Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2015, Rubrik Titelthema

1. Vereine im Wandel 

Die Besetzung des Vorstands als Herausforderung für das Vereinswesen *

Von Katrin Matuschek, Friedrich-Ebert-Stiftung, und Valerie Lange, Publizistin

Vereine sind die Schaltzentralen bürgerschaftlichen Engagements. Was aber wäre ein Verein ohne seinen Kopf – den Vorstand? Vereinsarbeit ist auf Menschen angewiesen, die in Leitungspositionen Verantwortung übernehmen. Diese zu finden, erweist sich jedoch als immer schwieriger. Denn die Arbeit des Vorstands ist voraussetzungsvoll und verlangt ein hohes Maß an Einsatzbereitschaft.

Vereine sind eine tragende Säule des Gemeinwesens
Deutschland, das Land der Vereine : Mehr als 550.000 Vereine sind hierzulande registriert. Jährlich werden es knapp 15.000 mehr. Darunter sind Sport-, Umwelt- und Kulturvereine, Bürgerinitiativen, Freizeitvereine, Bildungsträger und Fördervereine, etwa zur Unterstützung von Kindergärten oder Schulen. Aber auch große Mitgliederorganisationen wie Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien zählen zur Vereinslandschaft.

Etwa die Hälfte des bürgerschaftlichen Engagements ist in Vereinen organisiert. Vereine sind nicht nur Orte der Freizeitgestaltung und Selbstverwirklichung, sie bieten ihren Mitgliedern nicht nur Geselligkeit, Anerkennung und Beheimatung. Sie schaffen auch Zugänge zu gesellschaftspolitischer Beteiligung und vertreten die Interessen ihrer Mitglieder. Damit erfüllen sie wichtige Funktionen in der Kommune : Sie sind Mitgestalter des öffentlichen Lebens und Dialogpartner für die kommunale Entwicklung. Sie stellen der Bevölkerung Bildungs- und Dienstleistungsangebote bereit und sind ein zentraler Akteur der Jugendarbeit.

Der Erhalt des Vereinswesens liegt in gesamtgesellschaftlichem Interesse. Denn verlieren Vereine an Bedeutung, gehen Räume, in denen gesellschaftlicher Zusammenhalt gefördert und bürgerschaftliches Engagement gelebt werden kann, ebenfalls verloren. Während die Wachstumsraten der vergangenen Jahre – seit 1990 hat sich die Anzahl der Vereine verdoppelt – auf den ersten Blick vermuten lassen, dass es gut bestellt ist um das Vereinswesen in Deutschland, offenbart eine detailliertere Analyse die versteckten Problemstellen.

Nach Angaben des Freiwilligen-Surveys hat sich die Zahl der Freiwilligen in Ehrenamtsfunktionen von 1999 bis 2009 um sechs Prozent verringert. Laut Sportentwicklungsbericht 2011/ 12 mussten Sportvereine zwischen 2007 und 2011 einen Verlust von 11 Prozent an Ehrenamtlichen in Leitungsfunktionen hinnehmen. Insgesamt geben, so die Ergebnisse einer Studie des Wissenschaftszentrum Berlin, 85 Prozent der Vereine an, dass es immer schwieriger wird, ehrenamtliche Leitungspositionen zu besetzen.

Vereine brauchen kompetente Führung
Vereine können nur dann ihre Funktion in der Gesellschaft wahrnehmen, wenn sie kompetent geführt werden. Führungsverantwortung in einem Verein zu übernehmen ist jedoch nicht einfach : Ein Vorstand muss sich für die Sache des Vereins begeistern können und diese glaubwürdig vertreten. Er nimmt nach innen und außen Vorbildfunktion ein. Sein Auftreten und Handeln muss konsequent, strategisch und zielorientiert sein, will er die Geschicke des Vereins effektiv und nachhaltig lenken. Er muss sich auch den Aufgaben der Vorstandsarbeit annehmen, die ihm nicht liegen. Und nicht zuletzt gehören Organisations- und Kommunikationsfähigkeit zu wichtigen Voraussetzungen eines Vereinsvorstands.

Die Aufgabe des Vereinsvorstands ist, das zeigen diese Anforderungen, nicht nebenbei zu erledigen. Sie verlangt Einsatzbereitschaft und ein hohes Maß an Verpflichtung. Damit gibt es einen Widerspruch zwischen den Erwartungen, die an das Vorstandsamt gestellt werden, und den Entwicklungen hin zum neuen Ehrenamt. Aufgrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und veränderter Motive geht die Tendenz immer mehr in Richtung kurzfristigem, weniger verbindlichen Engagement, bei dem die Tätigkeitsfelder selbstbestimmt sind.

Dieser Konflikt macht deutlich, dass alte und neue Formen bürgerschaftlichen Engagements nicht gegeneinander, sondern miteinander eingesetzt werden müssen. Denn sollen Menschen für bürgerschaftliches Engagement gewonnen werden, dann dürfen die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Entwicklung neuer Engagementformen notwendig gemacht haben, nicht ignoriert werden und Vereine müssen dafür Rahmenbedingungen schaffen. Genauso darf nicht vergessen werden, dass erfolgreiche Beteiligung auch Menschen braucht, die Strukturen schaffen und sich längerfristig und verbindlich einsetzen.

Das Vereinswesen muss sich neuen Herausforderungen stellen
Der gesellschaftliche Wandel, auf den sich das Vereinswesen – und insbesondere die Vereinsführung – einzustellen hat, ist nicht zu unterschätzen. Vielfältige neue Herausforderungen haben in den letzten Jahren Vereins- und Vorstandsarbeit verändert und erschwert :

1) Zunehmend werden Vereine in Aufgaben der Daseinsvorsorge eingebunden, etwa als Kita- oder Schulvereine. Damit steht die Vereinslandschaft vor einer Neudefinition ihres Selbst- und Außenbildes und sieht sich in der Zwickmühle zwischen ehrenamtlichen Strukturen und notwendiger Professionalisierung, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können.

2) Mit der Professionalisierung der Vereine – selbst wenn diese nur äußerlich und keineswegs strukturell verankert ist – geht eine andere Erwartungshaltung der Mitglieder einher, die den Verein immer mehr als Dienstleister begreifen, sowie ein größerer Wettbewerbsdruck zwischen den Vereinen. So kann ein Stück der Gemeinwohlorientierung verloren gehen.

3) Die […] Nachwuchsarbeit in den Vereinen muss sich damit auseinandersetzen, dass im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung immer mehr Aufgaben, die früher den Vereinen zufielen, innerhalb der Schule übernommen werden. Dass diese Veränderung auch eine Chance für Vereine sein kann, ihre Arbeit zu beleben, zeigen die vielen guten Beispiele von Kooperationen zwischen Schulen und Vereinen. Sie stellt gleichzeitig aber eine Herausforderung für Verein und Vorstand dar, denn es müssen neue Wege beschritten und von alten Traditionen Abschied genommen werden.

4) Von den Menschen wird beruflich und privat immer mehr Flexibilität und Mobilität verlangt. Damit werden verlässliche individuelle Planungsräume verkürzt. Bei Vorstandszeiten bis zu sechs Jahren werden Vorbehalte zu langer Bindung unweigerlich größer. Innovative Konzepte, etwa geteilte Amtszeiten, können Lösungsansätze bieten.

5) […] Vereine müssen bewusst ihre Zielgruppe bei der Wahl des Vorstandes erweitern. Noch immer ist es schwer, Frauen für bislang männerdominierte Vorstände zu gewinnen und Menschen mit Migrationshintergrund stehen der Verantwortungsübernahme in »deutschen« Vorständen reserviert gegenüber. Hier gibt es Ansatzpunkte aus dem Diversity Management, die sich auf die Vereinsarbeit übertragen lassen.

6) Ein mehr an Regulierung, etwa im Bereich von Jugend- und Kinderschutz oder Hygienevorschriften, hat die Anforderungen an Verein und Vorstand wachsen lassen. So werden dem Vereinsvorstand nicht nur mehr Kompetenzen abverlangt, auch die Hemmschwelle, Verantwortung zu übernehmen, wird größer. Hinzu kommt ein stärkerer Markt- und Konkurrenzdruck, der auf der Vereinsführung lastet, die zudem persönlich haftet. Hier gilt es umso mehr, den Vorstand gut aufzuklären und ihn über Beratung und Fortbildung in die Lage zu versetzen, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

7) Ehrenamtliche Betätigung war noch nie ein Selbstzweck, sondern immer auch eine Form der Selbstverwirklichung und der Verbesserung oder Festigung des eigenen Status in der Gesellschaft. Je mehr die Anerkennung für öffentliche Ämter jedoch abnimmt, umso weniger Anreize gibt es, sich für die »Ehre« zu engagieren.

Die Bedingungen für einen erfolgreichen Vorstandswechsel können geschaffen werden
Die Problemlagen, denen sich Vereine heute gegenübersehen und derer sich ihre Führungskräfte annehmen müssen, sind vielfältig – und diese Rahmenbedingungen sind von den Vereinen kaum änderbar.

Es gibt jedoch eine Reihe von Ansatzpunkten für Vereine, Strukturen und Herangehensweisen so zu verändern, dass bürgerschaftliches Engagement unter den neuen Bedingungen attraktiv bleibt – und dass sich Menschen finden, die in Führungspositionen Verantwortung übernehmen. Grundlage hierfür ist eine Grundeinstellung und Haltung im Verein, sich diesen Herausforderungen zu stellen und mit allen Vereinsmitgliedern gemeinsam etwas zu verändern und auch neue Wege zu gehen. Die folgende Übersicht zeigt, was Vereine neben der strategischen Vorbereitung des Führungswechsels tun können, um die Vorstandsarbeit wieder attraktiver für Interessenten/ innen zu gestalten.

Die Gewinnung und Qualifizierung von Freiwilligen für Vorstandsarbeit muss auch verstärkt politisch in den Blick genommen werden : Es bedarf eines höheren öffentlichen Problembewusstseins sowie lokaler Unterstützungsangebote. Gefragt sind hier Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen und kommunale Stabsstellen und Referate für bürgerschaftliches Engagement.

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* Impulsgeber : Dr. Thomas Röbke, Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern