann man Blicke in die Jurten der anderen Bünde werfen und erfahren, womit sie sich beschäftigen, wo die Stämme ansässig sind und welche Aktionen geplant sind – auch als Nicht-Pfadfinder. Viele Besucher des Parks nehmen diese Möglichkeiten wahr. Kinder stöbern mit ihren Eltern und suchen nach einem passenden Pfadfinderverband in Nähe ihres Wohnortes. Sieben der elf AHP-Mitgliedsverbände vertreten christliche Werte und geben diese auch durch Gottesdienste oder religiöses Liedgut an die Schützlinge weiter. In den anderen Verbänden spielen dagegen religiöse Überzeugungen keine Rolle. Der Grundgedanke aber ist bei allen gleich: Sie stehen ein für ein offenes, tolerantes und demokratisches Miteinander, für politische Freiheit und soziale Rechte. Sie wollen aus jungen Pfadfindern kritische und weltoffene Menschen machen.
ASAB – all scouts are beautiful. Auf der großen Wiese steht auch eine Regenbogen-Jurte. Unter dem Motto queerfeld-ein vermittelt der VCP (Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder in Hamburg) die Akzeptanz von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt. Bei einem Seminar im April beschäftigte sich der Bund damit, was dafür getan werden kann, dass lesbische, schwule, bisexuelle, transgender oder intersexuelle Jugendliche frei mit ihrer Sexualität und Identität umgehen können.
Ein Fass, das nicht jeder Bund aufgemacht hätte; ein mutiger und von vielen Seiten gelobter Schritt. Doch nicht nur bei diesem Thema variieren die Verbände. Schon bei Kleinigkeiten wie den von manchen Verbänden genutzten Leistungsabzeichen scheiden sich die Geister. »Wir würden mit so einer Kluft nicht rumlaufen«, sagt die 17-jährige Charlie vom BdP (Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder) und deutet auf den gleichaltrigen Kilian vom VCP, der ein paar Aufnäher auf dem Hemd trägt: »Wir halten unsere Kluft möglichst schlicht.« Die beiden kennen sich, sie kommen aus dem gleichen Stadtteil und sind dort in den jeweiligen Bünden Pfadfinder. Die verschiedenen Einstellungen akzeptieren sie. Gemeinsame Aktionen der beiden Bünde gab es bisher nicht, sind aber in Planung.
In der CPA-Jurte (Christlichen Pfadfinderinnen und Pfadfinder der Adventjugend) spielen Aufnäher eine große Rolle. Während einer kleinen Rallye-Pause sucht sich Alex gerade aus, welches Abzeichen er als nächstes machen könnte. Die Auswahl an Leistungsabzeichen ist groß: Von »Pizzabacken« über »Optimismus« bis »Fremdsprache« und »Leben in der Wildnis« ist alles dabei – und die Anforderungen sind sehr verschieden.
Keep calm and go scouting. Ebenso unterschiedlich sind die Stationen der Rallye. Elias und Kirsten vom CPA schleichen sich gerade bei der slowakischen Station an. Für den Reisepass-Sticker müssen sie geräuschfrei auf eine Pfadfinderin zugehen, die ihre Augen geschlossen hat. Zeigt sie dennoch in die Richtung, aus der der Heranpirschende kommt, muss es der nächste versuchen. Die beiden Elfjährigen haben mit ihrer Gruppe schon reichlich Sticker gesammelt. Nur noch fünf, dann haben sie alle. Das Highlight war für sie der Rallye-Posten Malta, dort mussten sie einen Weihnachtsbaum möglichst »pfadfinderisch« schmücken. Zu weiteren Aufgaben zählen Klassiker wie Knoten, Tauziehen, Lieder singen oder Rätsel beantworten. Bis zu 30 Gruppen werden im Laufe der Europa-Rallye an jeder Landes-Station vorbeikommen. Am Posten Lettland errät Gabriel (9) gerade verschiedene Gewürze mit der Nase. Pfefferminz, Curry und Kümmel – kein Problem für den Kundschafter der Royal Rangers. Er und sein zehnjähriger Freund Kim klappern die Stationen allein ab. Sachen selbst entdecken, das macht ihnen großen Spaß. Das Beste am Pfadfinder sein? »Die Abenteuer und Fahrten«, ganz klar. Erst vor kurzem waren sie im Pfingstcamp in Norderstedt. Nicht selten gehen die Fahrten auch weit über Hamburgs Grenzen hinaus. Schweden, Schottland oder Italien zählen unter anderem zu den beliebten Zielen vieler Bünde. Dass es beim Pfadfinden keine Grenzen gibt, weder auf der Karte noch im Kopf, auch das soll die heutige Aktion zeigen.
Die Motivation und das Interesse am Pfadfindersein sind nicht nur bei den großen Veranstaltungen sichtbar. »Der Ansturm und die Zahl von Neuanmeldungen ist ungebremst«, erzählt mali. Rund 10.000 Aktive gibt es in und um Hamburg. Dennoch mache sich auch bei den Pfadfindern ein Wandel in der Form des Engagements bemerkbar. Früher habe man sich von der Grundschule bis über den Abschluss hinaus engagiert. Nur so kann das Konzept »Jugend führt Jugend« gehalten werden. Denn Erwachsene übernehmen nur in seltenen Fällen leitende Funktionen auf der Gruppenebene. In den letzten Jahren konnten die Verbände jedoch einen Wandel spüren: »Das Engagement der Jugendlichen nimmt nicht flächendeckend ab, ist aber projektorientierter geworden. Langfristige Aufgaben werden seltener übernommen. Die Konkurrenz durch andere Freizeitangebote für Jugendliche ist stark gewachsen. Außerdem verlassen immer mehr Schulabgänger für das Studium oder die Ausbildung die Heimat«, berichtet mali. Der Eindruck in der Öffentlichkeit sei dennoch weitgehend sehr gut. Pfadfinder werden positiv wahrgenommen, auch wenn man noch ab und an auf überraschte Kommentare träfe, dass es sie noch gäbe. »Dabei waren wir ja nie weg«, schmunzelt mali.
»Heute hier morgen dort.« Nach und nach nehmen die Pfadfinder die Fahnen an den Stationen ab, die Rallye geht langsam zu Ende. Noch immer treffen weitere Pfadies ein. Einige Mädels vom PdF (Pfadfinderschaft der F reien evangelischen Gemeinden) sind schwer bepackt, sie kommen direkt von einer Wochenendfahrt außerhalb Hamburgs. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen, die schon den ganzen Sonntag vor Ort sind, machen sie sich auf den Weg zur abschließenden Kundgebung.
Passend dazu beginnt diese mit dem Lied »Heute hier morgen dort«. Eine Gruppe des PBNL (Pfadfinder & Pfadfinderinnenbund Nordlicht) leitet den Gesang auf der Bühne an. Mitsingen können alle ohne Gesangbuch; das Lied ist ein Pfadi-Klassiker.
Moderiert wird die Abschlussveranstaltung von mali, in seiner Rede hebt er den Grundgedanken der Pfadfinder hervor: Sie bilden eine Gemeinschaft über die Grenzen von Kultur, Glauben oder Sexualität hinaus. Als sichtbares Beispiel lobt er die Regenbogen-Jurte des VCP: »Sowas macht Menschen stark, sich in ihrem Anderssein zeigen zu können und akzeptiert zu werden. Bei den Pfadfindern findet jede Vielfalt seinen Platz.« Als weiteres Beispiel nennt er den PBN (Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbund Nord), bei denen Stämme ihre Vereinsheime für Flüchtlinge im Jahr 2015 öffneten. »So funktioniere interkulturelle Zusammenarbeit, und das zeichnet die Pfadfinder aus.«
Bevor mali die Senatorin auf die Bühne bittet, bedankt er sich noch beim Landesjugendamt, das u.a. dafür zuständig ist, wirtschaftlich schwachen Familien mit finanziellen Zuschüssen zu helfen, wenn deren Kinder auf Großfahrt gehen wollen und ein Betrag von 300 bis 400€ aufzubringen ist. Schließlich sollen bei den Pfadfindern alle mitmachen können.
»… dass nichts bleibt, das nichts bleibt wie es war.« Dann betritt die Senatorin die von hunderten, hauptsächlich sehr jungen Menschen in blauen, grünen, grauen und beigen Kluften umringte Bühne. Melanie Leonhard ist in ihrer Jugend selbst Pfadfinderin beim VCP-Stamm Matthias Claudius Eißendorf gewesen und nennt diese Zeit als »die schönsten Jahre meines Lebens«. Als Dank für die großartige Unterstützung und den Rückhalt des Senats überreicht ihr mali das blau-weiß-orangene Pfadfinder-Halstuch der AHP. Dankbar nimmt sie es entgegen und bezeichnet es als große Ehre. Auch sie zeigt sich begeistert über die vielen anwesenden Pfadfinder und interessierten Gäste und fordert dazu auf, genau solche Aktionen als Chance zu nutzen, Werbung für die gute Sache zu machen. Gerade in Großstädten – wenn auch in Hamburg weniger – vergesse man in den grauen Straßen schnell die Natur. »Keep calm and go scouting, wie es einer der AHP-Sticker sagt: Dieses Motto müssten sich die Verantwortlichen in Berlin mal zu Herzen nehmen«, so Leonhard. Dann sehe man etwas von der Welt und wie die aktuelle Lage wirklich sei. Das Motto des heutigen Tages, pfadisch by nature, sei auch eine aktuelle politische Botschaft: »Grenzen überschreiten und einreißen, so könne man die Welt ein bisschen besser zurücklassen, als man sie vorfinde.« Ganz wie es Baden-Powell, der Gründer der Pfadfinderbewegung vor über 100 Jahren, formuliert hatte.
Am Ende der Kundgebung werden Sanitätern und Helfern für die Technik kleine Bäumchen überreicht – als nachhaltiges Dankeschön statt schnell verwelkender Blumen. Außer für mali: Ihm überreicht der Vorstand, vertreten durch hempel, imko und pipper, ein großes Danke-Präsent für die langjährige Vorstandsarbeit. »Ohne Dich wäre die AHP heute nicht dort, wo sie jetzt ist«, versichert imko.
Europa im Sinn. Anschließend gibt es eine große Mitmachaktion für alle: Gemeinsam stellen die Teilnehmer eine riesige Europaflagge dar. Aus jedem Bund darf sich ein Pfadi einen großen gelben Stern von der Bühne abholen, alle anderen erhalten einen blauen AHP-Jutebeutel. Beides wird über den Kopf gehalten und das Europa-Bild der blauen Menge mit Sternen von oben fotografiert. Jeder Pfadfinder hat seinen Platz im großen Puzzle – es soll keine Lücken geben. Das Bild signalisiert die Botschaft einer Gemeinschaft, wie es sich die Pfadfinder untereinander, für Europa und die ganze Welt wünschen.
Altmodisch und langweilig? Auf die Hamburger Pfadfinder treffen diese Vorurteile ganz bestimmt nicht zu. Beim ersten Hamburger Pfadfindertag haben sie sich als kreative, offene und vor allem vielfältige Wegweiser präsentiert.