Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 4-2015, Rubrik Titelthema

Vorausschauender Rückblick

Von Carlo Klett, Landesjugendring Hamburg

»Wer will das soeben in erster Lesung beschlossene Gesetz in zweiter Lesung beschließen? – Gegenprobe? – Enthaltungen? – Das ist einstimmig. Das Gesetz ist damit auch in zweiter Lesung und somit endgültig beschlossen worden« – mit diesen Worten schloss am 28. Juni 2006 die Vizepräsidentin der Hamburger Bürgerschaft die Debatte. Mit der Veröffentlichung im Hamburgischen Gesetzes- und Verordnungsblatt am 18. Juli 2006 trat das Zweite Gesetz zur Reform der Bezirksverwaltung und damit der Beteiligungsparagraf 33 in Kraft.

In der Debatte vor der Abstimmung hatten die Abgeordneten noch einmal dargelegt, welch wegweisendes Gesetz sie heute fraktionsübergreifend beschließen werden. An den Beteiligungsparagrafen dachte dabei niemand; bei der Reform ging es im wesentlichen darum, welche Aufgaben der Senat und welche die Bezirke wahrnehmen sollen – »Zweigliedrigkeit« der Verwaltung und »Entflechtung von Zuständigkeiten« waren damals die Themen, die die Debatte beherrschten.

Das Gesetzgebungsverfahren begann – wie so oft – mit einem Entwurf des Senates. Auf 24 Seiten legte der Senat dar, was durch das Gesetz geregelt werden soll und begründete Paragraf für Paragraf seine Intention. Einen Beteiligungsparagrafen findet man im Senatsentwurf nicht.
Wenn die Initiative, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gesetzlich zu verankern, nicht vom Senat ausging, wer wollte es dann? Und warum?

Der Entwurf wurde – wie so oft – in einen Ausschuss verwiesen, um ihn dort intensiv zu beraten. Eine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist auf keiner Sitzung ein Thema. Dann, auf der abschließenden Ausschusssitzung am 9. Mai 2006, geht es plötzlich nicht mehr um den Senatsentwurf, sondern um ein als Tischvorlage eingereichtes »interfraktionelles Änderungspetitum«, also um einen zwischen den Fraktionen irgendwo und irgendwann ausgehandelten Kompromiss. Urplötzlich erblickt an diesem Tag der Paragraf 33 das Licht der Welt bzw. der Öffentlichkeit. Da auch hier eine Begründung fehlt, bleibt erneut die genaue Intention sowie die Urheberschaft im unklaren, man darf aber mutmaßen : Am 9. Mai sagte der Abgeordnete der Grünen, er fände es »schade«, dass wiederum »keine exakte Regelung zum Thema Jugendräte, Jugendparlamente« verabredet werden konnte, aber diese seien mit diesem Paragrafen auch nicht ausgeschlossen. Er beendete seinen Beitrag mit den Worten : »Man kann ja nicht immer alles durchsetzen«, worauf der Vorsitzende antwortete : »Welch wahres Wort, Demokratie lebt vom Kompromiss!«
Der Wunsch, eine große Reform einstimmig zu verabschieden und der dadurch resultierende Zwang zum Kompromiss scheinen wichtige Geburtshelfer des Paragrafen 33 gewesen zu sein. Wer es genau wissen möchte, muss die damaligen Akteure fragen. Übrigens : 2006 regierte in Hamburg die CDU alleine, das Parlament bestand aus drei Fraktionen, Bündnis 90/Die Grünen hießen noch Grün-Alternative-Liste, Jugendräte und -parlamente forderte u. a. Manuel Sarrazin, dem Ausschuss »Verwaltungsreform« saß Kai Voet van Vormizeele vor und Verhandlungsführer der Grünen war Till Steffen.

Der Landesjugendring bezog öffentlich keine Stellung, dazu kam die Neuerung zu überraschend. Hätte im Gesetzgebungsverfahren eine Sachverständigenanhörung stattgefunden – was nicht unüblich ist – so hätten wir sicherlich mit Blick auf § 47f der Gemeindeordnung in Schleswig-Holstein hinterfragt, wie sinnvoll eine Regelung ist, die hier die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zu regeln und dort in einem getrennten Paragrafen die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen? Jedenfalls haben wir die neue Regelung mit Erleichterung aufgenommen, da es offen blieb, ob eine Beteiligung projektbezogen oder institutionell stattfinden soll.

Bald werden wir in Hamburg auf eine zehnjährige Praxis zurückblicken können. Ein Meilenstein wird sicherlich die Vereinbarung der Bezirksversammlung und dem Bezirksamt Eimsbüttel aus dem Jahre 2011 sein, abgeschlossen immerhin fünf Jahre nach Inkrafttreten des Beteiligungsparagrafen. In die Gesamtbetrachtung mit aufgenommen werden sollte auch, dass seit 2006 16- und 17-Jährige in die Fachausschüsse der Bezirksversammlungen »zugewählt« werden dürfen, ein Umstand, der im Gegensatz zum Beteiligungsparagrafen Erwähnung in der Plenumsdebatte fand. Nicht unerwähnt bleiben sollte auch, dass schon seit 1997 Jugendhilfeausschüsse »bei allen bezirklichen Planungen, die auf die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen und deren Familien gestaltend Einfluss nehmen, frühzeitig zu beteiligen sind«. Schließlich sollte als zweiter Meilenstein  die 2013 beschlossene Absenkung des Wahlalters gewürdigt werden.

Kann man sagen, dass sich in Hamburg auch nach zehn Jahren keine einheitliche Praxis herausgebildet hat? Wenn man sich die aktuellen Koalitionsverträge in den Hamburger Bezirken anschaut, in Altona und Bergedorf gibt es keine, kann man schon auf den Gedanken kommen, dass in der Praxis vieles versucht wurde und wird – mit und ohne konkreten Bezug auf den Beteiligungsparagrafen –, aber in der Theorie immer noch Konfusion herrscht, aufgrund welcher Regelungen welche Bevölkerungsgruppe mit welchem Ziel wie zu beteiligen ist.

Es fällt auf, dass Beteilungsprojekte oft in einem Atemzug mit dem Vorhaben einer kinder- und familienfreundlichen Kommune genannt werden – einem Ziel, das sich auch Hamburg verschrieben hat. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat Mitte dieses Jahres den Startschuss für die »Jugendstrategie 2015-2018« gegeben. Nachdem in den letzten Jahren – landauf, landab – der Fokus auf Familienpolitik gelegt worden war, was man in Hamburg sehr gut allein schon in den Bezeichnungen der Fachbehörden und der Ämter nachzeichnen kann, soll jetzt die Jugendpolitik als eigenständiges, ressortübergreifendes Politikfeld wiederbelebt und mittels des Programms »Jugendgerechte Kommune« in den Bundesländern verankert werden. In einem Wettbewerb hat sich der Bezirk Hamburg-Nord durchgesetzt und ist mit dem Stadtteil Barmbek-Nord Teil des Bundesprogramms. Ein Fachvortrag bei der Eröffnungsveranstaltung lautete : »Warum Jugendgerechtigkeit nicht das Gleiche ist wie Kinder- oder Familienfreundlichkeit«. Man darf gespannt sein, welche Impulse von diesem Projekt ausgehen werden – gerade im Jahr 10 des Beteiligungsparagrafen.