Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2013, Rubrik Titelthema

Achtung: Frei ab 16 Jahre!

Volksentscheid zum »Rückkauf der Energienetze in Hamburg« am 22. September 2013

Von Jürgen Garbers, Landesjugendring Hamburg

Am Tag der Bundestagswahl können auch die 16- und 17-Jährigen in die Wahlkabine gehen. Denn: Nachdem die Hamburgische Bürgerschaft im Februar 2013 das Wahlalter auf 16 Jahre herabsenkte, dürfen alle ab 16 Jahren bei Bürgerschafts- und Bezirksversammlungswahlen sowie bei Bürger- und Volksentscheiden mit abstimmen. Der erste Volksentscheid, zu dem nun auch die 16- und 17-Jährigen mit aufgerufen sind, findet am 22. September 2013 statt – parallel zur Bundestagswahl. Es geht dabei um die Frage, ob die Energienetze in Hamburg zurückgekauft werden sollen.

Was ist ein Volksentscheid? Über einzelne politische Fragen können die Wahlberechtigten in Hamburg per Volksentscheid abstimmen (s. »Artikel 50 [Volksgesetzgebung]« der Hamburgischen Verfassung). Dazu zählen Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze – und auch sogenannte »andere Vorlagen«. Andere Vorlagen sind Handlungsaufforderungen an die Bürgerschaft, in einem Bereich der »politischen Willensbildung« tätig zu werden. Die aktuell zur Abstimmung stehende Frage eines Rückkaufs der Energienetze in Hamburg basiert auf diesem Vorgang einer »anderen Vorlage«; die Initiative »Unser Hamburg – Unser Netz« hat alle gesetzlichen Hürden vom Volksbegehren bis zur Durchführung einer Volksentscheidung erfolgreich genommen.

Worum geht’s? Zu den Energienetzen zählen drei Bereiche: Strom, Gas und Fernwärme. Sie alle sind auf Leitungen angewiesen, um zum Verbraucher zu gelangen. Bei den jeweiligen Leitungen hat der Verbraucher keine Alternative zu einem Anschluss an die bestehenden Netze. Energienetze bilden daher ein »natürliches Monopol«. Gleiches gilt für das Leitungsnetz der Wasserversorgung.

Die Stadt Hamburg war einst über die stadteigenen Hamburger Elektrizitätswerke und Hein Gas der Betreiber dieser natürlichen Monopole, verkaufte diese Firmen jedoch zwischen 1997 und 2002 an Vattenfall Hamburg und E.on. Damit wurden auch die Verteilnetze für Strom (Vattenfall) und Gas sowie die Fernwärmeversorgung (E.on) in Hamburg privatisiert. Die beiden Konzerne erwarben Konzessionen für den Betrieb der Energienetz-Monopole, deren Laufzeit in den kommenden Jahren endet. Die Vergabe der Konzessionen muss daher ab 2014 neu ausgeschrieben werden. Hier sehen die Initiatoren des Volksbegehrens die politische Chance einer Neuordnung: Die Stadt solle die Konzessionen für den Betrieb der Netze so ausschreiben, dass ein städtisches Unternehmen den Vorrang genießt.

Wie argumentieren die Befürworter eines Rückkaufs der Energienetze? Zwei Argumente stehen im Vordergrund. Erstens: Um die Energiewende in Hamburg erfolgreich zu gestalten, brauche die Stadt die vollständige Kontrolle über die Energienetze. Nur dadurch stünde Gemeinwohl vor Profitmaximierung. Zweitens: Mit dem Betrieb der Netze könne zudem viel Geld verdient werden: »Mit den Strom- und Gasnetzen und der Fernwärmeversorgung machen die Konzerne jährliche Umsätze von über 1 Milliarde Euro. Die Renditen im Netzbetrieb sind solide. Wir wollen, dass dieses Geld künftig in Hamburg bleibt«, argumentieren die Befürworter auf der Initiativenseite »unser-netz-hamburg.de«.

Wie argumentiert der SPD-Senat? Die SPD-Mehrheit setzte in der Bürgerschaft bereits den Beschluss zum Rückkauf eines Anteils von 25,1 Prozent an den Energienetzen für 543 Millionen Euro durch. Nach Ansicht des SPD-Senates reiche diese Minderheitenbeteiligung aus, um Einfluss auf die Energiepolitik zu nehmen. So seien mit den Energieversorgern darüber hinaus Vereinbarungen wie Investitionszusagen und der Ersatz des alten Kohlekraftwerks in Wedel durch ein modernes Gas-Dampf-Turbinen-Kraftwerk geschlossen worden, um die Energiewende in Hamburg zu gestalten. Zudem bedeute ein vollständiger Rückkauf, der um die zwei Milliarden Euro kosten könne, ein hohes finanzielles Risiko und eine Belastung des Haushaltes zuungunsten anderer Aufgaben. (siehe nein-zum-netzkauf.de)

Wie positionieren sich die Parteien in Hamburg?
Pro Rückkauf: Grüne/Bündnis 90 (gruene-fraktion-hamburg.de/netze-rückkauf), Die Linke (www.die-linke-hamburg.de/uploads/media/Flyer_VE_130531_web.pdf), Piraten Partei (piraten-hh.de/themen/umwelt-und-energie)
Contra Rückkauf: CDU (cduhamburg.de/fileadmin/content/pdf/flugblaetter/
Ansichtsdokument_Themenkarte_Netze.pdf),
http://www.cduhamburg.de/fileadmin/content/pdf/flugblaetter/Ansichtsdokument_Themenkarte_Netze.pdfFDP (www.fdphamburg.de/fdp-hamburg-startet-kampagne-gegen-den-netzruckkauf/) und SPD (nein-zum-netzkauf.de)

Wer ist die Initiative »Unser Hamburg – unser Netz«? Gegründet wurde die Initiative 2010 von sechs Organisationen: Attac, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Diakonie und Bildung des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises, Initiative Moorburgtrasse stoppen, Robin Wood und Verbraucherzentrale Hamburg. Mittlerweile unterstützen über 45 Hamburger Organisationen der Zivilgesellschaft die Initiative. (s. unser-netz-hamburg.de)

Wie viele Stimmen entscheiden beim Volksentscheid? Da der Volksentscheid an einem Wahltag stattfindet, ist sein Ausgang an die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl gekoppelt. Ein kompliziertes Verfahren. So müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein, damit der Volksentscheid beispielsweise zugunsten der Initiative ausgeht: Zunächst muss sich eine Mehrheit der gültig Abstimmenden beim Volksentscheid für die Vorlage zum Rückkauf der Energienetze aussprechen. Und diese Stimmenzahl muss zudem auch »der Mehrheit der in dem gleichzeitig gewählten Parlament repräsentierten Hamburger Stimmen« entsprechen. Zur Veranschaulichung: Bei der Bundestagswahl geben z.B. eine Million Hamburger/innen ihre Stimmen ab. Wenn 100.000 Wähler/innen dabei für Parteien stimmen, die unter der Fünf-Prozent-Hürde landen, verbleiben 900.000 relevante Stimmen als Maßzahl übrig. Die Vorlage zum Rückkauf der Energienetze wäre also dann erfolgreich beschieden, wenn 450.001 Wähler/innen zustimmten (die Hälfte von 900.000 plus eins). Und umgekehrt: Wenn sich zwar eine absolute Mehrheit von z.B. 320.000 bei insgesamt 600.000 beim Volksentscheid abgegebenen Stimmen für die Rückkauf-Vorlage entscheidet, bei der Bundestagswahl jedoch insgesamt eine Million Stimmen gezählt werden, ist das Volksbegehren gescheitert.
(Hintergrund: http://www.hamburg.de/contentblob/4036692/data/volksentscheid-energienetze-broschuere-web.pdf)

Ist der Volksentscheid verbindlich? Die Hamburgische Verfassung antwortet mit einem klaren »Ja, aber…«. So steht im Artikel 50 [Volksgesetzgebung] unter 4a: »Ein Volksentscheid über eine andere Vorlage bindet Bürgerschaft und Senat. Die Bindung kann durch einen Beschluss der Bürgerschaft beseitigt werden.« Das heißt im Klartext: Eine Mehrheit in der Bürgerschaft kann einen Volksentscheid wieder kippen. Ob das politisch klug wäre, ist eine andere Frage…