Landesjugendring Hamburg e.V.
Heft 3-2013, Rubrik Titelthema

5. Jugendpolitik.

Brauchen wir eine eigenständige Jugendpolitik?

Die Bundesregierung setzt sich für eine eigenständige Jugendpolitik ein, um die politische Zuständigkeitszersplitterung aufzuheben und Jugend nicht als »Risikogruppe« in diversen Ressorts anzusehen. Wo wäre auf Bundesebene anzusetzen, um die Phase des Aufwachsen zu mündigen Bürgern als übergrei- fende Jugendpolitik zu fördern?

Hajduk: Endlich, nach langen Debatten, hatte das Bundesjugendministerium die Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik gestartet. Jahrelang haben wir Grüne dies gemeinsam mit zahlreichen Jugendverbänden und Fachleuten gefordert. Die bisherigen Entwicklungen gehen jedoch ausschließlich auf das Engagement der Jugend(hilfe)verbände zurück. Im Bereich der Jugendpolitik ist die schwarz-gelbe Bundesregierung weitestgehend ideen- und tatenlos. Unter einer eigenständigen Jugendpolitik verstehen wir eine Politik, die eine reflektierte Vorstellung von der Rolle und der Bedeutung von Jugend in unserer Gesellschaft hat. Denn es gibt sie nicht, die eine Jugend.

Die Generation der heutigen Jugendlichen ist zutiefst gespalten. Viele schauen mit Optimismus in ihre Zukunft, andere aber sind bereits überzeugt, auf der Schattenseite zu stehen. Die Chancenungleichheit, die in frühen Lebensjahren durch ein leistungsschwaches Bildungssystem nicht ausgeglichen werden kann, verbaut diesen jungen Menschen ihre Zukunft. Hier muss kontinuierlich gestützt und gefördert werden. Zudem sehen sich Jugendliche immer höherem Druck ausgesetzt: Bildung muss auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, jede Minute Freizeit wird verplant und freie Zeit, die selbst gestaltet werden kann, wird zur Mangelware. Dabei brauchen gerade junge Menschen Freiräume, um sich auszuprobieren, um unter sich zu sein, sich zu treffen und auszutauschen. Wir wollen jungen Menschen diese benötigten Freiräume wieder öffnen und streben dazu die dringend notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung an.

Jugendliche sind in besonderem Maße auf die Infrastruktur vor Ort angewiesen. Vielfältige Jugendhilfeangebote, eine starke Jugendarbeit und die Unterstützung für Formen der Selbstorganisation ermöglichen jungen Menschen mehr Teilhabe.

Wir wollen die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen von Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit und Beratungsstellen für junge Menschen sichern. Dazu werden wir den Kinder- und Jugendplan des Bundes weiterentwickeln und ausbauen. So hat unsere Bundestagsfraktion in dieser Wahlperiode bei den Haushaltsberatungen gefordert, dass die vorgenommenen Kürzungen zurückgenommen werden und dass sichergestellt wird, dass alle Programmteile des Kinder und Jugendplans angemessen finanziell ausgestattet werden.

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Seeger: Jugendpolitik bedeutet für uns vor allem Politik mit der Jugend und ohne Bevormundung. Zu dem Verständnis, was Kinder und Jugendliche benötigen und was sie wollen, braucht es Gespräche und Angebote. Dies kann vor Ort gemeinsam mit Organisationen und Bildungseinrichtungen geschehen, aber auch über Onlinemedien. Insbesondere sollten freie Träger, die bereits in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind, mit eingebunden werden. Entscheidend ist, dass Kinder und Jugendliche ihre eigenen Ideen einbringen können und hier nicht auf Erwachsene als Vertreter angewiesen sind. Exemplarisch im negativen Sinne erleben wir dies beim Jugendschutz, der in Deutschland stark auf moralische Bevormundung und »Bewahrung« ausgelegt ist, obwohl durch Verbote besonders im Internet keine Probleme gelöst werden. Hier müssen wir Jugendliche als mögliche mündige Bürger ernst nehmen und aufklären statt verbieten. Auch eine Senkung des Wahlalters wäre eine solche Aufwertung junger Menschen. Auf kommunaler Ebene und in einigen Ländern gibt es hier positive Experimente, die unbedingt auf die Bundesebene erweitert werden sollten.

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Weinberg: Die Lebensphase der 14- bis 25-Jährigen ist durch viele neue Aufgaben und sich laufend ändernde Lebensumstände gekennzeichnet. Eine eigenständige Jugendpolitik ist daher für uns von großer Bedeutung. Wir wollen, dass jeder einzelne Jugendliche in seinen Fähigkeiten optimal gefördert wird, damit jeder Jugendliche die Chance auf eine gute Zukunft hat. Während in der Vergangenheit die Kinder- und Jugendpolitik als ein gemeinsamer Politikbereich angesehen wurde, wird diese Betrachtungsweise den komplexen Lebenswelten von Jugendlichen heute nicht mehr gerecht. Deshalb enthielt bereits der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP aus dem Jahr 2009 die Forderung nach einer eigenständigen Jugendpolitik. Seitdem ist es Aufgabe des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) als »Partner der Jugendlichen«, die Entwicklung der eigenständigen Jugendpolitik als gesellschaftliche Zukunftspolitik mit Unterstützung aller Ressorts voranzutreiben. Unter Federführung des BMFSFJ wurde eine »Allianz für Jugend« als breites gesellschaftliches Bündnis gegründet. Sie soll konkrete Vorschläge für eine eigenständige Jugendpolitik entwickeln. Dies wollen wir in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen. Erinnert sei hier nur an die Initiative »Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss«. Ihr Ziel ist es, dass möglichst viele Jugendliche einen Schulabschluss und einen Berufsabschluss erreichen. Tatsächlich ging der Anteil der Schüler/innen ohne Abschluss zwischen 2006 und 2011 von 8% auf 6,2% zurück.

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Müller-Sönksen: Die eigenständige Jugendpolitik läuft ja bereits und zwar mit genau dem Ansatz, den auch Sie betonen: Gerade die FDP hat darauf gedrängt, Jugendliche nicht nur als »Koma-Trinker« oder »Computerspieler« zu sehen, nicht nur als Risikogruppen, sondern als das, was die heutige Generation der Jugendlichen ist: Normale junge Menschen, die ihre Chancen im Leben suchen und wahrnehmen wollen. Das ist auch die Aufgabe der eigenständigen Jugendpolitik und der »Allianz für Jugend«. Dabei werden alle jugendrelevanten Akteure (Jugendverbände, Medien, Politik, Jugendhilfe) beteiligt.

Bei der eigenständigen Jugendpolitik geht es um viel mehr als einzelne Programme – es geht darum, sich von der bisher dominanten defizitorientierten Jugendpolitik zu verabschieden und zu einer beteiligenden, junge Menschen ernst nehmenden Jugendpolitik zu kommen. Mit dem Führerschein ab 17, der Sommerferienregelung im ALG II und der Verlängerung des Programmes »Schulverweigerung – die 2. Chance« bis 2014 haben wir bereits eine Menge getan. Dieser Ansatz wird ressortübergreifend weitergeführt. Die Allianz für Jugend wird noch weit in die nächste Wahlperiode hineinreichen.

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van Aken: Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Arbeit vor Ort und der Lösung der sozialen Frage. Hier muss die Politik der Bundesregierung ansetzen. Daher braucht es neben einer Kindergrundsicherung vor allem eine soziale Infrastruktur vor Ort in Form von Jugendarbeit und Jugendzentren, Beratungseinrichtungen und Freizeitmöglichkeiten, eine Infrastruktur, die auf Jugendliche zugeht und allen Jugendlichen offen steht. Diese soziale Infrastruktur muss von den Kindern und Jugendlichen mitgestaltet werden können. So wird Demokratie auf den unterschiedlichsten Ebenen gelernt! Jugendverbänden kommt hierbei eine zentrale Rolle zu, aber auch den öffentlichen Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten und Schulen oder dem umfangreichen Vereinswesen. Das alles braucht politischen Willen und kostet Geld. Bei der jetzigen Bundesregierung ist der Wille nicht vorhanden, und das nötige Geld wird einfach nicht bereitgestellt. Hier verfolgt Die Linke einen grundsätzlich anderen Ansatz: Wir wollen die Bund-Länder-Kommunalfinanzen neu sortieren, damit in allen Kommunen genügend Geld zur Verfügung steht, um eine soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche zu errichten. Darüber hinaus fordert Die Linke ein Sonderprogramm zum Wieder- und Neuaufbau weggebrochener Strukturen in der Jugendarbeit. Wir müssen den Kinder- und Jugendplan des Bundes, den KJP, massiv aufstocken und inhaltlich überarbeiten. Seit 10 Jahren wurde beim KJP nur gekürzt und ihm gleichzeitig immer weitere Aufgaben zugeschoben. Wir müssen die Jugendverbandsarbeit vielmehr stärken, indem wir den Jugendverbänden die Ressourcen in die Hand geben, sich weiterentwickeln zu können und ihnen Planungssicherheit geben. Für Die Linke ist aber auch zentral, dass Jugendpolitik die soziale Frage ebenso wie umfangreiche Mitbestimmungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche beinhaltet. Das wird sich in unserem umfassenden Konzept zur Jugendpolitik widerspiegeln, welches wir gemeinsam mit den Betroffenen in der kommenden Wahlperiode entwickeln werden.

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Özoğuz: Für die SPD sind eine starke Jugendpolitik sowie starke Jugendverbände notwendig. Zentrale Förderinstrumente sind die Kinder- und Jugendpläne von Bund und Ländern. Deshalb setzen wir uns u.a. für eine ausreichende Förderung bundeszentraler Infrastruktur der Jugendverbände ein. Zum guten Aufwachsen brauchen junge Menschen verlässliche Strukturen und gute Angebote für Bildung, Freizeitgestaltung, Mobilität oder Zugang zum Internet. Es ist Aufgabe von Kommunen, Ländern und Bund, im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge solche Angebote flächendeckend, bedarfsgerecht und in guter Qualität zur Verfügung zu stellen. Den Kommunen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie brauchen eine solide finanzielle Ausstattung, um Rahmenbedingungen für gutes Aufwachsen aufrechterhalten und neu schaffen zu können. Wir wollen kurzfristig einen Investitionspakt von Bund und Ländern realisieren, von dem insbesondere finanzschwache Kommunen mit Haushaltsnotlagen profitieren sollen.

Die SPD hat 2012 mit dem Beschluss »Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröffnen, Rückhalt geben!« (Drs. 17/12063) ausführliche jugendpolitische Positionen und Forderungen vorgelegt. Wir verstehen Jugendpolitik als eigenständiges Politikfeld. Ein zentrales Instrument sind die Strukturen der Jugendverbandsarbeit. Wir wollen Vereine, Jugendverbände, Jugendinitiativen und Jugendzentren in ihren Strukturen fördern und stärken. Sie leisten wichtige Beiträge im Rahmen der Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik.

Der SPD ist auch das freiwillige Engagement junger Menschen wichtig. Deshalb wollen wir die Rahmenbedingungen dafür gezielt verbessern. Wir werden gesellschaftspolitisches Engagement in Vereinen und Verbänden bei der Bemessung der Förderzeiten im Rahmen des BAföG dem hochschulpolitischen Engagement gleichstellen. Zudem werden wir prüfen, wie wir Auszubildenden mehr Zeitautonomie für gesellschaftspolitisches Engagement geben können.

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